Atmosphäre des Misstrauens

Trotz kritischer Stimmung hat Fidesz gute Chancen, die Parlamentswahlen in Ungarn zu gewinnen.

Am 8. April sind die UngarInnen dazu aufgerufen, ein neues Parlament (Országgyülés) zu wählen. Die Unterstützung für die von Viktor Orbán geführte Regierungspartei Fidesz hat gegenüber den vorherigen Wahlen merklich abgenommen. Dennoch wird Fidesz aller Voraussicht nach die Wahlen gewinnen und die kommende Regierung stellen.

In den Wochen vor der Wahl steht die ungarische Regierung unter Druck. Die Nachrichten wurden dominiert von Protesten gegen die Bildungspolitik und Korruptionsvorwürfen gegen mehrere Vertraute von Ministerpräsident Viktor Orbán. Unter ihnen ist auch Orbáns Schwiegersohn, dessen frühere Firma an EU-Ausschreibungen zur Beleuchtung des öffentlichen Raums verdiente und nun in einem Bericht der EU-Antibetrugsbehörde OLAF genannt wird. Eine verlorene Bürgermeisterwahl in einer bisherigen Fidesz-Hochburg, der Kleinstadt Hódmezövásárhely, im Februar 2018 und aktuelle Meinungsumfragen legen nahe, dass die regierende Koalition aus nationalkonservativer Fidesz und der Christlich-Demokratischen Volkspartei (KDNP) als Juniorpartner an Popularität eingebüßt hat und viele Wahlberechtigte einen Monat vor der Wahl unentschieden waren.

Als Reaktion auf den wachsenden Druck greift die Regierung im laufenden Wahlkampf auf vielfältige Maßnahmen zurück, die ihre Popularität steigern sollen. Dazu gehören zeitnahe Wahlgeschenke. So bekamen nicht nur zum Jahresende Millionen RentnerInnen einen Gutschein im Wert von 10.000 HUF (entspricht ca. 32 Euro) zugesandt. Zusätzlich hat die Regierung angekündigt, ein weiterer Gutschein werde als „Ostergeschenk“ verschickt – verteilt werden sollen die Geschenke bis 29. März. Ein weiteres Wahlkampfthema ist die Senkung der Kosten für die Grundversorgung. Hier hat die Regierung entschieden, einen Teil der auf Grund des kalten Winters angefallenen hohen Heizkosten zu erlassen. Der Stichtag für die Auszahlung war der 23. März.

Die EU zahlt, Brüssel mischt sich ein

Neben Wahlgeschenken, verbunden mit positiven Botschaften über die Leistung der Regierung, setzt Fidesz auch auf negativen Wahlkampf. Besonders prominentes Wahlkampfthema ist erstens die Beziehung zur Europäischen Union und zweitens die Rolle des in Ungarn geborenen Milliardärs Georg Soros. Beide Themen werden zudem mit dem Migrationsthema verknüpft.

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Michael Ignatieff, Präsident und Rektor der Central European University (CEU), empfängt George Soros (rechts) beim seinem ersten Besuch des neuen Campus 2016 in Budapest. Foto: © CEU/Tuba Zoltan (Kepszerkesztoseg)

Reibungspunkte mit der EU gibt es viele. So hat die EU in den vergangenen Jahren mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eröffnet, unter anderem wegen des Hochschulgesetzes (umgangssprachlich auch bekannt als „Lex-CEU“) und restriktiver NGO-Gesetzgebung. Die ungarische Regierung hingegen fühlt sich von der EU-Kommission ungerecht behandelt und reagiert verstimmt auf eine Einmischung in ihre internen Angelegenheiten. Dieses Empfinden teilt Ungarn mit anderen ostmitteleuropäischen Staaten, die sich nach jahrzehntelanger Unterordnung unter Moskau nun gegen jegliche vermeintliche Einschränkung ihrer Souveränität wehren. So vergeht kaum eine Woche, in der sich die ungarische Regierung nicht medienwirksam eine Einmischung „aus Brüssel“ verbittet. Im Frühjahr 2017 war das Verhältnis zur EU gar das Thema einer Volksbefragung unter dem Titel „Stoppen wir Brüssel“. Die dort zur Abstimmung gestellten Thesen betrafen die Migrationspolitik, Preise für Grundversorgung, Steuern und die Arbeit von NGOs. Die Mehrheit dieser Themen findet sich auch im Parlamentswahlkampf 2018 wieder.

Auffällig ist bei allem Widerstand, dass sich die Spitzen nicht allzu offensiv gegen die EU an sich richten, sondern stattdessen gegen den Bürokraten „Brüssel“. Warum das so ist, darüber lässt sich nur mutmaßen. Allerdings ist es den meisten UngarInnen durchaus bewusst, dass ihr Wohlstand auch eine Folge der EU-Mitgliedschaft ist. Hunderttausende arbeiten im europäischen Ausland. Laut Eurobarometer vertraut die Mehrheit der UngarInnen der EU. Ein allzu offensiver Anti-EU-Wahlkampf wäre unter diesen Umständen nicht populär, weshalb anscheinend eine diskursive Trennung zwischen der EU (gibt Geld) und Brüssel (mischt sich ein) vorgenommen wird.

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Ein Plakat zeigt den ungarisch-amerikanischen Milliardär und Philanthropen George Soros. Ein zentrales Element des Wahlkampfes ist die multimedial geführte Kampagne gegen ihn und den angeblichen “Soros-Plan”, in dessen Rahmen Masseneinwanderung in die EU unterstützt werden solle. Foto: © Attila Kisbenedek / AFP / picturedesk.com

Ein zentrales Element des Wahlkampfes ist die multimedial geführte Kampagne gegen Georg Soros. Seit Monaten plakatiert die Regierung gegen einen angeblichen „Soros-Plan“, in dessen Rahmen Masseneinwanderung in die EU unterstützt werden solle. Dieser „Plan“ war Gegenstand einer weiteren Volksbefragung am Jahresende 2017, die von einer andauernden Plakatkampagne („Lassen wir nicht zu, dass Soros zuletzt lacht“) flankiert wurde. Gesetze, die die Arbeit von Organisationen erschweren, die in der Flüchtlingshilfe aktiv sind, werden ebenfalls mit dem Kampf gegen den „Soros-Plan“ begründet.

Zersplitterte Opposition

Trotz der aktuellen kritischen Stimmung in der Bevölkerung hat Fidesz sehr gute Chancen, die Wahlen zu gewinnen. Das liegt einerseits am mehrheitsbildenden Wahlrecht, andererseits am Mangel einer tatsächlichen Wahlalternative.

Gewählt wird seit 2011 nach einem Mischwahlsystem, das eher in Richtung Mehrheitswahlsystem tendiert: 106 der 199 Mandate werden in Einpersonenwahlkreisen direkt vergeben; eine relative Mehrheit im 1. Wahlgang reicht zum Sieg. Die übrigen 93 Sitze werden an die Parteilisten bzw. Listen der nationalen Minderheiten vergeben; die Verteilung der Sitze erfolgt nach dem D’Hondt-Verfahren. Dabei müssen Parteilisten fünf Prozent der Stimmen erhalten, um berücksichtigt zu werden. Das Wahlrecht wirkt mitunter stark verzerrend. Bei den Wahlen 2014 hatte Fidesz 96 Direktmandate geholt und kam zusammen mit den Listenplätzen auf zwei Drittel der Parlamentssitze – bei einem Stimmanteil von knapp 45 Prozent nach Parteilisten. Durch den größeren Anteil der Direktmandate an den Parlamentssitzen ist es auch schwieriger, Prognosen über die Sitzverteilung zu machen.

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Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. Foto: © Attila Kisbenedek/AFP/picturedesk.com

Klar ist jedoch: keine der Oppositionsparteien kann auch nur annähernd die Stimmanteile von Fidesz erreichen. Eine Chance auf eine signifikante Anzahl Parlamentssitze hat die Opposition nur, wenn die unterschiedlichen kleinen Parteien konsequent zusammenarbeiten und Direktmandate gewinnen. Gegen gemeinsame Parteilisten wirkt das Wahlrecht: Im Falle von gemeinsamen Listen mehrerer Parteien erhöht sich die Sperrklausel auf zehn Prozent (zwei Parteien) bzw. 15 Prozent (mehr als zwei Parteien). Durch die proportionale Erhöhung der Sperrklausel erhöht ein Zusammenschluss für kleinere Parteien nicht die Wahrscheinlichkeit, Listenplätze zu erhalten. Parteienbündnisse sind somit aus wahltaktischen Überlegungen nicht vorteilhaft.

Es gibt zwar eine Initiative aus den Reihen der Opposition, die darauf abzielt, dass alle Oppositionsparteien eine/n gemeinsame/n Kandidatin/en in jedem Wahlkreis unterstützen und die anderen Parteien ihre KandidatInnen jeweils zurückziehen. Ein Verfechter dieser Strategie ist Gergely Karácsony, der Vorsitzende einer kleinen Partei namens „Dialog für Ungarn“. Für ein Gelingen dieser Strategie müssten jedoch die linken Parteien mit der rechtsextremen Jobbik-Partei kooperieren. Obwohl Jobbik derzeit in die Mitte drängt und sich bürgerlicher gibt als in der Vergangenheit, sind die ideologischen Gräben tief, und die breite Unterstützung für eine Zusammenarbeit ist nicht vorhanden.

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Bei einem von der Oppositionspartei Jobbik organisierten Protest gegen den Premierminister Viktor Orbán und die regierende Fidesz-Partei vor dem Sitz von Fidesz in Budapest am 15. Dezmber 2017 halten linke und rechte Sympathisanten Fackeln und schwenken Jobbik-Fahnen. Foto: © Attila Kisbenedek/AFP/picturedesk.com

Somit steht die Opposition vor einem kaum überwindbaren Dilemma. Unter diesen Umständen ist es wahrscheinlich, dass die 27 bis 49 Prozent der Wähler, die nach aktuellen Umfragen die Koalition von Fidesz-KDNP unterstützen, erneut zu einer Regierungsmehrheit reichen werden. Allerdings wird die Regierung wohl kaum mit der gleichen komfortablen Zweidrittelmehrheit der Mandate wie 2014 rechnen dürfen. Vorerst profitieren Orbán und seine Fidesz von der anhaltenden Schwäche der Opposition, doch hat sich in den vergangenen Jahren eine Reihe neuer Parteien gebildet und Individuen hervorgetan, die in Zukunft das politische Geschehen verändern könnten. Auch innerhalb der Partei gibt es Anzeichen für Erosion; prominentestes Beispiel hierfür ist der ehemalige Klassenkamerad und langjährige Weggefährte Orbáns, der Millionär Lajos Simicska, der seit einem Zerwürfnis vor einem Jahr eine Kampagne gegen seine ehemaligen Mitstreiter führt und im aktuellen Wahlkampf Jobbik unterstützt.

Ebenfalls zeigen sich im aktuellen Wahlkampf erste Abnutzungseffekte der Fidesz. Nach acht Jahren an der RegierungFür Orbán, der bereits von 1998-2002 Ministerpräsident war, wäre dies schon die vierte Amtszeit. ist die Partei angreifbar für Kritik von links und rechts und kann sich nicht mehr glaubwürdig als „Outsider“ präsentieren. Wenn sich die derzeitige Häufung an Skandalen fortsetzt, könnte die aktuelle Unzufriedenheit größerer Wählergruppen mit dem Regierungsstil Orbáns mittelfristig zu einer stärkeren Aktivierung der Bevölkerung führen.

Erstmals publiziert am 29. März 2018 im Eastblog (Blog der Forschungsgruppe Osteuropa am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien) und am 30. März 2018 auf derstandard.at.

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Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Panorama von Budapest mit Blick auf die Kettenbrücke über die Donau zum Parlamentsgebäude. Foto: © iStock/piccaya.

“Vom Leben im Krieg für den Frieden lernen.”

“Proletarier aller Länder, wer wäscht eure Socken?”

“Zeit, Wachstum neu zu denken”

“Es sind die Eliten, die sich gegen die Demokratie wenden, nicht das Volk.”

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