Die drittwichtigsten Wahlen 2019

Litauen vor den Wahlen zum Europäischen Parlament

In Litauen hält sich das Interesse an der EU-Wahl in Grenzen. Trotz des sprunghaften Anstiegs der Zahl der Kandidatinnen und Kandidaten und neuer EU-skeptischer Stimmen wird über die Wahl zum Europäischen Parlament weitaus weniger häufig berichtet als über die Kommunalwahlen im März und die Präsidentschaftswahlen am 12. Mai. Wäre dies anders, wenn die europäischen Institutionen grenzübergreifenden Themen wie der russischen Aggression und dem Bau eines Kernkraftwerks in Weißrussland, nicht weit von Vilnius, mehr Aufmerksamkeit widmen würden?

Waren bis vor Kurzem die Bürgermeister- und Gemeinderatswahlen der ersten Märzhälfte das zentrale Thema, so gilt das Interesse in Litauen nun den am 12. Mai, kurz vor den EU-Wahlen, stattfindenden Präsidentschaftswahlen. Die Ergebnisse der Kommunalwahlen stehen mittlerweile fest, und so konzentrieren sich nationale und regionale Medien auf die Präsidentschaftskandidatinnen und -kandidaten. Angesichts der Tatsache, dass Europawahlen in Litauen seit jeher weniger Bedeutung beigemessen wird als nationalen Wahlen, überrascht dies jedoch nicht.

Eine neue Basisdemokratie?

Ungeachtet der geringen nationalen Medienberichterstattung kandidieren 14 politische Parteien für die EU-Wahlen. Bei den etablierten, bisher angekündigten Kandidatinnen und Kandidaten gibt es keine Überraschungen und die meisten der größeren Parteien der Linken, Rechten und Mitte sind mehr oder weniger proeuropäisch. Erstmals durften jedoch öffentliche Wahlkomitees ihre eigenen Kandidatinnen und Kandidaten nominieren. Und so gibt es zusätzlich zu den „traditionellen“ Parteien diesmal auch eine Reihe eilig gegründeter quasipolitischer bzw. quasizivilgesellschaftlicher Gruppierungen, die den Einzug ins Europäische Parlament schaffen wollen. Es bleibt abzuwarten, ob dies letztendlich zur Einführung eines basisdemokratischen Elements beitragen oder ob dadurch lediglich den „Manchurian-Kandidaten“ ein alternativer Weg geebnet wird.

Auch wenn letzten Endes nur elf Sitze im Europaparlament an Litauen vergeben werden, wurden nicht weniger als acht dieser öffentlichen Komitees mit insgesamt 378 Kandidatinnen und Kandidaten registriert. 2014 sicherten sich die der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) angehörenden Parteien drei dieser Sitze, wobei zwei an die Liberale Bewegung gingen. Die größte Mitte-Rechts-Partei, die Vaterlandsunion (EVP-Fraktion), die Sozialdemokratische Partei (S&D) und die Partei für Ordnung und Gerechtigkeit (die der populistischen EU-skeptischen EFDD-Fraktion angehört) gewannen jeweils zwei Mandate.

Den Europawahlen in Litauen wird seit jeher weniger Bedeutung beigemessen als nationalen Wahlen.

Spannend wird es bei den anderen Mitbewerbern, die derzeit ein einziges Mandat haben: Kann der Bund der Bauern und Grünen Litauens nach einem überraschend schlechten Abschneiden bei den Kommunalwahlen wieder an Terrain gewinnen und den liberalkonservativen Konsens im Mai aus dem Gleichgewicht bringen? Indes bedient sich das größte Wahlkomitee (mit 141 Kandidatinnen und Kandidaten), eine Gruppe verschiedener bekannter EU-Skeptiker, eines Slogans, der an die Bürgerinnen und Bürger appelliert, „unseren Staat zurückzuholen“. Neben Kandidatinnen und Kandidaten, die die EU offen kritisieren, werden einige Wahlkomitees von Politikerinnen und Politikern angeführt, die in Ungnade gefallen sind, oder von Geschäftsleuten mit durchwachsenem Ruf, die wieder mehr Einfluss gewinnen möchten. Ex-Präsident Rolandas Paksas, der 2004 seines Amtes enthoben wurde, ist einer von mehreren Kandidaten, die wieder in die „große Politik“ zurückkehren wollen.

Ein bürokratischer Goliath, Kernkraft und Russland

Die Kritik an der EU-Politik und ihren Institutionen ist seit Kurzem stärker in den Vordergrund der litauischen Medien gerückt. Abgesehen von den Frustrationen über die schwerfällige europäische Bürokratie und die vermeintliche Schwächung nationaler Institutionen zeigt man sich besorgt angesichts der zögerlichen Haltung europäischer Institutionen gegenüber der Bedrohung durch Russland und des Mangels an Interesse, den vorschnellen Bau des Kernkraftwerks Ostrowez in Weißrussland, in der Nähe von Vilnius, zu stoppen. Während eine gewisse Ernüchterung gegenüber der EU (und der nationalen Politik) nicht zu übersehen ist, wäre es dennoch verfrüht, von Hoffnungslosigkeit zu sprechen.

Original auf Englisch. Erstmals publiziert am 3. April 2019 auf Eurozine.
Aus dem Englischen von Barbara Maya.


Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt: © Almantas Samalavičius / Eurozine. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Vilnius, Litauen. Foto: © iStock / bruev

Mood of the Union

Die Serie Mood of the Union sammelt Artikel zur Wahl zum Europäischen Parlament aus allen 28 EU-Mitgliedstaaten. Die Serie wird von der ERSTE Foundation und dem National Endowment for Democracy unterstützt.

In der Serie The Mood of the Union berichten Redakteure des Magazins Eurozine über die Lage in der gesamten Europäischen Union und diskutieren mit Journalisten und Analysten die Einstellungen zu den EU-Wahlen und über das, was auf nationaler Ebene auf dem Spiel steht. Ziel der Serie ist es, über die Berichterstattung nationaler Medien hinaus, einen detaillierteren Einblick in die Stimmung vor Ort zu liefern. Die Serie wird von Agnieszka Rosner kuratiert und vom mitwirkenden Redakteur Ben Tendler editiert.

“Vom Leben im Krieg für den Frieden lernen.”

“Proletarier aller Länder, wer wäscht eure Socken?”

“Zeit, Wachstum neu zu denken”

“Es sind die Eliten, die sich gegen die Demokratie wenden, nicht das Volk.”

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