Polen wirbt um Unterstützung in der Region.

Es will die Istanbul-Konvention durch einen Vertrag über Familienrechte ersetzen.

Polen versucht in den Nachbarländern auf diplomatischem Weg Unterstützung für eine „Familienrechtskonvention“ zu gewinnen: Die Initiative von ultrakonservativen Kräften gilt als regionale Kampfansage gegen die Istanbuler Konvention und die Bemühungen der EU zur Förderung von LGBT- und Frauenrechten.

Aus einer Untersuchung von BIRN geht hervor, dass konservative Kräfte innerhalb und außerhalb der Regierung Polens ihre Anstrengungen in der Region intensivieren, das 2011 ausgearbeitete Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, auch bekannt als Istanbul-Konvention, aufzukündigen und durch einen anderen Vertrag zu ersetzen, der die Rechte „traditioneller Familien“ auf Kosten sexueller Minderheiten stärken soll.

Sollte der Vorstoß erfolgreich sein, könnte er zur Schaffung eines regionalen Bündnisses in Mittel- und Osteuropa führen, wodurch die Ausweitung von LGBT- und Frauenrechten in der EU verhindert werden und sich die Beziehungen zu Brüssel weiter verschlechtern könnten. Polen steht bereits unter Beschuss der EU, nachdem mehrere Gemeinden, die zusammen ein Drittel der Fläche Polens ausmachen, Beschlüsse gegen die „LGBT-Ideologie” gefasst haben. Dahinter stehen häufig Gemeinderäte der PiS-Partei, die sich einer Vorlage der ultrakonservativen Organisation Ordo Iuris bedienen.

Der Streit um die Istanbuler Konvention geriet Anfang Sommer in die Schlagzeilen, als der als Hardliner geltende polnische Justizminister Zbigniew Ziobro beim Ministerium für Familie, Arbeit und Sozialpolitik einen Antrag zur Einleitung eines Verfahrens für den Ausstieg Polens aus der Istanbul-Konvention einbrachte.

Ziobro, der für seine streng katholischen Ansichten bekannt ist, argumentierte, dass die Istanbul-Konvention „was das Verständnis von Geschlecht anbelangt, sich gegen Familie, Ehe und unsere funktionierende Soziokultur richtet.“ Die von Polen 2015 ratifizierte Istanbul-Konvention führt Gewalt gegen Frauen auf die historisch gewachsene Ungleichheit zwischen Mann und Frau zurück und definiert Gender als „sozial konstruierte Rolle“.

Aus diesen Gründen wettern ultrakonservative Kräfte nicht nur in Polen seit Jahren gegen die Übereinkunft, die ihrer Meinung nach die „traditionelle Familie“ (d.h. heterosexuelle, verheiratete Paare mit Kindern) durch Aufzwingen einer sogenannten „Genderideologie“ (ein von diesen Kreisen geschaffener Oberbegriff, der sich in erster Linie auf LGBT-Rechte und reproduktive Rechte zu beziehen scheint) zerstören wird. Ziobros Ankündigung löste sowohl bei den Befürwortern als auch bei den Kritikern des Istanbuler Übereinkommens heftige Reaktionen aus.

Am 30. Juli teilte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, dessen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit Ziobros Partei Solidarisches Polen koaliert, mit, dass er das polnische Verfassungsgericht – von dem weithin angenommen wird, dass es von der PiS kontrolliert wird – angewiesen habe, die Istanbul-Konvention auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Damals bezeichnete Morawiecki die Istanbul-Konvention als „ideologisches“ Dokument und erklärte, die polnische Regierung teile einige der Bedenken ihrer Kritiker.

Der Premier wies ebenfalls darauf hin, dass sein Land bereits eine zwischenstaatliche Zusammenarbeit angestoßen habe, mit dem Ziel, die Istanbuler Konvention durch ein besseres Instrument zur Bekämpfung häuslicher Gewalt zu ersetzen. „Das Außenministerium erhielt einen klaren Auftrag bezüglich der Kooperation mit anderen Ländern zur Ausarbeitung angemessener Bestimmungen, die keine weltanschaulichen – und daher fragwürdigen – Komponenten beinhalten, mit denen man uns eine moralische Revolution aufzwingen will“, so Morawiecki.

Am selben Tag schrieb der stellvertretende polnische Außenminister Paweł Jabłoński auf Twitter, dass sein Ministerium „diplomatische Bestrebungen zur Verabschiedung einer internationalen Konvention zum Schutz der Rechte von Familien“ eingeleitet habe.

BIRN kann bestätigen, dass die polnische Regierung bereits den Vorstoß unternommen hat, Unterstützung von anderen Ländern der Region einzuholen, um die Istanbul-Konvention durch ein anderes Abkommen zu ersetzen, das dem Konzept der „traditionellen Familie“ gerechter wird. Das polnische Justizministerium teilte BIRN mit, dass „an die Justizministerien einiger europäischer Staaten“ ein Schreiben gesandt wurde, in dem die „Zusammenarbeit bei der Ausarbeitung einer Konvention über die Rechte und Pflichten der Familie vorgeschlagen wurde“. Trotz eines entsprechenden Ersuchens von BIRN wurde jedoch keine Auskunft darüber erteilt, um welche Länder es sich dabei handelte.

Das polnische Außenministerium bestätigte gegenüber BIRN Ende September, dass man auf Anweisung des Premierministers „Bestrebungen zur Schaffung eines internationalen Rechtsaktes zum Schutz der Rechte der Familie“ koordiniere. Zu diesem Zweck ergreife man „diplomatische Maßnahmen, insbesondere bilaterale Gespräche mit Vertretern jener Länder, die Interesse daran haben könnten, sich dieser Initiative anzuschließen.“ BIRN kann bestätigen, dass zumindest vier Regierungen in der Region – die Tschechische Republik, die Slowakei, Slowenien und Kroatien – eingeladen wurden, Polen bei seinen Bemühungen zur Schaffung einer Alternative zur Istanbuler Konvention zu unterstützen. Ein Sprecher des tschechischen Justizministeriums erklärte gegenüber BIRN: „Das Justizministerium der Tschechischen Republik hat das Schreiben erhalten. Wir überprüfen es jetzt. Mehr können wir dazu im Moment nicht sagen. Wir werden die Position der Tschechischen Republik nicht vorwegnehmen.“

Auch das slowakische Justizministerium bekundete, das Schreiben von seinem polnischen Amtskollegen erhalten zu haben: „Wir können bestätigten, dass uns das polnische Justizministerium ein Schreiben übermittelt hat, in dem die Schaffung eines multilateralen Übereinkommens vorgeschlagen wird, das sich mit dem Schutz der Familie, von Kindern und dem Kampf gegen Gewalt und ihren Ursachen befasst“, erklärte ein Sprecher.

Das kroatische Justiz- und Verwaltungsministerium bestätigte gegenüber BIRN den Erhalt des Schreibens aus Polen. „Das Justiz- und Verwaltungsministerium hat Mitteilungen des polnischen Justizministers betreffend eine Initiative zur Definition einer neuen internationalen Übereinkunft erhalten, die sich mit dem Schutz der Familie befassen soll. Da dies in den Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Arbeit, Rentenwesen, Familie und Sozialpolitik fällt, wurde das Schreiben an das betreffende Ministerium weitergeleitet.“ BIRN kontaktierte das Ministerium für Arbeit, Rentenwesen, Familie und Sozialpolitik in dieser Angelegenheit, erhielt jedoch keine Antwort.

Auch das slowenische Justizministerium bestätigte den Erhalt des Schreibens und fügte hinzu, man habe Polen bereits eine Absage erteilt. „Am 25. August 2020 erhielten wir ein Schreiben des polnischen Justizministeriums, in dem eine mögliche neue Initiative zur Ausarbeitung eines internationalen Übereinkommens zum Thema Familie, Schutz von Kindern und Kampf gegen häusliche Gewalt angeregt wurde“, schrieb ein Sprecher des Ministeriums in einer Erklärung an BIRN.

„Diese Themen werden durch die Istanbul-Konvention abgedeckt, der auch die Republik Slowenien beigetreten ist. In unserer Antwort haben wir die Position des Justizministeriums dargelegt, dass das Istanbuler Übereinkommen ein bedeutender internationaler Rechtsakt im Bereich der Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und in der Familie sei“, so die Erklärung weiter. „Wir glauben, dass die Konvention eine gute Basis für die Bewältigung der gesellschaftlichen Herausforderungen darstellt und den Weg für Werte wie Gleichheit und Würde für alle Bürgerinnen und Bürger frei macht. Unseres Erachtens schaffen das Völkerrecht, das EU-Recht und unser nationales Recht in diesem Bereich einen angemessenen Rechtsrahmen. Wir sehen daher keinen Grund für eine andere Regelung als jene, die durch die Istanbul-Konvention festgelegt ist.“

Vertreter zweier polnischer ultrakonservativer Gruppierungen behaupteten in getrennten Interviews mit BIRN, dass ein alternatives Übereinkommen, das die Istanbul-Konvention ersetzen soll und an deren Ausarbeitung sie mitgewirkt haben, von Mitgliedern der Regierungen Ungarns und der Slowakei mit Interesse aufgenommen wurde. Sie nannten jedoch keine Namen. „Uns wurde signalisiert, dass Staaten, die die Istanbul-Konvention nicht ratifiziert haben, auf uns warten“, meinte Lidia Grabczuk, eine Sprecherin des rechten Politikers, ehemaligen Europaabgeordneten und Leiter des Christlich-Sozialen Kongresses Marek Jurek, und verwies auf die Tatsache, dass die Konvention von 13 Staaten, darunter Bulgarien, Ungarn, Slowakei, Tschechische Republik, Lettland und Litauen, noch nicht ratifiziert worden ist.

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Vielen Menschen protestieren gegen den Rückzug Polens aus der Istanbuler Konvention am 24. Juli in Warschau. Foto: © Wojtek Radwanski / AFP / picturedesk.com

Warschau, nicht Istanbul

Was beinhaltet diese alternative Familienrechtskonvention und wie ist sie zustande gekommen? Einige Tage vor Ziobros Ankündigung am 27. Juli starteten die polnischen ultrakonservativen Organisationen Ordo Iuris und Christlich-Sozialer Kongress ihre Kampagne „Ja zur Familie, Nein zu Gender“. Zweck dieser Bürgerinitiative ist die Sammlung von 100.000 Unterschriften, um im polnischen Parlament einen Gesetzesentwurf einzubringen, der die Aufkündigung der Istanbul-Konvention durch den Präsidenten und die Bildung eines Regierungsteams zur Ausarbeitung einer internationalen Konvention über Familienrechte zum Ziel hat.

Ordo Iuris führt zudem eine europaweite Kampagne an, mit der die Europäische Kommission aufgefordert wird, die Bemühungen der EU um die Ratifizierung der Istanbul-Konvention einzustellen, wiewohl der Prozess bereits eingeleitet wurde. Würde die EU die Istanbul-Konvention ratifizieren, müssten auch jene Mitgliedstaaten, die sie nicht ratifiziert haben (Ungarn, die Tschechische Republik, die Slowakei, Bulgarien, Lettland und Litauen) die Übereinkunft umsetzen.

Die beiden polnischen Organisationen verfügen bereits über einen Konventionsentwurf, der die Istanbul-Konvention ersetzen soll und von Ordo Iuris in Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Europaabgeordneten Marek Jurek (Jurek ist einer der Anwärter für den Posten des nächsten Bürgerrechtsbeauftragten Polens) ausgearbeitet wurde. Laut Karolina Pawłowska, Leiterin des Zentrums für Völkerrecht bei Ordo Iuris, hätten „viele Organisationen aus ganz Europa“ diese Konvention über die Rechte der Familie mitgestaltet.

In dem Entwurf gehen Ordo Iuris und ihre Partnerorganisationen von der Prämisse aus, dass die Zunahme von Fällen häuslicher Gewalt auf die „Schwächung“ der traditionellen Familie zurückzuführen ist. Ihre alternative Konvention schlägt Maßnahmen zur Stärkung der Rolle der traditionellen Familie in der Gesellschaft vor, darunter auch weniger staatliche Einmischung in das Familienleben und mehr Kontrolle der Eltern über die Erziehung ihrer Kinder.

Überraschenderweise übernimmt die Alternativkonvention im Anschluss an die Präambel zur Rolle der Familie zahlreiche Formulierungen aus der Istanbul-Konvention, insbesondere was die Mechanismen zur Bekämpfung häuslicher Gewalt betrifft. „Das zeigt, dass wir keine radikalen Eingriffe vornehmen, sondern den Opfern von Gewalt wirklich helfen wollen, weshalb wir Vorschläge, die unserer Meinung nach gut funktionieren, auch in unser Dokument aufnehmen“, meinte Pawłowska gegenüber BIRN. „Klammert man die der Istanbul-Konvention zugrundeliegende Ideologie aus, bleiben durchaus einige neutrale Aspekte, die zur Bekämpfung von Gewalt interessant sein können, aber nur wenn deren wirkliche Ursachen angemessen berücksichtigt werden.“

Laut Meinung der Autoren liegen die Ursachen der Gewalt nicht in der strukturellen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, sondern sind „Krankheitsbildern“ wie Alkoholismus, Pornografie, dem Zerfall des sozialen Gefüges, dem Zusammenbruch familiärer Strukturen und der Sexualisierung von Frauen in der Öffentlichkeit geschuldet. Premier Morawiecki wiederholte diese Position in seiner Pressekonferenz Ende Juli. Der Vorschlag von Ordo Iuris wird zwar als Ersatz zur Istanbul-Konvention präsentiert, enthält aber auch Artikel über gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Abtreibung – Themen, denen die Autoren Bedeutung beimessen, die aber nicht Teil der Istanbul-Konvention sind.

Artikel 9 besagt etwa, dass die Unterzeichnerstaaten „Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts … welcher Form auch immer, egal ob im In- oder Ausland eingegangen, gesetzlich nicht anerkennen“ und „nicht verpflichtet werden können, Maßnahmen zu ergreifen, die gleichgeschlechtliche Verbindungen im Ausland ermöglichen“; Artikel 37 ruft die Länder zur Zusammenarbeit auf, um die Strafverfolgung von Personen sicherzustellen, die illegale Schwangerschaftsabbrüche vornehmen; Artikel 14 fordert die Behörden auf, „die Fortpflanzung in keiner Weise einzuschränken und es Familien nicht zu erschweren, Kinder zu bekommen“ – eine uneindeutige Formulierung, die in weiterer Folge dahingehend interpretiert werden könnte, legale Schwangerschaftsabbrüche einzuschränken.

Die Konvention über die Rechte der Familie, die seit über zwei Jahren kursiert, wurde von mehreren bekannten ultrakonservativen Aktivisten aus ganz Europa unterstützt, etwa Ignacio Arsuaga von der spanischen HazteOir und CitizenGO, Grégor Puppinck vom Europäischen Zentrum für Recht und Gerechtigkeit sowie anderen Aktivistinnen und Aktivisten in Mittel- und Osteuropa. Sie gehören einem gut dokumentierten Netzwerk ultrakonservativer Gruppierungen aus Europa, den USA und Russland an, die versuchen, LGBT- und Frauenrechte zurückzudrängen.

© John Thys / AFP / picturedesk.com

Mitglieder des Europäischen Parlaments demonstrieren ihre Unterstützung für die polnische LGBT-Gemeinschaft vor dem Europäischen Parlament in Brüssel, September 2020. Foto: © John Thys / AFP / picturedesk.com

Nach dem Aufruf Ziobros, die Istanbul-Konvention aufzukündigen, sprach die polnische Bischofskonferenz im September ebenso ihre Unterstützung für die Initiative „Ja zur Familie, Nein zu Gender“ aus. Bereits 2018 hatten Bischöfe aus Mittel- und Osteuropa ihre jeweiligen Regierungen aufgefordert, „die Ratifizierung des Istanbuler Protokolls abzulehnen bzw. die Unterzeichnung zu widerrufen“. Laut Pawłowska von Ordo Iuris wurde die alternative Konvention bereits in vielen Ländern der Region vorgestellt, darunter Ungarn, die Slowakei, Bulgarien und Kroatien. Im Juli 2018 wurde sie laut Angaben von Ordo Iuris „im Europäischen Parlament vorgestellt“.

Regionales Bündnis

Katja Ziegler ist Professorin für Völkerrecht an der Universität Leicester und hat sich auf die Verschränkung von Rechtsordnungen spezialisiert. Ihrer Meinung nach müssten die EU-Mitgliedsländer selbst dann, wenn vier Länder diese alternative Konvention ratifizieren würden (die Mindestzahl, damit die Konvention in Kraft tritt), weiterhin alle von der Konvention abweichenden EU-Rechtsvorschriften einhalten. Länder wie jene Staaten in Mittel- und Osteuropa, die die Istanbul-Konvention unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert haben, sind dennoch völkerrechtlich verpflichtet, keine Maßnahmen zu ergreifen, die Ziel und Zweck der Istanbul-Konvention zuwiderlaufen würden, so Ziegler weiter.

„Die Konvention [von Ordo Iuris] vermischt gesetzliche Bestimmungen und Regelungen, die in anderen Instrumenten [z.B. der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Konvention über die Rechte des Kindes] enthalten und auch allgemein anerkannt sind, mit äußerst problematischen und kontroversiellen Ideen, die sich – wie der Wolf im Schafspelz –einschleichen“, erklärte Ziegler gegenüber BIRN und verwies auf Erwähnungen des Begriffs der „natürlichen Familie“, das Bekenntnis, gleichgeschlechtliche Verbindungen gesetzlich nicht anzuerkennen, und auf eine Reihe vager Paragrafen, die möglicherweise auf die Einschränkung bzw. das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen abzielen könnten. „Es ist bezeichnend, dass dieser Vorstoß nicht von einem internationalen Forum stammt, sondern aus der Initiative der ‚Basis‘ eines Staates ohne Rückhalt eines multilateralen Forums (z. B. der UNO oder des Europarats) hervorging, der nun nach Verbündeten sucht“, so Ziegler. „Es ist ein Versuch, das Völkerrecht in eine bestimmte, fundamentalistische Richtung zu lenken, indem bestehende Schutzmechanismen ausgehöhlt werden.“

Neil Datta, Sekretär des Europäischen Parlamentarischen Forums für sexuelle und reproduktive Rechte und Experte für globale ultrakonservative Bewegungen, meinte gegenüber BIRN: „Die Konvention von Ordo Iuris strotzt von komplizierten Rechtstexten, die plausibel klingen, einer rechtlichen Prüfung aber nur dann standhalten würden, wenn diese von den Anwälten der Autoren vorgenommen würde. Die Konvention ist ein Schwindel.“

Datta weist darauf hin, dass ein echter Vertrag wie die Istanbul-Konvention aus einer von den Mitgliedstaaten zuvor unterstützten Rechtsordnung wie der des Europarats hervorgeht. „Das hier ist ein privates, von einer NGO verfasstes Schriftstück, das einem Mitgliedstaat (Polen) angepriesen wurde, der es nicht einmal in seine Rechtsordnung aufgenommen hat, bevor er schon nach Bündnispartnern Ausschau zu halten angefangen hat“, so Datta. „Sie und ich können uns hinsetzen und eine Konvention schreiben, das bedeutet aber nicht, dass sie rechtswirksam ist.“

Datta bezweifelt zwar, dass Ordo Iuris genügend Regierungen dazu bringen kann, der alternativen Konvention beizutreten, räumt jedoch ein, dass die Bemühungen, für sie zu werben, dazu dienen könnten, die Ratifizierung der Istanbul-Konvention durch die EU zu verhindern und die Weiterentwicklung von LGBT- und Frauenrechten in Europa im Allgemeinen zu blockieren. „Die Idee, Fortschritte im EU-Recht zu verhindern, gehört seit 2013 zur Strategie dieser ultrakonservativen Gruppierungen“, erklärte Datta gegenüber BIRN. „Sie waren nicht besonders erfolgreich darin, ihre eigenen Konzepte vorzuschlagen, sehr wohl aber darin, Fortschritt zu blockieren. Es ist ihnen also zwar nicht unbedingt gelungen, LGBT-Rechte zu beschneiden, sie konnten aber Entwicklungen anhalten, die andernfalls erfolgen hätten können.“ In einem Nachsatz meinte er noch: „Jedenfalls verändern sie die politische Stimmung.“

Pawłowska von Ordo Iuris, die hofft, dass die neue Konvention zumindest ein regionaler Vertrag wird, scheint Dattas Ansicht zu bestätigen. „Das ist der einzige Grund, warum wir diese Initiative gestartet haben, weil wir sahen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sukzessive versucht, sich über das Verständnis von Familie und Ehe in Ländern wie Polen, Rumänien und Bulgarien hinwegzusetzen“, so Pawłowska. „Die EU verfolgt auch diese neue LGBT-Strategie, wonach Länder, in denen die Homoehe nicht erlaubt ist, sie dennoch anerkennen müssen, wenn diese in einem anderen Land legal geschlossen wurde. Pawłowska bekräftigte, dass „es der Zweck unserer Konvention ist, Länder, die die auf der ‚natürlichen Familie‘ basierende natürliche Gesellschaftsordnung zu erhalten versuchen, vor diesem ideologischen Diktat zu schützen“.

Original auf Englisch. Erstmals publiziert am 6. Oktober 2020 auf Reportingdemocracy.org, einer journalistischen Plattform des Balkan Investigative Reporting Network.
Aus dem Englischen von Barbara Maya.


Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt: © Claudia Ciobanu / Reporting Democracy, zusätzliche Berichterstattung von Anja Vladisavljevic aus Zagreb, Marcel Gascón Barberá aus Bukarest, Miroslava German Širotníková aus Bratislava und Nicholas Watson aus Prag. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion.
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