Klimaangst

Wenn die Aussicht auf eine schöne Zukunft fehlt.

Es gibt viele Geschichten wie jene von Philip, Alma und Paula. Was sich wie ein roter Faden durchzieht: Sie haben Angst vor den Folgen des Klimawandels. Diese Angst wurde längst zum gesellschaftliche Phänomen, am stärksten ausgeprägt ist sie bei jungen Menschen. Aber wie geht man am besten damit um?

Er sieht sich nicht in einem Garten, nicht friedlich auf einer Veranda. Er sieht nicht, wie er seinen Enkeln beim Spielen zusieht, ihnen die Berge, die er so liebt, zeigt. Wenn Philip Mauer* an die Zukunft denkt, dann sieht er Chaos. Er sieht eine unerträgliche Normalität: Urlaub im Norden, während der Süden brennt. Trinkwasser, das Luxus wird. Eine Zukunft des Hungers und des Krieges, des Mangels. Eine, in der wir vermissen, was uns jetzt alltäglich erscheint. Er stellt sich vor, seinen Enkeln neue Geschichten vorzulesen, nicht mehr von Eisbären oder dem Amazonas, sondern von einer merkwürdigen Gegenwart, einer der ständigen Zerstörung. Er sagt: „Die positiven Zukunftsbilder sind mir verloren gegangen.“

Philip Mauer, 32, arbeitet als Projektleiter in einer Förderagentur. Er ist Vater eines Dreijährigen, trägt einen kurzen Bart und blaue Jeans. Er zog zum Studium nach Wien. Und er hat Angst vor der Klimakrise. Damit ist Philip nicht alleine. Laut einer internationalen Studie denken 75 Prozent der Menschen zwischen 16 und 25 Jahren, dass die Zukunft beängstigend ist, und 45 Prozent sagen, dass Sorgen um die Klimakrise ihren Tag negativ beeinflussen. Für sie ist die Klimakrise nicht weit weg, nicht morgen. Sie ist jetzt, sie belastet sie jeden Tag. Während solche Ängste immer wieder als unnatürlich beschrieben werden, sind sich die meisten Expert:innen einig: Die Ängste von Menschen, die sich vor der Klimakrise fürchten, müssen ernst genommen werden.

Für Philip war es eine kleine Nachricht, die das erste Mal echte Angst auslöste. Welche genau es war, weiß er nicht mehr. Aber er erinnert sich noch, was er gefühlt hat. „Ich habe so richtig die Lust am Leben verloren“, sagt Philip. Alles kam ihm sinnlos vor. Sein eigenes Leben so klein, so unbedeutend, in Anbetracht der Krise. Lange sagt Philip sich, dass die Klimakrise weit weg ist, dass er nichts machen kann. Seit sein Sohn auf der Welt ist, geht das für ihn nicht mehr. Die Angst kommt immer öfter. Er sagt: „Ich fürchte mich davor, was die Klimakrise mit unserer Gesellschaft machen wird.“

Bis 2050 werden zusätzliche 93 Millionen Menschen im nördlichen Mittelmeerraum von Hitze betroffen sein. Bis zu 20.000 Hitzetote im Jahr könnte es dann geben.

Er weiß: Schon jetzt gibt es in Österreich deutlich mehr Hitzetage mit Temperaturen über 30 Grad. Zwischen 1961 und 1990 verzeichnete die ZAMG in den meisten österreichischen Landeshauptstädten pro Jahr zwischen fünf und elf Hitzetage. Zwischen 1991 und 2020 maß sie 16 bis 22 Hitzetage. Welche schlimmen Folgen Hitze hat, machen Prognosen des Weltklimarats deutlich: Bis 2050 werden zusätzliche 93 Millionen Menschen im nördlichen Mittelmeerraum von Hitze betroffen sein. Bis zu 20.000 Hitzetote im Jahr könnte es dann geben. Insgesamt kann die Klimakrise dazu führen, dass es zu mehr Hunger und Kriegen kommt, das Wasser knapp wird und – so ein Entwurf des neuen Berichts des Weltklimarats – unsere Zivilisation langfristig gefährden.

Die Klimakrise heißt also Bedrohung. Johannes Klackl, der im Fachbereich Psychologie der Uni Salzburg forscht, sagt deshalb: „Angst vor der Klimakrise ist nicht pathologisch, sondern gerechtfertigt.“ Klimaangst ist eine natürliche Reaktion auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Klimaforschung. Sie ist eben nicht, wie die meisten anderen Ängste, Zeichen einer psychischen Erkrankung. Für Klackl ist es zentral, diese Ängste ernst zu nehmen.

Doch oft geschieht das nicht. Angst vor der Klimakrise wird als persönliches Problem dargestellt, warnen die deutschen Psychologists for Future. Dabei sei Klimaangst eine „globale Bedrohung, die nur gesellschaftlich-politisch überwindbar ist.“ In einer Aussendung stellen sie sich gegen den Versuch, das Phänomen als krankhaft zu beschreiben. Sie finden: Menschen wie Philip verhalten sich nicht irrational, sondern vernünftig.

So geht es auch der 16-jährigen Paula. Sie ist Aktivistin bei Fridays for Future. Sie geht trägt ein oversized T-Shirt und braune Locken. Paula geht in Mödling bei Wien zur Schule, sie fährt mit einem alten Fahrrad, das sie liebt, obwohl die meisten Gänge kaputt sind.

Klimaangst ist eine natürliche Reaktion auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Klimaforschung. Sie ist eben nicht, wie die meisten anderen Ängste, Zeichen einer psychischen Erkrankung.

Einmal, es ist schon Jahre her, hat Paula beim Siedler-von-Catan-Spielen plötzlich geweint. „Ich habe auf einmal daran denken müssen, dass es im Amazonas brennt und die ganze Welt kaputt geht und ich nichts machen kann“, sagt sie und rückt die silberne Brille zurecht. Paula sieht zu Boden. „Feminist“ steht auf einem von Paulas weißen Fairfashion-Sneakers, „Es wird wunderbar“ auf dem andern. Damals, als sie plötzlich während eines Brettspiels verzweifelte, haben ihre Eltern versucht sie zu trösten, die jüngere Schwester war richtig schockiert. Aber so richtig geholfen hat ihr das nicht.

Dennoch: Nicht alle Bevölkerungsgruppen sind gleich stark von Klimaangst betroffen. Laut US-amerikanischen Umfragen betrifft sie vor allem weiße Menschen, auch wenn People of Colour und indigene Menschen überproportional oft von den Folgen der Klimakrise betroffen sind.

Noomi Anyanwu, Sprecherin des Black-Voices-Volksbegehren, wundert das nicht. „Die Klimakrise ist auf Rassismus aufgebaut“, sagt sie. In Österreich fehle People of Colour oft Repräsentation. Deshalb, so Anyanwu, berühre sie das Thema auch weniger. Aber mehr noch: „Für sehr viele Menschen sind die Folgen der Klimakrise schon da, immer wieder werden PoC und ihre Realitäten ignoriert. Es geht um weiße Kinder, eine weiße Zukunft.“ 

Die Autorin Sarah Jaquette Ray warnt davor, dass Klimaangst zu einer noch größeren Verschärfung von weißem Privileg und gesellschaftlicher Spaltung führen kann. Denn die Klimakrise als Krise der Zukunft zu erzählen, ignoriert, wie viele Menschen jetzt schon unter den Folgen leiden.

Für den Psychologen Eder ist offen, was mit einer Gesellschaft passiert, die so viel darüber weiß, dass sie ihre eigene Existenz gefährdet. „Das ist ein Erstlingsereignis“, sagt Klackl. „Es war noch nie der Fall, das wir wussten, dass es in wenigen Jahrzehnten sehr wahrscheinlich sehr schrecklich wird.“ Der Experte sieht Ängste von Menschen wie Eder aber durchaus auch positiv: „Diese Angst kann dazu motivieren, etwas zu tun,“ sagt Klackl. Noch könne man die Prognosen ändern.

Genau das ist es, was Paula am meisten hilft: Das Gefühl, etwas zu verändern. „Auf Demos oder wenn ich das Gefühl habe, gehört zu werden, verschwindet die Angst. Wenn ich ein Interview gebe oder eine Rede schreibe“, sagt sie. Seit sie aktiv ist, ist die Angst weniger geworden. Trotzdem: „Ich denke immer wieder, ‚Was, wenn das der letzte Schnee ist, der letzte normale Winter‘“, sagt sie. „Ich habe Angst, dass alles anders wird.“ Angst, ihre Normalität zu verlieren.

„Es war noch nie der Fall, das wir wussten, dass es in wenigen Jahrzehnten sehr wahrscheinlich sehr schrecklich wird.“

— Johannes Klackl, Abteilung Sozialpsychologie, Paris Lodron Universität Salzburg

Doch sie weiß: Das wird sie. Die Klimakrise ändert alles: Noch verfehlen fast alle Regierungen das im Pariser Klimaabkommen festgehaltene 1,5-Grad-Ziel: Eigentlich haben sich alle Staaten der Welt verpflichtet, die Erderwärmung bis 2100 auf höchstens 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu beschränken. Das ist essenziell, um zu gewährleisten, dass wir in einem stabilen Klima, der Welt, wie wir sie kennen, weiterleben. Doch im November 2021 führen die Ziele der Länder laut Climate Action Tracker bis 2100 zu einer Erderwärmung von etwa 2.7 Grad.

Damit steuern wir auf das sogenannte „Hothouse Earth“-Szenario zu, in dem uns noch mehr Dürre, extreme Hitze, Hunger und aller Voraussicht nach Kriege erwarten. Erreichen wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens nicht, steuern wir auf mehrere Kippunkte zu. Dann verstärken sich die Effekte der Klimakrise von selbst noch mehr. Der Klimawandel wird irreversibel.

Illustration: Samanta Tobisch

Paula weiß das. Seit sie im Herbst 2020 bei Fridays for Future begonnen hat, geht es ihr besser. Sie fühlt sich verstanden, unter Gleichgesinnten gehört. Und sie hat das Gefühl, etwas zu verändern. Trotzdem fragt sie sich, ob es genug, ob es das Richtige ist. Die Klimakrise sei so groß, da komme sie sich mit allem, das sie tue, immer wieder ziemlich klein vor.

„Manchmal habe ich noch immer Panik“, sagt sie. Der Aktivismus, das Leben im Bewusstsein der Krise, ist Teil ihrer Identität geworden. Früher wollte sie mal einen Bauernhof haben und sich dort ein einfaches Leben machen. Jetzt kann sie sich das nicht mehr vorstellen. „Ich glaube, ich werde immer das Gefühl haben, dass ich etwas für die Welt machen will.“

Aber die meisten Menschen sind nicht wie Paula, sie werden keine Aktivist:innen. Das liegt aber nicht unbedingt daran, dass sie die Krise nicht verstanden, dass sie keine Angst hätten. Die 24-jährige Alma stellt wegen der Klimakrise in Frage, was sie mit ihrem Leben tun möchte. „Ich bin Musikerin und das finde ich wunderschön“, sagt sie. „Aber ich frage mich, ob das noch eine Berechtigung hat.“ Für Alma ist die Klimakrise so grundlegend, dass sie denkt, es wäre vielleicht wichtiger, Essen zu produzieren, zu helfen.

„Ich bin Musikerin und das finde ich wunderschön. Aber ich frage mich, ob das noch eine Berechtigung hat, ob Kunst in der Klimakrise überhaupt noch Sinn macht.”

— Alma, 24 Jahre

Alma meditiert, sie sagt, sie versucht sich auf die guten Sachen zu fokussieren, zu genießen was sie macht. Sie pflanzt Gemüse auf ihrem Balkon an, versucht kein Fleisch mehr zu essen. Sie träumt von Umweltkatastrophen. Dennoch: Die Angst vor der Zukunft kommt immer wieder. Wie eine Welle nimmt sie Alma mit. Sie ist hoffnungslos, verzweifelt. „Ich frage mich, ob Kunst in der Klimakrise überhaupt noch Sinn macht,“ sagt sie. Auf Demos geht sie trotzdem nicht. „Ich habe mir überlegt das zu machen, aber dann denke ich mir, das ich eigentlich nicht weiß, wieviel Sinn es macht.“

Auch Philip geht nicht regelmäßig auf Demos. Aber er hat sein Leben umgestellt, seit er um die Klimakrise weiß. Er kauft bewusster ein, isst kaum Fleisch. Er sagt: „Ich fliege nicht mehr für 23 Euro nach Barcelona.“ Als Aktivist sieht er sich trotzdem nicht. Warum, das kann er gar nicht so genau sagen. Irgendwie hat er Angst, irgendwie keine Zeit, keine Gruppe, die wirklich zu ihm passt. Er hat das Gefühl, mit dem Thema alleine zu sein, dass sich die Gesellschaft nicht darum kümmert. „Es ist gar nicht nur Angst, es ist auch große Überforderung“, sagt er. Für Philip versagen die Medien, die Politik, die Gesellschaft.

Trotz ihrer großen Angst gehen weder Alma noch Philip auf die Straße – und das obwohl belegt ist, dass Klimaaktivismus Veränderung bringen kann: Eine Studie des Wiener Politikwissenschaftlers Reinhard Steurer fand eine Korrelation zwischen Klimapolitik und Klimaaktivismus: In Ländern, in denen es Klimaproteste gab, wurde bessere Klimapolitik gemacht. Und eine Studie aus dem Jahr 2018 belegt, dass sich soziale Normen ändern, wenn sich 25 Prozent der Gesellschaft für ein Thema, zum Beispiel die Klimakrise, engagieren. Wenn also ein Viertel der Bevölkerung für Klimaschutz engagiert ist, kann das dazu führen, dass besserer Klimaschutz umgesetzt wird und die Ängste von Philip, Paula und Alma nicht wahr werden.

Aber wieso sind es nicht 25 Prozent, die sich engagieren? Liegt das daran, dass Angst bekanntlich lähmt? Nein, sagt Psychologe Klackl. In einem Experiment habe er feststellen können, dass Angst und Besorgnis dazu führen können, dass Menschen eine umweltfreundlichere Einstellung entwickeln.

Teil der Lösung, das könnte aber genau unsere Kultur sein, die Alma so in Frage stellt, sagt Johannes Klackl von der Universität Salzburg. Denn die Art und Weise, wie wir leben, hilft uns, mit Angst umzugehen: „Wir klammern uns gerade wegen der Angst mehr und mehr an die Kultur“, sagt er. Diese Kultur oder Lebensweise ist aber oft klimaschädlich: Wir fahren mit dem Auto oder gönnen uns ein Steak. „Die Kultur muss sich ändern“, so Klackl.

Philip glaubt nicht mehr ans 1,5-Grad-Ziel, an eine gute Zukunft im stabilen Weltklima. „Ich habe mich darauf eingestellt, dass es uns in Zukunft nicht mehr gut geht.“ Philip plant sein Leben im ständigen Bewusstsein der Krise. Er überlegt, wo er vielleicht noch eine Wohnung kaufen kann, wo er und seine Familie auch in Zukunft sicher sein können. Im August wird er nicht mehr nach Kroatien fahren. Er erwartet schon den nächsten Waldbrand.

Natürlich träumt auch er vom schönen, vom leichten Leben in einer heilen Welt. Aber Philip kann nicht mehr weitermachen, nicht so tun, als wäre nichts. „Ich dachte, ich kann mich darauf einstellen, was kommt,“ sagt er. „Aber ich bin von der Entwicklung überrollt worden.“ Dieser Sommer mit einem Tornado in Tschechien, mit Überschwemmungen in Deutschland und Österreich, mit Waldbränden am Mittelmeer, sei einfach zu viel gewesen. Es ist einfach zu schlimm, sagt Philip. „Ich brauche das Gefühl, es interessiert mehr Menschen.“

Psychologe Johannes Klackl kennt viele Geschichten wie jene von Philip, Alma und Paula. Diese Angst, vor allem von jungen Leuten, hält er für eine gesellschaftliche Aufgabe. Auch diese Angst mache die Klimakrise zu einem Problem im Hier und Jetzt, so der Experte. Er sagt: „Wir haben dann die Aufgabe, die Gesellschaft so zu ändern, dass junge Menschen nicht in Angst leben müssen.“ Klackl ist sich sicher: Das kann gelingen.

*Name von der Redaktion geändert

Erstmals publiziert in der Ausgabe #01/2022 von period.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt: © Clara Porak / period. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion. Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Illustration: Samanta Tobisch

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