Die NGO Pink Embassy setzt sich für die albanische LGBT-Community ein. Postcards from Albania spricht mit Altin Hazizaj über Veränderung, Normalität und warum 70 Prozent der Lehrer nicht an diese glauben.
In Mitteleuropa gibt es immer wieder hitzige Debatten rund um die Themen der LGBT-Gemeinde. Die englische Abkürzung steht für lesbische, schwule, bisexuelle und Transgender-Personen, die es auch am Balkan nicht leicht haben. Altin Hazizaj, Anwalt, Aktivist und Vorsitzender der NGO Pink Embassy kämpft seit vielen Jahren für die Rechte der LGBT-Gemeinde in Albanien. Neben ein paar wenigen anderen Initiativen leistet die Organisation vor allem Aufklärungsarbeit und ist im administrativen Bereich tätig.
Ihre NGO Pink Embassy arbeitet hauptsächlich an der Umsetzung von Richtlinien und Gesetzen, die der albanischen LGBT-Gemeinde das Leben leichter machen sollen. Bleibt dabei noch Zeit für direkten Kontakt?
Ja, sicher. Wir sind sehr eng mit der Gemeinde vernetzt. Allerdings ist die albanische LGBT-Gemeinde sehr klein und braucht deswegen viel Unterstützung. Hier in Tirana ist es ein wenig anders, aber sobald man sich außerhalb der Hauptstadt bewegt, gibt es überhaupt keine Gemeinde. Eine unserer Sorgen ist, dass es darum nicht genug Unterstützung für unsere Arbeit und die anderer Organisationen, die die Interessen der Gemeinde vertreten, gibt. Dann ist es schwierig, etwas aufzubauen.
2006 haben Sie mit Ihrer Arbeit begonnen, seit 2010 ist Pink Embassy eine eigenständige Organisation. 2013 gab es die erste albanische Regenbogenparade. Wie hat die Gesellschaft darauf reagiert, als die LGBT-Bewegung auf einmal auch in Albanien sichtbar wurde?
Die erste Parade, die wir veranstaltet haben, war sehr bescheiden und fand nur direkt im Zentrum statt. Die zweite Parade verlief durch die ganze Stadt, also nicht nur auf dem Hauptboulevard Dëshmorët e Kombit, sondern bis ins Viertel Blloku. In den Büros und Geschäften dort ist immer viel los. Unter all den Leuten gab es aber niemanden, der uns beschimpft oder verspottet hat. Das bedeutet, dass zumindest in Tirana ein gewisser Grad an Akzeptanz vorhanden ist. Allerdings haben wir nicht diese Art von auffälliger, greller Kleidung getragen, die zum Beispiel Transgender-Leute manchmal tragen. Die Art, wie wir uns kleiden, ist die einfacher Leute, so wie ich auch im Büro aussehe. Ich bin mir sicher, dass wir sonst Probleme bekommen würden. Hätten wir Paraden wie zum Beispiel in Berlin, dann wäre das sicher zu viel Provokation für die Leute hier. Soweit sind wir noch nicht.
„Niemand wird von Schwulen aufgefressen und das ist auch keine ansteckende Krankheit. Wir wollen nur ebenso stolz auf uns sein dürfen wie die anderen. Die Stadt wird schöner, wenn wir alle verschieden sind.“
„Niemand wird von Schwulen aufgefressen und das ist auch keine ansteckende Krankheit. Wir wollen nur ebenso stolz auf uns sein dürfen wie die anderen. Die Stadt wird schöner, wenn wir alle verschieden sind.“
Altin Hazizaj & Pink Embassy
Altin Hazizaj ist Anwalt, Aktivist und Vorsitzender der beiden NGOs Pink Embassy und Children Rights Centre Albania. Bereits seit 25 Jahren engagiert er sich in Albanien für die Einhaltung der Menschenrechte und ist Autor zahlreicher Studien in diesem Zusammenhang. Er wirkte federführend an der Entstehung des Rechts gegen Diskriminierung mit, das in Albanien erstmals Menschen der LGBT Community schützt und 2010 im Parlament beschlossen wurde.
Pink Embassy setzt sich in Albanien als führende Organisation für die Rechte der LGBT Community ein. Dabei geht es einerseits um die tatsächliche Einhaltung bereits bestehender Gesetze, andererseits um noch anstehende Reformen und Aufklärungsarbeit. Öffentlich sichtbar wird die Arbeit vor allem bei jährlichen Events, wie etwa dem Festival of Diversity, das 2012 zum ersten Mal gefeiert wurde.
Foto: © 2018 Global Woman Summit
Glauben Sie, dass das eines Tages möglich sein wird?
Ich denke, dass das Bewusstsein für und dadurch auch die Akzeptanz von LGBT-Themen steigt, weil wir die Menschen informieren. Sie sehen unsere Veranstaltungen, lernen darüber in der Schule oder sehen es im Fernsehen. Sie sind dem sozusagen konstant ausgesetzt. Trotzdem wären Veranstaltungen wie die Berliner Parade zu extrem. Das liegt aber nicht an der LGBT-Gemeinde, sondern daran, dass Albanien ein traditionelleres Land ist. Sobald es um Sexualität geht, sind die Leute hier etwas distanzierter. Das müssen wir respektieren und einen gemeinsamen Rahmen finden, der auch unsere Rechte nicht beschneidet. Es war nie unser Ziel, andere Bürger zu provozieren, sondern sie sollen verstehen, dass es hier um die Rechte jeder einzelnen Person geht. Niemand wird von Schwulen aufgefressen und das ist auch keine ansteckende Krankheit. Wir wollen nur ebenso stolz auf uns sein dürfen wie die anderen. Die Stadt wird schöner, wenn wir alle verschieden sind.
Verändert eure Arbeit etwas?
Definitiv! Generell kann man sagen, dass die LGBT-Community besser akzeptiert und positiver wahrgenommen wird. Als wir 2010 begonnen haben, konnte man kaum fünf Leute in einem Raum dazu bringen, über unsere Rechte zu diskutieren. Heute gibt es Regierungsmitglieder, die verstehen, dass es ihre Pflicht ist, herzukommen, zuzuhören und aktiv zu sein. Wenn du 2010 jemandem gesagt hättest, dass du schwul oder lesbisch bist, dann hätten sich die Leute dir gegenüber sehr schlecht verhalten, weil sie fehlinformiert waren. Viele glaubten zum Beispiel, das Schwule pädophil sind. Die Informationen, die wir in Umlauf bringen, zeigen jetzt ihre Wirkung. Auch unsere Beziehung zur Polizei hat sich verbessert. Früher wurden Schwule oft wahllos irgendwelcher Vergehen beschuldigt und verhaftet. Heute arbeiten wir mit der Polizeiakademie zusammen. Wir schulen die Beamten, damit sie unsere Rechte respektieren und unsere Leute schützen können. Denn Hass, der sich auf die sexuelle Orientierung bezieht, ist ein kriminelles Vergehen und muss bestraft werden.
Sehen Sie sich häufig mit Hass und Gewalt konfrontiert?
Die Pride Parade wurde nie angegriffen und auch sonst gibt es diesbezüglich keine negativen Vorfälle – das ist das Allerwichtigste. Lediglich bei der P(ride) 2013, einer der beiden Regenbogenparaden in Tirana, bei der viele mit dem Fahrrad unterwegs waren, gab es einen kleinen Zwischenfall. Jemand hat nach der Parade Rauchbomben auf die Teilnehmer, die noch in einem Café saßen, geworfen. Es wurde aber nie genau untersucht, ob es da wirklich einen Zusammenhang gibt. In den sozialen Netzwerken gibt es aber sehr viel Hass. Viele Politiker sind gegen diese Art von Veranstaltungen und versuchen, die Leute gegen uns aufzubringen. Sie wissen auch, dass die Medien auf dieses Thema reagieren und nutzen das gezielt, um von anderen Themen abzulenken. Sie wollen uns für Misserfolge verantwortlich machen und starten Diskussionen, die von uns gar nicht gewünscht werden. Wir versuchen deshalb, dem zuvorzukommen: Wir sprechen sensible Themen an, diskutieren über verschiedene Meinungen und nehmen den Politikern so ihre Argumente weg. Ich glaube, das ist eine der besten Strategien für unsere Arbeit.
Sich als schwul oder lesbisch zu outen, ist wohl niemals einfach. Insbesondere von ihren Familien können sich albanische Jugendliche und junge Erwachsene selten positive Reaktionen erwarten.
Die Akzeptanz von Seiten der Familie ist wirklich ein ernsthaftes Problem. Es wird auch noch lange dauern, bis sich das ändert. Wir haben kürzlich eine Studie zur Haltung von Lehrern gegenüber LGBT-Schülern durchgeführt, wo wir die Lehrer unter anderem gefragt haben: „Wenn Ihr eigenes Kind schwul, lesbisch, bisexuell oder transgender wäre, würden Sie Ihr Kind dann akzeptieren und unterstützen?“ Siebzig Prozent der Befragten antworteten darauf mit „Nein“. Das ist ein riesiger Anteil! Siebzig Prozent denken wirklich, dass da etwas falsch ist mit ihrem Kind, dass ein schwules, lesbisches oder Transgender-Kind keine Menschenwürde hat. Wir müssen uns überlegen, wie wir die Eltern informieren und ihre Haltung ändern können. Es ist aber sehr schwierig, die Eltern zu erreichen. In der Politik gibt es Gesetze, man kann jemanden verantwortlich machen und so weiter. Wenn es aber um die Eltern geht, hat niemand das Recht, in ihr Haus zu gehen und sich einzumischen, außer eben durch Fernsehen, Radio oder anderes Informationsmaterial.
„Siebzig Prozent denken wirklich, dass da etwas falsch ist mit ihrem Kind, dass ein schwules, lesbisches oder Transgender-Kind keine Menschenwürde hat.“
In Tirana gibt es darum den Streha Shelter, einen Zufluchtsort für Kinder und Jugendliche, die auf Grund ihrer sexuellen Orientierung ernsthafte Probleme mit ihren Eltern haben. Sind viele auf dieses Angebot angewiesen?
Zum Glück müssen nur sehr wenige junge Leute auf diese Möglichkeit zurückgreifen. In den meisten Fällen ist es so, dass, wenn Jugendliche oder junge Erwachsene sich vor ihrer Familie outen, dieses Thema nach zwei bis vier Wochen vom Tisch ist. Ob man es dann als gelöst bezeichnen kann, ist eine andere Sache. Die Mehrheit der Familien durchlebt besonders während der ersten Woche viele Krisen. Darum haben wir eine Telefonseelsorge eingerichtet, die man rund um die Uhr anrufen kann. Sowohl die Jugendlichen als auch die Eltern können sich dort melden und alle Fragen stellen, die sie möchten. Gleichzeitig haben wir auch sehr viele Informationen auf der Website von Pink Embassy und zwei Handbücher. Vielleicht müssten wir aber noch strategischer denken, etwa wie wir Eltern noch besser erreichen können, damit sie ihre Kinder unterstützen und nicht dasselbe passiert wie in der Studie mit den Lehrern.
Was ist das größte Problem für die Eltern?
Es gibt da diesen wunderschönen albanischen Film, der gar nichts mit LGBT zu tun hat, sondern mit Betrug. Das Paar in dem Film beschließt, sich gegenseitig zu betrügen. Das Problem, vor dem die beiden dann aber stehen, ist, wie sie das der Welt mitteilen können. Viele Eltern haben genau dieses Problem. Es ist nicht so, dass sie vollauf besorgt um die Sexualität ihrer Kinder sind, sondern eher darüber, was die Gesellschaft mit ihrem Kind machen wird. Die größte Angst ist, dass der Sohn oder die Tochter von anderen Kindern gemobbt wird und die Lehrer ihn oder sie schikanieren. Es ist also mehr die Sorge um das Glück, um Menschenrechte und den Schutz vor Gewalt. Das ist eine berechtigte Sorge, die wohl alle Eltern haben.
Wie kann man dem entgegenwirken?
Gab es in den Jahren, in denen Sie sich schon für die LGBT-Community einsetzen, einen Moment, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
2010 organisierten wir das allererste Festival der Vielfalt. Das war das erste Mal in der albanischen Geschichte, dass eine LGBT-Aktivität mitten in der Stadt stattfand. Es gab viel Furcht, von Seiten der anderen Leute natürlich, nicht von uns. Was werden diese Schwulen und Lesben machen? Werden sie ihre Ärsche und Brüste und wer weiß was zeigen? Wirklich, das waren die Sorgen. Wir hatten angekündigt, dass wir die Regenbogenflagge dem Premier überreichen würden, und die Medien dachten alle, dass es eine große Parade gäbe. Wir hatten aber nie über eine Parade gesprochen oder eine geplant. Alle Aktivitäten fanden auf dem Hauptboulevard statt, es gab aber eine Pressekonferenz zu Beginn der Feierlichkeiten im 150 Meter entfernten Hotel Rogner. Es passierte also Folgendes: Wir hatten alle Flaggen und Schirme in den Regenbogenfarben und liefen nach der Pressekonferenz vom Hotel Rogner zum eigentlichen Veranstaltungsort. Alles war ganz bunt. Danach sagte ein Freund zu mir: „Altin, jetzt hatten wir doch eine Regenbogenparade!“ Es war zwar nie geplant, aber es ist einfach so passiert.
Erstmals publiziert auf Postcards from Albania im Juni 2018.
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt: © Julia Putzger. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Albanische LGBT-Aktivisten besuchen die Tirana Gay Pride anlässlich des Internationalen Tages gegen Homophobie und Transphobie (IDAHOT) am 13. Mai 2018 auf dem Hauptboulevard in Tirana. Foto: © Gent Shkullaku/AFP/picturedesk.com.