Ran an den Speck
Kopf und Zahl - Osteuropa im digitalen Taschenformat
Reich werden als Politiker? Über die unheilvolle Verquickung von Wirtschaft und Politik in Ost- und Südosteuropa.
Sebastian Ghiţăs Gründe in sein Heimatland Rumänien zurückzukehren sind recht übersichtlich geworden. Serbien, wohin er im Dezember geflüchtet ist, hat ihm politisches Asyl zuerkannt. Einen Auslieferungsantrag des Bukarester Berufungsgerichts hat der Oberste Serbische Gerichtshof kürzlich zurückgewiesen. Ghiţă, der einstige Strippenzieher, der Regierungsberater, der mit 29 Jahren schon Multimillionär war, wird für ungewisse Zeit in Serbien bleiben.
Wie wenige andere steht Ghiţă für die Verquickung von Wirtschaft und Politik in Ost- und Südosteuropa, jene unheilvolle Verzahnung, die die eigenen Leute schützt und dabei das Allgemeinwohl außer Acht lässt. Ghiţă ist in der Privatwirtschaft, konkret: in der IT-Branche, reich geworden und hat sein Geld dann in Medien investiert, die streng getreu der Regierungslinie berichteten. Dann stellte er sein Tun als Parlamentarier ab 2012 zumindest in der Theorie in den Dienst des Volkes. In der Praxis ging es vor allem auch darum, den eigenen Reichtum abzusichern. Rund 130 Millionen Euro Vermögen besitzt Ghiţă. Ein rumänischer Parlamentarier verdient rund 1.200 Euro Grundgehalt.
Auch der zweitreichste Tscheche hat sein Geld nicht in der Politik gemacht. Andrej Babiš, als Diplomatenkind in Paris und Genf aufgewachsen, gründete 1993 das Unternehmen Agrofert, das er mit 250 nationalen und internationalen Beteiligungen zu einem der wichtigsten Konzerne des Landes aufbaute. Das größte Medienhaus Tschechiens, Mafra, gehört Babiš ebenso. Heute ist Babiš der Regierungschef des Landes – in das Amt durch seine eigene Partei ANO gebracht. Er werde, das war das dem Wahlkampf unterliegende Narrativ, das Land wie ein Unternehmen führen. In der Privatwirtschaft hat er sich schließlich bewiesen. Vergessen, dass Babiš im Mai 2017 als Finanzminister zurücktreten musste, da ihm Steuerhinterziehung und Beeinflussung der Medien vorgeworfen worden war. Vergessen, dass die EU-Antikorruptionsbehörde OLAF wegen Förderbetrug gegen ihn ermittelt. Sein Wellnesshotel Storchennest unweit von Prag hat zwei Millionen Euro Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen erhalten – eine KMU-Förderung für einen der größten Konzerne des Landes? Die Prager Staatsanwaltschaft hat die Immunität des Politikers aufgehoben. Im Juni 2018 wurde Babiš zu den Vorwürfen verhört.
Als jenseits des Gesetzes gilt indes der montenegrinische Präsident Milo Ðukanović. Er, der 1991 mit 29 Jahren von Slobodan Milošević in das Regierungsamt der damaligen serbischen Provinz gehievt wurde und sich später von seinem politischen Ziehvater lossagte – das brachte ihm die Gunst der westlichen Entscheider ein – hat den Großteil seines Berufslebens in der Politik verbracht. Außer einer 16monatigen Pause, die er als Abgeordneter im montenegrinischen Parlament absaß, regiert Ðukanović seit dem Ende Jugoslawiens den kleinen Küstenstaat als Premier oder Präsident – derzeit in letzterer Funktion. Der ungeschriebene erste Artikel der montenegrinischen Verfassung laute, dass die Macht immer da sei da, wo Ðukanović ist, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung anlässlich seines erneuten Wahlsiegs im April. Und auch das Geld scheint nicht weit. Auf 15 Millionen Euro wird Ðukanovićs Vermögen geschätzt. Sein Bruder indes soll mittlerweile mehr als 160 Millionen Euro besitzen, auch die Schwester hat Geld angehäuft, der Sohn soll 15.000 Euro an Mieteinnahmen monatlich erhalten – durch Wohnungen, die ihm der Onkel geschenkt haben soll, berichtet das internationale Kollektiv an Investigativreportern OCCRP. Ðukanović selbst gibt bei den Transparenz- und Vermögensberichten seinen Staatssalär in der Höhe von 1.700 Euro an.
Ghiţă, Babiš und Ðukanović haben in ihren Ländern unterschiedliche Rollen besetzt. Auch die Geschichte der Herkunftsstaaten ähnelt einander weniger, als man denken mag. Und trotzdem repräsentieren alle drei für einen Politikertypus, wie man ihn in den jüngeren EU-Mitgliedern, in den Anwärter-Staaten und auch in manch einem Altmitgliedsland häufiger antrifft. Wirtschaftlich bestens vernetzt und in einem undurchsichtig finanzierten Parteiensystem ins politische Amt gekommen, wird die politische Macht dazu genutzt, die Pfründe für sich und die eigene Klientel zuerst auszuweiten – dabei hilft der Zugang zu den Staatstöpfen – und dann durch den Einfluss oder durch die mit dem Amt einhergehende schützende Immunität zu sichern.
Ghiţăs Softwareunternehmen jedenfalls hatte öffentliche Aufträge im Wert von 74 Millionen Euro erhalten, bevor Ghiţă das Unternehmen an Verwandte weitergab und ins rumänische Parlament einzog. Mit ihm kamen 2012 neun weitere Neopolitiker ins Parlament, die als Geschäftsmänner öffentliche Aufträge im Umfang von 450 Millionen Euro eingesackt hatten. Das Bauunternehmen Teldrum, das über Hintermänner vom derzeitigen starken Mann Rumäniens, Liviu Dragnea, geleitet werden soll, hat alleine von 2011 bis 2015 Staatsaufträge in der Höhe von 200 Millionen Euro an Land gezogen.
In Rumänien kann der aufmerksame Beobachter derzeit erste Reihe fußfrei beobachten, wie eine politische Klasse, die mehr oder weniger geschlossen nach diesem Prinzip agiert hat, versucht, das System aufrecht zu erhalten, das sie und ihre Kinder nährt. Die Regierung demontiert den Rechtsstaat, um Ermittlungen der Antikorruptionsbeamten in den eigenen Reihen ein für alle Mal abzustellen. In Rumänien zeigt sich gleichsam, dass sich institutionelle Kontrolle alleine nicht durchsetzen kann. Im Land arbeitet mit der ANI einer eigenen autonomen Behörde, welche die Vermögen von Staatsdienern überprüft und gegen Interessenskonflikte vorgehen kann. Die EU hatte auf eine solche Behörde im Rahmen des Beitrittsprozesses gepocht, Rumänien hatte sie als erstes EU-Mitglied eingeführt. Seit die ANI schaltet, werden die Politikerfrauen und deren Kinder über Nacht reich, ätzt man in Bukarest.
Es war der EU-Beitritt der Rumänien zu entscheidenden Reformen des Justizwesens zwang und neue Institutionen gegen den Amtsfilz errichten ließ. Nicht alle haben sich als zahnlos erwiesen. Neben der ANI wurde etwa die Antikorruptionsstaatsanwaltschaft DNA installiert. Sie greift mittlerweile so energisch durch, dass das alte System eben erst ins Wanken geraten ist.
Auch Sebastian Ghiţă ist etwas dazwischengekommen, das in dieser Ausprägung im Handbuch zum Reichwerden der rumänischen Politkaste nicht vorgesehen war: Eine in Teilen immer noch unabhängige Staatsanwaltschaft, die nach dem Buch und nicht nach den Gepflogenheiten arbeitet. Als er im Dezember 2016 unter anderem wegen Geldwäscherei, Betrug, Einflussnahme angeklagt und mit einem Verbot, das Land zu verlassen, belegt wird, packt der Mann seine Sachen. Er entkommt der rumänischen Polizei auf einer Verfolgungsjagd zwischen Bukarest und seiner Heimatstadt Ploiești nördlich der Hauptstadt. Das letzte Mal gesehen hat man ihn in der Hauptstadt – auf einer Party des rumänischen Geheimdienstes SRI.
Dieser Text und die Infografiken sind unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht: CC BY-NC-ND 3.0. Der Name der Autorin/Rechteinhaberin soll wie folgt genannt werden. Autorin: Eva Konzett / erstestiftung.org, Infografiken und Illustration: Vanja Ivancevic / erstestiftung.org
Titelbild: Blick vom Bukarester Parlamentspalast auf Piața Constituției und Bulevardul Unirii. Foto: (CC BY-SA 2.0) Dennis Jarvis/Flickr
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14 Jahre sind vergangen, seit sich die Europäische Union in der ersten Runde Richtung Osten aufgemacht hat. Die anfängliche Euphorie ist erst dem Alltag und nun Ernüchterung auf beiden Seiten gewichen. Man ist sich manchenorts fremd geworden oder fremd geblieben, trotz der sichtbaren und verborgenen, der privaten, offiziellen und geschäftlichen Beziehungen. Trotz der vielen Gemeinsamkeiten, trotz der Wertschöpfungsketten, die keine Grenzen mehr kennen. Und manchmal genau deswegen.
Kopf und Zahl möchte im Kleinen die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebensrealitäten im jüngeren Teil der EU und der Beitrittskandidaten Südosteuropas beleuchten und sie mit der westeuropäischen Verfassung zumindest in österreichischer Ausformung abgleichen. Sind diese denn wirklich immer meilenweit voneinander entfernt? Wo scheitert der Blick von oben herab?
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