06. Juni 2019
Erstmals veröffentlicht
11. Februar 2019
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Wiederverwertbare Abfälle sind Kosovos wichtigste Exportprodukte – eine 40-Millionen-Euro-Industrie auf dem Rücken ausgebeuteter Minderheiten und Kinder.
Die zwölfjährige Resmije ist zu klein, um in den Müllcontainer greifen zu können. Deshalb klettert sie an der Seite hinauf und springt hinein. Sie reißt Säcke mit Haushaltsmüll und faulenden Essensresten auf und sammelt alles ein, was von Wert sein könnte: Plastikflaschen, Getränkedosen, Elektrokabel. Die gesamte Ausbeute landet in einem Holzkarren, den ihr Onkel vor sich herschiebt. Die beiden sind seit Tagesanbruch auf den Straßen von Fushë Kosova/Kosovo Polje unterwegs, um im Müll anderer Leute zu wühlen. Die südlich von Pristina gelegene Stadt gilt als Zentrum der Recyclingindustrie des Kosovo. „Pro Tag kann ich sechs bis sieben Euro verdienen“, sagt Resmije und strahlt vor Stolz. Das Mädchen mit dem zerzausten schwarzen Pagenkopf trägt ein pink-graues Shirt, auf dem „Love Fashion“ steht.
Ein paar Euro sind alles, was Tausende informelle Arbeitskräfte eines im Kosovo florierenden Wirtschaftszweigs dafür erwarten können, dass sie den ganzen Tag lang Mülltonnen oder -deponien nach wiederverwertbaren Resten durchsuchen. Sie verkaufen das Metall, Plastik, Nylon oder Papier, das sie finden, an Zwischenhändler an den Sammelstellen der Umgebung, wo die Altstoffe sortiert und dann an Exportfirmen weiterverkauft werden. Im Kosovo gibt es kein öffentliches Recyclingsystem. Was aus den Mülltonnen gewonnen wird, findet Verwendung in Produkten auf der ganzen Welt: synthetische Stoffe für Bekleidung, Plastikbänder für Versandkartons, Stahlstäbe zur Bewehrung von Beton und vieles mehr. Von Polyethylen über Gusseisen bis hin zu Stahllegierungen ist alles gefragt. Wiederverwertbare Stoffe sind mit einem durchschnittlichen Wert von über 40 Millionen Euro pro Jahr die wichtigsten Exportprodukte des Kosovo, wie aus den dem Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) vorliegenden Daten der Zollbehörden hervorgeht. Es handelt sich um eine Industrie, die auf dem Rücken bitterarmer Gesellschaftsgruppen – vor allem marginalisierter Minderheiten wie der Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter [RAE – Roma, Ashkali, Egypt] – aufgebaut ist.
Diskriminierung, Analphabetismus, Arbeitslosigkeit und geringe soziale Sicherheit bedeuten, dass die Müllsammler kaum eine andere Wahl haben, als diese schmutzige und gefährliche Arbeit zu verrichten. Und wie Resmije sind viele von ihnen Kinder, die gezwungen sind, die Schule abzubrechen. Für Elizabeth Gowing, Leiterin der Ideas Partnership, einer Gruppierung in Pristina, die sich für Minderheitenrechte einsetzt, ist der Handel mit Altstoffen ein Teufelskreis, der ganze Generationen gefangen hält. „Die ungebildeten Eltern wühlen im Müll, um sich durchzuschlagen, während ihre Kinder keine Ausbildung bekommen, weshalb ihnen dasselbe Schicksal droht“, so Gowing.
Hilmi Jashari, ein unabhängiger Ombudsmann für den Kosovo, meinte, die prekäre Lage der Müllkinder stelle ein ernstes Menschenrechtsproblem dar. „Sie leben unter unzumutbaren physischen, sozialen und psychischen Bedingungen“, erklärte er BIRN. „Sie gehen nicht zur Schule und sind häufig verschiedenen Formen der Gewalt, des Missbrauchs und der Ausbeutung ausgesetzt.“ „Die zuständigen Behörden des Kosovo müssten mehr tun, um dieses Problem in den Griff zu bekommen“, fügte er hinzu.
Berufsrisiken
Als der Morgen über den baufälligen Häusern des RAE-Viertels im Zentrum von Fushë Kosova/Kosovo Polje dämmert, setzt sich der tägliche Tross in Bewegung. Männer, Frauen, Buben und Mädchen machen sich mit leeren Säcken ausgerüstet auf den Weg. Manche schieben Schubkarren vor sich her oder ziehen klapprige Leiterwägen nach. Einige sind mit Fahrradanhängern unterwegs oder tuckern auf Minitraktoren dahin. Sie steuern Orte an, die eine reiche Ausbeute versprechen. Mülltonnen in der Nähe von großen Wohnblocks in Pristina, sechs Kilometer nördlich, sind am besten. Zu den begehrtesten Funden zählen Kupfer, Aluminium und Batterien. Vahide Dibrani fährt mit ihrem Mann auf einem Traktor, während ihr achtjähriger Sohn zu Hause auf seine beiden jüngeren Geschwister aufpasst. Es gibt gute und schlechte Tage. An diesem Tag besteht die Ausbeute aus aufgeweichten Teppichen und einer Plastikbabypuppe. „Wenn du einen dieser großen Säcke füllen kannst, bekommst du fünf oder sechs Euro“, erzählte sie. „Was kannst du damit anfangen?“
Neulich hatte Dibrani einen Unfall – sie zog sich eine Beule auf dem Kopf zu. Sie habe sich so weit in einen Container gebeugt, um an die Flaschen und Nylonstrumpfhosen zu kommen, dass sie hineingefallen sei, erzählte sie. Solche Risiken gehören dazu. Mustafa Bajrami, ein Mann Mitte Fünfzig mit graumeliertem Bart, der seit 30 Jahren Altstoffe sammelt, zeigte stolz auf eine Narbe an seiner rechten Hand. Er hatte sie sich beim Herumwühlen im Müll auf der Suche nach Coladosen zugezogen. Eine Glasscherbe hatte sich in das Fleisch unter seinem Daumenballen gebohrt. Er verband die Wunde mit ein paar Fetzen. Zurück blieb eine Narbe in Form eines zu einem Grinsen verzogenen Mundes. Das sind aber nur die kleinen Schrammen. Letztes Jahr starb Elbasan Isufi, ein 24-jähriger Müllsammler, infolge eines Zusammenstoßes mit einem Bulldozer. Den lokalen Medien war zu entnehmen, dass er unbefugt eine Mülldeponie im Osten des Kosovo betreten hatte. In Fushë Kosova/Kosovo Polje wurde ein siebenjähriger Rom namens Driton Jashari 2014 beim Sammeln von Dosen von einem Hund totgebissen. Jenseits der Grenze in Albanien berichten Nachrichtenseiten von ähnlichen Tragödien. Im Juli wurden Dashamir Jahja (22) und Drilon Lamaj (27) von einer einstürzenden Mauer erschlagen, als sie in einer ehemaligen Superphosphatfabrik in Laç im Nordwesten Albaniens Altmetall sammelten. Ein Jahr zuvor begrub ein Bagger den 17-jährigen Ardit Gjoklaj auf der Mülldeponie Sharra in Tirana unter sich.
Nicht zu vergessen sind die Krankheitsrisiken. „Wenn du den ganzen Tag im Müll arbeitest, wirst du unweigerlich krank“, meinte Driton Kovaqi, ein Müllsammler aus Podujeva/Besiana im Nordosten des Kosovo. Einmal im Monat unterbreche er seine Arbeit auf diversen Müllhalden auf der Suche nach Kleidung und Möbeln, um sich im Krankenhaus einer Bluttransfusion zur Behandlung seiner Gelbsucht zu unterziehen, erzählte er. Die meisten Müllsammler arbeiten stundenlang ohne Handschuhe, Gesichtsmasken oder Schutzkleidung und kommen dabei mit allem Möglichen in Kontakt, von dreckigen Windeln über rostiges Eisen bis hin zu verdorbenem Fleisch. Dile Rrusta, eine in Drenas im Zentrum des Kosovo praktizierende Ärztin mit einem besonderen Interesse an öffentlicher Gesundheit, erklärte, dass Müllsammler Infektionen wie Magen-Darm-Erkrankungen, Typhus, Salmonellen und Cholera riskieren würden. „Mülltonnen werden von Insekten bevölkert, die sich von den Abfällen ernähren und in der näheren Umgebung Infektionen verbreiten“, so Rrusta. „Sie legen sogar ihre Larven dort ab.“
Experten zufolge seien nicht nur die Sammler Gefahren ausgesetzt. Auch ihre Familien sind gefährdet, besonders in armen Gemeinden, in denen viele Häuser nur eingeschränkt über fließend Wasser verfügen. „Etwa ein Drittel der Roma-Frauen bringt ihre Kinder zu Hause zur Welt“, meinte Gowing von der Ideas Partnership. „Stellen Sie sich also einen Mann vor, der gerade aus einem [Müll-]Container geklettert ist und seine Frau, die neben ihm ein Baby zur Welt bringt, in einem kleinen Haus, in dem sich alles auf engstem Raum abspielt. Kein Wunder, wenn es da zu Infektionen kommt.“ Das Ministerium für Arbeit und Sozialen Wohlstand reagierte nicht auf Interviewanfragen und beantwortete auch keine per E-Mail geschickten Fragen zu den Arbeitsbedingungen der Müllsammler.
Den Launen der Betreiber ausgeliefert
Auf einem unbebauten, von einer Betonmauer umgebenen Grundstück mitten im RAE-Viertel von Fushë Kosova/Kosovo Polje waren Müllsammler gerade dabei, ihre Tagesausbeute für ein paar Euro oder Cent zu verkaufen. Ein Händler tippte Zahlen in einen Taschenrechner mit großen rosa Tasten und kritzelte die Summen auf einen Notizblock. Ein anderer Mann bediente ein Gerät, mit dem Plastikflaschen zerdrückt wurden. Sammelstellen wie diese sind nicht konzessioniert – und daher illegal. Laut dem kosovarischen Abfallgesetz drohen Betreibern einer nicht konzessionierten Abfallentsorgungseinrichtung Strafen von bis zu 500.000 Euro. Keiner der an den Geschäften Beteiligten wollte einen Kommentar abgeben. Von den Müllsammlern auf der Straße war jedoch zu erfahren, dass ein Kilogramm Eisen normalerweise 16 Cent einbringt. Für dieselbe Menge an Kunststoff bekomme man 12 Cent. Dosen seien vier Cent pro Kilogramm wert. Die unlizenzierten Sammelstellen in und rund um Fushë Kosova/Kosovo Polje sind den Müllsammlern zufolge die einzigen im Land, die von Angehörigen der RAE-Gemeinschaft betrieben werden. Die Minderheit der Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter macht gemäß einer Volkszählung aus dem Jahr 2011 zwei Prozent der kosovarischen Bevölkerung aus – schätzungsweise 36.000 Menschen.
Wie eine vom Entwicklungsprogramm der UNO (UNDP) vergangenes Jahr erstellte Erhebung marginalisierter Roma-Gemeinschaften zeigt, sind 78 Prozent der Roma weder in formaler Beschäftigung, noch in Bildung oder Ausbildung. Demgegenüber stehen 47 Prozent Nicht-Roma. Bei jungen Roma-Frauen sind es sogar 88 Prozent. Indes haben nur zehn Prozent der Roma über 16 Jahre Zugang zu einer Krankenversicherung. Den Daten des Ministeriums für Arbeit und Sozialen Wohlstand zufolge (Stand Mai 2018) erhielten rund 2.600 RAE-Familien abhängig von der Größe der Familie Sozialhilfeleistungen zwischen 60 und 180 Euro monatlich. All das bedeutet, dass viele RAE-Familien nicht oder nur unzureichend abgesichert sind, wodurch die informelle Arbeit im Handel mit Wertstoffen ihre einzige Überlebenschance bedeutet, meinen Menschenrechtsaktivisten. Auch wenn Kinder unter 15 keiner Erwerbsarbeit nachgehen dürfen, helfen viele von ihnen häufig mit.
Florierendes Geschäft
Ein Großteil des Abfalls – unabhängig davon, wie er gesammelt wurde – landet bei Exportfirmen, denen daran gelegen ist, aus dem florierenden internationalen Handel mit Wertstoffen – in erster Linie Metallen – Kapital zu schlagen. „Die Ausfuhr von unverarbeiteten Industriemetallen und mineralischen Stoffen, die größten Exportschlager des Kosovo, machte 2017 bis zu 55 Prozent aller Exporte aus“, erklärte der Leiter der Abteilung für Handelspolitik des Ministeriums für Handel und Industrie Zef Dedaj in einem Interview mit BIRN in Pristina. Dedaj räumte ein, dass ein Teil des exportierten Materials aus nicht registrierten Sammelstellen stammte, die mit einzelnen Müllsammlern Geschäfte machen. „Wir wissen, dass in den Gärten mancher Privathäuser Altmetall gesammelt wird“, sagte er.
Die von BIRN unter Berufung auf die Informationsfreiheit erlangten Zolldaten machten die Größenordnung der Abfallindustrie im Kosovo deutlich. Zwischen 2010 und 2017 exportierte das Land knapp 820.000 Tonnen an Altstoffen – hauptsächlich Metall und Kunststoff – im Wert von durchschnittlich etwa 43 Millionen Euro jährlich. Die größten Abnehmer der Altstoffe aus dem Kosovo sind Albanien, Mazedonien, Italien, Indien und die Türkei.
In den Daten der Zollbehörden waren die Exportunternehmen aufgrund der Bestimmungen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht namentlich aufgelistet. Eine von Preportr, einer Publikation des Kosovo Center for Investigative Journalism, veröffentlichte Untersuchung aus dem Jahr 2015 machte jedoch über 60 Firmen ausfindig, die in den Export von Wertstoffen involviert sind. Das größte Unternehmen ist Nderimi, das zwischen 2010 und 2015 Altstoffe im Wert von knapp 22 Millionen Euro exportierte, wie aus den von Preportr zitierten Zolldaten hervorgeht. Nderimi reagierte nicht auf Interviewanfragen seitens BIRN, ein Unternehmenssprecher bestätigte jedoch am Telefon, dass man Altmaterial sowohl von einzelnen Müllsammlern als auch von Sammelstellen kaufe. Der Webseite von Nderimi ist zu entnehmen, dass die Firma Wertstoffe an Kurum International, einen türkischen Hersteller von Stahl- und Eisenprodukten für die Bauindustrie mit Sitz in Albanien, verkauft. Kurum antwortete nicht auf Fragen oder Interviewanfragen bezüglich der Verwendung von Altstoffen aus dem Kosovo.
Überall auf dem Balkan sind Expertenmeinungen zufolge die Ärmsten der Armen im Handel mit Wertstoffen tätig, wobei die weitverbreitete Ausbeutung durch laxe Bestimmungen und Armut noch verstärkt wird. In Mazedonien haben Schätzungen einer kürzlich veröffentlichten Studie der Nichtregierungsorganisation Macedonia Without Waste ergeben, dass rund 80 Prozent aller wiederverwertbaren Abfälle durch die Hände von bis zu 5.000 informellen Sammlern von Kunststoff, Papier und anderen Materialien gehen. Der Kosovo spielt bei der Lieferung von Altstoffen an den internationalen Recyclingmarkt jedoch in einer eigenen Liga. Wie aus den Daten der albanischen Zollbehörden hervorgeht, exportierte der Kosovo vergangenes Jahr sechs Mal mehr Abfall als das Nachbarland Albanien – 108.000 Tonnen im Vergleich zu knapp 18.000 Tonnen.
Leben auf der Mülldeponie
Nicht jeder, der Kosovos Müllkippen durchkämmt, gehört einer marginalisierten Minderheit an.
Etwa ein Drittel der Bevölkerung des Kosovo lebt unterhalb der Armutsgrenze von weniger als einem Euro und 72 Cent pro Tag. Dies geht aus einer Statistik der Regierung aus dem Jahr 2016 (auf Albanisch) hervor. Manche sind auch auf Abfälle angewiesen, um über die Runden zu kommen. Etwa zehn Minuten außerhalb der Stadt Gjilan im Osten des Kosovo durchforsteten Dutzende Gestalten eine Mülldeponie, die so groß war wie zwei Fußballfelder. Es waren ethnische Albaner aus den nahegelegenen Ortschaften, erklärte Abdullah Haxhiu, Direktor der Kosovo Landfill Management Company, die die Deponie verwaltet.
Die Luft flimmerte in der Mittagssonne über einem Meer von Müll. Der Gestank war unerträglich. Hie und da ragten Schornsteine aus dem Dreck heraus. Durch sie kann das Methangas unter der Oberfläche nach oben entweichen, wodurch Explosionen verhindert werden. Unter den Müllsammlern, die durch das Gelände streiften, waren nur Männer und Buben, die sich durch die Löcher im Drahtzaun gezwängt und die Verbotsschilder ignoriert hatten. An einem Nachmittag zählte BIRN etwa 80 Personen, die die Mülldeponie durchkämmten. Als die Muldenkipper auftauchten und ihre Ladung entleerten, rangelten die Sammler darum, wer als Erster den neuen Müll durchsuchen durfte. Aus der Ferne sahen manche der Buben so klein aus, dass ihre Silhouetten im gleißenden Sonnenlicht, das sich im Glas und Metall widerspiegelte, nicht mehr auszumachen waren. Haxhiu erklärte, er habe wiederholt versucht, die Sammler fernzuhalten und auch die Polizei, das Umweltministerium und die lokalen Behörden um Hilfe gebeten – jedoch ohne Erfolg. „Nachdem die anderen Institutionen nicht tätig werden, müssen wir unseren Betrieb weiterführen, trotz der Gefahren [für die Menschen] auf der Mülldeponie Gjilan“, meinte er. Die Polizei von Gjilan erklärte BIRN, ihr lägen Akten über elf Fälle illegaler Aktivitäten auf der Deponie vor, wovon fünf strafrechtlich verfolgt werden.
“Keine Arbeit ist einfach, aber die hier ist am schlimmsten.”
Ismet Hashani, ein Polizeileutnant aus Gjilan, erklärte, dass lokale Beamte 200 Meter von der Deponie entfernt „eine Sammelstelle für verschiedene Arten von Abfall“ lokalisiert und der Stadtverwaltung darüber Bericht erstattet hätten, da diese „ohne gültige Dokumente betrieben wird“. „Dieselbe Abfallanlage betreffend haben Polizeieinheiten in Gjilan aufgrund des Gestanks durch den Abfall und auch, weil es kein schöner Anblick ist, viele Beschwerden von Anrainern erhalten“, sagte er. Vor dem Haupteingang der Deponie sah BIRN Müllsammler, die auf einem provisorischen Sortierplatz zugange waren. Andere aßen oder ruhten sich unter Zeltplanen aus. „Keine Arbeit ist einfach, aber die hier ist am schlimmsten“, meinte Salihu (54), während er die Ausbeute des Tages sortierte: Plastikflaschen, Pappteller, Stoffreste. Wie alle informellen Müllsammler auf der Deponie wollte auch er seinen vollen Namen nicht nennen. Manche hatten Angst vor Schikanen der Polizei. Andere machten sich Sorgen, stigmatisiert zu werden. „Ich treffe meine Freunde zum Kaffee, aber ich erzähle ihnen nicht, wo ich arbeite“, erzählte ein Teenager. Ein grüner Lastwagen tauchte auf und die Männer begannen, sorgfältig zusammengeschnürte Ballen mit Materialien zur Wiederverwertung aufzuladen. Geld wechselte den Besitzer und der Lastwagen fuhr davon.
Der Traum vieler Müllsammler ist es, ins Ausland zu ziehen, um dort ein neues Leben zu beginnen, weit weg vom widerlichen Gestank der Deponie. Aber dafür braucht man Geld – und die paar Euro, die sie beim Müllsammeln verdienen, reichen kaum für das tägliche Essen. „Genau dieser Mangel an grundlegender sozialer Sicherheit zwingt diese Menschen, tagtäglich auf die Mülldeponien zu gehen und ihr Leben bei dem Versuch zu riskieren, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen“, meinte die Anwältin Kika. „Wenn man zulässt, dass Müll unkontrolliert und unbeaufsichtigt gesammelt wird und keine präventiven Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Betroffenen gesetzt werden, dann stellt das meiner Meinung nach einen kontinuierlichen Verstoß gegen die Menschenrechte dar – sowie ein Versagen hinsichtlich des Schutzes und der Wahrung der Menschenrechte jener, die auf den Mülldeponien Altstoffe sammeln.“ Gowing von der Ideas Partnership meinte, dass die Menschen, die in der Abfallbranche schuften, dieselben Rechte und denselben Schutz bekommen sollten, wie jeder andere, der einen wichtigen öffentlichen Dienst leistet. „Tatsache ist, dass die informellen Beschäftigten in der Abfallverwertung uns Bürgerinnen und Bürgern einen Dienst erweisen, da es im Kosovo kein öffentliches Recyclingsystem gibt. Sie sind diejenigen, die aus Abfall wiederverwertbare Materialen gewinnen, damit daraus neue Produkte erzeugt werden können“, sagte sie.
Original auf Englisch. Erstmals publiziert am 11. Februar 2019 auf Balkaninsight.com.
Aus dem Englischen von Barbara Maya.
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt: © Leonida Molliqaj, bearbeitet von Timothy Large. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Ein Müllsammler kämpft sich durch eine Deponie im Osten des Kosovo. Foto: © Arben Llapashtica
Dieser Artikel entstand im Rahmen des Balkan Fellowship for Journalistic Excellence, unterstützt von der ERSTE Stiftung und den Open Society Foundations in Kooperation mit dem Balkan Investigative Reporting Network.