Republik Moldau: Gefährliches Spiel mit der Pandemie

Auf welche Art und Weise führt die Pandemie zu Konflikten in der sogenannten „Sicherheitszone"?

Eine Untersuchung von BIRN deckt auf, wie transnistrische Notstandsgesetze, die im Namen der öffentlichen Gesundheit verhängt wurden, letztendlich die Gesundheit tausender Menschen aufs Spiel setzten und ihren Zugang zu Medikamenten und medizinischen Behandlungen einschränkten.

Am 17. März dieses Jahres, als Europa den Lockdown verhängte, musste die Gemeinde Molovata Nouă im Osten der Republik Moldau eines Morgens feststellen, dass mysteriöse bewaffnete Männer die Verbindungen zur Außenwelt gekappt hatten. Sie waren scheinbar über Nacht aufgetaucht und hatten an der einzigen Straße, die die Ortschaft mit den nahegelegenen Städten und der moldauischen Hauptstadt Chişinău verbindet, einen Kontrollposten errichtet.

Bürgermeister Oleg Gazea war in seinem Büro im Gemeindezentrum gerade mit den Vorbereitungen auf die Pandemie, wie der Beschaffung von medizinischen Masken und Desinfektionsmitteln, beschäftigt, als ihn die Nachricht erreichte. Er eilte zum neuen Kontrollposten, wo „ein Militär, der in einem Auto saß“, ihm die Weiterfahrt verbot. Weder der Mann im Auto noch seine Kollegen am Kontrollposten trugen irgendwelche Abzeichen auf ihren Uniformen, die Aufschluss über ihren Namen, Rang oder ihre Zugehörigkeit gegeben hätten.

„Sie waren wie die ‚kleinen grünen Männchen‘, die auf der Krim auftauchten“, erzählte Gazea gegenüber BIRN in Anspielung auf die russischen Truppen, die 2014 in Uniformen ohne Hoheitsabzeichen die Krim-Halbinsel in der Ukraine, dem östlichen Nachbarn der Republik Moldau, besetzten. Der Vergleich war nicht weit hergeholt. Die geopolitische Bruchlinie zwischen Russland und der Europäischen Union verläuft direkt durch die Republik Moldau, ebenso wie durch die Ukraine. Die Bemühungen beider Länder, die Bündnisse zu ihren westlichen Nachbarn zu stärken, haben in den östlichen Landesteilen zu bewaffneten Konflikten mit von Russen unterstützten Separatisten geführt.

Im Fall Moldaus geht der Konflikt auf den Zerfall eines riesigen staatlichen Gebildes zurück, zu dem das Land einst gehörte: der Sowjetunion. Das Streben der moldauischen Teilrepublik nach Unabhängigkeit wurde von Transnistrien, einer Region östlich des Dnjestr-Flusses, die im Einflussbereich Russlands bleiben wollte, gewaltsam bekämpft. Nach vier Monaten heftiger Auseinandersetzungen im Jahr 1992 führte ein von Russland vermittelter Waffenstillstand zur Schaffung einer Sicherheitszone – eines 12 bis 20 Kilometer breiten Puffers zwischen dem Gebiet, das in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltung in Chişinău fällt, und den in der Stadt Tiraspol im Osten stationierten transnistrischen Separatisten.

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Transnistrien zufolge dienen die neuen Kontrollposten dem Schutz der öffentlichen Gesundheit. Foto: © Viorica Tataru

Die Gemeinde von Oleg Gazea liegt in der Sicherheitszone östlich des Dnjestr – auf der gleichen Seite wie Transnistrien. Sie ist eine von zehn Städten und Ortschaften am Ostufer, die von der Republik Moldau verwaltet werden, aber geografisch zu Transnistrien gehören. Die insgesamt 23.000 Einwohnerinnen und Einwohner dieser Städte waren, was den Zugang zu den Straßenbrücken über den Dnjestr anbelangt, auf die transnistrischen Behörden angewiesen – bis die Pandemie ausbrach. Der Kontrollposten außerhalb Gazeas Ortschaft war einer von 37, die zwischen dem 16. und 17. März im Zuge des von der transnistrischen Verwaltung verhängten Ausnahmezustands errichtet wurden. Die Straßensperren zu den von Moldau verwalteten Siedlungen in der Sicherheitszone wurden offiziell als Schutzmaßnahmen deklariert und schränkten auf dem Höhepunkt der Pandemie mehr als zwei Monate lang ihren Zugang zu medizinischer Versorgung, Nahrungsmitteln und Medikamenten ein.

Die Recherche von BIRN zeigt, wie Beschränkungen, die im Namen der öffentlichen Gesundheit eingeführt wurden, einer selbsternannten Republik geholfen haben, ihren Souveränitätsanspruch zu untermauern und damit in einem sogenannten „eingefrorenen Konflikt“ an Einfluss zu gewinnen. Die Beschränkungen gefährdeten jedoch auch die Gesundheit Tausender Zivilisten, die, um ihre Grundbedürfnisse abdecken zu können, auf einen freien Personen- und Warenverkehr angewiesen waren.

Da die Straßen gesperrt waren, nutzten die Bewohnerinnen und Bewohner der von Moldau verwalteten Siedlungen am Ostufer schließlich einen überlasteten Fährdienst zur Überquerung des Dnjestr, um sich mit Medikamenten und lebensnotwendigen Gütern zu versorgen. „Es gab Krebspatienten, die Morphium brauchten, Kinder mit Zahnschmerzen, schwangere Frauen, die in ein Krankenhaus mussten“, erzählte Raisa Spinovschi, die Bürgermeisterin der moldauisch verwalteten Stadt Cocieri am Ostufer des Dnjestr. „Jeder wartete drei oder vier Stunden lang in der Schlange auf die Fähre.“

Die Rolle Russlands

Transnistrien besetzt einen schmalen Landstrich zwischen dem Fluss Dnjestr und der ukrainischen Grenze, ein Gebiet, das ein eigener Staat sein möchte, aber von keinem Land als solcher anerkannt wird. Ihm haftet der Ruf eines korrupten, maroden Freizeitparks für die Sowjetunion an, der durch Exporte in die EU, strategische russische Interessen und Schmuggel unterstützt wird. Indes ist die Politik in der Republik Moldau in ein pro-europäisches und ein pro-russisches Lager gespalten. In vielerlei Hinsicht ist sie das ärmste Land Europas und ebenfalls von Korruption geplagt.

Die internationalen Bemühungen um die Vermittlung einer politischen Lösung des Konflikts werden von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geleitet. Die Gespräche haben kaum Fortschritte gemacht, während Russland seinen Einfluss durch Verbündete sowohl in Moldau als auch in Transnistrien und durch die Präsenz einer 1.500 Mann starken Militärtruppe, die seit dem Ende des Krieges 1992 in Transnistrien stationiert ist, wahren konnte.

Russland verweist auf die wichtige Rolle seiner Streitkräfte als Friedenstruppen bzw. Wachen für ein stillgelegtes Munitionslager aus der Zeit des Kalten Krieges in der Stadt Cobasna. In einem Interview mit der russischen Nachrichtenagentur Tass vom 8. Juli lehnte Moskaus Botschafter in Chişinău, Oleg Wasnetsow, langjährige Forderungen Moldaus nach einem Abzug der Truppen ab, da man diese „nicht einfach wegzaubern könne.“

Der Transnistrien-Konflikt zählt mittlerweile zu den „eingefrorenen Konflikten“ wie jenen in der Ukraine und Georgien, an denen von Russland unterstützte Separatisten beteiligt sind. Im Gegensatz zu diesen Konflikten kam es jedoch in den vergangenen 30 Jahren kaum zu Gewaltausbrüchen, die De-facto-Grenze ist offen geblieben, und die Bevölkerungen beider Seiten sind wirtschaftlich voneinander abhängig geworden. Bis zu den letzten Einschränkungen konnten die Bewohnerinnen und Bewohner Moldaus und Transnistriens ungehindert die Sicherheitszone mit ihren 40 Kontrollposten durchqueren.

Mit der Errichtung 37 neuer Posten hat sich die Zahl der Kontrollen in diesem Gebiet beinah verdoppelt. Beobachter im In- und Ausland sind der Ansicht, dass das Vorgehen Transnistriens Teil einer russischen Strategie ist, die Pandemie für taktische Zwecke in den „eingefrorenen Konflikten“ zu nutzen. Ähnliche Maßnahmen zur Errichtung von einfachen Grenzanlagen wurden dieses Jahr aus Georgien gemeldet. In der Ukraine schränkten die Separatisten indes die Bewegungsfreiheit der OSZE-Beobachter während des Lockdowns ein.

Wladimir Socor, ein Experte der in Washington ansässigen Jamestown Foundation, erklärte gegenüber BIRN, dass Russland „ganz und gar hinter“ den separatistischen Regimes in Transnistrien – wie auch in Georgien und der Ukraine – stehe. Moskau nutze die Pandemie, um seine jeweiligen Interessen in den „eingefrorenen Konflikten“ durchzusetzen. Rosian Vasiloi, ein Sicherheitsexperte aus Chişinău und ehemaliger Oberst der moldauischen Grenztruppen, erklärte BIRN, dass die transnistrischen Separatisten „im Einvernehmen mit ihren Befehlshabern“ in der russischen Armee handelten.

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Russland erfüllt nach eigenen Angaben wesentliche friedenserhaltende Aufgaben in Transnistrien. Foto: © Viorica Tataru

Die Strategie Moskaus ist im Wesentlichen darauf ausgerichtet, eine pro-russische Enklave in Transnistrien aufrechtzuerhalten und gleichzeitig pro-russische Parteien in Moldau zu unterstützen. Moldaus Präsident Igor Dodon steht Russland nahe. Das gilt auch für den transnistrischen Präsidenten Wadim Krasnoselski. Der Streit um die neuen Kontrollposten spielt also zwei russische Verbündete gegeneinander aus – ein scheinbarer politischer Widerspruch.

De Waal bezweifelte, inwieweit eine einzelne russische Strategie eine Erklärung für die Kontrollpostenmanöver liefern könne, und wandte ein, dass lokale Rivalitäten eine größere Rolle spielten. „Um ehrlich zu sein, gibt es kaum direkte russische Kontrolle in Transnistrien, abgesehen von einigen strategischen Stoßrichtungen“, erklärte er gegenüber BIRN.

Covid-Patienten, aber keine Fachärzte

In den bizarren Anfangstagen der Pandemie war den Menschen, die in der Sicherheitszone lebten, noch nicht ganz klar, wie die neuen Kontrollposten ihr Leben verändern würden. Sie hatten bereits lebensnotwendige Vorräte angelegt, um auf den Lockdown vorbereitet zu sein, und nach Verhängung der Maßnahmen wenig Grund, ihre Bewegungsfreiheit auszureizen.

„Sie mussten ihren Heimatort nicht verlassen, sie konnten durchhalten“, meinte Oleg Gazea, der Bürgermeister von Molovata Nouă. „Erst später, als die Isolation größer wurde, begannen die Probleme offensichtlich zu werden.“ Die Auswirkungen der transnistrischen Maßnahmen zeigten sich zunächst im hiesigen Gesundheitssystem, als die Krankenhäuser und Kliniken der von Moldau verwalteten Siedlungen auf beiden Seiten des Dnjestr mit Personalmangel zu kämpfen hatten.

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Bürgermeister Oleg Gazea zufolge seien die Auswirkungen der neuen Kontrollposten zunächst nicht erkennbar gewesen. Foto: © Ilie Gulca

Ein großer Teil des Krankenhauspersonals pendelte aus den von Transnistrien verwalteten Siedlungen am Ostufer aufgrund der höheren Löhne und besseren Arbeitsbedingungen nach Moldau. Nach Verhängung der Notstandsmaßnahmen blieben sie zu Hause. Die Auflage einer 14-tägigen Quarantäne bei ihrer Rückkehr nach Transnistrien schreckte sie ab. Nach Angaben des Büros für Reintegration der Republik Moldau, das sich mit Fragen im Zusammenhang mit dem Konflikt mit Tiraspol befasst, konnten 95 Personen – die meisten von ihnen Ärztinnen und Ärzte – während des Lockdowns nicht zur Arbeit ans Westufer fahren.

BIRN stellte fest, dass es an mindestens sechs medizinischen Einrichtungen am moldauischen Westufer – darunter Bezirkskrankenhäuser und Kliniken – an diensthabenden Ärztinnen, Ärzten und Pflegekräften mangelte. Das Bezirkskrankenhaus in Rezina am Westufer des Dnjestr war am schlimmsten betroffen. Siebzehn seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leben in der Stadt Rabnita am Ostufer, die in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltung in Tiraspol fällt. „Das Krankenhaus hatte praktisch keine Fachärzte mehr“, erzählte die Leiterin der Einrichtung, Nina Postu, gegenüber BIRN. Der Personalmangel zwang die verbliebenen Ärztinnen und Ärzte zu Überstunden, freie Tage wurden gestrichen.

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Für die moldauischen Behörden sind die Kontrollposten gesetzwidrig.
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Zu Beginn der Pandemie gab es nur einen Facharzt für Infektionskrankheiten, der sich um Covid-19-Patientinnen und -Patienten kümmerte, so Postu. Dieser Arzt habe das Krankenhaus jedoch im Mai verlassen und seither sei die Stelle vakant. Das Spital verfügt über zwei Covid-19-Stationen mit einer Kapazität von 54 Betten, von denen 46 derzeit belegt sind. „Coronavirus-Patienten werden von Allgemeinmedizinern und Therapeuten behandelt“, erzählte Postu gegenüber BIRN. Zwischen Mai und September seien 150 Covid-19-Patientinnen und -Patienten behandelt worden, von denen drei verstorben seien.

Pandemie als „Vorwand“

Die Bewegungseinschränkungen betrafen auch medizinisches Personal, das auf derselben Seite des Flusses lebt und arbeitet – etwa wenn es ihre Arbeit erforderte, zwischen Gebieten, die von der jeweils anderen Seite kontrolliert werden, hin- und herzufahren. Im April verhafteten die transnistrischen Behörden zwei aus einer von Moldau verwalteten Ortschaft stammende Ambulanzfahrer, die ihrer Arbeit in einer von Transnistrien verwalteten Stadt nachgingen. Sie wurden wegen Verstoßes gegen die Quarantänevorschriften angeklagt und kurzzeitig festgenommen.

Die Restriktionen wirkten sich besonders akut auf die von Moldau verwaltete, zwischen Molovata Nouă und Dubăsari gelegene Stadt Cocieri am Ostufer des Dnjestr aus. „Der gesamte Umkreis der Ortschaft war von Kontrollposten umgeben“, erzählte Bürgermeisterin Raisa Spinovschi gegenüber BIRN. „Der transnistrische Grenzschutz sperrte alle Straßen, die hierher führen. Sogar Leute aus Transnistrien, die in der Notaufnahme [der örtlichen Klinik] arbeiteten, durften nicht einreisen.“

In der größten Klinik oblag es zwei Monate lang einer einzigen, über sechzigjährigen Ärztin, etwa 8.000 Menschen zu versorgen. Nach moldauischem Recht darf eine Ärztin oder ein Arzt nicht mehr als 1.500 Menschen versorgen. Auch die Apotheken der Stadt wurden vom 16. März bis zum 3. Juni geschlossen, da die Angestellten, die im transnistrisch verwalteten Gebiet lebten, nicht zur Arbeit kommen konnten.

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Bürgermeisterin Raisa Spinovschi zufolge sei Cocieri aufgrund der Kontrollposten völlig abgeschnitten gewesen. Foto: © Ilie Gulca

Laut Spinovschi fand sich die Bevölkerung mit den Einschränkungen weitgehend ab, um Konflikte zu vermeiden. „Die Menschen sind geduldig, weil sie keinen Krieg mehr wollen“, meinte sie. „Wir haben den Krieg und all diese Torturen hinter uns.“ Die Beschränkungen seien ausschließlich als Reaktion auf die Pandemie eingeführt worden, hieß es aus Transnistrien. In einer schriftlichen Erklärung an BIRN hielt die Verwaltung von Tiraspol fest, dass die Kontrollpunkte notwendig seien, um „die Einhaltung der Quarantänemaßnahmen zu überwachen, in erster Linie, um das Leben und die Gesundheit der Menschen zu schützen“.

Seitens der moldauischen Regierung, die die abtrünnige Region als Teil ihres Staatsgebiets betrachtet, wird betont, dass die Kontrollposten gesetzwidrig sind. Die Leiterin des Büros für Reintegration, Cristina Lesnic, erzählte BIRN, dass die transnistrischen Behörden die Pandemie „als Vorwand benutzen, sich zu isolieren und den freien Personen- und Warenverkehr künstlich einzuschränken”.

Kritik an Transnistrien kam auch von der OSZE, die dem Land vorwirft, der Bevölkerung den Zugang zu Arbeitsplätzen und Gesundheitsversorgung zu versperren. „Beide Seiten des Dnjestr sind miteinander verbunden und voneinander abhängig“, so der Leiter der OSZE-Mission in Moldau, Claus Neukirch, gegenüber BIRN. „Die Freizügigkeit ist eine Schlüsselfrage.“

Keine Fähre, kein Essen

Angesichts der sie umgebenden Straßensperren waren die Bewohnerinnen und Bewohner des Ostufers des Dnjestr nun für die Überquerung des Flusses auf den Autofährdienst angewiesen. Auf der Fähre hatten jedoch nur 30 Fahrzeuge Platz. Mit der stark ansteigenden Nachfrage bildeten sich auf beiden Seiten des Ufers lange Schlangen mit Wartezeiten von in der Regel drei bis vier Stunden. Wollte man die erste Fähre am Ostufer um 7 Uhr 15 erwischen, galt es, sich ab 5 Uhr anzustellen. Unter den Passagieren befanden sich viele Kranke und ältere Menschen mit komplexen medizinischen Bedürfnissen. „Am schwersten war es für ältere Personen, die kein Auto und keine Verwandten haben“, erzählte Valeriu Wladimirow, ein pensionierter Polizist und dekorierter Kriegsveteran aus Molovata Nouă, der während des Lockdowns als freiwilliger Helfer Morphin für Krebspatientinnen und -patienten besorgte.

Da Morphium aufgrund der Straßensperren nicht verfügbar war, musste Wladimirow das Medikament aus einem Krankenhaus in Cosnita holen, einer anderen moldauisch verwalteten Stadt am Ostufer des Dnjestr, südlich von Molovata Nouă. Wladimirow nahm dazu die Fähre zum Westufer, legte 60 Kilometer mit dem Auto zurück, überquerte die Brücke nach Coșnița und kehrte auf demselben Weg zurück. Für die Hin- und Rückfahrt auf der Straße und über den Fluss legte er mehr als 120 Kilometer zurück. Dabei musste er viermal den Dnjestr überqueren, um die transnistrischen Kontrollposten zu umgehen.

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Autoschlangen vor der Fähre über den Dnjestr. Foto: © Ilie Gulca

Als es so schien, als könne das Leben am Ostufer nicht noch härter werden, wurde auch noch der Fährbetrieb eingestellt. Am 9. Mai fiel der Wasserstand im Dnjestr unter den von den Betreibern als sicher erachteten Mindestpegel.

Der plötzliche Rückgang war auf eine Entscheidung zurückzuführen, die Wassermenge des flussabwärts in Dubasari gelegenen und von den transnistrischen Behörden betriebenen wichtigsten Wasserkraftwerks der Republik Moldau zu erhöhen. Der Beschluss, mit dem offiziell eine Überschwemmungsgefahr verringert werden sollte, führte dazu, dass die Bevölkerung am Ostufer völlig von der Welt abgeschnitten war.

„Einerseits versperrte uns der Militärposten den Weg“, meinte Oleg Gazea, der Bürgermeister von Molovata Nouă, gegenüber BIRN. „Auf der anderen Seite gab es keine Kommunikation mit dem Westufer des Dnjestr. Wir hatten keine Nahrungsmittelreserven mehr. Wir saßen fest.” Nach drei Tagen und starkem Druck aus Chişinău hob Tiraspol die Entscheidung auf, der Wasserpegel stieg, und der Fährbetrieb konnte wieder aufgenommen werden.

Konfrontation bei Cocieri

Mit dem Beginn des Sommers begannen Regierungen in ganz Europa mit der Lockerung ihrer Lockdown-Maßnahmen. In der Sicherheitszone hingegen wurden einige Beschränkungen zwar gelockert, andere jedoch verschärft. Am 2. Juni kochten die Emotionen vor der Stadt Cocieri am Ostufer über. Die transnistrische Polizei hatte begonnen, die Grenzbeamten an einem der neuen Kontrollposten zu unterstützen und erstmals Geldstrafen für Verstöße gegen den Lockdown zu verhängen. Als dies bekannt wurde, versammelte sich eine Menschenmenge von etwa 30 Personen vor Ort, darunter viele moldauische Veteranen des Kriegs von 1992.

„Die Menschen hatten all die bisherigen Demütigungen satt“, erzählte Bürgermeister Gazea gegenüber BIRN. Er sei besonders besorgt gewesen, dass es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen den unbewaffneten Veteranen und der Polizei kommen könnte. Cocieris Bürgermeisterin Raisa Spinovschi berichtete BIRN, dass die Anwohner das transnistrische Polizeiauto umkippen hätten wollen. „Die Situation wäre beinahe eskaliert.” Nach Telefongesprächen mit der OSZE und lokalen Behörden konnte ein Gewaltausbruch gerade noch verhindert werden. Noch am selben Tag gab die transnistrische Grenzwache ihren Kontrollposten in Cocieri auf.

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Die Kontrollposten bleiben laut Tiraspol, bis die Coronavirus-Pandemie „völlig besiegt“ ist.
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Dieser Zwischenfall dürfte die Verantwortlichen wachgerüttelt haben. Nach Gesprächen mit dem moldauischen Präsidenten Igor Dodon im Sommer lockerten die transnistrischen Behörden zum Teil einige Beschränkungen der Bewegungsfreiheit in der Sicherheitszone und entfernten viele der neuen Kontrollposten. Die Forderungen Moldaus, alle Kontrollposten zu beseitigen, wurden jedoch weiterhin zurückgewiesen.

In einer Stellungnahme an BIRN erklärten die Behörden von Tiraspol, man werde die Aufgabe aller Kontrollposten erst dann diskutieren, wenn die Coronavirus-Pandemie „völlig besiegt“ sei und sich die „epidemiologische Situation im benachbarten Moldau wieder normalisiert“ habe. Die Haltung Tiraspols hat zu Spekulationen Anlass gegeben, dass die Kontrollposten dazu genutzt werden, dem moldauischen Präsidenten Zugeständnisse abzuringen. Dodon kandidiert für eine Wiederwahl im November, sieht sich aber einer starken proeuropäischen Opposition gegenüber.

Auch die Bevölkerung Transnistriens darf bei dieser Wahl ihre Stimme abgeben, da sie in Chişinău als moldauische Bürgerinnen und Bürger gelten. Im Fall eines Kopf-an-Kopf-Rennens könnten die Stimmen aus Transnistrien, die eher russlandfreundliche Parteien bevorzugen, für Dodon entscheidend sein. Da Transnistrien die Wahl jedoch nicht anerkennt, wäre Dodon darauf angewiesen, dass Tiraspol Fahrten zu den Wahllokalen auf moldauisch verwaltetem Gebiet zulässt. „Dodon will, dass so viele Transnistrier wie möglich für ihn stimmen“, meinte Wladimir Socor von der Jamestown Foundation gegenüber BIRN. „Krasnoselski erpresst Dodon natürlich, indem er diese zusätzlichen und temporären Posten [Kontrollposten] als Druckmittel benutzt.“

Der moldauischen Regierung wurde von der Opposition vorgeworfen, auf die transnistrische Provokation nicht hart genug reagiert zu haben. Kritikern zufolge habe Chişinău bestenfalls versucht, die Folgen der Restriktionen abzuschwächen, anstatt sich ihrer Ursache zu widmen. Cristina Lesnic vom Büro für Reintegration berichtete BIRN jedoch, dass die Regierung „Hunderte“ Anfragen an Tiraspol sowie internationale Vermittler und Beobachter übermittelt habe, um eine Lösung der Kontrollposten-Frage zu erreichen.

Anfang September teilten die moldauischen Behörden BIRN mit, dass 12 der 37 neuen Kontrollposten in der Sicherheitszone nach wie vor besetzt seien. Am 10. September wies der transnistrische Präsident Wadim Krasnoselski darauf hin, dass es wahrscheinlich noch mehr werden würden. Aufgrund der steigenden Infektionszahlen, die er auf den Kontakt mit moldauischen Bürgerinnen und Bürgern zurückführte, würden einige Kontrollposten wieder aufgebaut werden.

Dieser Artikel wurde mittels eines Stipendiums von Reporting Democracy finanziert. Mit dieser Plattform werden Reportagen gefördert, die aufzeigen, wie die Covid-19-Krise Politik und Gesellschaft in Mittel-, Ost- und Südosteuropa verändert.

Original auf Englisch. Erstmals publiziert am 21. September 2020 auf Reportingdemocracy.org, einer journalistischen Plattform des Balkan Investigative Reporting Network.
Aus dem Englischen von Barbara Maya.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt: © Ilie Gulca / Reporting Democracy, zusätzliche Berichterstattung von Madalin Necsutu, editiert von Neil Arun. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion.
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