Proeuropäische Haltung unerwünscht?

Ungarn vor den Wahlen zum Europäischen Parlament

Was das postfaktische Labor Ungarn hervorbringt, wird mit zunehmender Skepsis betrachtet. Mit ihrem EU-Wahlkampf trieb es Fidesz mit ihrer Euroskepsis so weit, dass sie sich eine Suspendierung der Mitgliedschaft in der Europäischen Volkspartei einhandelte. Die rigorose Medienkontrolle der Zentralregierung hat allerdings bislang eine realistische Darstellung der proeuropäischen Haltung der ungarischen Bevölkerung verhindert.

Etablierte politische Parteien haben bei EU-Wahlen oft Mühe, ihre Unterstützer zu mobilisieren. Die Fidesz-Regierung hat sich jedoch im diesjährigen Wahlkampf selbst übertroffen. Ziel ihrer Attacken waren EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und US-Investor George Soros. Das Volk wurde über die heimtückischen Pläne aus Brüssel „informiert“. Das dürfte nicht nur die ungarischen Wählerinnen und Wähler auf den Plan rufen, sondern hat natürlich auch bereits Europas politische Eliten mobilisiert – gegen Fidesz. Die langfristigen Bemühungen der Partei, die Spannungen zwischen den „europäischen Eliten“ und dem „ungarischen Volk“ zu verschärfen, stützen sich tatsächlich auf einige eklatante Konflikte. Allerdings scheint man die möglichen Folgen der Kampagne falsch eingeschätzt zu haben, nämlich die Suspendierung von Fidesz aus der Europäischen Volkspartei.

Im Gegensatz zu vielen westeuropäischen Ländern, in denen Politikerinnen und Politiker versuchen, auf der Welle der in der Wählerschaft bereits vorhandenen Euroskepsis zu reiten, hat Ministerpräsident Viktor Orbán versucht, in ruhigen Gewässern Wellen zu schlagen. Während seine Rhetorik das genaue Gegenteil suggeriert, ist das Vertrauen der Ungarinnen und Ungarn in die EU höher als im EU-Durchschnitt. Und während die euroskeptische Wählerschaft im Westen die proeuropäischen Eliten loswerden will, geht es der EU-feindlichen Elite in Ungarn darum, die Menschen von ihrer proeuropäisch Haltung abzubringen.

Im postfaktischen Labor

Die Mittel: aggressive Kampagnen einer riesigen, zunehmend zentralisierten, von der Zentralregierung unterstützten Maschinerie der Fake News und Verschwörungstheorien, die Ungarn zum alleinigen „postfaktischen Regime“ unter den Mitgliedstaaten machen. Hier betreffen die einzigen Neuigkeiten aus der EU die ankommenden „Migrationsschwärme“ und George Soros.

Dies hat sich bereits negativ auf die Haltung gegenüber der EU ausgewirkt. Orbán möchte das Image der EU aus dreierlei Gründen zerstören. Erstens hat er ein starkes Interesse daran, die europäische Integration zu stoppen. Denn je weiter dieser Prozess voranschreitet, desto schwieriger wird es, ein hybrides, auf nepotistischer Korruption basierendes Regime zu errichten und aufrechtzuerhalten. Zweitens sieht er in der EU einen politischen Gegner, der in Ungarn obendrein ziemlich populär ist. Drittens will Orbán die EU von innen heraus verändern. Zum Glück für die EU wird dies aus der politischen Peripherie zunehmend schwieriger – und genau dort steuert er hin.

Original auf Englisch. Erstmals publiziert am 23. April 2019 auf Eurozine.
Aus dem Englischen von Barbara Maya.


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Mood of the Union

Die Serie Mood of the Union sammelt Artikel zur Wahl zum Europäischen Parlament aus allen 28 EU-Mitgliedstaaten. Die Serie wird von der ERSTE Foundation und dem National Endowment for Democracy unterstützt.

In der Serie The Mood of the Union berichten Redakteure des Magazins Eurozine über die Lage in der gesamten Europäischen Union und diskutieren mit Journalisten und Analysten die Einstellungen zu den EU-Wahlen und über das, was auf nationaler Ebene auf dem Spiel steht. Ziel der Serie ist es, über die Berichterstattung nationaler Medien hinaus, einen detaillierteren Einblick in die Stimmung vor Ort zu liefern. Die Serie wird von Agnieszka Rosner kuratiert und vom mitwirkenden Redakteur Ben Tendler editiert.

“Vom Leben im Krieg für den Frieden lernen.”

“Proletarier aller Länder, wer wäscht eure Socken?”

“Zeit, Wachstum neu zu denken”

“Es sind die Eliten, die sich gegen die Demokratie wenden, nicht das Volk.”

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