Die „existenzielle“ Bevölkerungskrise von Moldau

Angesichts des schlimmsten Bevölkerungsrückgangs in Europa kämpft die Republik Moldau darum, ein „lebensfähiger Staat“ zu bleiben, so der Außenminister.

Vom Schwarzen Meer bis zur Adria haben die sinkenden Bevölkerungszahlen dramatische Folgen. Für die Republik Moldau ist es eine traumatische Erfahrung. Seit 1989 ist die Bevölkerung um fast ein Drittel geschrumpft und in 15 Jahren wird von ihrer damaligen Größe vielleicht nur noch etwas mehr als die Hälfte übrig sein. Was die demografische Entwicklung betrifft, so sind das die niedrigsten Zahlen in ganz Europa.

Ein derart verheerender Bevölkerungsverlust führt bereits zu ernsthaften Problemen wie einem Mangel an Arbeits- und Fachkräften, beispielsweise im Gesundheitswesen, was aber auch für andere postkommunistische Staaten in Europa gilt. Der Unterschied besteht darin, dass der Bevölkerungsrückgang in der Republik Moldau nun auch als existenzielle Krise diskutiert wird.

Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 wird die Republik Moldau von politischen Umwälzungen, Armut und Korruption im großen Stil geplagt. Gespalten ist das Land auch zwischen denen, die seine Zukunft mit jener der EU und des Westens verbunden sehen wollen – einschließlich derer, die eine Vereinigung mit Rumänien anstreben – und denen, die sich engere Beziehungen zu Russland wünschen. Wenn Außenminister Aureliu Ciocoi davon spricht, dass sein Land etwa ein Jahrzehnt Zeit habe, seine Probleme zu lösen, dann denkt er dabei auch an den Bevölkerungsverlust. „Unsere Aufgabe“, so Ciocoi gegenüber BIRN, „ist es, dafür zu sorgen, dass der Staat lebensfähig bleibt.“

Bis Juli 2019 bestand eines der größten Probleme bei der Analyse der demografischen Entwicklung der Republik Moldau darin, dass es keine zuverlässigen Bevölkerungszahlen gab (siehe Kasten). Auf der Grundlage neuer Schätzungen der Abwanderungsraten wurde der Bevölkerungsstand am 1. Jänner 2019 mit 2,68 Millionen beziffert. Dies bedeutete einen massiven Rückgang von 1,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für 2020 ist mit weiteren Verlusten zu rechnen.

Nicht berücksichtigt wurde hier Transnistrien. Bezieht man jedoch eine grobe Schätzung der Einwohner der abtrünnigen Region mit ein, würde sich die Bevölkerung der gesamten Republik Moldau auf etwa drei Millionen Menschen belaufen. Einer Studie des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen und des Zentrums für demografische Studien der Republik Moldau zufolge wird die Bevölkerung des Landes (ohne Transnistrien) bis 2035 auf 2,08 Millionen geschrumpft sein, was einem Rückgang von 22,38 Prozent gegenüber 2019 entspricht.

Abbildung: © Ewelina Karpowiak / Klawe Rzeczy

Bevölkerungsveränderung in der Republik Moldau (1945-2035). Infografik: © Ewelina Karpowiak / Klawe Rzeczy

Geht man davon aus, dass die Einwohnerzahlen Transnistriens ebenfalls um rund ein Viertel zurückgegangen sind und sich bis dahin auf rund 300.000 belaufen, so wird die Bevölkerung des gesamten Landes seit 1989 bis 2035 um satte 45 Prozent geschrumpft sein. Noch vor dem Zerfall der Sowjetunion 1991 konnten mehrere tausend moldauische Juden das Land Richtung Israel verlassen. Anfang der 1990er-Jahre nahmen diese Abwanderungen massiv zu. Heute ist von der einst riesigen bessarabischen Gemeinschaft nur noch ein kleiner Rest übrig geblieben. Anfang der 1990er-Jahre schlossen sich dann andere, vor allem Russen und Ukrainer, der sogenannten „ethnischen Migration“ an. Zehntausende wurden durch den gewaltsamen Konflikt von 1992, im Zuge dessen Russland die Abspaltung des nicht anerkannten Kleinstaates Transnistrien unterstützte, innerhalb des Landes und auch über die Landesgrenzen hinaus vertrieben.

Die Öffnung der moldauischen Grenzen und der Zusammenbruch der alten Sowjetwirtschaft führten zunächst dazu, dass eine große Zahl von Moldauerinnen und Moldauern nicht als Migranten, sondern als Kleingewerbetreibende ins Ausland gingen. Als dann 1998 die russische Finanzkrise weitere Schockwellen in der Region auslöste, emigrierten zahlreiche Moldauerinnen und Moldauer in die Großstädte Russlands, wo es vor allem auf den Märkten und im Baugewerbe Arbeit gab, oder fanden anderswo Beschäftigung als Saisonarbeiter. Gleichzeitig machten sich Moldauerinnen und Moldauer erstmals auch Richtung Westen auf und gingen dort häufig einer illegalen Beschäftigung nach, insbesondere in Italien, wo ihnen das Erlernen der Sprache leichtfiel, da Rumänisch (oder Moldauisch, wie es mitunter genannt wird) eine romanische Sprache ist.

Abbildung: © Ewelina Karpowiak / Klawe Rzeczy

Republik Moldau – Demografische Kennzahlen. Infografik: © Ewelina Karpowiak / Klawe Rzeczy

Während die Einreise nach Russland kein Visum erforderte, war eine Einreiseerlaubnis für westliche Länder schwer zu bekommen. Und obwohl die Erlangung der rumänischen Staatsbürgerschaft für die meisten Moldauerinnen und Moldauer keine Schwierigkeiten darstellte, zeigte ein Großteil von ihnen dafür zunächst kaum Interesse, da auch Rumänen im Westen nicht arbeiten durften. Auch Bulgarien vergibt Staatsbürgerschaften für eine kleine Anzahl ethnischer Bulgaren in der Republik Moldau sowie für Angehörige der Minderheit der Gagausen.

Im Jahr 2002 verschaffte eine Amnestie in Italien illegal arbeitenden Moldauerinnen und Moldauern eine legale Aufenthaltserlaubnis und gab ihnen die Möglichkeit, ihre Familien nachzuholen. Dies bedeutete den ersten großen Schritt in Richtung legale Auswanderung in ein westliches Land. Trotz des Beitritts Rumäniens zur Europäischen Union 2007 konnten Rumäninnen und Rumänen einige Jahre lang nicht in allen EU-Ländern legal arbeiten. Immerhin war es moldauischen Bürgerinnen und Bürgern – sofern sie rumänische Pässe hatten – von nun an gestattet, überall dort arbeiten, wo dies auch Rumäninnen und Rumänen erlaubt war.

Dies bedeutete jedoch, dass sie nun in den ausländischen Statistiken als rumänische Staatsbürgerinnen und -bürger aufschienen, sodass ihre Zahl fast unmöglich zu bestimmen war. Im Jahr 2014 erhielten Moldauerinnen und Moldauer das Recht auf visumfreies Reisen in den grenzfreien Schengenraum der EU. Auch ohne rumänischen oder bulgarischen Pass war es daher von nun an möglich, in die EU zu reisen und dort illegal zu arbeiten.

In welchem Land sich ausgewanderte Moldauerinnen und Moldauer befinden, ist heute schwierig festzustellen. Da es keine Definition dafür gibt, wer zur Diaspora zu zählen ist, schwanken die Zahlen zwischen 800.000 und zwei Millionen. Bis Mitte der 2000er-Jahre gingen mehr Menschen nach Russland als in den Westen, aber mittlerweile macht sich die Mehrheit derer, die im Ausland leben und arbeiten wollen, Richtung Westen auf.

„STATISTISCHES ÄQUIVALENT EINER DROGENABHÄNGIGKEIT“

Valentina Istrati, Leiterin der für Volkszählungen zuständigen Abteilung des Nationalen Statistikamts (BNS) der Republik Moldau ist glücklich. Sie kann endlich die Wahrheit sagen.

Nachdem jahrelang fiktive Daten veröffentlicht wurden, präsentierte das BNS im Juli 2019 endlich realistische Zahlen, die darüber Auskunft gaben, wie viele Menschen (im größten Teil) der Republik Moldau leben. Am 1. Jänner 2019 waren es 2,68 Millionen.

Eine Googlesuche mit den Stichworten „Bevölkerung der Republik Moldau“ oder eine Datenbankabfrage bei Eurostat lässt das Problem erkennen. Dort lautet die Antwort 3,55 Millionen. Den Statistiken der UNO zufolge sind es 4,04 Millionen, aber diese Zahl inkludiert Transnistrien, den abtrünnigen östlichen Teil des Landes, der nicht unter der Kontrolle der Regierung steht. In den anderen Statistiken ist Transnistrien nicht berücksichtigt und das BNS verfügt seit 1998 über keine Daten über die Enklave.

Es war „tatsächlich schwierig“, antwortete Istrati auf die Frage, wie und warum das BNS der Regierung, Eurostat oder der UNO falsche Zahlen übermittelte – und von denen jeder, der auch nur eine ungefähre Vorstellung von der Größe der Bevölkerung der Republik Moldau hatte, ebenso wusste, dass sie falsch waren.

Schlimmer noch: Aufgrund der falschen Angaben zur Bevölkerungszahl waren auch viele der sonstigen offiziellen Daten der Republik Moldau, einschließlich des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf und der Geburtenziffer, falsch – und sind es in vielen Fällen immer noch. Eine Aktualisierung sämtlicher Daten ist nun geplant.

Der Grund dafür, dass die Zahlen für die Republik Moldau nicht mehr viel mit der Realität zu tun hatten, lag darin, dass das BNS keine Ahnung hatte, wie viele Menschen das Land verließen. Daher stützte man sich auf Daten, die auf den Volkszählungen von 1989 und 2004 basierten, und nahm Schätzungen über die Entwicklung der Bevölkerung vor, ohne die tatsächlichen Zahlen zu kennen. Unter Verwendung veralteter Methoden wurde dann zur Gesamtbevölkerung die Zahl jener Personen addiert, die laut Volkszählungen tatsächlich im Ausland leben. Die vor Juli 2019 verwendeten Zahlen waren also zwar falsch, aber dies geschah nicht in unlauterer Absicht, denn das BNS führte zwar die Hochrechnungen korrekt durch, war aber einfach außerstande, entscheidende Informationen mitzuberücksichtigen.

In Ermangelung von finanziellen Mitteln und Know-how wurden diese Zahlen verwendet, weil keine anderen zur Verfügung standen und man einfach nicht zugeben konnte, nicht zu wissen, wie viele Menschen im Land lebten. Laut Eliahu Ben Moshe, einem israelischen Experten, der von der UNO beauftragt wurde, dem BNS bei der Lösung des Problems zu helfen, ergab dies das statistische Äquivalent zu einer „Drogenabhängigkeit“.

Bei der Volkszählung 2014 reichte weder die Zeit noch das Geld, um mehr als 41 Prozent der Bevölkerung der Hauptstadt Chişinău zu zählen. Dank einer anschließenden Umfrage konnte die Bevölkerung ohne Transnistrien schließlich mit 2,86 Millionen beziffert werden. Es gab jedoch nach wie vor keine Daten über die Zahl der Abwanderungen und folglich über die Bevölkerungsentwicklung seit 2014 und in den Jahren zwischen den Volkszählungen.

Im Juli vergangenen Jahres wurde die neue, für 2019 aktualisierte Zahl schließlich veröffentlicht. Sie basierte auf Daten, die von der Grenzpolizei anhand von Algorithmen erhoben wurden, um die große Zahl von Moldauerinnen und Moldauern mit rumänischen, russischen oder anderen Pässen zu ermitteln. Die Zahlen seien nur bedingt zuverlässig, so Istrati, denn es würden nur jene Personen erfasst, die sich an der Grenze zumindest einmal mit moldauischen Papieren ausgewiesen haben. Außerdem kontrollieren die Transnistrier einen Großteil der moldauischen Grenze zur Ukraine, und so gäbe es von dort überhaupt keine Daten über ein- bzw. ausreisende Personen. Das BNS ist jedoch der Ansicht, dass diese Zahlen nicht signifikant genug sind, um die Bevölkerungsschätzung des Statistikamts zu beeinflussen.

Folglich verfügt die Republik Moldau zum ersten Mal seit Jahren über nach internationalen Standards als zuverlässig geltende Bevölkerungsdaten, zumindest für jenen Teil des Landes, der unter Regierungskontrolle steht.

Nach Italien gingen mehr Frauen, von denen sich viele als „badanti“ um ältere Menschen kümmern. Ihre Kinder ließen sie, vor allem solange diese noch klein waren, bei den Großeltern zurück. Die Mehrheit der Männer ging indes nach Russland auf Arbeitssuche.

Im Jahr 2019 gab es in Italien doppelt so viele moldauische Frauen wie Männer. Dieses Verhältnis könnte sich in den letzten Jahren jedoch geändert haben, da immer mehr Moldauerinnen und Moldauer als rumänische Staatsbürgerinnen und -bürger im Ausland leben und arbeiten.

Dem Soziologen Vadim Pistrinciuc zufolge lebt etwa eine halbe Million Moldauerinnen und Moldauer in Russland, von denen viele heute die russische Staatsbürgerschaft besitzen. Nach Angaben des rumänischen Außenministeriums besitzt eine weitere halbe Million die rumänische Staatsbürgerschaft, von denen vermutlich etwa die Hälfte in Rumänien lebt.

Aus italienischen Statistiken geht hervor, dass sich 125.285 Moldauerinnen und Moldauer in Italien niedergelassen haben. Nicht bekannt ist jedoch, wie viele der 1,2 Millionen dort registrierten Rumäninnen und Rumänen aus Moldau sind oder wie viele Moldauerinnen und Moldauer es unter den 1,78 Millionen in Spanien, Deutschland und Großbritannien registrierten Rumäninnen und Rumänen gibt.

Angesichts des niedrigen Lohnniveaus in der Republik Moldau seien nicht nur die hohen Abwanderungszahlen außergewöhnlich, sondern auch die große Anzahl an Personen, die jeweils nur für kurze Zeiträume im Ausland leben, meint Eliahu Ben Moshe, ein israelischer Experte, der das Nationale Statistikamt bei der Ermittlung zuverlässiger Zahlen unterstützt.

Im Jahr 2017 verließen zum Beispiel 159.000 Menschen das Land, aber knapp 110.000 kehrten zurück, was einem Nettoverlust von 49.400 Menschen entsprach. Im Jahr 2016 waren es 153.200, die auswanderten, aber 107.200, die zurückkamen. Die Nettoabwanderung lag also bei knapp 46.000. Es sind in erster Linie junge Menschen, die dem Land den Rücken kehren, obwohl zunehmend ganze Familien abwandern. Im Jahr 2017 emigrierten rund fünf Prozent der Männer im Alter von 20 bis 24 Jahren, und in den letzten fünf Jahren waren es in dieser Altersgruppe 20 Prozent. „Das ist ein Exodus“, meint Ben Moshe. „Wir sprechen hier von einer sehr starken Abwanderung.“

Was man aus diesen Zahlen laut Ben Moshe jedoch nicht ablesen könne, sei die „absurde“ Anzahl von Menschen, denen es aufgrund von Billigflügen ein Leichtes ist, für jeweils ein paar Monate ins Ausland zu reisen, um dort zu arbeiten, was bedeutet, dass sie immer noch in der Republik Moldau wohnhaft sind. Diese Zahlen seien so hoch, dass „sie die Definition von Migration infrage stellen“. Moshe sieht darin „eine neue Form des Pendelns“.

Die Gründe dafür sind nicht schwer zu verstehen.

Eine mittlere Beamtin erzählt, ihr Ehemann arbeite neben seinem Studium zum IT-Programmierer in einem Hotel in einem Londoner Vorort. Sie haben ausgerechnet, dass er, wenn er die Trennung von seiner Familie durchhält, die 30-jährige Hypothek in zwei Jahren abbezahlen könnte. Derart hohe Abwanderungsraten führen in der Republik Moldau zu einem Arbeitskräftemangel. Verfügbare Arbeitsplätze sind aber häufig nicht dort zu finden, wo Menschen Arbeit suchen.

Diejenigen, die einen Wohnortswechsel in Betracht ziehen, würden Arbeitgebern zufolge lieber ins Ausland gehen, anstatt dorthin zu ziehen, wo es Arbeit gibt, weil die Bezahlung, die Arbeitsbedingungen und die Karrierechancen im Ausland weitaus besser seien.

Daraus folgt, dass mit 2,68 Millionen zwar die erste verlässliche Bevölkerungszahl (für das von der Zentralregierung kontrollierte Gebiet der Republik Moldau) seit Jahren vorliegen mag – die Zahl der tatsächlich an einem beliebigen Tag im Land befindlichen Menschen jedoch wesentlich geringer sein könnte.

Ein Arbeitskräftemangel bedeutet zudem, dass die Bauern nicht genügend Erntehelfer finden können. Das betrifft auch wichtige Exportgüter wie moldauischen Wein und Branntwein. Jetzt kommen Usbeken und Kasachen, die nicht in der EU arbeiten dürfen, als Saisonarbeiter – auch nach Transnistrien. Ähnlich verhält es sich mit moldauischen Ärztinnen und Ärzten, die den Job ihrer nach Westeuropa abgewanderten rumänischen Kolleginnen und Kollegen übernehmen.

Für sie gibt es jedoch in ihrem Land keinen Ersatz. Im Jahr 2018 beantragten rund 600 Ärztinnen und Ärzte beim Gesundheitsministerium die für eine Auslandstätigkeit benötigten Bescheinigungen, so Pistrinciuc.

Viele der besten und klügsten Köpfe der Republik Moldau werden sich um solche Formalitäten nicht zu kümmern brauchen. Laut Olga Gagauz, der stellvertretenden Direktorin des Nationalen Instituts für Wirtschaftsforschung, gibt es in der Republik Moldau zwar 100.000 Studierende, aber auch etwa 25.000 Moldauerinnen und Moldauer, die im Ausland studieren. Nach Abschluss ihres Studiums „bleiben die meisten dort“, meint sie.

An einem Samstagnachmittag erscheint Tiraspol, die kleine Hauptstadt Transnistriens, noch schläfriger und leerer als Chişinău. Aber wie in der moldauischen Hauptstadt findet man auch hier Jobannoncen und Personalagenturen, die Arbeitskräfte an Firmen in der EU vermitteln.

In der Zwischenkriegszeit gehörte der überwiegende Teil des heutigen Transnistriens zur Sowjetunion, im Gegensatz zum Rest der Republik Moldau, das zu Rumänien gehörte.

Um einen rumänischen Reisepass beantragen zu können, müssen Moldauerinnen und Moldauer nachweisen, dass ihre Vorfahren bis 1940 rumänische Staatsbürger waren. Das bedeutet, dass in Transnistrien weitaus weniger Menschen einen rumänischen Reisepass erhalten können und in der Vergangenheit im Vergleich zum Rest der Republik Moldau viel mehr Menschen nach Russland als in den Westen arbeiten gingen.

Die Aussicht auf höhere Löhne führt jedoch zunehmend dazu, dass sie entweder eine Arbeit mit Arbeitserlaubnis in der EU annehmen oder mit ihrem moldauischen Pass illegal in Ländern wie Polen oder der Tschechischen Republik arbeiten.

Laut der Volkszählung von 2015 lebten in Transnistrien 475.373 Menschen, von denen 70.587 „vorübergehend abwesend“ waren. Für Andrei Crivenco, Politikgeograf an der Universität in Tiraspol, entspricht dies „mehr oder weniger der Realität“. Andere Daten stünden nicht zur Verfügung. Gagauz schätzt jedoch, dass sich die Einwohnerzahl heute auf etwa 350.000 Menschen beläuft.

Personen, die über den Flughafen Chişinău ein- bzw. ausreisen oder die von der moldauischen Regierung kontrollierten Grenzen passieren, werden statistisch erfasst. Seitens der transnistrischen Grenzschutzbeamten werden jedoch keine Daten erhoben, und sie wären dazu, außer sie täten dies handschriftlich, auch nicht in der Lage, da transnistrische Personalausweise nicht biometrisch sind. Und da Reisepässe nicht anerkannt werden, berechtigen sie auch nicht zur Ausreise.

EUROPE’S FUTURES

Europa erlebt seine dramatischste und herausforderndste Zeit seit dem Ende des Zweiten Weltkrieg. Das europäische Projekt steht auf dem Spiel und die liberale Demokratie wird sowohl von innen als auch von außen gefordert. Von allen Seiten der staatlichen und nicht-staatlichen Akteure ist es dringend erforderlich, sich mit den brennenden Problemen zu befassen und das, was durch das politische Friedensprojekt sorgfältig erreicht wurde, zu bekräftigen.

Zwischen 2018 und 2021 engagieren sich jedes Jahr sechs bis acht führende europäische Expertinnen und Experten als Europe’s Futures Fellows. Sie schaffen damit eine einzigartige eine Plattform der Ideen, um grundlegende Maßnahmen zu präsentieren, deren Ziel es ist, die Vision und Realität Europas zu stärken und voranzutreiben. Europe’s Futures basiert auf eingehenden Untersuchungen, konkreten politischen Vorschlägen und dem Austausch mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, dem öffentlichen Diskurs und Medien.

Von der Republik Moldau bis nach Kroatien ist die Abwanderung nur die eine Seite der demografischen Entwicklung – die niedrige Geburtenrate und eine alternde Bevölkerung ist die andere.

Bis Juli 2019 waren die von der Republik Moldau veröffentlichten Zahlen jedoch falsch, da sie auf einer weitaus höheren Zahl der Wohnbevölkerung basierten, als dies tatsächlich der Fall war. Man ging etwa davon aus, dass moldauische Frauen nur 1,28 Kinder zur Welt bringen, was die Geburtenziffer der Republik Moldau zu einer der weltweit niedrigsten machen würde. Diese Zahl wurde nun neu berechnet und liegt bei 1,82, was zwar unter dem für den Erhalt der Bevölkerung notwendigen Wert von 2,1 liegt, aber höher ist als in Rumänien (1,71) und der EU-Durchschnitt von 1,59.

Dennoch sterben seit 1999 jedes Jahr mehr Moldauerinnen und Moldauer als geboren werden, weshalb die Bevölkerung des Landes auch ohne Abwanderung schrumpfen würde. Im Jahr 2018 gab es auf dem von der Zentralregierung kontrollierten Territorium der Republik 34.738 Lebendgeburten und 37.303 Todesfälle. Die Neuberechnung der Bevölkerungszahlen der Republik Moldau ergab zudem, dass die Lebenserwartung niedriger als angenommen war. Heute liegt sie bei 70,6 Jahren, auch wenn der Unterschied zwischen Männern und Frauen groß ist. Für Männer liegt die Lebenserwartung bei 66,2 Jahren und für Frauen bei 75 Jahren. Diese Zahlen entsprechen jenen in Russland, Belarus und der Ukraine und sind, vor allem was Männer anbelangt, eine Folge schlechter Ernährung sowie des Alkohol- und Tabakkonsums.

Ältere Menschen, von denen ein großer Teil auf Geldsendungen aus dem Ausland angewiesen ist, zählen auch zur vulnerabelsten und armutsgefährdetsten Gruppe in Moldau, meint Eduard Mihalas vom Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen. Wie überall in Europa altert die Bevölkerung, die Situation in der Republik Moldau ist jedoch nicht so dramatisch wie in vielen anderen Ländern und wird es auch nicht sein, denn immer häufiger wandern ganze Familien ins Ausland ab, weshalb es in Zukunft weniger ältere Menschen im Land geben wird.

Für Pistrinciuc besteht die Kehrseite darin, dass ohne drastische Veränderungen in der Republik Moldau, einschließlich eines vollständigen „Umbaus der politischen Führung“ (d.h. eines Bruchs mit den korrupten und oligarchischen Praktiken der Vergangenheit), das Land dazu verdammt ist, ein „Urlaubsdomizil“ für diejenigen zu werden, die es verlassen haben, und eine „Altersresidenz“ für jene, die bleiben.

Der Artikel gibt die Meinung des Autors wieder und repräsentiert nicht den Standpunkt von BIRN oder der ERSTE Stiftung.

Original auf Englisch. Erstmals publiziert am 16. Januar 2020 auf Reportingdemocracy.org, einer journalistischen Plattform des Balkan Investigative Reporting Network. Der vorliegende Text ist im Rahmen des Europe’s Futures Projekts entstanden.
Aus dem Englischen von Barbara Maya.


Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt: © Tim Judah. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Illustration: © Ewelina Karpowiak / Klawe Rzeczy

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