Gift aus dem Hahn

Arsenverseuchtes Wasser schürt Angst vor Krebs in der Vojvodina und den Nachbarregionen.

Beinah eine Million Menschen in Serbien, Kroatien und Ungarn müssen krebserregendes Wasser trinken, dessen Arsengehalt den zulässigen Grenzwert überschreitet, wie eine Untersuchung von Miloš Stanić aufzeigt.

Sie wussten schon immer, dass mit dem Wasser etwas nicht stimmte. In Komletinci, einem Dorf im Osten Kroatiens, einen Steinwurf von der serbischen Grenze entfernt, sprudelt es mit einem Hauch Ammoniak aus der Leitung. Die Farbe variiert zwischen blassgelb und rotbraun. Es schmeckt nach Rost. Trotz des widerwärtigen Geschmacks zweifelten nur wenige Menschen an seiner Unbedenklichkeit. Seit 28 Jahren – seit der Errichtung einer lokalen Anlage zur Versorgung von Haushalten mit aufbereitetem Grundwasser – halten sich die Dorfbewohner die Nase zu und trinken es. Dies änderte sich jedoch 2014, nachdem ein IT-Ingenieur namens Mirko Matijašević auf der Webseite des regionalen öffentlichen Wasserversorgers in der nahegelegenen Stadt Vinkovci auf eine Analyse von Wasserproben gestoßen war. Die Untersuchungsergebnisse zeigten, dass der Arsengehalt den gesetzlich zulässigen Grenzwert um das 13-fache überschritt.

Matijašević (55) hatte damals keine Ahnung, dass nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO Arsen im Grundwasser nachweislich krebserregend ist. Zahlreiche Studien belegen, dass Menschen, die Arsen über viele Jahre ausgesetzt sind, ein größeres Risiko haben, an Haut-, Lungen- und Harnwegskrebs zu erkranken. Er hatte jedoch genug Krimis gelesen, um zu wissen, dass Arsen ein Gift ist. „Ich denke, der Grund, warum die lokale Regierung nicht über diese Analyse spricht, hat mit Geld zu tun, da dieses untrinkbare Wasser nicht um diesen ‚Zagreber‘ [teuren] Preis verkauft werden sollte“, schrieb er in seinem Blog über tägliche Geschehnisse in Komletinci, einem Ort, in dem schon ein Tamburizza-Konzert für Schlagzeilen sorgt. Er lud einen Screenshot der Analyse hoch und klickte auf „Veröffentlichen“. Die Reaktionen auf seinen Blogeintrag waren in dem 1.600-Einwohner-Dorf anfangs eher ablehnend, erinnerte sich Matijašević.

„Im Wasserwerk von Vinkovci bringt die Regierungspartei [die Kroatische Demokratische Union] ihre Leute unter, weshalb jeder negative Artikel als Angriff auf sie empfunden wird“, erzählte er. „Und wenn du die Regierungspartei angreifst, dann giltst du nicht als guter Bürger.“ Matijaševićs Entdeckung ließ manche Menschen jedoch nachdenklich werden. Mirjam Bešlić, eine 28-jährige Mutter von zwei Kindern, nahm die 280 Kilometer nach Zagreb auf sich, um eine zwölf Zentimeter lange Haarprobe am Institut für medizinische Forschung und Arbeitsmedizin testen zu lassen. Den Tests zufolge lag die Arsenkonzentration bei ihr über dem Dreifachen des Normalwerts bei erwachsenen Frauen. „Bislang hatte ich keine Probleme, aber mein Arzt sagte mir, dass ich der Belastung schon sehr lange ausgesetzt bin und ein höheres Risiko hätte, an Krebs zu erkranken“, erzählte sie. Als die lokalen Behörden das Wasser in Komletinci vergangenen April endlich als für den Trinkwassergebrauch ungeeignet erklärten, nachdem lokale Medien die Geschichte aufgegriffen hatten, schlug die Angst in Wut um. „Ich würde alle ehemaligen Geschäftsführer des Wasserwerks und alle Bürgermeister belangen“, meinte Ivan Miljak (60), ein pensionierter Kellner, der sich mit anderen Dorfbewohnern anstellte, um seine Plastikflaschen an einem von der Gemeinde nahe dem Hauptplatz aufgestellten Wassertank aufzufüllen. „Sie alle wussten davon und hielten die Informationen unter Verschluss, da sie nur auf ihre eigenen Interessen bedacht waren. Ich meine, wir sollten die nächsten 28 Jahre keine Wasserrechnung zahlen müssen. Das ganze Dorf sollte eine Klage wegen Gesundheitsschädigung einreichen.“

Foto: © Aleksandar Latas

Ein Bewohner von Komletinci füllt Plastikwasserflaschen an einem Wassertank nahe dem Hauptplatz.

Vergangenen Mai trat Josip Šarić, von 1997 bis 2007 Vorstandsmitglied des lokalen Wasserversorgungs- unternehmens, seine vierte Amtszeit als Bürgermeister der Gemeinde Otok an, zu der auch Komletinci gehört. Sein Büro antwortete nicht auf Fragen per E-Mail, wie lange die Gemeinde von der erhöhten Arsenkonzentration gewusst habe und was getan werde, um das Wasser zu säubern. Auch vom lokalen Wasserversorgungsunternehmen wollte niemand eine Erklärung abgeben. Die Untersuchung deckte auf, dass Komletinci nur eine von vielen Gemeinden am Rande des Balkans ist, in denen arsenverseuchtes Wasser über dem zulässigen Grenzwert aus den Leitungen strömt. Die Studie ergab, dass 923.000 Menschen eines großen Flachlands, das sich über den Osten Kroatiens, den Norden Serbiens und den Süden Ungarns erstreckt, dem krebserregenden Wasser aus den öffentlichen Netzen ausgesetzt sind.

In Westrumänien könnten tausende weitere Menschen, die Wasser aus ihren eigenen Brunnen beziehen, ebenso gefährdet sein. Alle vier Länder schreiben den Höchstwert für Arsen mit 10 Mikrogramm pro Liter (µg/l) fest. Dies entspricht dem von der WHO empfohlenen Grenzwert laut EU-Recht, der auch von vielen Nicht-EU-Ländern, darunter Serbien, übernommen wurde.

Wir stießen jedoch auf Dutzende Städte und Dörfer, in denen die Arsenkonzentrationen im Wasser trotz staatlicher Zusagen, es reinigen zu lassen, diesen Wert verschwindend klein erscheinen lassen. In der serbischen Stadt Novi Bečej überschritten die Messwerte das gesetzlich zulässige Limit um ein 27-faches. Serbiens autonome Provinz Vojvodina hat bei Weitem das größte Problem. Hier sind über 630.000 Menschen auf krebserregendes Leitungswasser angewiesen. Ungefähr 173.000 Menschen in Kroatien und 100.000 in Ungarn sind Arsenkonzentrationen ausgesetzt, die über dem Grenzwert liegen. Vom Versäumnis, die Bevölkerung über die Risiken zu informieren, bis hin zu vertanen Chancen, das Wasserproblem in den Griff zu bekommen: Die Untersuchung deckt das Versagen der Behörden auf, die öffentliche Gesundheit zu schützen und europäische Zielvorgaben zu erreichen – in Volkswirtschaften, in denen unbedenkliches Wasser noch immer Luxus ist.

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Krise in der Vojvodina

Vor fünf Millionen Jahren bedeckte ein Flachmeer das Pannonische Becken, das sich über Teile des heutigen Kroatien, Serbien, Ungarn und Rumänien erstreckt. Nachdem das Meer ausgetrocknet war, blieben Ablagerungen von mehreren Kilometern Dicke zurück. Die Erschließung des Trinkwassers erfolgt heute in der gesamten Region mittels Tiefbohrungen in dieses Sediment, das infolge der Zersetzung von Mineralien und Erzen reich an anorganischem Arsen ist.

Im Gegensatz zu organischem Arsen, das sich häufig in Fischen findet, zeigen Forschungsergebnisse, dass die anorganische Form im Laufe der Zeit durch Akkumulation im Körper tödliche Folgen haben kann. Über Jahrzehnte weltweit durchgeführte Studien konnten einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von arsenhaltigem Trinkwasser und dem Auftreten von Blasen-, Nieren-, Leber- und Lungenkrebs nachweisen. Toxikologen zufolge werde auch das Herz-Kreislauf-System geschädigt.

„Natürlich sollten die Leute beunruhigt sein, weil Arsen eine langfristige Wirkung hat.“

 Gergely Simon, Toxikologe von Greenpeace
 

Über die Auswirkungen von Arsen auf die Gesundheit der Menschen in der serbischen Provinz Vojvodina, die im Pannonischen Becken nördlich der Donau liegt, gibt es keine spezifischen Forschungen. Auch für den Osten Kroatiens liegen keine Studien vor. Eine in Ungarn, Rumänien und der Slowakei im Rahmen des EU-Programms „Arsenic Health Risk Assessment and Molecular Epidemiology“ (Abschätzung von Gesundheitsrisiken durch Arsen und molekulare Epidemiologie) unter der Leitung der Londoner Hochschule für Hygiene und Tropenmedizin durchgeführte Studie aus dem Jahr 2012 fand konkrete Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen einer langfristigen, geringen Aufnahme von Arsen über das Trinkwasser und der häufigsten Form von Hautkrebserkrankungen, dem Basalzellkarzinom. Das galt sogar bei Werten, die nur geringfügig über dem zulässigen Höchstwert von 10 µg/l lagen. In lokalen Medien in Ungarn wurde seither berichtet, dass jährlich 300 Todesfälle im Land auf eine Langzeitbelastung durch arsenverseuchtes Trinkwasser zurückzuführen sind. In den Berichten wurden Forschungen des Staatlichen Volksgesundheits- und Amtsärztediensts Ungarns (ANTSZ) zitiert.

Martha Varga, Leiterin der Wasserabteilung des Instituts für öffentliche Gesundheit, das zum ANTSZ gehört, wollte die Zahlen nicht bestätigen. Aber Gergely Simon, ein Toxikologe der Umweltgruppe Greenpeace in Budapest, meinte, dass es Anlass zur Besorgnis gäbe. „Natürlich sollten die Leute beunruhigt sein, weil Arsen eine langfristige Wirkung hat. Gewiss wird es aufgrund der Arsenbelastung noch zu vielen Todesfällen kommen.“

In Serbien war es mithilfe von Daten möglich, die unter Berufung auf die Informationsfreiheit aus 41 Anfragen an lokale Wasserwerke und Ämter für öffentliche Gesundheit gewonnen wurden, in der gesamten Provinz Vojvodina Arsenwerte von mehr als 10 µg/l abbilden. Die Daten wurden zwischen Jänner und Oktober 2017 erhoben. Die Untersuchung ergab, dass sich 95 Städte, Ortschaften und Dörfer in der Vojvodina — mit insgesamt 630.000 Einwohnern— in der Gefahrenzone befinden. Sie alle werden von Wasserwerken versorgt, die nicht über die nötige Technologie verfügen, Arsen aus dem Grundwasser zu filtern.

In Novi Sad, der Hauptstadt der Vojvodina und Serbiens zweitgrößter Stadt, kann das Wasser bedenkenlos getrunken werden. Die 77.000 Einwohner zählende Stadt Zrenjanin im Zentrum der Region zählt jedoch zu den schlimmsten Hotspots. Letztes Jahr erreichten die Arsenwerte dort bis zu 194 µg/l. Subotica, eine Stadt mit 106.000 Einwohnern nahe der ungarischen Grenze, verzeichnet stellenweise Werte von bis zu 99 µg/l, auch wenn laut Angaben des lokalen Gesundheitsamts 80 Prozent der Einwohner dank einer 1991 errichteten Kläranlage über sauberes Wasser verfügen. Die Wassersicherheitsbehörde der Provinz Vojvodina beantwortete keine Fragen darüber, welche Behörden das Trinken von Leitungswasser verboten bzw. nicht verboten haben. Die alarmierendsten Ergebnisse stammten aus der Stadt Novi Bečej im Zentrum der Vojvodina, wo 13.100 Menschen auf Wasser angewiesen sind, das einen Arsengehalt von bis zu 273 µg/l aufweist.

Obwohl dies mehr als dem 27-fachen des zulässigen Grenzwerts entspricht, wurde von offizieller Seite kein Trinkverbot für Leitungswasser ausgesprochen. „Das Wasser wurde vor zehn Jahren zu ‚technischem Wasser‘ erklärt“, sagte Bürgermeister Sasa Maksimović, was bedeutet, dass es nur für den industriellen Gebrauch geeignet ist. Doch nur wenige der interviewten Einwohner wussten, dass es gefährlich ist, das Wasser zu trinken, und auch die Webseite des lokalen Wasserversorgers Komunalac enthält keinen Hinweis auf irgendwelche Risiken. Auf Nachfragen reagierte Komunalac nicht. „Die meisten Menschen, sicherlich 90 Prozent, trinken Wasser aus der Leitung und das wird auch so bleiben, solange es kein offiziell ausgesprochenes Trinkverbot gibt“, meinte Nevena Subotić, Oppositionsmitglied im Parlament von Novi Bečej.

Nemanja Vasković, Eigentümer einer Bar und eines Restaurants am Ufer der Theiß in Novi Bečej, kauft abgefülltes Wasser für sich und seine Familie, aber nur, weil ihn die gelbe Farbe und der abstoßende Geruch des Leitungswassers anekeln. Manche Einheimische nennen es „Tümpelwasser“. „Ich weiß nicht, wie viel Arsen es enthält, aber ich weiß, dass dieses Wasser nicht in Ordnung ist“, so Vasković. Er gebe schätzungsweise mindestens 30 Euro im Monat für abgefülltes Wasser aus. Der durchschnittliche Nettomonatslohn in Novi Bečej betrug laut dem serbischen Statistikamt im vergangenen Jahr zirka 283 Euro. „Ich schätze, dass sich 75 Prozent der Menschen in Novi Bečej kein abgefülltes Wasser leisten können“, meinte Vasković.

Das Glas mit klarem Tafelwasser unterscheidet sich deutlich vom gelben Leitungswasser aus der serbischen Stadt Kikinda. Foto: © Nenad Mihajlović

Das Glas mit klarem Tafelwasser unterscheidet sich deutlich vom gelben Leitungswasser aus der serbischen Stadt Kikinda. Foto: © Nenad Mihajlović

Marode Infrastruktur

Veraltete Rohrleitungen verschlimmern die Wasserprobleme in Novi Bečej zusätzlich. Laut Bürgermeister Maksimović bestünden 60 Prozent der Rohre der Stadt aus Asbest, einer anderen bekannten krebserregenden Substanz. Andererseits seien die Rohre so alt, dass die Stadt bis zu 40 Prozent ihres Wassers aufgrund undichter Stellen verliere, sagte er. „Seitens der lokalen Behörden versucht man, Lösungen zu finden, aber momentan verfügen wir nicht über die Kapazität, um eine Kläranlage zu bauen, und unsere oberste Priorität gilt der Sanierung der Leitungen“, erzählte er im August. Maksimović schätzte, dass neue Leitungen zwei bis drei Millionen Euro kosten würden. Anfang Februar 2018 erhielt Novi Bečej von der Abteilung für Investitionen des Parlaments der Provinz Vojvodina einen Zuschuss von 967.000 Euro für den Bau einer Kläranlage. Maksimović gab gegenüber lokalen Medien an, dass die erste von drei Bauphasen im Frühjahr 2019 beendet sein werde, sagte jedoch nicht, wann die Anlage fertiggestellt sein würde.

Der Preis für sauberes Wasser

Projekte, mit denen Arsen aus dem Grundwasser gespült werden soll, sind ein Segen für die öffentliche Gesundheit, zehren aber an den öffentlichen Finanzen. Lokale Behörden geben die Kosten für die Aufbereitung des Trinkwassers üblicherweise in Form von höheren Monatsrechnungen an die Verbraucher weiter, wodurch manche Menschen mit ihrem Leben spielen würden, wenn sie sich aus ihren eigenen Brunnen versorgen, meinen Gesundheitsexperten.

Laut dem Toxikologen Gergely Simon von Greenpeace sei genau das in ländlichen Gebieten Ungarns geschehen, nachdem Aufbereitungsprogramme die Gebühren der öffentlichen Versorgung nach oben trieben. „Die Brunnen sind nicht registriert und da das Grundwasser im Zentrum, dem Süden und Norden [Ungarns] mit Arsen belastet ist, trinken die Menschen arsenhaltiges Wasser“, sagte er. In der serbischen Provinz Vojvodina warten die Einwohner der Stadt Zrenjanin ab, was mit ihrer Wasserrechnung passieren wird, sobald die neu errichtete Kläranlage ihren Betrieb aufnimmt.

Gemäß einem auf der Webseite des lokalen Wasserwerks veröffentlichten Vertrag zwischen der Stadt und dem italienischen Unternehmen, das die Anlage errichtete, werden sich die aktuellen Kosten infolge der Aufbereitung um 0,28 Euro pro Kubikmeter Wasser erhöhen. Während Konsumenten die Hauptlast dieser zusätzlichen Kosten tragen werden, meinte der Bürgermeister von Zrenjanin Čedomir Janjić im Jänner, dass die Wasserrechnung nicht höher sein werde als in Belgrad oder Novi Sad, der Hauptstad der Vojvodina. Laut dem serbischen Statistikamt betrug der durchschnittliche Monatslohn in Zrenjanin vergangenes Jahr 371 Euro. In Novi Sad waren es 458 Euro und in Belgrad 501 Euro.

Die Stadt Kikinda, nahe der rumänischen Grenze im Westen der Vojvodina gelegen, ist im Winter ein beliebtes Ziel für Touristen. Sie kommen hierher, um Waldohreulen zu fotografieren, die in den entlang der breiten Alleen von Kikinda wachsenden Zürgelbäumen und Kiefern nisten. Viele sind beim Anblick des Leitungswassers schockiert.

„Das Wasser ist dunkel und riecht nach Scheiße und Ammoniak“, erzählte Jelena Terzin (39), eine ehemalige Journalistin, deren Büro sich im selben Gebäude wie das größte Hotel der Stadt befand. „Touristen wollen wissen, ob es unbedenklich sei, sich mit dem Wasser das Gesicht zu waschen oder die Zähne zu putzen.“ Die Arsenwerte in der knapp 40.000 Einwohner zählenden Stadt betrugen 2016 mehr als das Zweifache des zulässigen Grenzwerts. Das geht aus den jüngsten zur Verfügung stehenden Daten hervor. Die Behörden haben zwar kein Trinkverbot erlassen, aber eine sogenannte Öko-Leitung im Zentrum der Stadt installiert, um es den Bewohnern zu ermöglichen, Wasserflaschen mit sauberem Wasser zu füllen.

„In jedem einzelnen Bericht über hygienisch nicht einwandfreies Wasser sagt diese Behörde unmissverständlich, dass das Wasser hygienisch nicht einwandfrei ist“, erklärte Sanja Brusin Belos, Leiterin für Hygiene und Humanökologie am Amt für Gesundheitswesen in Kikinda. Letzten Mai unterzeichnete die Stadt mit der deutschen staatlichen Entwicklungsbank KfW einen Vertrag über ein Darlehen von sechs Millionen Euro für den Bau einer Kläranlage, die 2019 ihren Betrieb aufnehmen soll. Aus dem Büro des Bürgermeisters wurden keine Fragen bezüglich Kikindas Wasserversorgung oder Einzelheiten zur neuen Anlage beantwortet.

In der Vojvodina gibt es nur sehr wenige Projekte wie die Anlage in Kikinda, die sich des Arsenproblems annehmen. Vertreter der Provinzregierung, darunter auch der Sekretär für Land-, Wasser- und Forstwirtschaft Vuk Radojević, lehnten Interviewanfragen ab und antworteten auch nicht auf Fragen per E-Mail. Diese bezogen sich unter anderem auf Investitionen der Provinzregierung in die Wasseraufbereitung.

Die Untersuchung zeigte, dass während der vergangenen fünf Jahre in der Vojvodina nur eine große Anlage gebaut wurde, die dafür ausgelegt ist, Arsen zu filtern. Diese Anlage steht in Zrenjanin. Verzögerungen begleiteten das gemeinsame Projekt zweier Wasseraufbereitungsunternehmen – Zillo aus Italien und Synertech aus Serbien. Die Fertigstellung der Anlage war für Ende 2015 geplant gewesen. Die Arbeiten kamen zum Stillstand, als die Stadt die Übernahme der Aufbereitungskosten von 5,6 Millionen Euro für die nächsten drei Jahre nicht garantieren wollte. Schließlich sprang die serbische Zentralregierung mit einer Garantie ein.

Synertech-Geschäftsführer und Projektkoordinator Nenad Obradović sagte im Jänner — fast sechs Monate nach Fertigstellung der Anlage —, dass die Hygienebehörde der Provinz noch die Genehmigung für die Inbetriebnahme erteilten müsste. Er fügte hinzu, dass Analysen zufolge das von der Anlage gelieferte Wasser absolut sauber war. Der Grund, warum es noch keine Genehmigung gebe, sei, dass Privatunternehmen die Versorgung der Öffentlichkeit mit Trinkwasser per Gesetz nicht gestattet ist. Bei einem Besuch in Zrenjanin Ende Jänner erklärte die serbische Premierministerin Ana Brnabić, dass die Stadt die Anlage von den privaten Bauträgern übernehmen müsste, um das Problem zu umgehen, auch wenn unklar war, wie lange dies dauern würde. In der 90 Kilometer entfernten Stadt Vršac im Nordosten der Region wurde im Jänner eine brandneue Kläranlage im Wert von sechs Millionen Euro fertiggestellt. Vršac hat aber gar kein Arsenproblem und die Anlage ist dafür ausgelegt, andere Probleme der Wasserversorgung zu lösen.

Im Oktober gab die Stadt Subotica im Norden des Landes bekannt, ein Darlehen über 5,5 Millionen Euro von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung für den Bau einer Wasseraufbereitungsanlage zur Beseitigung von Arsen bekommen zu haben. Laut lokalen Medien soll die Anlage im Oktober 2019 fertiggestellt sein.

Bozo Dalmacija, Inhaber des Lehrstuhls für chemische Technologie und Umweltschutz an der Universität Novi Sad, sieht eine Möglichkeit, das Wasserproblem in der Vojvodina zu lösen, darin, in jeder Gemeinde „Mikrosysteme“ kleiner Kläranlagen zu errichten. „Das würde bis zu 700 Millionen Euro für die gesamte Vojvodina kosten“, meinte er. „Wir können bei den EU-Verhandlungen über Kapitel 27 den Fokus auf die Wasserprobleme legen und uns um EU-Fördermittel bewerben.“ Serbien ist EU-Beitrittskandidat und Kapitel 27 befasst sich im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen mit Themen der Umwelt. Dazu zählt auch die Wasserqualität. Das Land hat bereits Zugriff auf EU-Heranführungsmittel, wobei 160 Millionen Euro für die Bekämpfung von Umweltproblemen bis 2020 bereitgestellt wurden.

EU-Fristen

Kroatien, das jüngste Mitglied der Europäischen Union, hat bis 2019 Zeit, die EU-Vorschriften bezüglich eines Arsengrenzwerts von 10 µg/l zu erfüllen. Die Untersuchungen belegen, dass das Land noch einen langen Weg vor sich hat. Aus den Daten des kroatischen Instituts für öffentliche Gesundheit geht hervor, dass 173.000 Menschen in 13 Ortschaften und Dörfern im Westen des Landes 2016 auf Wasservorräte angewiesen waren, deren Messwerte über dem gesetzlich zulässigen Grenzwert lagen. Zu den Arsen-Hotspots zählten die Ortschaften Ðakovo (28.000 Einwohner), Garešnica (11.600 Einwohner) und Čepin (11.300 Einwohner).

„Das Problem mit Arsen im Trinkwasser im Osten Kroatiens ist im Kontext der lokalen Wasserwerke zu verstehen“, schrieb ein Mitarbeiter des Instituts für öffentliche Gesundheit in einer E-Mail. „Die meisten dieser lokalen Unternehmen hatten Probleme mit hohen Arsenkonzentrationen, die nicht gelöst wurden, weil lokale Gemeinden üblicherweise über keine zusätzlichen Mittel verfügen, nicht einmal um minimale Systeminstandhaltungen durchzuführen, geschweige denn für den Bau von Wasseraufbereitungsanlagen.“ Für den Zeitraum von 2007 bis 2020 wurden Kroatien laut einem Sprecher der Europäischen Kommission 225 Millionen Euro an EU-Zuschüssen für Trinkwasserprojekte zugesprochen. Trotz dieser Beihilfen sind die Gemeinden gemäß Angaben des Instituts für öffentliche Gesundheit nicht in der Lage, die regelmäßige Instandhaltung der Wasserversorgung, geschweige denn den Bau neuer Kläranlagen, zu finanzieren.

Mehr Schaden als Nutzen?

2014 versammelten sich die Bürgermeister von 25 Dörfern im Süden Ungarns in der malerischen, 30 Kilometer von der serbischen Grenze entfernten Ortschaft Baja, um gemeinsam um EU-Fördergelder zur Reinigung des Wassers anzusuchen. Drei Jahre später sind 20 Millionen Euro an EU-Geldern in den Bau einer Wasseraufbereitungsanlage in Baja geflossen, die die 25 Gemeinden versorgt. Einheimische behaupten jedoch, das Projekt habe mehr geschadet als genutzt. Die brandneue, 2016 fertiggestellte Anlage pumpe zwar sauberes Trinkwasser, veraltete Leitungen in den Haushalten würden aber die Qualität des Wassers eher verschlechtern.

„Die Rohre sind 35 bis 50 Jahre alt“, erklärt Miklos Varhalmi, ein pensionierter Ingenieur aus Baja, der einen Doktortitel im Bereich nationale Sicherheit hat. Er war einer der ersten, die die Wirksamkeit des Projekts infrage stellten. „Da die Leitungen innen nicht gereinigt wurden, spülte das neue sauerstoffreiche Wasser nun den ganzen Dreck aus den Rohren. In verschiedenen Teilen der Stadt ist das Wasser jetzt bläulich, braun und gelb.“ Die Einwohner seien laut Varhalmi gezwungen, abgefülltes Wasser zu kaufen, was bei drei Litern pro Tag im Monat etwa 30 Euro kosten würde. Das monatliche Durchschnittsgehalt nach Steuern lag laut Angaben des ungarischen statistischen Zentralamts letztes Jahr bei etwa 651 Euro. Varhalmi will eine Sammelklage mit einem Streitwert von mehr als 16,5 Millionen Euro einbringen. Dies entspreche jener Summe, die von den Einwohnern für abgefülltes Wasser ausgegeben wurde, seit infolge des Projekts Verunreinigungen aus den Leitungen gespült werden. Sowohl der Bürgermeister von Baja als auch der Geschäftsführer des lokalen Wasserwerks lehnten Interviewanfragen ab.

Das Nachbarland Ungarn hat die von der EU festgelegten Fristen, die Arsenbelastung unter den zulässigen Grenzwert zu senken, zwei Mal – 2009 und 2012 – verfehlt. Martha Varga, Leiterin der Wasserabteilung am Gesundheitsinstitut in Budapest, ist jedoch der Ansicht, dass dank eines nationalen Programms zur Verbesserung der Wasserqualität massive Fortschritte erzielt worden wären. In Ungarn, einem Land mit zehn Millionen Einwohnern, würden zirka 100.000 Menschen in 30 Gemeinden auf Wasser angewiesen sein, dessen Arsengehalt den zulässigen Grenzwert überschreitet, sagte sie. Im Vergleich dazu waren es vor dem Beitritt Ungarns zur EU 2004 beinah eine halbe Million. „Die meisten [dieser Werte] liegen unter 20 [µg/l], manche bei höchstens 20-40 [µg/l]“, sagte sie. „Aber niemand ist gezwungen, arsenbelastetes Wasser zu trinken, weil es in jeder Gemeinde eine alternative Wasserversorgung gibt. Wir machen laufend Informationskampagnen.“

Aufgrund fehlender Daten konnten wir keine Messwerte für Arsen für spezifische ungarische Gemeinden abbilden. Entsprechende Nachfragen an das Innenministerium und die Generaldirektion für Wasserwirtschaft blieben unbeantwortet, darunter auch die Frage, wie viele Kläranlagen mit EU-Mitteln gebaut wurden. Laut Angaben eines Sprechers der Europäischen Kommission stehen Ungarn 663 Millionen Euro an EU-Zuschüssen für Trinkwasserprojekte für den Zeitraum von 2000 bis 2020 zur Verfügung.

In Rumänien ergaben Forschungen Mitte der 1990er-Jahre, dass zirka 45.000 Menschen Arsenbelastungen von über 10 µg/l ausgesetzt waren. Călin Baciu, Professor an der Fakultät für Umweltwissenschaft und -Ingenieurwesen der Babeş-Bolyai-Universität in der Stadt Cluj-Napoca im Nordwesten des Landes, war an der Forschung beteiligt. Er sagte, er kenne heute keinen Ort, wo das Trinkwasser hohe Arsenkonzentrationen aufweise. „Wasser mit hoher Arsenkonzentration kommt aus dem Grundwasserleiter in mittlerer Tiefe (300–400 Meter), der von artesischen Brunnen genutzt wird, die jedoch nicht an das Verteilernetz angeschlossen sind“, schrieb er in einer E-Mail. Zurück über der serbischen Grenze in der Vojvodina: Das Versagen der Provinz, das Wasser zu reinigen, hinterlässt einen bitteren Beigeschmack. In Novi Bečej meinen manche Menschen scherzhaft, dass das örtliche Wasserwerk sich mehr um die Blumen der Stadt kümmere als um seine Einwohner.

„Es ist ein Teufelskreis und wir warten alle auf die rettende Lösung.”

  Nevena Subotić, eine Politikerin aus Novi Bečej
 

Als vergangenen August eine Hitzewelle namens Luzifer über Europa hereinbrach und Novi Bečej mit den heißesten Temperaturen seit 130 Jahren zu kämpfen hatte, bewahrten Angestellte des Werks die Petunien entlang der Hauptpromenade gewissenhaft durch tägliches Gießen vor dem Vertrocknen. „Allen sind die Hände gebunden“, meinte Nevena Subotić, Oppositionsmitglied im Parlament, die der Regierung vorwarf, kein Trinkverbot für Leitungswasser erlassen zu haben. „Die Bürger können sich kein Wasser kaufen und keine der Kommunalverwaltungen kann den Bau von teuren Anlagen alleine finanzieren. Es ist ein Teufelskreis und wir warten alle auf die rettende Lösung.“

Original auf Englisch. Erstmals publiziert am 20. März 2018 auf Balkaninsight.com.
Aus dem Englischen von Barbara Maya.


Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt: © Miloš Stanić. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt.
Titelbild: Jelena Terzin aus der serbischen Stadt Kikinda füllt ihr Glas mit gelblichem Wasser. Foto: © Nenad Mihajlović



Dieser Artikel entstand im Rahmen des Balkan Fellowship for Journalistic Excellence, unterstützt von der ERSTE Stiftung und den Open Society Foundations in Kooperation mit dem Balkan Investigative Reporting Network.

“Wir haben noch einen langen Weg vor uns.”

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