Mit Herz und Seele gefoltert

Albaniens dunkle Geschichte

Gezim Peshkepia und Simon Mirakaj haben die Gräueltaten des Hoxha-Regimes überlebt. Heute empfinden sie es als ihre Pflicht, an die Verbrechen der Diktatur zu erinnern. Denn Albanien hat seine dunkle Geschichte noch lange nicht aufgearbeitet.

„Wundprügeln mit einem Holzstock. Bohren von glühendem Draht ins Fleisch. Stromschläge. Nackt in der Kälte Aussetzen. Anzünden der Genitalien. Anfüllen des Mundes mit Salz. Schlaf­entzug. Verbannung in den Sarg.” Insgesamt 36 Foltermethoden der berüchtigten Geheimpolizei Sigurimi listet das Institut zur Aufklärung über Verbrechen des Kommunismus in Albanien auf. Manche davon lesen sich wie das Drehbuch eines Splatterfilms, einige erinnern an die US-amerikanischen Praktiken in den Gefangenenlagern Abu Ghraib und Guantanamo Bay und andere wirken in ihrer Perfidität einzigartig. Was Zeitzeugen wie der 78-jährige Gezim Peshkepia und der 74-jährige Simon Mirakaj durchmachen mussten, lässt sich nur erahnen.

„Unsere Geschichte ähnelt den Geschichten vieler anderer Familien in Albanien“, sagt Peshkepia. Als in Albanien das kommunistische Regime an der Macht war, verbrachte er vier Jahre im Gefängnis und später acht Jahre im Arbeitslager. Auch Mirakaj überlebte mehrere Arbeitslager und war 46 Jahre in Haft. An diesem Vormittag sitzen die beiden in einem Besprechungszimmer des Instituts im Zentrum von Tirana, um über ihre Erlebnisse während der Diktatur in Albanien zu berichten.

Es war 1944, als die Kommunisten unter der Führung von Enver Hoxha das kleine Land am Westbalkan nach dem Abzug der deutschen Besatzungsmacht übernahmen. Das Regime, das sie danach etablierten, suchte in seiner Brutalität seinesgleichen. Albanien orientierte sich während der Hoxha-Diktatur erst am sozialistischen Jugoslawien, dann an der stalinistischen Sowjetunion und schließlich an Maos China. Mit allen Verbündeten brach es danach wieder. Sein Isolationismus machte den Balkanstaat für Jahrzehnte zu einer der brutalsten Diktaturen Europas. Geistliche, Intellektuelle und Oppositionelle waren dem Regime ein Dorn im Auge und wurden samt ihren Familien vom Sigurimi verfolgt. Bis 1990 standen Bespitzelungen, Folter, Hinrichtungen, Isolation, Sippenhaft, Terror und Zwangsarbeit an der Tagesordnung. Wie viele Albaner der Schreckensherrschaft zum Opfer fielen, ist nicht gesichert. Geschätzte 6.000 bis 7.000 Menschen wurden vom Regime direkt exekutiert. Dazu kommen bis zu 300.000 Menschen, die deportiert und unter unvorstellbaren Bedingungen in Arbeitslagern interniert wurden. Denn der „entscheidende Faktor für die Rehabilitation von Internierten und Deportierten ist Arbeit“, wie es in einem Dokument des Innenministeriums von 1972 heißt.

Fäkalien essen und Folter

Als Diktator schreckte Hoxha vor nichts zurück. Selbst entfernte Verwandte, wie die Familie von Gezim Peshkepia, blieben von Arbeitslager und Exekution nicht verschont. Peshkepias Onkel war mit einer Cousine Hoxhas verheiratet. Im Haus der Familie in Tirana ging der spätere Diktator deswegen ein und aus. „Hoxha schreibt in seinen Büchern, dass unser Haus so wie sein eigenes Haus war“, sagt Peshkepia. Doch nach der Macht­übernahme half auch dieser Umstand nichts mehr. Als Intellektueller fiel sein Vater 1951 einer der ersten Säuberungswellen zum Opfer und wurde gemeinsam mit 22 anderen Intellektuellen erschossen. Peshkepia selbst war vier Jahre im Gefängnis der albanischen Stadt Berat eingesperrt, kam frei und wurde 1975 unter dem Vorwand der „Agitation und Propaganda“ gegen das Regime in Tirana erneut verhaftet. Einige Stunden später fand er sich mit verbundenen Augen auf einem Laster wieder, gefesselt an einen Mithäftling, auf dem Weg in das 144 Kilometer entfernte Ballsh. „Es war ein Lager, wo selbst 96-jährige Greise interniert waren.“

© Roman Wagner

Das “House of Leaves”, unweit des Skanderbeg-Platzes in Tirana, war früher die Abhörzentrale des Sigurimi. Später gelangte es in den Besitz der Regierung und beherbergt seit 2015 Ausstellungsstücke, die damals der Geheimdienst verwendete, um das Volk zu bespitzeln. Foto: © Roman Wagner

Acht Jahre musste er Zwangsarbeit in der Kleinstadt im Süden Albaniens verrichten. Es galt, eine Ölförderungsanlage aufzubauen. Wo heute Albaniens größte Raffinerie steht, musste der heute 78-Jährige für die „Vergehen“ seines Vaters – das Verfassen von Gedichten – teuer bezahlen. Das Erdöl des kleinen Landes am Westbalkan war damals mit dem Blut und Schweiß von Häftling­en­ aufzuwiegen. Am Gelände des früheren Arbeitslagers steht heute nicht einmal ein Gedenkstein. Die Arbeit hier sei aber noch ein „Luxus“ gewesen, sagt Pesh­kepia. Denn im Vergleich zu den Zuständen in den Lagern Luschnja, Spaç oder Tepelena könnten jene in Ballsh als „harmlos” bezeichnet werden.

Postcards from Albania

Postcards from Albania ist ein journalistisches Rechercheprojekt von Studierenden des Studiengangs Journalismus und PR der FH Joanneum in Graz. Im Frühsommer 2018 berichtete das 19-köpfige Redaktionsteam live von seiner zehntägigen Recherchreise durch den Westbalkan. erstestiftung.org teilt ausgewählte Artikel aus dem daraus entstandenen umfassenden Online- und Printmagazin und hat diese ins Englische übersetzt.

Grafik: © Margit Steidl / Studiolo M

Luschnja, Spaç, Tepelena – die Namen von Orten, die in Albanien jeder kennt und die zu Symbolen des Terrors wurden. Insgesamt 33 Arbeitslager gab es unter Hoxha. Die schrecklichsten von ihnen lagen in der Peripherie – kleine Höllen in den entlegensten Winkeln des Landes, die nur für die schlimmsten Feinde des Regimes bestimmt waren. Simon Mirakajs Vater war so ein Feind. Als Sohn eines führenden Antikommunisten wurde Mirakaj als zwei Wochen alter Säugling gemeinsam mit seiner Familie interniert und verbrachte 46 Jahre in Haft. Er musste Gräber ausheben, Holz fällen und Sümpfe trocken legen.

Im Arbeitslager von Berat lernte er gehen, in Tepelena das Fußballspielen, in Luschjna pubertierte er und im Lager Dschasa wurde er erwachsen. Es sei so viel Trauriges während dieser Zeit passiert. Doch in Tepelena, wo man Häftlinge zwang, Erbrochenes oder Fäkalien zu essen und sie zur Strafe in Latrinen tauchte, „war es am schlimmsten“. Innerhalb von 24 Stunden seien dort 20 Kinder aufgrund von mangelnder Hygiene gestorben. Doch nicht nur deswegen war Tepelena so gefürchtet. „Der Hof des Militärgeländes, auf dem sich das Lager befand, war noch aus der Zeit des griechisch-italienischen Kriegs von 1941 vermint. Minen explodierten und wir sahen, wie die Körperteile umherflogen“, sagt Mirakaj. Das Arbeitslager trieb viele Häftlinge in den Selbstmord. In der Hoffnung auf Erlösung flohen Gefangene, um dabei erschossen zu werden oder liefen absichtlich in das Minenfeld. Die Angst war groß. „Wenn wir zur Arbeit gingen und zurückkamen, verabschiedeten und begrüßten wir uns jeden Tag so, als wäre es unser letzter.“

Die Mahlzeiten seien oft extrem karg gewesen. „Nur zweimal am Tag bekamen wir Essen. Meistens war es Wassersuppe voller Würmer.“ Hätten sie die Würmer aussortiert, wäre gar nichts mehr vom Essen übrig geblieben. Für den Schulweg, der bergauf über eine Brücke führte, fehlte den Kindern aus dem Lager oft die Kraft. „Einmal blieben mehrere Mädchen auf der Brücke stehen und beschlossen, hinunter in den Tod zu springen. Doch ein anderes Mädchen redete ihnen im letzten Moment ins Gewissen. Die Mädchen entschieden sich um und gingen weiter.“ Ohne die Bewohner des nahegelegenen Dorfes, die den Gefangenen nachts Lebensmittel brachten, wären er und sein Bruder gestorben, glaubt Mirakaj.

Auch, wenn es oft aussichtslos schien, gaben die beiden die Hoffnung nie auf, irgendwann freizukommen. Der Zusammenhalt und ein verbotenes Radio bestärkten sie in ihrem Glauben. „Viele Mitgefangene hatten im Ausland studiert, erzählten uns von der Welt und weckten so die Hoffnung, dass auch wir eines Tages frei kämen.“ Mit dem Radio lauschten sie oft ausländischen Sendern. „So wussten wir, was in der Welt vor sich ging.“ Immer seien Leute draußen Schmiere gestanden, damit sie niemand beim Radiohören entdecke. Von den Wendeereignissen des Jahres 1989 erfuhren sie zusammengekauert in einer Holzbaracke, in der Angst jeden Moment erwischt zu werden. Der Fall der Berliner Mauer gab ihnen Hoffnung. „Wir hörten, dass die Berliner weinten und musst selbst auch weinen, denn wir fühlten mit ihnen.“

© Roman Wagner

Im damaligen Hoxha-Bunker am Stadtrand von Tirana ist seit 2014 das Museum “Bunk’Art 1” untergebracht, das sich mit dem Leben der albanischen Bevölkerung während der Diktatur im Allgemeinen befasst. Wer sich speziell für den Sigurimi interessiert, sollte die Stufen des unterirdischen Innenministeriums-Bunkers hinabsteigen. Dort wurde 2016 “Bunk’Art 2” eröffnet. Foto: © Roman Wagner

Vergangenheitsbewältigung und Generationenkonflikt

Es sind Geschichten wie diese, die Symptome der viel zu spät begonnenen Vergangenheitsaufarbeitung in Albanien sind. Geschichten, wie die des Ex-Polizeichefs Dilaver Bengasi, der nach der Wende Vize-Innenminister, Anwalt und Universitätsprofessor werden konnte und in Interviews offen zugibt, dass noch immer ehemalige Sigurimi-Agenten beim SHIK, dem heutigen albanischen Geheimdienst, arbeiten. Geschichten, wie die von Sali Berisha, der als Leibarzt Hoxhas nach dem Zusammenbruch des Kommunismus Präsident und Premierminister werden konnte. Geschichten, wie die von Gramoz Ruci, dem letzten Innenminister während der Diktatur, der ungehindert Parlamentspräsident werden konnte und ein Parteifreund von Premierminister Edi Rama ist.

3 Fragen an Jonila Godole

Könnten Sie sich kurz vorstellen?

Ich bin Jonila Godole und arbeite für das Institut für Demokratie, Medien und Kultur in Tirana. Es beschäftigt sich mit der Aufarbeitung der Vergangenheit. Wir trainieren Lehrer im Fach Geschichte und arbeiten mit Jugendlichen.

Wo sehen Sie die Probleme der Vergangenheitsbewältigung in Albanien?

Albanien betreibt Geschichtsaufarbeitung erst seit vergleichsweise kurzer Zeit. 20 Jahre verstand man darunter nur, dass die ehemals politisch Verfolgten eine materielle oder finanzielle Entschädigung bekommen. Die Lehrpläne für Schulen haben sich kaum verändert. Über die Verfolgungen, Hinrichtungen und Internierungslager steht nichts in den Geschichtsbüchern. Wenn ich Schüler frage, was sie über die Diktatur wissen, können sie mir keine Antwort geben. Man weiß zwar, dass Enver Hoxha ein Diktator war, findet ihn aber trotzdem sympathisch, denn Hintergrundwissen fehlt. Man sieht den ehemaligen Herrscher auch heute noch überall. Weil sich Fotos von ihm in Zeitungen gut verkaufen, ist er allgegenwärtig. Nostalgiker kaufen diese Zeitungen. Es gibt hier kein Gesetz zur Entkommunisierung. Die kommunistischen Symbole sind nicht verboten und auch die Verleugnung der Diktatur ist nicht strafbar. Noch heute gehen Menschen mit einem Porträt von Hoxha auf die Straße.

Was ist ihr persönlicher Bezug zur Hoxha-Zeit?

Als Kind wusste ich gar nichts darüber. Was meine Familie während der Diktatur erlebte, habe ich erst später erfahren. Zwar merkte ich, dass viele Sachen nicht stimmen, aber wie soll ein Kind darüber aufgeklärt werden, wenn mit ihm nicht gesprochen wird? Meine Verwandten lebten zerstreut in Albanien und ich habe sie nur selten gesehen. Es war schwierig, etwas herauszufinden. Als ich zwölf Jahre alt war, begann ich zu hinterfragen. Spätestens mit 15, während der politischen Wende, wollte ich Antworten. Ich wunderte mich, warum junge Menschen, die teilweise gebildet waren und nur gute Noten schrieben, das System nicht durchschaut hatten. Es war mir ein persönliches Anliegen.

Foto: © Roman Wagner

Oder Geschichten, wie die von Gezim Peshkepia, der erschaudern musste, als er vor vier Jahren in Tirana auf offener Straße Kosta Gazeli begegnete. Dem Mann, der ihm in Ballsh mit einem Grinsen im Gesicht die Zähne ausgeschlagen hatte. „Er wurde nach dem Kommunismus als Vize-Botschafter nach Griechenland geschickt und wurde dann Lehrer an einer Militärakademie hier in Tirana“, sagt Peshkepia. Damals habe sein Peiniger ihn „mit Herz und Seele“ gefoltert. Peshkepia und Mirakaj wurden für das erlittene Martyrium finanziell entschädigt. Doch bis heute sind nicht alle Kompensationen an die Opfer des Sigurimi-Terrors ausbezahlt worden. Ohnehin fallen die Entschädigungszahlungen nur sehr bescheiden aus. Simon Mirakaj bekam 20 Millionen Lek, was heute rund 150.000 Euro entspricht. In einem Land mit einem Durchschnittseinkommen von umgerechnet 230 Euro mag das auf den ersten Blick nach viel Geld klingen. Doch was ist schon ein Geldbetrag im Wert einer Eigentumswohnung gegen 46 Jahre geraubter Lebenszeit?

Gedenkstätten und Aktivismus

Heute setzen sich Peshkepia und Mirakaj für die Vergangenheitsaufarbeitung in Albanien ein. Der 78-jährige Peshkepia ist am Institut zur Aufklärung über Verbrechen des Kommunismus in Albanien beschäftigt. Mirakaj sitzt im Vorstand der 2016 neu geschaffenen und von Gentiana Sula geleiteten Behörde für den Zugang zu den Sigurimi-Akten. 2015 wurden nach langwieriger Gesetzesreform endlich die Archive geöffnet. Bürger können seitdem ihre Akten einsehen. Sulas 30-köpfiges Team wacht über das Archiv, das 30 Millionen Papierseiten, 212.000 Aktendossiers und 250.000 Tondokumente fasst. Stetig sucht die Behörde nach neuen Quellen, Akten und Dossiers, um die albanische Öffentlichkeit mit mehr Informationen versorgen zu können. Dies sei bitter nötig. „Die Leute wissen noch immer viel zu wenig über die Hoxha-Zeit. Weder, wie viele Menschen ihr Leben lassen mussten, noch, wie viele interniert wurden und schon gar nicht, was alles in den Arbeitslagern vor sich ging“, sagt die Direktorin des Sigurimi-Archivs. Vielmehr wäre die Indoktrinierung durch die Hoxha-Propaganda auch heute noch stark spürbar. Viele Albaner würden sich noch immer die vermeintlichen Erfolge des Sozialismus schönreden. Die Erklärung für tragische Ereignisse, wie die zufällige Begegnung Peshkepias mit seinem Peiniger, liegt für sie in der mangelnden Aufklärung über die Hoxha-Zeit.

Geister der Vergangenheit

Sulas Arbeit ist herausfordernd. Ihre staatliche Behörde sollte eigentlich aus 60 statt 30 Menschen bestehen, doch es fehlen Ressourcen. Hinzu kommt, dass viele Akten nach dem Umbruch vernichtet wurden. Die Angst der Bevölkerung ist für sie jedoch eine der größten Hürden. „Viele Menschen fürchten, dass man die Akten wieder gegen sie verwenden könnte, weil sie ein System durchgemacht haben, in dem diese genau dafür vorgesehen waren.“ Dass damals jeder Fünfte – manchen Quellen zufolge sogar jeder Dritte – mit dem Sigurimi kollaboriert haben soll, erschwert der 49-Jährigen die Arbeit zusätzlich. Wer gibt schon freiwillig zu, seinen Nachbarn bespitzelt zu haben? Drei Museen und ein Denkmal wurden in den letzten vier Jahren in Tirana zur Aufarbeitung der Jahre des Terrors errichtet. Nicht alle von ihnen stoßen auf Zuspruch bei den Opfern. Die beiden unterirdischen Bunker – Überbleibsel aus der Diktatur, die zu den Bunk’Art-Museen gemacht wurden – stoßen Mirakaj sauer auf. „Gedenkstätten müssten in den früheren Arbeitslagern eingerichtet werden, nicht im unterirdischen Bunker“, sagt er und schüttelt den Kopf. Das Umwandeln von kommunistischen Relikten in „Kunst” halte er für falsch. Sula hingegen ist froh, dass überhaupt etwas geschieht. „Natürlich muss noch mehr getan werden, aber es ist zumindest ein Zeichen“, sagt sie.

Gelungen finden Peshkepia und Mirakaj hingegen das sogenannte Haus der Blätter. „Wir kommen immer wieder hierher, um uns zu erinnern“, sagt Peshkepia, als er mit Mirakaj durch die Eingangspforte des Geländes tritt, das die schlichte, mit Efeu bewachsene Villa gegenüber der orthodoxen Kathedrale von Tirana umgibt. Die Villa war in frühen Tagen des Regimes ein Folter- und Verhörgefängnis und wurde später zur Abhörzentrale umfunktioniert. Peshkepias Briefe wanderten hier durch die Finger von Geheimdienstmitarbeitern, seine Anrufe wurden von hier aus überwacht und hier protokollierte man jede seiner Aktivitäten. Jeder in Tirana wusste, was hier geschah. Über die Geschehnisse in diesem Gebäude zu sprechen, wagte jedoch niemand. Heute ist die ehemalige Abhörzentrale ein Museum zum Andenken an die Verbrechen der Geheimpolizei. Im Inneren des Hauses herrscht noch immer eine Stimmung, als befände man sich tatsächlich im Abhörgefängnis eines paranoiden Geheimdienstes. Fotos sind nicht erlaubt. Ein nervöser Museumsaufseher weist einige Besucher mit Kamera darauf hin. Er folgt ihnen in jeden Ausstellungsraum.

Peshkepia und Mirakaj hatten ursprünglich geplant, während eines Rundganges durch das Museum darüber zu berichten, was ihnen während der Hoxha-Diktatur widerfahren war und nicht in einem Besprechungszimmer des Institutes zur Aufklärung über Verbrechen des Kommunismus in Albanien. Doch der grimmig blickende Wachmann am Eingangsportal will das nicht. Es brauche eine Genehmigung des Kulturministeriums für Interviews am Gelände des House of Leaves, lässt er die beiden Männer wissen, die die Vorschrift mit einer Mischung aus Verwunderung und Resignation zur Kenntnis nehmen. 46 Jahre Kommunismus und Bürokratie hätten Land und Leute geprägt. „Der Wachmann hat uns mit den Augen eines kommunistischen Bürokraten angeschaut“, sagt Peshkepia. „Diese Wachsamkeit ist pure kommunistische Mentalität. Sie ist uns geblieben.“

Erstmals publiziert im November 2018 in der Printversion von Postcards from Albania

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt: © Nikolaus Pichler / FH Joanneum. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Die “Site of Witness and Memory” im ehemaligen Folter-Gefängnis von Shkodra geht 2019 in ihr viertes Jahr. Für 150 albanische Lek können im Museum auf zwei Etagen Verhörräume, Originale, die von Zeitzeugen gespendet wurden, Dokumente aus den Beständen des Sigurimi und die ehemaligen Gefängniszellen im Originalzustand besichtigt werden. Foto: © Roman Wagner

“Demokratie ist harte Arbeit.”

“Lobbying kann ein mächtiges Instrument für den sozialen Wandel sein.”

“Vom Leben im Krieg für den Frieden lernen.”

“Proletarier aller Länder, wer wäscht eure Socken?”

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