Neue Perspektiven abseits vom illiberalen Weg?
Polen vor den Wahlen zum Europäischen Parlament
2019 ist ein entscheidendes Jahr für die polnische Demokratie: Die nationalen Parlamentswahlen sind nur fünf Monate nach der EU-Wahl angesetzt. Letztere wird daher ein wichtiger Testlauf für die Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) sein, die seit Anfang des Jahres etwas an Zustimmung verloren hat. Der Partei von Jarosław Kaczyński ist klar, dass ihr im Herbst ein schwerer Kampf bevorsteht, sollte sie die Wahlen im Mai nicht gewinnen.
Um ihre Wählerschaft zu mobilisieren, hat die PiS nur zwei Monate vor der EU-Wahl eine Reihe von neuen Sozialprogrammen angekündigt. Diese beinhalten fünf Schwerpunkte, die mittlerweile als „Kaczyńskis Fünf“ bekannt sind: finanzielle Unterstützung für Familien, Pensionisten und junge Beschäftigte; Steuererleichterungen für die Mittelschicht; billigere öffentliche Verkehrsmittel. Als Spitzenkandidaten für die Europawahl nannte die PiS führende Politikerinnen und Politiker sowie Ministerinnen und Minister der derzeitigen Regierung, darunter die ehemalige Ministerpräsidentin Beata Szydło, der amtierende Bildungsminister und der amtierende Innenminister. Der Wahlkampf ist also eindeutig national geprägt. Das Thema Europa kommt indes selten zur Sprache, sieht man vom Wahlkampfslogan „Polen ist das Herz Europas” ab.
Die Opposition bündelt ihre Kräfte
Um die PiS im Mai herauszufordern, wurde die sogenannte „Europäische Koalition“ gegründet. Sie vereint Oppositionsparteien von der rechten bis zur linken Mitte: die Bürgerplattform, die Polnische Volkspartei, das Bündnis der Demokratischen Linken (SLD), die Partei Moderne und die Grünen. Wenn die Kandidatinnen und Kandidaten auch bislang noch nicht offiziell vorgestellt wurden, sollen nach Angaben der Koalition einige sehr bekannte Namen die Liste anführen. Neben Ex-Präsidenten zählen dazu auch ehemalige Ministerpräsidentinnen und -präsidenten wie Włodzimierz Cimoszewicz, Leszek Miller, Ewa Kopacz und Bronisław Komorowski. Laut jüngsten Umfragen hat die Europäische Koalition Chancen, den größten Stimmenanteil zu erzielen, was ein harter Schlag für die PiS wäre.
Zudem ist eine neue politische Kraft namens Wiosna (Frühling) unter dem Vorsitz des früheren Bürgermeisters von Słupsk Robert Biedroń ins Spiel gekommen. Wiosna orientiert sich eher am linken Flügel des politischen Spektrums und ist proeuropäisch. Die Partei hat angekündigt, der Europäischen Koalition nicht beitreten zu wollen und wird dadurch für jene Wählerinnen und Wähler interessant, die in Polen nach neuen politischen Ansätzen suchen. Aktuell liegt Wiosna in Umfragen bei etwa zehn Prozent. Ein starkes Ergebnis im Mai könnte der Partei genug Schwung geben, um bei den polnischen Parlamentswahlen zu einem ernstzunehmenden Gegner zu werden.
Entscheidend ist die Wahlbeteiligung
Entscheidend für alle an der EU-Wahl teilnehmenden politischen Kräfte wird sein, wie viele Wählerinnen und Wähler sie mobilisieren können. Bekannte Namen finden sich auf allen Listen der wichtigsten Wahlparteien, da so viel auf dem Spiel steht wie seit dem EU-Beitritt Polens 2004 nicht mehr. Bei den letzten beiden EU-Wahlen lag die Wahlbeteiligung bei etwa 24 Prozent und damit weit unter dem EU-Durchschnitt von knapp 43 Prozent.
In Anbetracht des nationalen Grundtons dieser Wahlen ist diesmal jedoch mit einer deutlich höheren Wahlbeteiligung zu rechnen. Bislang wurde kaum über die aktuelle Lage der EU diskutiert, über Verbesserungen europäischer Strukturen und Politiken oder die zukünftige Rolle Brüssels. Obwohl die PiS bereits mit anderen euroskeptischen Parteien in ganz Europa kooperiert, ist nicht davon auszugehen, dass es eine rege Diskussion darüber gibt, wie sich ein Sieg der PiS auf die EU-Politik im Allgemeinen auswirken könnte. In den jüngsten Mediendebatten ging es vorrangig um Themen wie LGBT+-Rechte und Bildung.
Aber auch wenn kaum europäische Themen angesprochen werden, wird das Ergebnis beider Wahlen in Polen mit Sicherheit weitreichende Folgen für die Zukunft Europas haben. Sollte die PiS beide Wahlen gewinnen und ihre Mehrheit behalten, wird das die Partei darin bestärken, ihre Macht weiter auszubauen und ihren illiberalen Weg in Polen fortzusetzen. Damit wären weitere Konfrontationen mit Brüssel vorgezeichnet.
Sollte sich die Opposition durchsetzen, bleibt abzuwarten, ob daraus eine neue Pro-EU-Politik entstehen oder ob dies einen Neustart in der polnischen Politik bedeuten kann, mit dem Ziel, das im Laufe der vergangenen vier Jahre entstandene rechtliche Chaos zu beseitigen. Als Unsicherheitsfaktor erweist sich dabei die neue Partei Wiosna, da unklar ist, wie viele Stimmen diese noch unbekannte Gruppierung erreichen wird und was sie mit jedem Mandat, das ihr zufällt, tun wird, um die politische Szene Polens umzugestalten.
Original auf Englisch. Erstmals publiziert am 29. März 2019 auf Eurozine.
Aus dem Englischen von Barbara Maya.
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Mood of the Union
Die Serie Mood of the Union sammelt Artikel zur Wahl zum Europäischen Parlament aus allen 28 EU-Mitgliedstaaten. Die Serie wird von der ERSTE Foundation und dem National Endowment for Democracy unterstützt.
In der Serie The Mood of the Union berichten Redakteure des Magazins Eurozine über die Lage in der gesamten Europäischen Union und diskutieren mit Journalisten und Analysten die Einstellungen zu den EU-Wahlen und über das, was auf nationaler Ebene auf dem Spiel steht. Ziel der Serie ist es, über die Berichterstattung nationaler Medien hinaus, einen detaillierteren Einblick in die Stimmung vor Ort zu liefern. Die Serie wird von Agnieszka Rosner kuratiert und vom mitwirkenden Redakteur Ben Tendler editiert.