27. April 2022
Erstmals veröffentlicht
15. Dezember 2020
Quelle
Die europäische Revolution in Sachen erneuerbare Energien begann in Kamena Gora, einer entlegenen Bergregion im Südwesten Serbiens, mit einem Knall und einem Erdrutsch. Für diese Reportage deckte die Autorin Dina Ðorđević für Reporting Democracy bzw. BIRN auf, wie eine von der EU geförderte Kampagne zum Bau von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energie Subventionen abschöpft und intakte Wasserläufe in Serbien und der umliegenden Region zerstört.
Im Juli 2015 legten Arbeiter für den Bau eines kleinen Wasserkraftwerks eine Straße quer durch die Bergregion an und sprengten einen großen Felsen inmitten eines Naturschutzgebiets. Sie hatten bereits geschützte Bäume gefällt und damit einen Erdrutsch ausgelöst. Dann verlegten sie Rohrleitungen, die das Wasser eines Gebirgsflusses zu ihrer neuen Anlage, einer in einem kleinen Gebäude befindlichen Turbine, leiten sollten.
Die Menschen, die an den Hängen des Kamena Gora lebten, waren entsetzt. Seit Generationen waren sie auf den Fluss zur Bewässerung ihrer Felder angewiesen. Für das kleine Wasserkraftwerk war dieser umgeleitet worden. Nun sahen sie ihre Lebensgrundlage bedroht. Zudem ließ das Projekt die erst im Vorjahr verkündete Entscheidung der Regierung, den Berg zum Naturschutzgebiet zu erklären, zu einer Farce verkommen.
In Gracanica, einem 200-Seelen-Dorf, häuften sich die Beschwerden über das Bauprojekt bei Gemeinderat Nehro Rovcanin. „Ein so schöner Teil des Landes hätte nie verbaut werden dürfen“, erklärte er dem Balkan Investigative Reporting Network (BIRN). „Es schadet der Umwelt und widerspricht den Interessen der Menschen.“
Rovcanin rief die Polizei und konnte die Bauarbeiten stoppen – jedoch nicht lange. Innerhalb weniger Tage wurden die Arbeiten wieder aufgenommen. Den Betreibern der Anlage fehlte ein wichtiges Dokument, ein Umweltverträglichkeitsbericht, was sie aber nicht von ihren Plänen abbrachte.
Das Kraftwerk wurde 2016 eingeweiht, im selben Jahr, in dem sein Eigentümer, der Baumagnat Branislav „Gugi“ Savić, im benachbarten Montenegro wegen seiner Beteiligung an einem millionenschweren Immobilienskandal inhaftiert wurde. Bekannt ist der sogenannte „Budva-Skandal“ eher dafür, dass er die politische Karriere von Svetozar Marović beendete, dem letzten Präsidenten Restjugoslawiens, der bis dahin der zweimächtigste Mann in Montenegro gewesen war.
Ein Kleinwasserkraftwerk mag für einen wohlhabenden, gut vernetzten Geschäftsmann, der es mit dem Gesetz nicht so genau nimmt, keine große Investition sein. Doch Savić war nicht der einzige, der sich in Serbien den Ausbau erneuerbarer Energien auf die Fahnen geheftet hatte. Im Osten Serbiens, nahe der bulgarischen Grenze, wurden ein Stück Land und die Baugenehmigung für ein kleines Wasserkraftwerk von einem Unternehmen erworben, das mit Ljubiša Buha „Čume“ in Verbindung gebracht wird, einem prominenten Belgrader Gangster, der vor allem dafür bekannt ist, gegen andere Mafiagruppen ausgesagt zu haben, die in die Ermordung des ehemaligen serbischen Ministerpräsidenten Zoran Ðinđić verwickelt waren. Nach Angaben des in Belgrad ansässigen Zentrums für Investigationsjournalismus CINS wurden wichtige Genehmigungen für ebendiese Anlage an ein Unternehmen im Dunstkreis von Miloš Pandrc weiterverkauft, einem verurteilten Kokainhändler und ehemaligen Kompagnon des Drogenbarons Darko Šarić, der derzeit in Serbien wegen Schmuggels und Geldwäsche in Haft sitzt.
Serbiens Kleinwasserkraftwerke sind Teil eines balkanweiten Baubooms. In den vergangenen 20 Jahren wurden Hunderte solcher Anlagen an Gebirgsflüssen und Nebenflüssen des Donaubeckens errichtet, von Rumänien im Osten bis nach Albanien im Westen und von Nordmazedonien im Süden bis ins nördliche Slowenien.
Die Region besteht aus neuen EU-Mitgliedstaaten und Beitrittskandidaten, deren Einstieg in die Kleinwasserkraft von der Union unterstützt wurde, um „grüne“ Alternativen zu den Kohlekraftwerken zu fördern, die einen Großteil der Energie in der Region erzeugen. In ganz Südosteuropa vergaben europäische Banken Kredite für Projekte zum Ausbau erneuerbarer Energien und nationale Regierungen gewährten großzügige Subventionen als Anreiz für Privatunternehmen, in diesen Sektor zu investieren.
Mit der Verlegung von Rohren und der Errichtung von Betonbauten und Turbinen entlang naturbelassener Flussabschnitte drang man in Nationalparks, Naturschutzgebiete und den Lebensraum bedrohter heimischer Tierarten wie dem Balkanluchs oder Donaulachs ein.
In vielen dieser Länder waren die Gesetze zum Schutz der Umwelt jedoch wirkungslos oder wurden nur unzureichend umgesetzt. Die Kombination aus staatlichen Subventionen und laxen Regelungen führte zu einem Boom der Kleinwasserkraft, und vor lauter Profitgier wurde die Verpflichtung zum Naturschutz mit Füßen getreten. Ein Großteil der Bauarbeiten fand an entlegenen Berghängen statt, deren schnell fließende Gewässer sich optimal für die Energieerzeugung zu eignen schienen. Mit der Verlegung von Rohren und der Errichtung von Betonbauten und Turbinen entlang naturbelassener Flussabschnitte drang man in Nationalparks, Naturschutzgebiete und den Lebensraum bedrohter heimischer Tierarten wie dem Balkanluchs oder Donaulachs ein.
Diese Recherche von BIRN zeigt auf, wie die von der EU unterstützte Förderung erneuerbarer Energieträger auf dem Balkan letzten Endes zu Umweltschäden im Namen der Rettung des Planeten führte. Am Beispiel eines einzelnen Kleinwasserkraftprojekts in Serbien wird erläutert, wie für den Bau vorgeschriebene Umweltprüfungen immer wieder ignoriert oder erst im Nachhinein durchgeführt wurden.
„Es gab einen relativ klaren Gesetzesrahmen, was den Umweltschutz betrifft, aber dieser wurde so weit wie möglich umgangen“, erklärte Goran Sekulić, der ehemalige stellvertretende Direktor des serbischen Instituts für Naturschutz, einer von mehreren staatlichen, für die Genehmigung der neuen Anlagen zuständigen Stellen, gegenüber BIRN. „Die Verfahren wurden oft umgangen oder abgekürzt.“
Aus den von BIRN eingesehenen Dokumenten geht hervor, dass mindestens 24 der 116 Kleinwasserkraftwerke, die 2019 an das serbische Stromnetz angeschlossen wurden – also etwa ein Fünftel –, ohne Einholung maßgeblicher Umweltgenehmigungen errichtet worden waren. Die serbischen Behörden schenkten diesen offensichtlichen Verstößen jedoch kaum Beachtung. Nur gegen drei dieser 24 Anlagen wurden Ermittlungen wegen Verdachts unrechtmäßig erworbener Baugenehmigungen eingeleitet. Alle Ermittlungen wurden ohne Strafverfahren eingestellt.
Sekulić, der das Institut 2015 verließ und mittlerweile für den Worldwide Fund for Nature in Serbien tätig ist, erklärte, dass einige Anlagen zwar ohne gültige Genehmigungen errichtet worden seien, viele andere aber für Umweltschäden verantwortlich seien, obwohl sie sich genau an die Gesetze gehalten hatten. „Es gab einige Projekte, die in Schutzgebieten oder anderen sensiblen Bereichen großen Schaden anrichteten, aber ohne Weiteres genehmigt wurden“, meinte er.
Unternehmer wie Branislav Savić gibt es nicht viele unter den mehrheitlich unbescholtenen Investoren des serbischen Sektors erneuerbare Energien. Das Leute wie er in der Kleinwasserkraft mitmischen, hat vor allem mit den starken Anreizen zu tun, die dem schnellen Wachstum des Sektors zugrunde liegen und auf breites Interesse stoßen.
Investoren kleiner Wasserkraftwerke wurde eine Art Zuschuss angeboten, der als Einspeisetarif bekannt ist und üblicherweise von Regierungen angeboten wird, um kleine Privatunternehmen zum Bau von Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energie zu motivieren. Im Rahmen eines solchen Tarifs garantiert der Staat, dass er den von neuen Anlagen erzeugten Strom zu einem großzügig bemessenen Festpreis für einen bestimmten Zeitraum abnimmt – im Falle Serbiens waren dies 12 Jahre.
„Es gab gewichtige wirtschaftliche Gründe [für das Wachstum der Kleinwasserkraft]“, erklärte Sekulić gegenüber BIRN. „Die Entscheidungsprozesse [staatlicher Organe] orientierten sich in erster Linie an den finanziellen Interessen der Investoren … Leidtragende war die Umwelt.“
In den letzten zehn Jahren ist das Ausmaß der durch die Kleinwasserkraft bedingten Umweltauswirkungen nicht nur in Serbien offensichtlich geworden. In der gesamten Region mehren sich die Klagen über ausgetrocknete Flüsse und Obstplantagen, über unberührte Berghänge, die durch hässliche Bauprojekte verschandelt wurden.
Die Wut über die Schäden hat lokale Umweltbewegungen auf den Plan gerufen und trieb protestierende Landwirtinnen und Landwirte und Bürgermeisterinnen und Bürgermeister kleinerer Ortschaften auf die Straßen der Hauptstädte. Die Institutionen der EU forderten die Regierungen der Region auf, ihre Subventionen zu streichen, und europäische Banken verschärften ihre Bedingungen für die Finanzierung neuer Anlagen.
Die Maßnahmen haben nicht allzu viel bewirkt. Einige Länder in der Region haben erste Schritte unternommen, Förderungen für den Bau von Kleinwasserkraftwerken auslaufen zu lassen. Doch die Prozesse sind schleppend und ihr Ausgang ungewiss – sowohl in den Ländern, die der EU angehören, als auch in jenen, die ihr beitreten wollen.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Die Energiemärkte sind die Wiege des europäischen Projekts. Die heutige EU mit ihren 27 Mitgliedern ist aus der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl hervorgegangen, einem 1951 gegründeten Zusammenschluss von sechs Staaten. Sie sollten den Handel mit den für den Wiederaufbau des vom Krieg verwüsteten Kontinents als besonders wichtig erachteten zwei Ressourcen regeln. Das gemeinsame Bestreben um eine sichere Energieversorgung gab den Anstoß für die künftige Integration.
„Bei der Ausrichtung auf erneuerbare Energieträger geht es zum einen darum, die Abhängigkeit der EU von Lieferungen aus Drittländern zu verringern, da ein Großteil der erneuerbaren Energie lokal erzeugt wird.“
Die EU ist heute nach China und den USA der drittgrößte Energieverbraucher der Welt. Mehr als die Hälfte der in Europa benötigten Energie wird importiert, meist in Form von Öl und Gas aus Russland. Laut Jakub M. Godzimirski, Forschungsprofessor und Experte für europäische Energiepolitik am norwegischen Institut für Internationale Angelegenheiten, geht es bei den Bemühungen der EU um erneuerbare Energie nicht allein um die Eindämmung des Klimawandels. Wirtschaftliche und geopolitische Belange würden ebenso eine Rolle spielen.
„Bei der Ausrichtung auf erneuerbare Energieträger geht es zum einen darum, die Abhängigkeit der EU von Lieferungen aus Drittländern zu verringern, da ein Großteil der erneuerbaren Energie lokal erzeugt wird“, erklärte er BIRN. „Außerdem gilt es, die EU weltweit wettbewerbsfähiger zu machen. Wenn der Markt [für erneuerbare Energien] innerhalb der EU wettbewerbsfähig ist, wird die EU eher in der Lage sein, mit globalen Akteuren zu konkurrieren.“
Als drittgrößter Energiemarkt der Welt kann die EU erheblichen Einfluss auf die Energiepolitik ihrer Mitglieder und Beitrittskandidaten auf dem Balkan ausüben. Mit wirtschaftlicher Schlagkraft lassen sich auch Umweltvorschriften und Marktreformen vorantreiben, die oft darauf abzielen, die Dominanz staatlicher Monopole zu verringern.
Die EU übt diesen Einfluss nach Osten hin über die Energiegemeinschaft aus, eine internationale Organisation mit Sitz in Wien. Im Jahr 2006 ratifizierte Serbien neben sechs weiteren Balkanländern ein Abkommen mit der Energiegemeinschaft. Dieser Vertrag verpflichtete die Unterzeichner zur „Einhaltung von EU-Rechtsvorschriften in den Bereichen Umwelt, Investitionen, Marktverhalten und erneuerbare Energien“ als Voraussetzung für den Zugang zu „Finanzierungen für Energieprojekte durch die EU und internationale Finanzinstitutionen“.
Die Unterzeichner erklärten sich bereit, den Empfehlungen der Energiegemeinschaft zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien bei der Stromerzeugung nachzukommen. Nicht nur in Serbien wurde der Kleinwasserkraft Vorrang vor Wind- und Sonnenenergie eingeräumt.
Ein Kleinwasserkraftwerk besteht üblicherweise aus einem großen, in einem Flussbett verlegten Rohr, das das Wasser zu einer Turbine flussabwärts leitet. Befürworter dieser Technologie argumentieren mit der erhöhten Zuverlässigkeit gegenüber den stark wetterabhängigen Wind- und Solarkraftwerken.
Für Godzimirski seien kleine und große Wasserkraftwerke an sich kein Problem – wenn sie ordnungsgemäß reguliert würden, könnten sie von großem Nutzen sein. „Es geht darum, wie der Markt organisiert ist, um die Anreize, die man den Investoren bietet“, erklärte er gegenüber BIRN. „Und es geht darum, ob die nötigen Kontrollen rechtlich durchgesetzt werden können, [um sicherzustellen,] dass die Vorschriften eingehalten werden.“
Flurschäden
In den Jahren 2014 und 2015 wurde die Anlage in der Region Kamena Gora – offiziell unter dem Namen Kleinwasserkraftwerk Seoce bekannt – von Inspektoren des Umweltministeriums überprüft, einer der vielen serbischen Regierungsbehörden, die dafür sorgen sollen, dass die Umweltauflagen erfüllt werden. Dabei wurde festgestellt, dass einige der Umweltgenehmigungen der Anlage überholt waren – sie wurden im Jahr 2012 ausgestellt, lange bevor Kamena Gora zum Naturschutzgebiet erklärt wurde.
Die Eigentümer des Kraftwerks wurden aufgefordert, bei einer anderen serbischen Regierungsbehörde, dem Institut für Naturschutz, eine neue Genehmigung zu beantragen. Sie setzten die Bauarbeiten auf dem Berg jedoch fort. Es wurde weder um Genehmigung für den Bau einer Schotterstraße angesucht noch für das Fällen von Bäumen innerhalb des Naturschutzgebiets oder die Sprengung eines großen Felsens, um den Rohrleitungen Platz zu machen.
Im Juli 2015 reichte das Ministerium eine Klage wegen fehlender Dokumente gegen die Kraftwerkseigentümer ein. Diese erschienen jedoch nie vor Gericht und das Verfahren wurde schließlich nach Ablauf einer Verjährungsfrist im Dezember 2017 eingestellt.
Mittlerweile wurden die entsprechenden Genehmigungen beim Institut für Naturschutz beantragt und erteilt, sodass der Rest der Bauarbeiten rechtmäßig fertiggestellt werden konnte. Gemäß den BIRN vorliegenden Unterlagen des Umweltministeriums haben die Eigentümer den serbischen Staat auch für die Waldschäden entschädigt, wobei die Höhe des Betrags nicht genannt wurde.
„Das Fällen der Bäume schadet auch dem Boden“, meinte Ratko Ristić, Dekan der Fakultät für Forstwirtschaft an der Universität Belgrad, gegenüber BIRN. Selbst dort, wo wieder aufgeforstet wurde, könne es seiner Ansicht nach 60 bis 100 Jahre dauern, bis sich das Waldökosystem wieder erholt.
BIRN hat zwischen Mai und August 2021 drei Mal jenes Unternehmen, dem das Werk Seoce gehört, um eine Stellungnahme gebeten [editiert von Tipping Point]. Jedes Mal hieß es am Telefon, dass der Eigentümer Branislav „Gugi“ Savić die einzige auskunftsbefugte Person sei und dass er nicht erreichbar sei.
Das Kraftwerk Seoce war eines von 116 Kleinwasserkraftwerken, die 2019 Strom in das serbische Stromnetz einspeisten und deren überwiegende Mehrheit innerhalb der letzten zehn Jahre gebaut wurde. Gemäß Daten, die BIRN von lokalen Behörden und dem Institut für Naturschutz zusammengetragen hat, wurden mindestens 24 Anlagen errichtet, ohne dass die nach serbischem Recht vorgeschriebenen maßgeblichen Umweltschutzbedingungen eingehalten wurden.
Die Eigentümer dieser Anlagen begannen mit dem Bau, ohne die normalerweise in der Planungsphase vorgesehenen Umweltverträglichkeitsprüfungen durchzuführen. Im Fall von Seoce wurden die Prüfungen zwar nachgeholt, jedoch erst nach Baubeginn. Die Umweltverträglichkeitsprüfungen wurden also erst nachträglich durchgeführt, obwohl sie eigentlich eine gesetzlich vorgeschriebene Voraussetzung für die Aufnahme der Bautätigkeit sind.
Verantwortlich dafür, dass die neuen Anlagen Umweltstandards einhalten, sind die lokalen Behörden sowie mehrere serbische Regierungsstellen. Im September 2019 gab der serbische Präsident Aleksandar Vučić dem Druck von Umweltaktivistinnen und -aktivisten mit dem Versprechen nach, eine separate Stelle einzurichten, die die Standards aller in den vergangenen zehn Jahren errichteten Anlagen überprüfen sollte. Ein Jahr verging, und es tat sich noch immer nichts. Im Oktober 2020 bat BIRN das Büro von Vučić um eine Stellungnahme, erhielt aber keine Antwort.
Janez Kopač, der Direktor des Sekretariats der Energiegemeinschaft, betonte, dass die Verantwortung für den Umweltschutz letztlich bei Serbien liege. „Wir können Verwarnungen aussprechen oder Ordnungswidrigkeitenverfahren einleiten“, erklärte er BIRN, „aber letztendlich liegt die Verantwortung bei Serbien selbst.“
Der Boom bei Kleinwasserkraftwerken auf dem Balkan wurde durch Darlehen europäischer Finanzinstitute zur Förderung erneuerbarer Energiequellen in der Region beschleunigt. Zu den prominenten Geldgebern in diesem Sektor zählen zwei multilaterale Entwicklungsbanken: die Europäische Investitionsbank (EIB) und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD). Beide haben ihre Richtlinien für die Kreditvergabe für kleine Wasserkraftprojekte verschärft und fordern strengere Umweltprüfungen.
Auch Geschäftsbanken aus ganz Europa haben sich an der Finanzierung von Kleinwasserkraftwerken in der Region beteiligt. Darunter auch die österreichische Erste Group, deren Stiftung das Balkan Fellowship for Journalistic Excellence – jenes Programm, das diesen Artikel finanziert hat – unterstützt.
In einer per E-Mail an BIRN gesendeten Stellungnahme erklärte die serbische Tochterbank der Erste Group, die Bank engagiere sich im Kampf gegen den Klimawandel durch die Finanzierung von Projekten in den Bereichen Energieeffizienz und erneuerbare Energie. Weiters hieß es darin, dass die Bank keine Kleinwasserkraftwerke in Naturschutzgebieten finanziert habe und „mittels einer Risikomatrix alle sozialen und ökologischen Faktoren berücksichtigt hat, um sicherzustellen, dass die Finanzierung den internationalen Standards für die Region entspricht.“
Viele Umweltschützerinnen und Umweltschützer sind jedoch der Meinung, dass europäische Banken die Finanzierung von Kleinwasserkraftwerken ganz einstellen sollten. Nach Auffassung des Bankwatch Network, einem regionalen Zusammenschluss von Umwelt- und Menschenrechtsgruppen, die sich gegen die Kleinwasserkraft einsetzen, sei es „beinahe unmöglich“, die Anlagen wirksam zu überprüfen, was zum Teil auf die entlegenen Standorte der Kraftwerke zurückzuführen ist. „Keine noch so gute Projektanalyse kann die Betreiber davon abhalten, Flussbetten auszutrocknen“, erklärte Pippa Gallop, Energieberaterin für Südosteuropa bei Bankwatch, gegenüber BIRN in einer per E-Mail übermittelten Stellungnahme.
„Goldgräberstimmung“ um Lizenzen
Gemäß dem mit der Energiegemeinschaft abgeschlossenen Abkommen sicherte Serbien zu, 27 Prozent seines gesamten Energieverbrauchs bis 2020 durch erneuerbare Energie zu decken. Jüngsten Schätzungen zufolge wird dieses Ziel nicht erreicht werden. Tatsächlich ist der Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch Serbiens seit 2009 in etwa gleich geblieben.
„Mittels Energieeffizienzmaßnahmen zur Verringerung der Nachfrage könnte viel mehr erreicht werden, und mit an geeigneten Standorten errichteten Wind- und Solaranlagen ließe sich viel mehr Strom erzeugen.“
Im Jahr 2009 lieferten erneuerbare Quellen 21 Prozent der in Serbien verbrauchten Energie. Aus einem Bericht der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2020 geht indes hervor, dass der Anteil erneuerbarer Energien am serbischen Energieverbrauch im Jahr 2018, dem letzten Jahr, für das Daten verfügbar waren, 20,3 Prozent betrug.
Außerdem stammt ein Großteil dieser Energie nicht aus der Kleinwasserkraft, sondern einer älteren Technologie zur Nutzung erneuerbarer Quellen – großen Staudämmen. Nach Angaben des staatlichen Stromversorgers EPS und des nationalen Statistikamts machte die Kleinwasserkraft 2018 nur 0,7 Prozent der gesamten in Serbien erzeugten Energie aus.
Der Bau jeder Anlage zur Erzeugung erneuerbarer Energie ist zwar mit Umweltkosten verbunden, diese sollten jedoch – theoretisch – durch die Vorteile der Stromerzeugung ohne Verbrennung fossiler Brennstoffe aufgewogen werden. Umweltschützer sind aber der Meinung, dass diese Rechnung, was die Kleinwasserkraft auf dem Balkan betrifft, nicht aufgegangen sei, da die neuen Anlagen nur eine vernachlässigbare Menge an Strom erzeugen. „Mittels Energieeffizienzmaßnahmen zur Verringerung der Nachfrage könnte viel mehr erreicht werden, und mit an geeigneten Standorten errichteten Wind- und Solaranlagen ließe sich viel mehr Strom erzeugen“, meinte Pippa Gallop vom Bankwatch Network gegenüber BIRN.
Auch wenn sie das Herzstück der serbischen Strategie zur Förderung erneuerbarer Energieträger ist, hat die Kleinwasserkraft nicht annähernd genug Strom produziert, um die Zusagen des Landes gegenüber der Energiegemeinschaft zu erfüllen. Sie hat jedoch denjenigen, die in den Sektor investiert haben, gute Renditen beschert.
Aus Recherchen des in Belgrad ansässigen Zentrums für Investigationsjournalismus CINS geht hervor, dass Serbien zwischen 2013 und 2019 insgesamt 105 Millionen Euro in kleine Wasserkraftwerke investiert hat. Die Kosten wurden größtenteils von den serbischen Verbraucherinnen und Verbrauchern getragen, die einen Aufschlag für erneuerbare Energieträger auf ihre Stromrechnungen zahlen. Die Erträge werden indes über Einspeisetarife an Investoren weitergegeben. Laut Godzimirski vom norwegischen Institut für Internationale Angelegenheiten spielen diese Vergütungen eine wichtige Rolle beim Kapazitätsausbau erneuerbarer Energien – sie schützen die Investoren vor Energiepreisschwankungen.
„Wenn du vorhast, entweder in ein kleines Wasserkraftwerk oder ein kleines Windkraftwerk zu investieren, musst du wissen, dass du eine ansehnliche Rendite für deine Investition bekommst“, erklärte er gegenüber BIRN. „Ein dauerhafter Vertrag mit dem nationalen Stromnetz, der es dir erlaubt, deinen Strom zu einem bestimmten Preis zu verkaufen, macht dir die Investitionsentscheidung viel einfacher.“
Die Garantie kontinuierlicher Renditen über einen langen Zeitraum hinweg kann eine Lizenz für die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien zu einem Spekulationsobjekt machen. Ein vertrauliches diplomatisches Telegramm der US-Botschaft in Belgrad weist auf einen regen Handel mit Lizenzen im Jahr 2009 hin – zu einer Zeit, als Serbien mit der Entwicklung des Sektors begann. In dem von Wikileaks veröffentlichten Telegramm wird ein Gespräch mit Mitarbeitern der an der Mittelbeschaffung für die Förderung erneuerbarer Energien beteiligten Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) zitiert. Laut den Autoren des Telegramms hätten die Vertreter der Bank davor gewarnt, dass auf dem Markt für erneuerbare Energien „eine Art Goldgräberstimmung herrscht, mit vielen kleinen Investoren … die versuchen, Lizenzen zu erwerben, in der Hoffnung, diese Rechte rasch an andere Investoren zu verkaufen.“
Der bekannteste Korruptionsfall im Rahmen von EU-geförderten Projekten zum Ausbau erneuerbarer Energien wurde vor zehn Jahren in Sizilien aufgedeckt, als Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergaben, dass die örtliche Mafia vom Bau von Wind- und Solarparks profitiert hatte.
Es gibt keine Beweise für Korruption rund um das Kraftwerk Seoce oder im generellen Management des Sektors für erneuerbare Energien seitens der serbischen Regierung. Anderswo haben Einspeisetarife jedoch den Ruf, korruptionsanfällig zu sein.
Godzimirski zufolge sei das System alles andere als perfekt und könne in einem unzureichend regulierten Umfeld, in dem Staatsbedienstete Entscheidungen treffen, die sich auf die Finanzen privater Unternehmen auswirken, „Korruption begünstigen“. Er erklärte BIRN, dass Unternehmen, die im Bereich erneuerbare Energien tätig sind, beispielsweise versucht sein könnten, Regierungsbeamten „wirtschaftliche Anreize“ zu bieten, um sicherzustellen, dass sie über den Einspeisetarif eine besonders hohe Rendite für ihre Investition erhalten.
Der bekannteste Korruptionsfall im Rahmen von EU-geförderten Projekten zum Ausbau erneuerbarer Energien wurde vor zehn Jahren in Sizilien aufgedeckt, als Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergaben, dass die örtliche Mafia vom Bau von Wind- und Solarparks profitiert hatte.
Der Direktor des Sekretariats der Energiegemeinschaft Janez Kopač räumte auch ein systemimmanentes Korruptionsrisiko ein. „Überall dort, wo es Einspeisetarife gibt, kann sich die Mafia breitmachen“, erklärte er BIRN. „Da es sich um einen direkten Vertrag mit dem Staat handelt, kann das sehr lukrativ sein.“
Laut Kopač sei ein solches Verhalten in der Regel auf einige wenige Akteure im Sektor erneuerbare Energien beschränkt. „Der Staat würde bankrottgehen, wenn er mit allen ähnliche Verträge abschließen würde“, so Kopač gegenüber BIRN. „Nur staatsnahe Unternehmen können so profitieren.“
Kopač zufolge sollten Einspeisetarife nur in Ausnahmefällen als kurzfristiger Anreiz für private Unternehmen zum Aufbau von Kapazitäten für erneuerbare Energien „toleriert“ werden. Die Energiegemeinschaft habe den Regierungen geraten, die Tarife so rasch wie möglich abzuschaffen und durch die Einführung eines Auktionssystems zu ersetzen, bei dem Investoren um Lizenzen bieten, so Kopač gegenüber BIRN.
„Diese kleinen Wasserkraftwerke sind ineffiziente Investitionen und der Staat fördert sie [mit Einspeisetarifen]“, gab er zu bedenken. „Auktionen würden das Problem umgehend lösen, weil es dann keine Anreize für ineffiziente Investitionen mehr gäbe.“
Allerdings, so Kopač, habe seine Organisation nur begrenzten Einfluss auf nationale Regierungen, die Empfehlungen der Energiegemeinschaft ignorieren. „Theoretisch ist es möglich [ein Land aus der Energiegemeinschaft auszuschließen]“, sagte er gegenüber BIRN, aber das wäre die „nukleare Option“.
Zweifelhafte Erfolge
Während Serbien entgegen den EU-Richtlinien weiterhin Einspeisetarife für kleine Wasserkraftwerke anbietet, haben andere Regierungen in der Region den Umweltbedenken nachgegeben.
Mit dem EU-Beitritt 2007 setzte in Rumänien eine rege Bautätigkeit ein. Hunderte kleine Wasserkraftwerke wurden in unberührten Bergregionen errichtet. Einige dieser neuen Anlagen wurden an den Flüssen Buda und Capra im Făgăraş-Gebirge erbaut, einem Ausläufer der Südkarpaten, die mitten durch Rumänien verlaufen.
Das Făgăraş-Gebirge ist ein beliebtes Wanderziel und Heimat von Wildtieren wie dem Braunbär und dem Luchs. Eine die Gebirgsgruppe überquerende Hochstraße wurde von der BBC-Autosendung Top Gear aufgrund ihrer atemberaubenden Aussichten und Haarnadelkurven als „die schönste Straße der Welt“ bezeichnet.
Der Bauboom kleiner Wasserkraftwerke auf dem Balkan erreichte die Gebirgsregion vor zehn Jahren und war vom Lärm schwerer Maschinen und Dynamitsprengungen begleitet. Ovidiu Mihut, ein hiesiger Lehrer, der früher an der Capra angelte, erinnert sich an seine erste Begegnung mit den Arbeitern und Bulldozern, die im Jahr 2010 Rohre im Flussbett verlegten. „Es war widerlich“, erzählte er BIRN während der Fahrt in die Region. „Der Fluss ist Teil meines Herzens … Es war, als würde man einem Bekannten beim Sterben zusehen.“
Wütend begann Mihut mit geheimen Nachforschungen. In den örtlichen Kneipen traf er sich mit den Arbeitern, die mit dem Bau der Kleinwasserkraftwerke beschäftigt waren, und hörte sich ihre Geschichten an, ohne sich je anmerken zu lassen, dass er Informationen sammelte. Um nüchtern zu bleiben, während die anderen tranken, schenkte er sich heimlich Eistee statt Bier nach.
Nachdem seine ersten Berichte an die rumänischen Behörden auf taube Ohren gestoßen waren, schickte Mihut im März 2012 die erste von vielen weiteren Beschwerden per E-Mail an die Europäische Kommission. Außerdem schloss er sich mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten zusammen, die die rumänischen Behörden aufforderten, den Bau von Kleinwasserkraftwerken in unberührten Gebieten zu stoppen.
Dies gelang ihnen 2015. Der Bau von Kleinwasserkraftwerken kam praktisch zum Erliegen, als Rumänien die Subventionen für diesen Sektor strich. 2016 leitete die Europäische Kommission ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen Rumänien ein, um zu untersuchen, ob das Land gegen EU-Umweltvorschriften verstoßen hat.
Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, aber die Bemühungen der Umweltgruppen haben Wirkung gezeigt – vorerst. Im September verabschiedete die rumänische Regierung ein umstrittenes Gesetz, das den Bau von Wasserkraftwerken in Naturschutzgebieten erlaubt.
Laut Umweltschützerinnen und Umweltschützern ziele das Gesetz darauf ab, die Beendigung großer staatlicher Wasserkraftprojekte voranzutreiben, die nicht fertiggestellt wurden, weil sie gegen EU-Vorschriften verstießen. Sie erwarten nicht, dass dadurch ein neuer Boom der Kleinwasserkraft ausgelöst wird, da das Gesetz keine Bestimmungen zur Subventionierung neuer Anlagen enthält. Diana Cosmoiu, Politik-Koordinatorin beim World Wide Fund for Nature in Rumänien, erklärte gegenüber BIRN, die Bemühungen der Aktivistinnen und Aktivisten hätten dafür gesorgt, dass „die jüngste Version der nationalen Energiestrategie die Entwicklung der Kleinwasserkraft nicht unterstützt“.
Wie BIRN aus Fachkreisen erfuhr, sind die EU-Umweltvorschriften für Länder, die bereits Mitglied der Union sind, im Allgemeinen strenger als für Beitrittskandidaten. Die serbische Regierung wurde beispielsweise von der EU wiederholt aufgefordert, die Einspeisetarife zugunsten von Auktionen abzuschaffen, zuletzt im Jahr 2020, aber Belgrad hält an den Subventionen fest.
Für Gemeinderat Nehro Rovcanin aus Gracanica hat die Kampagne gegen die Kleinwasserkraft in seinem Land nur gezeigt, wie schwer es ist, die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen. „Ein Investor kann ein Rohr in einem Fluss verlegen, aber nur wir, die einfachen Bürgerinnen und Bürger, werden bestraft, wenn wir das Gesetz brechen“, meinte er.
Original auf Englisch.
Erstmals publiziert am 15. Dezember 2020 auf Reportingdemocracy.org, einer journalistischen Plattform des Balkan Investigative Reporting Network.
Aus dem Englischen von Barbara Maya.
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt: © Dina Ðorđević / Reporting Democracy. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion. Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Illustration: © Sanja Pantic / BIRN