„Wir lieben Sarajevo“

Selbstständige Unternehmer, die an Bosnien glauben

Lernen Sie den Tätowierer, die Gründerin eines Technologieunternehmens, den Betreiber eines veganen Restaurants, den Galeristen und den Optiker kennen, die mit der Gründung ihrer Unternehmen in der bosnischen Hauptstadt ein Zeichen gegen den Auswanderungstrend gesetzt haben.

Bosnien und Herzegowina leidet unter einer Bevölkerungskrise. Im Jahr 1991, kurz vor dem Krieg, lebten rund vier Millionen Menschen im Land. Heute sind es schätzungsweise nur noch 3,3 Millionen, wobei die Bevölkerungszahlen wahrscheinlich noch weiter zurückgehen werden. Die Auswanderung spielt hierbei eine maßgebliche Rolle, da viele jüngere Menschen auf der Suche nach einer besseren Zukunft außerhalb des dysfunktionalen Systems ihres Landes, das keine Perspektiven zu bieten scheint, aus Bosnien weggehen. Einige wollen jedoch unbedingt bleiben. In Sarajevo dokumentierte der Fotograf Sacha Jennis mehrere Selbstständige, die trotz der katastrophalen Wirtschaftsaussichten weiterhin am Erfolg ihrer Unternehmen in ihrer Heimatstadt arbeiten.

„Bosnien bietet die Chance für Veränderungen“

Mit Bizbook gründete die Juristin Erna Šošević 2017 ein Peer-to-Peer-Netzwerk mit dem Ziel, die Entwicklung bosnischer Unternehmen zu fördern. „Mein Anliegen, ein Technologieunternehmen in Bosnien und Herzegowina aufzubauen, rührt daher, dass ich kein anderes Land habe“, erklärte sie. „Ich sah es als eine interessante Herausforderung, verschiedene Branchen miteinander zu vernetzen und sie dabei zu unterstützen, sich über die von ihnen angebotenen Produkte und Dienstleistungen kennenzulernen und zuverlässige Geschäftspartner zu finden.“

Foto: © Sacha Jennis

Erna Šošević. Foto: © Sacha Jennis

Mittlerweile zählt das Bizbook-Netzwerk 700 Mitglieder und wird von einem Team von fünf Frauen mit Sitz im Networks, einem Geschäftszentrum und Co-Working-Space in der Nähe des Skenderija-Zentrums, geleitet. „Das Land zu verlassen, war für mich nie eine Option, denn Bosnien und Herzegowina bietet trotz der schlechten geopolitischen und wirtschaftlichen Lage die Chance für bedeutende Veränderungen durch junge Menschen, die stärker in die verschiedenen Prozesse dieses Landes einbezogen werden müssen“, so Šošević.

„Wir können uns nicht vorstellen, woanders zu leben“

„Wir sagten uns, dass wir es überall schaffen können, wenn wir alle zusammenhalten, auch hier in Sarajevo. Dazu braucht es nur eine Gruppe guter Freunde und hart arbeitender Leute, und der Erfolg gab uns bald nach der Eröffnung des Studios recht.“ Diese Erfahrung machte der Grafiker und Tätowierer Erva Nevesinjac. Er eröffnete sein Tattoo-Studio in einer kleinen Wohnung in der Nähe der Marschall-Tito-Straße in der Innenstadt von Sarajevo und ist fest entschlossen, dort zu bleiben.

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Erva Nevesinjac. Foto: © Sacha Jennis

„Wir lieben Sarajevo und wir lieben Bosnien, und wir können uns nicht vorstellen, woanders zu leben und zu arbeiten. Die Faszination und Erfahrung, die Menschen in Bosnien zu tätowieren, ist wirklich etwas Einzigartiges; das kann man nicht beschreiben“, erklärte er.

„Ich brachte neue und coole Ideen nach Sarajevo“

Miran Lazic begann 2000 – als Skatewear und Basketballmode aus den USA in Sarajevo schwer zu bekommen war – mit dem Bedrucken eigener T-Shirts. Zunächst produzierte er Shirts für seine Freunde und sich selbst, entschied sich aber 2010 zur Gründung des Labels Revolt Clothing und bietet seither in Sarajevo Streetfashion an. Seit Juli 2019 betreibt er auch seinen eigenen Shop, der sich Royal With Cheese nennt.

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Miran Lazic. Foto: © Sacha Jennis

„Ich bin als Flüchtling in Moskau aufgewachsen, wo ich mit Hip-Hop, Graffitikunst und all den Dingen in Berührung kam“, erklärte Lazic. Auch nach der Rückkehr in sein Heimatland reiste er viel und brachte „neue und coole Ideen nach Sarajevo“. „Ich wollte den Kids und den Leuten hier meine Erfahrungen und das, was ich gelernt habe, vermitteln“, so Lazic.

„Ich möchte, dass die Bosnier gesünder essen“

Als Veganer hat man es in einem Land, dessen Küche von Fleischgerichten dominiert wird, mitunter schwer. Die Eröffnung eines veganen Restaurants in einer Stadt, in der an allen Ecken Ćevapčići verkauft werden, ist ein noch ambitionierteres Unterfangen. Dieser Herausforderung hat sich Chefkoch Sasha Obucina gestellt: In seinem Slow-Food-Restaurant Karuzo in der Innenstadt von Sarajevo bietet er köstliche Gerichte aus regionalen Produkten und ausgesuchte bosnische Weine.

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Sasha Obucina. Foto: ©SachaJennis

„Es war mir wichtig, die Bosnierinnen und Bosnier zu einer gesünderen Ernährung zu bewegen und ihnen die Vorteile einer pflanzlichen Kost bewusster zu machen“, erklärte Obucina. „Ich beschloss, mein eigenes veganes Restaurant in Sarajevo aufzumachen, weil das mein Leben ist.“

„Wir werden unsere zeitgenössische Kunstszene stärken“

Die Galerie Brodac ist ein kleiner Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst in der Nähe der Baščaršija, dem Basar im historischen Stadtzentrum. Hier befand sich früher einmal ein Frauengefängnis, worauf die Gitterstäbe im Logo verweisen. Geleitet wird sie von Mak Hubjer, einem engagierten selbstständigen Galeristen, der ein häufig wechselndes Programm bietet.

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Mak Hubjer. Foto: ©SachaJennis

Er wolle „Möglichkeiten der Interaktion zwischen Künstlerinnen und Künstlern und dem Publikum schaffen, in einem unabhängigen Raum, frei von jeglichem unerwünschten politischen oder gesellschaftlichen Einfluss“, so Hubjer, und dazu beitragen, „unsere zeitgenössische Kunstszene stärker und größer zu machen – wie es ihr gebührt“.

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Nebojsa Savic. Foto: ©Sacha Jennis

„Gerade jetzt geht es der Finanz- und Geschäftswelt nicht besonders gut“, meinte er. „Aber selbst in diesen schwierigen Zeiten kommen wir zur Arbeit, genießen das Leben und lächeln!“

Original auf Englisch. Erstmals publiziert am 26. August 2020 auf Reportingdemocracy.org, einer journalistischen Plattform des Balkan Investigative Reporting Network.
Aus dem Englischen von Barbara Maya.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt:© Sacha Jennis. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: © Sacha Jennis.

“Wir haben noch einen langen Weg vor uns.”

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