“Wir haben noch einen langen Weg vor uns.”

Die Verabschiedung des Gesetzes über gleichgeschlechtliche Partnerschaften verzögert sich in Serbien.

“Wir haben noch einen langen Weg vor uns.“ war der Slogan der Belgrade Pride 2023 um darauf aufmerksam zu machen, dass die LGBTQI+ Gemeinschaft in Serbien zunehmender Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt ist.

„Wenn es in Serbien endlich ein Gesetz über gleichgeschlechtliche Partnerschaften gäbe, würde ich sofort nach Serbien zurückkehren. Warum auch nicht? Daniel und ich hätten dann die Wahl. Und das ist, denke ich, das Wesen der Demokratie und eines selbstbestimmten Lebens“, meint Ivan Zidarević (35), der ursprünglich aus Belgrad stammt und vor zehn Jahren zu seinem Partner nach Kroatien zog.

Sie entschieden sich für ein gemeinsames Leben in Kroatien, da die damalige kroatische Regierung die Verabschiedung eines Gesetzes zur Lebenspartnerschaft plante, das Ivan und Daniel die gleichen Rechte wie einem verheirateten Paar zusprechen würde. Das Gesetz wurde zwei Jahre später, im Jahr 2014, beschlossen, und Ivan und Daniel waren das erste gleichgeschlechtliche Paar, das seine Beziehung in Kroatien am 5. September 2014 offiziell machte. Dank dieses Gesetzes erhielt Ivan die kroatische Staatsbürgerschaft, die Möglichkeit, in Kroatien zu arbeiten und das Recht, die Hälfte der Wohnung zu erben, die sie gemeinsam als eingetragene Partnerschaft erworben hatten. Das Gesetz regelt auch die gegenseitige finanzielle Unterstützung, sollte einer von ihnen seinen Arbeitsplatz verlieren, das gegenseitige Besuchsrecht im Krankenhaus im Falle einer Erkrankung eines Partners sowie die Adoption und Aufnahme von Pflegekindern.

Hätten sie ihr gemeinsames Leben in Serbien begonnen, wäre all dies nicht möglich gewesen, obwohl dort bereits 2010 der erste Gesetzesentwurf zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften vorgelegt wurde. Die seit zwölf Jahren verfolgten Bemühungen von zehn Prozent der serbischen Bevölkerung – was dem geschätzten Anteil der in Serbien lebenden LGBTQI+-Personen entspricht – sind noch nicht weit fortgeschritten. Das Ministerium für Menschen- und Minderheitenrechte kündigte im Mai 2021 die Verabschiedung dieses Gesetzes an, wurde jedoch vom serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić blockiert, der erklärte, das Gesetz im Falle der Verabschiedung durch das serbische Parlament nicht unterzeichnen zu wollen, da es seiner Ansicht nach gegen die serbische Verfassung verstoße, die die Ehe als Vereinigung von Mann und Frau definiert.

“Gleiche Rechte für alle. Liebe deinen Nächsten.” Trotz religiöser Proteste und einem eingeschränkten Pride-Marsch fand die EuroPride-Veranstaltung für die LGBTQI+ Gemeinschaft in Europa im September 2022 in Belgrad statt.

„Wir warten seit 12 Jahren. Wir liegen zehn Jahre hinter Kroatien zurück. Wir haben eine Premierministerin, die lesbisch ist, aber nichts für die Rechte der Homosexuellen in Serbien tut“, meint Zidarević. „Sie hat sogar ein Kind – Glückwunsch –, aber andere Homosexuelle im Land haben dazu kein Recht“, entrüstet sich Zidarević. „Sie sagt, das Kind sei ihres. Was ist, wenn sie von der Polizei angehalten wird? Zu wem gehört das Kind, kann sie mit ihm auch die Grenze passieren? Als Premierministerin wäre ihr alles erlaubt. Eine Schande ist das.“

„Ich weiß nicht, ob wir wieder von vorne beginnen müssen und wie die neue Regierung in dieser Angelegenheit vorgehen wird – der Gesetzesentwurf liegt jedenfalls vor“, meint die Beauftragte für Chancengleichheit Brankica Janković. Die Republik Serbien sei verpflichtet, die Gesamtheit des EU-Rechts im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses in Einklang mit den Empfehlungen des Europarates zu übernehmen und umzusetzen, wofür sich auch Brankica Janković seit Jahren ausspricht. „Bislang haben 29 europäische Länder die Beziehungen gleichgeschlechtlicher Paare in verschiedenen Rechtsformen anerkannt, daher hoffe ich, dass Serbien dies auch bald tun wird“, so die serbische Beauftragte für Chancengleichheit.

Ana Petrović, die sich im Rahmen der Organisation Da se zna für die Rechte von LGBTQI+-Menschen in Serbien einsetzt, ist der Meinung, dass das Gesetz über gleichgeschlechtliche Partnerschaften in einer demokratischen Gesellschaft, wie sie Serbien sein will, unverzichtbar ist. „Mit dem Gesetz sind keine besonderen Rechte verbunden, nicht mehr, als sie auch der Mehrheitsbevölkerung zustehen. Das Gesetz würde uns genau genommen nur die gleichen Rechte einräumen, mehr nicht. Das ist in einer zutiefst gespaltenen, verarmten Gesellschaft schwer zu erklären, in der sich fast jeder in irgendeiner Weise entrechtet fühlt. Und so wird diesen unseren Rechten mehr Bedeutung und Gewicht beigemessen.“ Jelena weist zudem darauf hin, dass man LGBTQI+-Personen nur das gesetzliche Minimum gewähren würde, sowie einzelne rechtliche Möglichkeiten, für ein sichereres und würdigeres Leben, soweit dies in Serbien überhaupt möglich ist.

Die mit LGBTQI+-Rechten befassten Nichtregierungsorganisationen sollten Änderungen des Gesetzes zustimmen. Dazu zählte eine notarielle Registrierung anstatt des Gangs zum Standesamt, sowie der Ausschluss der Möglichkeit, den Nachnamen der Partnerin bzw. des Partners anzunehmen. Die meisten Organisationen lehnten die vorgeschlagenen Änderungen ab. Laut dem Europa-Direktor der NGO Civil Rights Defenders, Goran Miletić, sei es für Serbien zwar wichtig, das Gesetz über gleichgeschlechtliche Partnerschaften so schnell wie möglich zu beschließen, sollten die Regierungsvertreter jedoch auf den geforderten Änderungen bestehen, sei es besser, das Gesetz nicht zu verabschieden.

„Serbiens LGBTQI+-Community war von der Regierung auf jeden Fall enttäuscht, da das Gesetz nicht wie geplant im letzten Jahr verabschiedet wurde. Dafür gab es keinen einzigen Grund“, meint Goran, der es für gefährlich erachtet, „wenn man im Sinne derjenigen handelt, die von dem Gesetz gar nicht betroffen sind und aus rein populistischen Gründen dagegen sind“.

Die serbischen Parteien des rechten Lagers, die bei den letzten Wahlen mit etwa 15 Prozent der Stimmen ins republikanische Parlament einzogen, sprechen sich gegen das Gesetz aus, aber auch gegen die EuroPride, die im September 2022 in verkürzter Form in Belgrad stattfand. Die stimmenstärkste dieser Parteien, die serbische Bewegung Dveri, forderte die Absage der EuroPride 2022, da diese eine „Manifestation einer undemokratischen Gewalt der Minderheit gegen die Mehrheit der Bürgerinnen Serbiens“ sei. Goran, damals ebenso Koordinator der EuroPride, bezeichnete diese Forderung von Dveri als „traurig, lächerlich und zynisch“ und erinnerte daran, dass Serbien die Rechte aller seiner Bürger in seiner Verfassung, aber auch in vielen internationalen Übereinkünften garantiert. Dazu zähle auch das Recht auf sexuelle Orientierung und das Versammlungsrecht.

Vor drei Jahren setzte sich Belgrad gegen Barcelona, Lissabon und Dublin als Austragungsort für die paneuropäische LGBTQI+-Veranstaltung, EuroPride genannt, durch. Laut der Gleichstellungsbeauftragten Brankica Janković war die EuroPride 2022 tatsächlich „eine Gelegenheit für Serbien zu zeigen, dass wir als Gesellschaft gereift und bereit sind, die Förderung europäischer Werte und Menschenrechte zu unterstützen“. Die EuroPride fand zwar statt, die Parade wurde aber bedauerlicherweise „aus Sicherheitsgründen“ abgesagt. Auf Druck der USA und der EU wurde sie schließlich auf einer verkürzten Strecke und unter großem Polizeiaufgebot abgehalten. Neben den rechtskonservativen Organisationen sprach sich auch die serbisch-orthodoxe Kirche gegen die EuroPride aus. 

All dies hat unseren Gesprächspartner Ivan Zidarević zutiefst enttäuscht, der in einer von „Drohungen und Angst“ geprägten Atmosphäre nicht nach Belgrad kommen wollte. „Ich war nicht bei der Pride dabei, ich wollte nicht als Zielscheibe herhalten und verprügelt werden“, erklärte Ivan, den vor allem die Haltung der serbisch-orthodoxen Kirche und des Patriarchen Porfirije gegenüber der LGBTQI+-Community sehr enttäuscht.

„Hier in Kroatien haben wir uns gefragt, warum die Durchführung der Pride in Serbien für die serbisch-orthodoxe Kirche eine Frage von Leben und Tod war. Ich verstehe es noch immer nicht. Es tut mir leid, dass alles so gekommen ist. Die Menschen wurden in ihren Rechten verletzt, was die Lage der LGBTQI+-Personen in Serbien nur noch schwieriger machen wird“, meint Ivan. Die Kirche sowie rechte Organisationen gehen in Sachen LGBTQI+-Rechte noch einen Schritt weiter. Sie bemühen sich in zunehmenden Maße, Lehrinhalte, die sich mit der LGBTQI+-Community, sexueller Orientierung und der Geschlechtsidentität auseinandersetzen, aus den Lehrplänen zu streichen. Die Kirche fordert die Abschaffung des Biologieunterrichts, während die rechtskonservative Bewegung Dveri behauptet, umstrittene LGBTQI+-Inhalte in Geschichts-, Soziologie- und Staatsbürgerkundelehrbüchern „gefunden“ zu haben.

Obwohl sie nur von etwa 15 Prozent der serbischen Bevölkerung unterstützt werden, haben sich rechte Organisationen als unabwendbarer und wichtigster Faktor etabliert, wenn es um die Rechte geht, die LGBTQI+-Personen zustehen sollten. Für Ana Petrović handle es sich dabei um eine „orchestrierte Kampagne von Hassreden und Diskriminierung, die künstlich aufbereitet wird, um andere, größere politische und wirtschaftliche Probleme in Serbien zu vertuschen.“

„Auch wenn es künstlich aufgebauscht ist, ist es beunruhigend, denn die Folgen sind beträchtlich und schrecklich. Das erkennen wir an der Zahl der Übergriffe auf Menschen aus der Community, die deutlich zugenommen haben, an der Art der Übergriffe und wo diese stattfinden, vor allem in kleinen Gemeinden, aber auch in sozialen Netzwerken“, erklärt Ana. Sie hat mit ihrer Tochter an der EuroPride 2022 in Belgrad teilgenommen und ist der Meinung, dass eine Gesellschaft, wie auch immer sie beschaffen sein mag, nur durch Gesetze verändert werden kann, und dass dieser Wandel gewiss nicht von heute auf morgen stattfinden wird.

„Eine Gesellschaft verändert sich durch die Sichtbarkeit der Probleme und Lösungen. Durch Information. Durch Bildung. Dabei haben wir für all dies Rechtsinstrumente und Gesetze. Wir haben auch die Verpflichtung, uns an internationale Konventionen zu halten und unsere nationalen Bestimmungen an jene der Europäischen Union anzupassen. Es fehlt an der Verantwortung, die dafür nötig ist – vonseiten des Staates, aber auch von allen anderen“, meint Ana und fügt hinzu, dass „hinter der Verabschiedung des Gesetzes keine komplizierte juristische, unpersönliche Geschichte steckt, sondern echte Menschen und ihr Leben und die Mindestrechte, die ihnen zustehen“.

„Zweimal im Jahr kommen Daniel und ich nach Belgrad, mittlerweile nur noch als Touristen, auch wenn es meine Stadt ist. Es gefällt uns hier, wir hatten noch nie Probleme, aber wir halten nicht öffentlich auf der Straße Händchen und küssen uns auch nicht. Ich weiß nicht, was passieren würde, wenn wir uns auf der Straße küssen würden.“ Der gebürtige Belgrader Ivan Zidarević bedauert, dass die Dinge nicht anders laufen, dass er nicht freier ist und dass er und sein Partner ihre Rechte in Serbien immer noch nicht wahrnehmen können.

„Kroatien und Serbien unterscheiden sich nicht sehr voneinander“, erklärt Ivan. „Die erste Pride in Kroatien verlief katastrophal, genau wie in Serbien. Und auch in Kroatien ist nichts von heute auf morgen passiert, es hat Zeit gebraucht, aber mittlerweile sind uns gegenüber alle positiv eingestellt, sogar die Politik. Die politische Unterstützung ist da, hoffen wir zumindest.“ Man dürfe aber nicht vergessen, dass sich die Situation auch in Serbien langsam ändert, dass die Menschen toleranter werden. Trotzdem werden LGBTQI+-Personen im öffentlichen Raum, aber auch innerhalb der Familie, immer noch Opfer von Gewalt, denn Serbien sei sehr konservativ, meint Ivan.

„Ich werde es nicht mehr erleben, dass es in Serbien normal sein wird zu sagen, dass man schwul ist“, sagt Ivan. Er hoffe immer noch auf Fortschritte, die die Diskriminierung verringern und zur Akzeptanz von LGBTQI+-Personen als gleichberechtigte Bürger Serbiens beitragen könnten, was jedoch seinem Dafürhalten nach „ohne gesetzliche Rahmenbedingungen“ nicht möglich sein wird.

Der Kampf um LGBTQI+-Rechte in Serbien

Trotz religiöser Proteste und einem eingeschränkten Pride-Marsch fand die EuroPride-Veranstaltung für die LGBTQI+ Gemeinschaft in Europa im September 2022 in Belgrad statt.

In Serbien wird seit über 21 Jahren für LGBTQI+-Rechte gekämpft – seitdem 2001 die erste serbische Pride in Belgrad stattfand, die aufgrund von Attacken durch Neonazi-Gruppierungen und Hooligans, unter ihnen auch Vertreter der serbisch-orthodoxen Kirche, abgebrochen werden musste. Die nächste Pride sollte 2004 stattfinden, wurde aber aus Sicherheitsgründen abgesagt.

In den folgenden sechs Jahren war seitens der LGBTQI+-Organisationen in Serbien keine Pride geplant, und 2010, neun Jahre nach der ersten Veranstaltung, wurden bei Ausschreitungen von Mitgliedern rechtsradikaler Organisationen in Belgrad mehr als 150 Menschen verletzt und rund 250 Personen festgenommen. Die erste friedliche Pride in Belgrad fand 2014 statt, und seitdem werden die Märsche jedes Jahr unter massivem Polizeiaufgebot zum Schutz der Teilnehmenden abgehalten.

Im Jahr 2009 wurde das Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet, das die Diskriminierung von LGBTQI+-Personen unter Strafe stellt. Im Jahr 2012 wurden Änderungen des Strafrechts wirksam, im Zuge derer eine Bestimmung über Hassdelikte und die Einführung eines zwingenden erschwerenden Umstands für Straftaten, die aus Hass gegen eine Person aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität begangen werden, in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurden. Das erste Urteil erging sechs Jahre später wegen häuslicher Gewalt gegen ein Mitglied der LGBTQI+-Community. Im Jahr 2021 legte das Ministerium für Menschen- und Minderheitenrechte das Gesetz über gleichgeschlechtliche Partnerschaften vor. Was daraus wird, steht noch in den Sternen.

Original auf Serbisch.
Aus dem Englischen von Barbara Maya.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt: Marina Fratucan / Tipping Point. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion. Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen bzw. am Beginn vermerkt. Titelbild: EuroPride-Marsch 2022 in Belgrad. Foto: Dejan Petrović

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