Frauenpower im Kosovo

Die Feministin Zana Hoxha Krasniqi kämpft mit Gleichgesinnten gegen traditionellen Gesellschaftsstrukturen und Gewalt.

Vor zehn Jahren erklärte der Kosovo seine Unabhängigkeit. Bis heute sind die Frauen des Landes jedoch nicht völlig frei. Die Feministin Zana Hoxha Krasniqi kämpft mit Gleichgesinnten dafür, dass sich das endlich ändert.

Das Nachtleben pulsiert. Scharenweise tummeln sich junge Frauen und Männer auf dem Mutter-Teresa-Boulevard, der Fußgängerzone inmitten von Pristina. Sie drängen sich in eines der unzähligen Cafés und Restaurants oder spazieren über den großen Hauptplatz. Nirgendwo sonst in Europa ist der Anteil von Menschen unter 30 an der Gesamtbevölkerung so hoch wie hier im Kosovo. Das sorgt für viele Konflikte. Vor allem junge Frauen, die mit Mom-Jeans, ausgeschnittenen Tops, Goldschmuck und starkem Make-Up in den hippen Lokalen sitzen, einen lässigen Style, eine coole Attitüde und einen westlichen Lebensstil pflegen, leiden unter den traditionellen Gesellschaftsstrukturen.

Der Schein trügt

Vieles vom Lebensstil, den man am Mutter-Teresa-Boulevard beobachten kann, sei Fassade, erklärt Zana Hoxha Krasniqi. Die Theaterdirektorin und Aktivistin rief 2012 das FemArt-Festival in Pristina ins Leben. Seitdem ist dieses ein Ort des Zusammentreffens und des Austausches für junge Künstler und Aktivisten, die vom ganzen Balkan kommen. Es ginge dabei nicht nur darum, sich lautstark Gehör zu verschaffen, sagt Hoxha Krasniqi. Das FemArt-Festival solle eine Plattform sein, auf der sich Künstler aus der Region und den anderen Westbalkanstaaten, in denen sich die Situation von Frauen nicht wesentlich von der im Kosovo unterscheidet, präsentieren können. „Durch ihre Arbeit vermitteln sie Werte wie Menschenrechte, Friede, Respekt und Toleranz“, sagt die Gründerin des Festivals, das versucht, neue Ideen zu finden, um den feministischen Gedanken im jüngsten Staat Europas voranzubringen.

„Feminismus wird im Kosovo häufig mit Tabus und Missverständnissen verbunden.“

— Zana Hoxha Krasniqi

„Feminismus wird im Kosovo häufig mit Tabus und Missverständnissen verbunden“, sagt Krasniqi. Das traditionelle Frauenbild sei vor allem vor der Unabhängigkeit im Jahr 2008 extrem veraltet gewesen: Der Mann war der Herr im Haus, die Frau sollte sich um den Haushalt und die Kinder kümmern. Junge Mädchen wurden – oft gerade volljährig und gegen ihren Willen – verheiratet. Häusliche Gewalt gegen Frauen stand und steht immer noch auf der Tagesordnung.

FemArt-Festival

Das FemArt-Festival wurde 2018 bereits zum sechsten Mal veranstaltet. In der Hauptstadt Pristina und in den Orten Ferizaj und Mitrovica gab es an sechs Tagen Diskussionsrunden, künstlerische Performances, Konzerte, Ausstellungen und Filmvorführungen. Mehr als 220 Künstler und Aktivisten aus aller Welt nahmen in diesem Jahr daran teil.

Foto: Einmal im Jahr bringt das FemArt-Festival Aktivistinnen vom ganzen Balkan nach Pristina. © FemArt-Festival

Einer Umfrage des Frauennetzwerk Kosovo aus dem Jahr 2015 zufolge, erlebten mehr als zwei Drittel der weiblichen Bevölkerung in ihrem Leben häusliche Gewalt. 90 Prozent der Fälle wurden nicht angezeigt, schätzen Experten. 2017 äußerten sich Frauen erstmals öffentlich im Fernsehen zu den Vergewaltigungen, die sie im Kosovokrieg zwischen 1998 und 1999 erleiden mussten. Damit brachen sie ein Tabu.

Die Gründe für die verschleppte Entwicklung sieht auch Krasniqi in dem patriarchalen Gesellschaftssystem der Balkanstaaten. Der Kanun, das alte, zunächst mündlich überlieferte Gewohnheitsrecht der Albaner und Kosovaren, wirke sich auch heute noch stark auf das Leben der Menschen aus: „Eine Frau ist nach ihrer Heirat der Besitz des Mannes“ oder „Ihr Auftrag besteht darin, Kinder zu gebären: Die Frau ist ein Schlauch, in dem die Ware transportiert wird”, heiße es dort etwa. Im ländlichen Raum sei diese Einstellung noch viel stärker verbreitet. Auch die dort lebenden Menschen will das FemArt-Festival ansprechen. Zum ersten Mal fanden letztes Jahr Veranstaltungen in kleineren Orten wie Ferizaj und Mitrovica statt. Für Krasniqi ist das ein großer Schritt, um der Voreingenommenheit der Landbevölkerung entgegenzuwirken.

Krasniqi erinnert sich dabei an eine prägende Geschichte aus ihrem Leben: Anfang zwanzig heiratete sie ihren Freund, kurze Zeit später erwartete sie ein Kind. Als sie dann ihren Heimatort, ein kleines Dorf außerhalb von Pristina besuchte, traf sie einen alten Bekannten, der zu ihr sagte: „Oh Zana, du warst eine so vielversprechende Frau. Nun schau dich an: verheiratet und schwanger.“ Über diese Aussage sei sie wütend gewesen. Sie wollte nicht nur Mutter und Ehefrau sein, sondern jemand, der bewegt. Die Begegnung habe ihr Leben verändert, erzählt sie. Eine Initialzündung für ihr feministisches Engagement.

Endlich keine Tabus mehr

Seither setzt Krasniqi sich für Frauenrechte im Kosovo ein. 2004 gründete sie die Organisation Artpolis, die versucht, den sozialen Dialog auf künstlerische Art voranzutreiben. Ziel ist es, Menschen unterschiedlicher ethnischer, sozialer oder religiöser Hintergründe sowie sexueller Orientierung einzubinden, über Tabuthemen zu sprechen und Vorurteile der Gesellschaft zu widerlegen.

Das FemArt-Festival ist Teil dieser Bewegung und entpuppt sich dabei als äußerst erfolgreich. Viele nationale und internationale Aktivisten besuchen jedes Jahr die Veranstaltungen. Während der Festival-Woche finden Vorträge und Diskussionen statt, außerdem werden Filme gezeigt, in denen es beispielsweise um die Themen Vergewaltigung oder Zwangsheirat geht.

Postcards from Albania

Postcards from Albania ist ein journalistisches Rechercheprojekt von Studierenden des Studiengangs Journalismus und PR der FH Joanneum in Graz. Im Frühsommer 2018 berichtete das 19-köpfige Redaktionsteam live von seiner zehntägigen Recherchreise durch den Westbalkan. erstestiftung.org teilt ausgewählte Artikel aus dem daraus entstandenen umfassenden Online- und Printmagazin und hat diese ins Englische übersetzt.

Grafik: © Margit Steidl / Studiolo M

2018 hielt die kosovarische Menschenrechtsaktivistin Feride Rushiti eine der emotionalsten Reden: Als Direktorin des Kosovo-Zentrums für die Rehabilitation von Folteropfern gab sie mit zitternder Stimme und Tränen in den Augen tiefe Einblicke in die Schicksale traumatisierter Vergewaltigungsopfer, die während des Kosovokrieges missbraucht wurden. Nichts sei für kosovarische Frauen wichtiger, als dieses Thema endlich offen ansprechen zu können und es damit zu enttabuisieren. Den Opfern solle geholfen, die Täter müssten endlich zur Rechenschaft gezogen werden.

Im Publikum saßen vor allem junge Frauen, größtenteils Studentinnen und Schülerinnen. Auch einige wenige Männern fanden an diesem Abend her. Betretenes Schweigen herrschte im dunklen Saal des Oda Theaters in Pristina nach Rushitis Auftritt. Die Anwesenden spürten, dass ein Umbruch in greifbare Nähe rücken könnte.

Große Hoffnung verbinden viele von ihnen mit der Europäischen Union. Auch Krasniqi wünscht sich einen EU-Beitritt des Kosovo und, dass die Einwohner des Landes endlich als Europäer wahrgenommen werden. Sie glaubt, dass vor allem die weibliche Bevölkerung nicht nur für ihre eigenen Rechte, sondern auch die ihres Landes kämpfen werde. Deshalb ist sie sich – getreu des diesjährigen FemArt-Mottos „Run The Show“ – sicher, dass es am Ende auch die Frauen sein werden, die den Staat in die EU führen.

Erstmals publiziert im November 2018 in der Printversion von Postcards from Albania.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt: © Linda Schwarz. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Die gebürtige Kosovarin Zana Hoxha Krasniqi hat das FemArt-Festival ins Leben gerufen. Sie kämpft für die Rechte der Frauen im Kosovo. Foto: © Ramona Arzberger

“Wir haben noch einen langen Weg vor uns.”

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