Donezk Hip-Hop

Einst als Hochburg des Rap sowohl in der Ukraine als auch in Russland berühmt.

Der Fotograf Florian Rainer und die Journalistin Jutta Sommerbauer dokumentieren in ihrem Buch Grauzone: Eine Reise zwischen den Fronten im Donbass die Geschichten von Menschen aus dem Kriegsgebiet. Fragen nach der persönlichen Verortung in diesem Konflikt, der Bewahrung von Individualität und den Perspekti­ven für die Zukunft haben die beiden auf ihrer Recherche geleitet.

Grauzone ergründet die neuen Realitäten, die die militarisierte Grenze schafft. Improvisation, Stillstand und Un­gewissheit, Angst und Melancholie bestimmen das tägliche Leben, aber auch menschliches Durch­haltevermögen und verhaltene Hoffnung, die sich meist aus den kleinen Dingen des Alltags speist.


Die Burschen steigen hinab in den Keller, als es draußen noch hell ist. Um 17 Uhr beginnt das Konzert der Hip-Hopper im Kinoklub. Limo, Bier und Baggyhosen. Jeder bekommt eine Chance. Sie ist einen Track lang, maximal zwei. Kommt näher zur Bühne, ruft der Host. Hände in die Höhe, schreit einer im Publikum. Sie singen mit, sie grölen mit. Die Rhymes sind härter geworden, früher waren sie lyrischer, sagt Dima Dendy, ein schlanker Typ mit Dreitagebart. Tagsüber ist er beim Katastrophenschutz Retter, abends Rapper.

Ich texte unter dem Lärm
Der Gewehre und Grad-Raketen
Eine Republik – eine Liebe
Doch die Kanonade stört
Einschuss – Explosion
Eine Mauer bricht zusammen
Das ist keine ATO, Bruder
Das ist Krieg

Als Hip-Hop-Hochburg war Donezk in der Ukraine und in Russland berühmt. Früher traten die hiesigen Rapper auch gegen andere ukrainische Crews an, gegen Charkiw und Lwiw, aber das ist jetzt Geschichte. Die Erfolgreichen nehmen in Russland ihre Tracks auf. Golos Donbassa etwa, oder die Burschen mit den Baseballkappen von Clan 062, die sich heute unter die Gäste im Keller gemischt haben, sie gehören zu den Aufsteigern. 062 ist die Telefonvorwahl von Donezk. Auf dem schwarzen Kohleboden der Stadt und in ihren Fabriksruinen gedeiht der Hip-Hop gut. Doch wer möchte hier bleiben?

Diese Stadt ist tot, vollkommen tot, sagt der kleine Jarik mit den dunklen Sonnenbrillen. Er lässt sich einen DNR-Pass ausstellen, und dann ab damit über die Ostgrenze. In Tatarstan wartet sein Mädchen. Nichts hält ihn mehr hier. Gleich erklimmt er die Bühne mit dem tätowierten Wowa. Sie rufen ins Mikrofon: „Ich sterbe nicht, ich atme weiter, ich träume weiter.“ Träumen in Donezk, ha! Jarik hatte sich den Oplot-Kriegern angeschlossen. Hat gekämpft in Oleniwka, acht Monate lang. Besser im Schützengraben als zu Hause sitzen, sagt er. Als Zivilist weiß man nicht, was als Nächstes passiert. An der Front hat man den Überblick. Doch jetzt hat Jarik genug vom Krieg und will nicht darauf warten, bis der große Bruder den Donbass endlich in die Arme nimmt. Dawaj, Dima Dendy, noch einen Track.

Das ist Donezk, Bruder
Die Stimme der düsteren Straßen
Der Platz reicht für alle
Die keinen Ärger machen
Hier hat Onkel Sascha das Sagen
Die Ukraine ist Europa
Dann soll sie es doch wagen

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Erstmals publiziert im Buch “Grauzone: Eine Reise zwischen den Fronten im Donbass”, erschienen im April 2018 bei bahoe books, Wien. Die Recherchereisen wurden durch das Grenzgänger Programm der Robert Bosch Stiftung ermöglicht.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt: © Jutta Sommerbauer / bahoe books. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion. Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen bzw. am Beginn vermerkt. Titelbild: Foto: Florian Rainer

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