Kreislaufwirtschaft ist kein Klumpert!

Österreichs erstes Social-Business-Hotel hat eine neue Adresse. Das Konzept blieb gleich: Sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltig.

Das neue Magdas Hotel der Caritas in Wien öffnet uns die Augen, was im Bereich von Pflege, Erhaltung und Kreislaufwirtschaft alles möglich ist.

Da, wo jetzt die Hugos, Aperol-Spritzer und Magdas-Habibi-Special-Gin-Drinks ausgeschenkt werden, wurde auch früher schon allerhand Sünde zutage gefördert, wenn auch dereinst ohne Alkoholeinfluss, tagein, tagaus, viele, viele Tausende Male über all die Jahrzehnte. “Was glauben Sie, woher das Holz hinter der Bar stammt? Das erraten Sie nie!” Und recht hat sie, die Frau Sonnleitner. Denn die dunkle Holzvertäfelung mit ihren vertikalen, leicht genuteten Sprossen, die nun den Background für Mohammeds und Magdalenas Schanktat am Tresen bilden, war früher einmal Teil eines Beichtstuhls im sogenannten Waldkloster, Wien-Favoriten.

Die Zeiten der Rosenkränze sind vorbei. Heute führen die hochwertig gearbeiteten Holztafeln – so wie viele andere Möbel und Bauteile auch – ein Leben nach dem Materialtod, und zwar im neuen Magdas Hotel in der Ungargasse, das seit wenigen Tagen in Betrieb ist. Im Erdgeschoß gibt’s Drinks, Frühstücke, supergute Mittagsmenüs, regionale und levantinische Köstlichkeiten sowie ein eigenartiges, halbherzig interpretiertes Austrian Vitello Tonnato vom Mageren Meisel mit leider von Bord gegangenem Thunfisch. In den Etagen darüber kann man sich für 89 Euro aufwärts in ein Vintage-Paradies mit Omama-Kommoden und Großvaters Lounge-Fauteuils betten.

Schöneres Nachfolgeprojekt

“2015 haben wir unser erstes Magdas Hotel im Prater eröffnet”, sagt Gabriela Sonnleitner, Hotelmanagerin und Geschäftsführerin von Magdas Social Business. “Wir haben dort mit wenig Aufwand ein ehemaliges Pflegehaus der Caritas in ein Hotel mit sozialem Schwerpunkt umgebaut, in dem wir vor allem Geflüchtete, Asylwerber und Langzeitarbeitslose beschäftigen konnten. Aufgrund des Nutzungsvertrags hatte das Projekt ein Ablaufdatum. Umso besser, dass das Konzept seitdem reifen konnte und wir nun in zentraler, städtischer Lage unser noch schöneres Nachfolgeprojekt in Angriff nehmen können.”

Foto: Julia Geiter

Errichtet wurde das Haus 1963 vom damaligen Dombaumeister Kurt Stögerer. Bis vor kurzem diente das schmucklose Gebäude in der Ungargasse 38 als Priesterwohnheim, alles sehr karg und wenig hedonistisch, eher nach innen gekehrt und auf die wortlose Begegnung mit Gott ausgerichtet, lediglich die Kapelle im sechsten Stock, die wie ein betonierter Schiffsbug durch die Fassade in den Straßenraum hinausbricht, machte schon von weitem auf die ungewöhnliche Funktion aufmerksam.

“Viele Häuser der Nachkriegszeit haben eine gewisse unaufgeregte Eleganz”, sagt Johann Moser, Partner bei BWM Architekten. “Doch dieses spezielle Haus ist eine Besonderheit, weil es irgendwie Fluch und Segen zugleich ist.” Einerseits, so der Architekt, seien viele Bauteile wie etwa Wände, Decken und Oberflächenmaterialien sehr billig und zum Teil minderwertig gebaut worden. Andererseits aber sei das Haus aufgrund seiner semisakralen Nutzung so gut gepflegt und so wenig verändert worden, dass sich die asketische, spirituelle Atmosphäre bis zur Gegenwart erhalten habe. “Darauf konnten wir echt gut reagieren.”

Der Tisch war mal ein Schrank

Die Umbauarbeiten umfassen vor allem Reparaturen und Ertüchtigungen: Die Wände wurden aufgedoppelt und schallisoliert, die Deckenplatten, die an einigen Stellen gerade mal fünf Zentimeter dick waren, wurden statisch verstärkt und bekamen einen neuen Estrich, das Erdgeschoß wurde entkernt, ein barrierefreier Lift wurde eingebaut, der Parkplatz auf der Rückseite des Hauses wurde wegrationalisiert und in einen Gastgarten mit Salbei, Mangold und Pfefferminze umgestaltet.

Foto: Severin Wurnig / BWM Architekten

“Die Außenfassade”, sagt Moser, “wurde erfreulicherweise schon in den 1980er-Jahren gedämmt und mit neuen Kunststoffisolierfenstern aufgepäppelt. Ist zwar alles nicht wirklich schön, aber absolut brauchbar und auch energetisch durchschnittlich gut. Das konnten wir unverändert belassen – was uns im Sinne der Kreislaufwirtschaft natürlich sehr freut.” Die technisch größte Veränderung liegt in der Tiefe verborgen: Um das Haus mit geothermischer Energie zu versorgen, wurde darunter 18-mal in die Tiefe gebohrt. Zur Abdeckung der Winterspitzen gibt es einen neuen Fernwärmeanschluss. Gesamtinvestitionsvolumen: neun Millionen Euro, finanziert mit einem konditionsgünstigen Social-Business-Kredit der Bank Austria.

Foto: Severin Wurnig / BWM Architekten

Platz nehmen, Fritz-Kola bestellen, in ein paar Minuten wird die Menüsuppe serviert. Die Tische im Restaurant, schönes Ulmenfurnier, wie man es heute kaum noch irgendwo findet, waren früher einmal Schranktüren, oben in den Priesterschlafzimmern. Irgendwo, sagt der Kellner, versteckt sich noch ein Schlüsselloch in der Tischplatte. Die Holzstühle, ein Entwurf des Architekten und Angewandte-Professors Franz Schuster, waren bereits im Prater-Hotel im Einsatz und wurden nun in der Caritas-Werkstatt in Retz einer Frischekur unterzogen. Und die Lampen stammen – wie auch schon die Beichtstuhlpaneele – aus besagtem Waldkloster in Favoriten. Amen.

Möglichst viel erhalten

“Wir wollen nicht nur sozial, sondern auch baulich, klimatisch und ökologisch nachhaltig agieren”, sagt Hotelchefin Gabriela Sonnleitner. “Das heißt: Wir wollten möglichst wenig von hier raustragen und wegschmeißen und möglichst viel Klumpert erhalten.” Das kreislaufwirtschaftliche Konzept entstand in Zusammenarbeit mit den Materialnomaden, die Möbelumbauten, die in den Zimmern bisweilen lustige Formate annehmen und zum Schmunzeln anregen, sind ein Kunst-am-Bau-Projekt des Wiener Künstlers und Designers Daniel M. Büchel. Am Ende schaut’s aus, als wäre es nie anders gewesen, nur mit ein bissl mehr Humor.

Foto: Julia Geiter

Der Beweis ist gelungen, wieder einmal. Mit seinen 85 Zimmern und 171 Betten ist das Magdas Hotel ein wirklich entzückendes Exempel für Erhalt, für Weiterbauen, für Kreislaufwirtschaft. Jetzt liegt es an der Politik und Verwaltung, mit ihren Baugesetzen Projekte wieder diese nicht mehr zu erschweren, sondern zu fördern und Incentives für Investoren und Entwicklerinnen zu schaffen. Das Magdas darf keine exotische Orchidee bleiben, sondern muss zum neuen, normativen Baukulturstandard werden.

Aktuell arbeitet Wien gerade an einer Bauordnungsnovelle, die 2023 in Kraft treten soll. Diese Woche fand im Wiener Rathaus eine Enquete dazu statt. Experten und Expertinnen aus sämtlichen technischen Bereichen gaben Impulse, was in der Novellierung alles Niederschlag finden muss. Liebe Stadt, da geht die Reise hin! Bitte anschauen und Weichen stellen, dringender Handlungsbedarf.

Erstmals publiziert am 13. November 2022 auf derstandard.at.

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“Wir haben noch einen langen Weg vor uns.”

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