Vom Alten und Neuen

Die vielen Gesichter von Tirana

Die Geschichte der albanischen Hauptstadt ist so kurz, wie abwechslungsreich. In wenigen Jahren vom Dorf zur Metropole herangewachsen, soll Tirana nun ein Vorzeigebeispiel des modernen Lebens werden. Ganz ohne Konflikte geht das freilich nicht, meint Julia Putzger von Postcards from Albania.

Albanien hat viele Gesichter. Das zeigt sich besonders in Tirana. Wer sich am Hauptplatz umschaut, der sieht eine moderne Stadt, die sich im wirtschaftlichen Aufschwung befindet und europäisch denkt. Wer sich jedoch in die Randbezirke und Vororte im Norden wagt, der sieht Wasserbehälter auf den Dächern der baufälligen Häuschen, denn eine flächendeckende Wasserversorgung gibt es hier nicht. Und wer es schafft, einen Platz in den überfüllten öffentlichen Bussen zu ergattern und sich so im Schneckentempo zurück ins Zentrum quält, der sieht unterwegs riesige Plattenbausiedlungen, moderne Bürogebäude und jede Menge Baustellen. Tirana ist eine Stadt der Gegensätze, die sich in einer Umbruchphase befindet. Neues ergänzt und verdrängt Altes. Stadtentwicklungskonzepte sollen bei der Orientierung im Projekte-Dschungel helfen und ganzheitliche Lösungen finden.

Bevölkerungswachstum Tirana

Mehr als 800.000 Menschen leben heute im Ballungsraum Tirana – die Stadt alleine zählt laut offiziellen Angaben mehr als eine halbe Million Einwohner. Als das kommunistische Regime im Jahr 1991 zerfiel, waren es nur etwa halb so viele. Die neue Ära brachte eine Aufbruchsstimmung mit sich: Tausende Albaner wanderten nach Mitteleuropa aus, aber auch Tirana wurde zu einem Anziehungspunkt. Der regelrechte Ansturm auf die Hauptstadt führte dazu, dass diese sich besonders nach Norden hin stark ausdehnte. In das gesetzlose Durcheinander der damaligen Bebauung ist auch gegenwärtig nur schwer Ordnung zu bringen.

Stadtplan Tirana: © Margit Steidl

Der umfassendste Plan für Albaniens Hauptstadt nennt sich Tirana 2030. Ausgearbeitet hat ihn der italienische Stararchitekt Stefano Boeri, der international vor allem für innovative Fassadenbegrünung bekannt ist. Boeri gewann mit seiner Idee der kaleidoskopischen Stadt – also einer Stadt, die in vielen Facetten glänzen kann – 2016 den internationalen Wettbewerb und legte eine Strategie mit insgesamt 13 verschiedenen Projekten vor. Im Fokus steht die Schaffung von mehr Grünflächen und öffentlich nutzbarem Raum sowie die Verbesserung der Infrastruktur. Dies betrifft besonders die Vororte, die mehr Eigenständigkeit entwickeln und das Zentrum dadurch entlasten sollen. So soll ein sogenannter „vierter, grüner Ring“ rund um die Stadt entstehen, der Möglichkeiten zur Naherholung bieten und gleichzeitig den Fluss des öffentlichen Verkehrs optimieren könnte. Außerdem ist der Bau von 20 öffentlichen Schulen vorgesehen.

Während es von der Opposition, der Demokratischen Partei Albaniens, Kritik hagelt, da das Konzept Spielereien, aber keinerlei Lösungen für reale Probleme beinhalte, ist der Bürgermeister der Stadt, Erion Veliaj, vollauf zufrieden. „Mit diesen Plänen werden wir aus Tirana eine europäische Stadt machen“, verkündete er bei der Präsentation des Konzepts Ende 2016. Veliaj, seit Sommer 2015 im Amt und noch keine 40 Jahre alt, stellt sich gerne als jemand dar, der Projekte vorantreibt und Schwung in das Geschehen bringt. Die Tapete in seinem Büro ist ein Stadtplan von Tirana, auf den Regalen stehen Modelle künftiger Bauvorhaben und teure Skulpturen bekannter Künstler neben Basteleien von Kindergartenkindern. In diesem Büro, das wie ein übergroßes Spielzimmer anmutet, ist Veliaj aber auf eines besonders stolz: sein Fahrrad. Blitzblank, silbern glänzend und mit knallorangen Rädern steht es vor einem Bücherschrank und scheint nur darauf zu warten, dass der Bürgermeister damit eine Runde durch die Stadt dreht.

Für das Fahrrad Veliajs besteht allerdings Verwechslungsgefahr: 4.000 Stück gibt es davon seit Kurzem – in ganz Tirana verteilt. Es handelt sich nämlich um Leihfahrräder der chinesischen Firma Mobike, die mit Hilfe einer App genutzt und an eigenen Fahrradparkplätzen abgestellt werden können. Die albanische Hauptstadt ist mit diesem Konzept ein Vorreiter am Balkan. Veliaj ist darauf stolz und sieht darin einen wichtigen Schritt in eine grünere Zukunft. Wie wäre es also, wenn der Bürgermeister sein Rad aus dem Büro schieben würde, um sein Tirana radelnd vorzustellen?

„Wir haben den einst verkehrsreichsten zum belebtesten Ort der Stadt gemacht“

— Erion Velija, Bürgermeister von Tirana

Das Rathaus der Hauptstadt ist in einem rot-gelben Gebäude untergebracht, das italienische Architekten zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbauten. Es liegt direkt am Hauptplatz, der nach dem Nationalhelden Skanderbeg benannt ist – ihm zu Ehren steht eine überlebensgroße Statue im Süden des Platzes. Steigt Veliaj hier auf sein Fahrrad, kann er große Kreise drehen und kein einziges Auto wird ihn dabei stören. Der Skanderbeg-Platz ist das Herz Tiranas, hier bietet die albanische Hauptstadt ausnahmsweise Raum für Ideen und Ruhe, für ihre Bewohner und ihre Besucher. Auf 97.000 Quadratmetern flanieren, genießen und feiern Jung und Alt. Die weite Fläche ist mit polierten Steinen aus allen Regionen Albaniens gepflastert, rundherum gibt es kleine grüne Oasen. In den Gärten wächst Salbei und Minze, das Laub der jungen Linden raschelt und zwischen den dichten Sträuchern der in Albanien typischen Macchia laden Bänke zum Verweilen ein. Albanien präsentiert sich hier europäisch, aufstrebend und modern.

„Wir haben den einst verkehrsreichsten zum belebtesten Ort der Stadt gemacht“, stellt der Bürgermeister zufrieden fest. Die Pläne zur Umgestaltung des Skanderbeg-Platzes stammen vom belgischen Architekturbüro 51N4E, bereits Veliajs Vor-Vorgänger, der jetzige Premierminister Edi Rama, hatte Ähnliches im Sinn. Schließlich setzte man die Pläne 2017 mit finanzieller Unterstützung der Vereinigten Arabischen Emirate erfolgreich um. Erfolgreich, weil das Projekt auch international Anklang fand: Unter 279 Einreichungen aus 32 Ländern wurde die Neugestaltung des Skanderbeg-Platzes zum Gewinner der zehnten Ausgabe des European Prize for Urban Public Spaces 2018 gekürt. Die Jury begründete ihre Entscheidung damit, dass es eine „bewusste, aber nicht anmaßende Verbindung zur nationalen Identität Albaniens“ gebe. Denn obwohl das Herz Tiranas ein Blick in die Zukunft des Landes zu sein scheint, könnte das Zentrum geschichtsträchtiger nicht sein.

Blick nach Norden: Brauste einst der Verkehr rund um den Skanderbeg-Platz, so dient er nach dem stilsicheren Umbau – mit seinen Grünoasen und den aus dem Boden sprudelnden Quellen – heute als Ort der Begegnung im Stadtzentrum. Fotos: © Michael Sommer (heute), Robert Pichler (damals)

99 Shades of Grey

Wer als Besucher nur wenige Tage in Albanien verbringt, droht sich im herrschenden Durcheinander zu verlieren. Es fällt nicht leicht, sich zu orientieren – weder im Gewirr der Gassen noch beim Beurteilen dessen, was in albanischen Medien und in der Politik aufgeregt und oft schablonenhaft in Schwarz-Weiß diskutiert wird. Auch, wenn man noch so umfassend recherchiert. Man könnte einfach in den Chor der Unzufriedenen einstimmen, die Korruption als allgegenwärtig anprangern und sich lautstark wundern, warum denn nicht alles ganz anders gemacht wird.
Aber der Alltag ist eben auch in Albanien nicht so Schwarz-Weiß, wie man sich das manchmal wünschen würde: Hier ist selten alles ganz gut, aber auch selten alles ganz schlecht. Stattdessen gibt es unzählige Schattierungen, die verschiedensten Grautöne.
Auch die Stadtentwicklung in Tirana ist so eine Grauzone. Einige Pläne scheinen in eine positive Richtung zu gehen, doch in der konkreten Umsetzung läuft noch vieles schief. Politiker wie Erion Veliaj stecken in einem Zwiespalt. Sie wollen der Welt ein modernes, attraktives Albanien zeigen. Gleichzeitig aber muss das Land auch für seine Bewohner im Alltag an Anziehungskraft gewinnen, damit die Bevölkerung nicht in Scharen auf der Suche nach einer vielversprechenderen Zukunft auswandert, sondern diese in Albanien sieht.
Prestigeprojekte, wie sie derzeit im Zentrum der Hauptstadt im großen Stile geplant werden, sind dafür nur bedingt geeignet, da es zugleich vielerorts an grundlegender Infrastruktur mangelt. Auf der einen Seite aus teurem Naturstein sickernde Quellen am preisgekrönten Skanderbeg-Platz. Auf der anderen Tanks auf den Dächern der Häuser, damit das Wasser nicht ausgeht. Eine Frage die bleibt, ist: Wie viele Grautöne hält ein Land wie Albanien aus?

Der Skanderbeg-Platz im Wandel der Zeit


Könnte der Bürgermeister mit seinem silbernen Fahrrad auch in die Vergangenheit reisen, wäre die Fahrt durch das Tirana von vor 150 Jahren jedenfalls wesentlich beschaulicher. Damals gab es hier ein paar Stallungen, Höfe und Wohnhäuser entlang holpriger Wege. Würde Veliaj auf seiner Zeitreise ins Jahr 1868 den Bürgern von dutzenden glitzernden Wolkenkratzern und einem riesigen Hauptplatz erzählen, würde das für die Menschen des 19. Jahrhunderts wohl ebenso utopisch wirken wie eine Reise zum Mond. Knapp 50 Jahre später, im Jahr 1912, kam langsam Schwung in das damalige Landstädtchen. Albanien erklärte zu diesem Zeitpunkt seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich und war auf der Suche nach einer geeigneten Hauptstadt. Nach einigem Hin und Her wurde Tirana vorerst provisorisch dazu ernannt, 1925 wurde der Beschluss offiziell in der albanischen Verfassung niedergeschrieben.

Daraufhin entstanden rund um den Skanderbeg-Platz erste Verwaltungsgebäude, unter anderem das heutige Rathaus. Auch die noch erhaltenen, breiten Boulevards, die sternförmig auf den Platz zulaufen, wurden in dieser Zeit realisiert. Während der kommunistischen Diktatur von 1944 bis 1990 entstanden ringsum nationale Bauten, wie etwa der Kulturpalast und das Historische Museum, die bis heute das Bild dominieren. Der Platz selbst ähnelte dem heutigen: Weit und offen, damit sich die Menschen klein fühlten und um die Größe des Diktators Enver Hoxha zu repräsentieren. Autos rollten nur selten über das Pflaster – weil es kaum welche gab. Veliaj hätte viel Platz zum Radfahren gehabt.

Das änderte sich nach 1990 grundlegend, als der Platz zum riesigen Kreisverkehr und Knotenpunkt umgewandelt wurde. Im Jahr 2008 initiierte der damalige Bürgermeister der Stadt, Edi Rama, die Umgestaltung in ein autofreies Areal. Doch Lulzim Basha von der Demokratischen Partei Albaniens, der ihm 2011 in dieses Amt nachfolgte, hatte anderes vor: Mit zehn Millionen Euro finanzieller Unterstützung aus Kuwait, wurde der Platz im Herzen Tiranas zwar grüner, blieb aber ein gigantischer Kreisverkehr. Online kann man noch heute via Google Streetview eine Runde mit den Autos drehen. Offline wurden diese inzwischen unter die Oberfläche des Areals, in eine riesige Tiefgarage, verbannt. Der Skanderbeg-Platz selbst ist ein Ort des Miteinanders geworden.

„Statt der versprochenen Grünflächen für die Bewohner der Stadt entsteht eine Betonwüste im Sinne der Unternehmer.“

— Regierungskritiker Redi Muci

Infrastruktur für alle

Sinnbilder für Gemeinschaft und gesellschaftliche Treffpunkte sind am Balkan vor allem die belebten Basare. Zwischen den engen Ständen geht es drunter und drüber, es wird gefeilscht, geschwatzt und genascht. Jener von Tirana befand sich einst neben der Et’hem-Bey Moschee, der ältesten der Stadt, die direkt am Skanderbeg-Platz steht. Heute muss der Bürgermeister allerdings länger in die Pedale treten, um sich frisches Obst und Gemüse zu kaufen. Vom Hauptplatz aus geht es nach Osten, knapp 500 Meter entfernt glitzert das gläserne Dach der neuen Markthalle. Dort herrscht Ordnung und Sauberkeit, es gibt breite Gänge zwischen den fix montierten Verkaufstischen. Der neue Basar ist eines von Veliajs Vorzeigeprojekten: „Ich glaube, wenn ich drei Lieblingsorte in Tirana nennen müsste – und das ist wirklich nicht einfach – dann wäre der neue Basar dabei“, erklärt der Politiker im Interview. Wer sich allerdings ein paar Straßenecken weiter umsieht, lernt die andere Verkaufskultur Albaniens kennen: Winzige Garagenshops und Händler, die ihre Waren auf den ohnehin schon schmalen Gehwegen anbieten, offene Kühltheken und wankende Regale, die wohl kaum den europäischen Hygiene- und Sicherheitsstandards entsprechen. Zwar gibt es mittlerweile Regeln, die solche Zustände unterbinden sollen, doch die nötige Infrastruktur zur Umsetzung fehlt.

Platz für Verkaufsflächen gäbe es eigentlich genug, doch viele der geplanten Gebäude sind noch im Entstehen. Das markanteste dieser unvollendeten Projekte ist der 4 Evergreen Tower im Südwesten des Skanderbeg-Platzes. Wie ein riesiger Wackelzahn ragt der 85 Meter hohe Beton-Rohbau schon seit zehn Jahren in die Höhe, positiv gesehen könnte er Veliaj wohl als Orientierung beim Radfahren im Irrgarten von Tiranas Gassen dienen. Der 4 Evergreen Tower soll einmal einer von zehn unterschiedlichen Türmen sein, die mit ihrem extravaganten Design und ihrer beachtlichen Höhe aus dem Stadtbild hervorstechen. Einer davon ist bereits fertiggestellt, der TID Tower im Osten des Hauptplatzes. Mit den Arbeiten am von Boeri entworfenen Blloku Cube wurde jüngst begonnen. Die Sinnhaftigkeit dieser Gebäude zweifeln vor allem Regierungskritiker wie Redi Muci an: „Statt der versprochenen Grünflächen für die Bewohner der Stadt entsteht eine Betonwüste im Sinne der Unternehmer.“

Stadtentwicklung als Privatsache

Tatsächlich haben bei der Stadtplanung Tiranas des Öfteren einflussreiche Geschäftsleute ihre Finger im Spiel, meist mithilfe sogenannter ­Public-Private-Partnerships, also Kooperationen zwischen privaten Investoren und der öffentlichen Hand. Das bedeutet, dass die Regierung sich kostenintensive Projekte durch diese privaten Investoren finanzieren lässt, im Gegenzug aber deren Interessen berücksichtigt und ihnen beispielsweise Flächen überlässt oder deren Bauvorhaben in ihre Pläne integriert. Tiranas Bürgermeister Veliaj wählt häufig diesen Weg, um die Entwicklung der Stadt voranzutreiben – schließlich ist das Stadtbudget sehr knapp.

Aktuellstes Beispiel dafür sind die Pläne für den Neubau des Nationaltheaters. Nur wenige Schritte hinter dem Rathaus gelegen – für Veliaj würde es sich kaum lohnen, sich auf den Draht­esel zu schwingen – befindet sich das unauffällige Gebäude, das aus der Zeit des italienischen Faschismus stammt. Es gehört zu den wenigen historischen Gebäuden, die es in Tirana noch gibt. Wohl auch deshalb hängen Schauspieler und Stadtbewohner an ihrem alten Nationaltheater. Aus funktionellen Gründen scheint ein Neubau allerdings unumgänglich, ursprünglich war der Bau nämlich ein Kino.

Ursache für die schon seit Juni 2018 fast täglich stattfinden Proteste gegen die Pläne der Regierung für das Nationaltheater ist aber eine andere: Etwa zwei Drittel des Areals, das derzeit der Stadt gehört, würde dann an private Investoren übergehen, die dort die Errichtung eines riesigen Gebäudekomplexes umsetzen wollen. Für Veliaj und die Stadt Tirana scheint der Deal perfekt: Die Baufirma Fusha Shpk wird Grundeigentümer, im Gegenzug dafür baut sie das Nationaltheater. Für die Stadt entstehen keine Kosten, sondern ein Mehrwert in Form der Immobilie. „Wir müssen uns eben manchmal mit privaten Investoren zusammenschließen, damit es möglich ist, sich Anschaffungen sofort leisten zu können“, erklärt Veliaj lapidar. Im Fall des Nationaltheaters hat dieser Zusammenschluss aber einen bitteren Beigeschmack: Für das Projekt gab es zwar eine öffentlich Ausschreibung, darin wurde allerdings bereits Fusha Shpk als Partner für das lukrative Tauschgeschäft vorgeschlagen. Laut dem Nachrichtenblog Exit: Explaining Albania soll die Firma der Regierung nahestehen und schon an ähnlichen Projekten in Tirana mitgewirkt haben. Damit andere Mitbewerber nicht von vornherein benachteiligt werden, hat Premierminister Rama jüngst einen neuen Gesetzesentwurf vorgestellt, der diesem Umstand zumindest formal vorbeugt. Hinter den Kulissen scheint der Bau des vom dänischen Architektenbüro Bjarke Ingels Group entworfenen Nationaltheaters dennoch bereits beschlossene Sache zu sein.

Wenn Veliaj auf dem Boulevard Dëshmorët e Kombit, einer der wichtigsten Verkehrsachsen zum Zentrum Tiranas, nach Süden radelt, dann gibt es sogar einen markierten Radweg und zudem viele Projekte zu begutachten. Linkerhand zieht vor allem die Pyramide die Blicke auf sich. Der deplatziert wirkende Betonklotz bröselt seit Jahren vor sich hin und war ursprünglich als Mausoleum für den kommunistischen Diktator Enver Hoxha geplant. Als vor einigen Jahren über den Abriss diskutiert wurde, erwachte allerdings wieder ein Verlangen nach dem Bewahren in den Köpfen vieler Albaner. Statt ein futuristisches, neues Parlamentsgebäude an dessen Stelle zu bauen, überließ man die Pyramide also weiterhin dem Verfall und den Kindern, die regelmäßig die schrägen Betonwände noch oben kraxeln. Veliaj verkündete im Juni 2018 erneut seine altbekannten Pläne: Die Pyramide soll zum weltweit größten Zentrum für Jugendliche umgebaut werden, die Programmieren lernen wollen. Wann das passiert, steht allerdings, wie bei vielen Projekten zur Stadtentwicklung, nicht genau fest.

Die Pyramide ist derzeit ein Abenteuerspielplatz für Tiranas Jugend. Foto: © Julia Putzger

Auf der imaginären Fahrradtour des Bürgermeisters fänden sich noch zahlreiche Ziele. Etwa die im Bau befindliche Nationalarena, die der Fußballnationalmannschaft nach Jahren endlich ein adäquates Zuhause geben soll und über einen in den Himmel ragenden Büro- und Hotelturm verfügt, nicht aber über eine Laufbahn für Leichtathletikwettkämpfe. Oder die Vor­orte im Norden der Stadt, für die es zwar genaue Bebauungspläne gibt, an die sich aber niemand hält, da im Hintergrund viele lukrative Geschäfte abgeschlossen werden. Ob auch Tiranas Einwohner von den millionenschweren Investitionen ins Stadtbild profitieren, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Das ambitionierte Konzept Tirana 2030 wurde bisher nur zu kleinen Teilen umgesetzt, andere Projekte warten noch auf den Startschuss. Die Hauptstadt Albaniens ist damit in vielerlei Hinsicht eine Baustelle – allerdings eine mit großem Potential.

Erstmals publiziert auf Postcards from Albania im Juni 2018.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt: © Julia Putzger. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Blick nach Osten: Uhrturm und Et’hem-Bey Moschee zählen zu den wenigen Konstanten am Skanderbeg-Platz, um den Tirana zuletzt zur Metropole wuchs. Neuerdings verwandelt sich auch der Platz selbst zu einem mondänen Ort der Begegnung. Fotos: © Robert Pichler (damals), Michael Sommer (heute)

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