23. März 2018
Erstmals veröffentlicht
17. Oktober 2017
Quelle
Auf dem Balkan stehen Regierungsparteien im Verdacht, über Strohmänner ihre Kriegskassen für den Wahlkampf mit Geldern aus geheimen Quellen zu füllen. Die Reaktion der Behörden wird zum Prüfstein für ihre Unabhängigkeit.
Anfangs wurde keine Gegenleistung erwartet. Ein örtliches Mitglied der serbischen Regierungspartei hatte ihr zu einer Stelle als Lehrerin verholfen. Sie kannte viele andere, die einen Arbeitsplatz in öffentlichen Einrichtungen oder bei Firmen gefunden hatten, an deren Spitze Leute mit Verbindungen zur Serbischen Fortschrittspartei standen. Das ist keine Schande, vor allem angesichts einer Arbeitslosenrate von knapp 15 Prozent. Als die Präsidentschaftswahlen im Frühling 2017 näher rückten, lud man sie zu den wöchentlichen Parteiversammlungen ein. Aleksandar Vučić, der damalige Ministerpräsident Serbiens, war der kämpferische Kandidat der Fortschrittspartei für das Amt des Staatschefs. Hätte er Erfolg, würde dies seiner Partei den vierten Sieg in Folge bei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen der vergangenen sechs Jahre bescheren und Vučićs Position als mächtigster Mann der serbischen Politik weiter festigen.
Bei einer dieser Versammlungen nahm ein Funktionär die Lehrerin zur Seite und überreichte ihr einen Umschlag mit Bargeld: 40.000 Dinar, was damals etwa 320 Euro entsprach. Es stamme aus einer großen Spende, erklärte der Funktionär, ohne näher darauf einzugehen. Ob sie bereit wäre, dieses Geld der Partei in ihrem Namen wieder zurück zu spenden? „Ich bekam nur den Umschlag mit dem Geld und die Kontonummer, auf die ich es einzahlen sollte“, erzählte sie. „Jeder wusste, worum es ging, als ich zur Bank kam. Sie wussten bereits, wie die Zahlungen funktionierten. Später brachte ich ihnen den Zahlschein als Beweis, dass ich das Geld überwiesen hatte.“ Aus Angst ihren Job zu verlieren, lehnte es die Frau ab, ihren Namen zu nennen. Sie habe gesehen, wie Parteifunktionäre bei Versammlungen auch andere Personen gebeten hätten, ähnliche Spenden zu tätigen, berichtete sie. „Wenn ich es nicht getan hätte, dann hätte es jemand anderes getan, was soll ich sagen?“
Unsere Untersuchung zeigt auf, dass es sich hier um keinen Einzelfall handelte, sondern zu einem Konzept der Fortschrittspartei gehörte, mithilfe von Strohmännern und – frauen die wahre Herkunft von Wahlzuwendungen zu verschleiern – eine nach dem serbischen Gesetz über die Finanzierung politischer Tätigkeiten unzulässige Methode. Während es unmöglich war, die Herkunft des Bargelds nachzuweisen, das im Verdacht stand, mittels falscher SpenderInnen gewaschen worden zu sein, fand man im Zuge der Untersuchung Beweise für eine systematische Missachtung des Gesetzes seitens der Partei bei dieser und früheren Wahlen. Die Partei antwortete nicht auf Bitten um eine Stellungnahme. Zum Vorschein kam bei der Untersuchung auch eine Kultur der Straflosigkeit. Wir können nachweisen, dass die Antikorruptionsbehörden von der Staatsanwaltschaft die Einleitung von Strafverfahren im Zusammenhang mit mutmaßlichen illegalen Aktivitäten während des Wahlkampfs 2014 verlangt haben. Es wurde jedoch keine einzige Person angeklagt, was Zweifel an der Unabhängigkeit der serbischen Strafverfolgungsbehörden aufkommen lässt. AnalystInnen ziehen Parallelen zu anderen ehemaligen jugoslawischen Republiken, in denen sich politische Eliten staatlicher Einrichtungen zu ihrem eigenen Vorteil bemächtigt haben, während die Opposition abgewürgt wurde.
In den Nachbarstaaten Montenegro und Mazedonien hat man von offizieller Seite lange Zeit die Augen vor Anschuldigungen illegaler Finanzierungen der Regierungsparteien mittels Geldwäsche oder anderer Praktiken verschlossen. KorruptionsbekämpferInnen verweisen jedoch auf Mazedonien als Fallbeispiel dafür, was passieren kann, wenn die Staatsanwaltschaft Entschlossenheit zu handeln zeigt. Nach einem Korruptionsskandal, der die Regierung zu Fall brachte, wird gegen Mazedoniens ehemaligen Ministerpräsidenten und enge MitarbeiterInnen aufgrund des Verdachts, fiktive SpenderInnen zur Geldwäsche benutzt zu haben, ermittelt. Sie wurden auch wegen Wahlbetrugs angeklagt.
Geheimnisvolle Liste
In Serbien machte BIRN die Lehrerin und vier andere Personen ausfindig, die zugaben, falsche SpenderInnen zu sein. Ihre Namen standen auf einer Liste, die auf der Webseite der Antikorruptionsbehörde ACA veröffentlicht wurde, einem unabhängigen Staatsorgan, dessen Aufgabe es ist, die Finanzierung politischer Aktivitäten zu überwachen. Serbische Parteien sind von Gesetzes wegen verpflichtet, mit dem Wahlkampf verbundene Geldflüsse, inklusive Spenden, bei jeder Wahl innerhalb von 30 Tagen zu melden. Die ACA veröffentlicht anschließend im Rahmen ihrer routinemäßigen Überprüfung der Wahlkampffinanzierung die Namen der SpenderInnen sowie die betreffenden Geldsummen. Aber diese Liste war beispiellos. Zum einen spendeten 98 Prozent der EinzelspenderInnen exakt die gleiche Summe an die Fortschrittspartei: 40.000 Dinar. Es waren so viele, dass die Behörde eine Woche benötigte, um die 6.789 Namen in ihre Online-Datenbank aufzunehmen. Die Spenden an sich waren nicht rechtswidrig. Nach serbischem Recht können Einzelpersonen bis zum Zwanzigfachen ihres durchschnittlichen Monatsgehalts an politische Parteien spenden, was im März knapp 385 Euro ausmachte. Im Gegensatz zu anderen Ländern der Region gibt es in Serbien auch keine Obergrenze, was die Höhe der Mittel betrifft, die Parteien für ihren Wahlkampf beschaffen können. Es handelt sich jedoch um einen Straftatbestand, der mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet wird, wenn versucht wird, die Herkunft von Spenden zu verschleiern.
“Sie riefen eines Nachts an und sagten mir, ich solle zum Parteibüro kommen.”
Viele Personen, die kontaktiert wurden, wollten dazu keine Stellungnahme abgeben, fünf bestätigten jedoch unabhängig voneinander, dass sie von ParteifunktionärInnen 40.000 Dinar erhalten hätten, um diese 2017 der Fortschrittspartei zu spenden. Alle wollten anonym bleiben. „Sie riefen eines Nachts an und sagten mir, ich solle zum Parteibüro kommen“, erzählte ein Mann (27). „Am Telefon gab es keine weiteren Erklärungen.“
Insgesamt trug das Heer an seltsamerweise gleichen EinzelspenderInnen der Fortschrittspartei mehr als zwei Millionen Euro zum Wahlkampf von Vučić bei – mehr als ein Drittel seiner gesamten Kriegskasse von 6,5 Millionen Euro. Der Rest stammte im Sinne der Wahlordnung vorwiegend aus dem Staatsbudget. Die Gesamtsumme war deutlich höher als das Einkommen aller zehn übrigen KandidatInnen zusammen, das sich auf knapp über 4,3 Millionen Euro belief. Diese Art von Kaufkraft erlaubte es der Fortschrittspartei, Massenkundgebungen zu mobilisieren, das Land mit Werbeflächen zuzupflastern und Zeitungen mit Werbeanzeigen zu überfluten. Tatsächlich wendete die Partei 83 Prozent ihrer Wahlkampfmittel allein für Werbung auf – mehr als 5,3 Millionen Euro, mehr als die Gesamtausgaben aller anderen KandidatInnen zusammen.
„Sauber wie eine Träne“
Schlussendlich gewann Vučić mit überwältigenden 55 Prozent der Stimmen eine Wahl, die laut BeobachterInnen von Stimmenkauf, Einschüchterung und Kontrolle der Medien getrübt war. Der zweitplatzierte Kandidat kam auf 16 Prozent. „Besonders weit verbreitet … waren Berichte über Staatsbedienstete und staatsnahe Einrichtungen, auf die Druck ausgeübt worden war, Vučić zu unterstützen und kaskadenartig die Unterstützung von ihnen unterstellten MitarbeiterInnen, Familienmitgliedern und FreundInnen sicherzustellen“, hieß es in einem im Juni veröffentlichten Bericht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
Am 2. April um 22:25 Uhr, kurz nachdem das Ergebnis feststand, stand Vučić auf einem Podium in der Zentrale der Fortschrittspartei im Geschäftsviertel von Belgrad. Der Mann, der in den späten 1990er-Jahren für den serbischen Machthaber Slobodan Milošević als Informationsminister gedient hatte, ist ein Freund der geflügelten Worte. Sein Sieg sei „sauber wie eine Träne“, erklärte er den JournalistInnen. Am nächsten Tag gingen Tausende DemonstrantInnen – vorwiegend junge Menschen – mit Trillerpfeifen und Trommeln in Städten in ganz Serbien auf die Straße. „Vučić, du hast die Wahl gestohlen“, skandierten die Protestierenden. „Schläfst du gut, Kim Jong-un?” war auf einem Schild in Anspielung auf den Staatschef Nordkoreas zu lesen.
„Serbiens Protest gegen die Diktatur“, wie die Demonstrationen von den OrganisatorInnen genannt wurden, erinnerte an jüngste Unruhen in Montenegro und Mazedonien, als DemonstrantInnen den Rücktritt langjähriger Machthaber forderten, die sie der Korruption, des Machtmissbrauchs und des Wahlbetrugs bezichtigten. Die Proteste riefen auch Erinnerungen an die Massendemonstrationen im Jahr 2000 wach, die Milošević nach umstrittenen Wahlen zu Fall brachten. Aber im Unterschied zu jenen Wutbekundungen verliefen die Anti-Vučić-Proteste nach einigen Wochen im Sand.
“Vučić, du hast die Wahl gestohlen!”
Auch wenn die Rolle des Präsidenten vorrangig zeremonieller Natur ist, glauben KritikerInnen, dass das Ergebnis Vučić den Weg geebnet habe, seine Machtposition in einem Land zu festigen, in dem politische Patronage und Klientelismus mit schleichendem Autoritarismus Hand in Hand gehen. „Das Ergebnis hat die Institutionen des Parlaments und der Regierung zerstört; sie unterstehen nun dem Präsidenten“, sagte Zoran Gavrilović, Direktor des Bureau for Social Research (BIRODI), einer Belgrader Forschungseinrichtung. Da die nächsten Parlamentswahlen erst 2020 stattfinden, scheinen Vučić und seine Fortschrittspartei nun unangreifbar.
Finanzielle Fingerabdrücke
Als das Gesicht der Hoffnung Serbiens auf einen Beitritt zur Europäischen Union vermittelt Vučić den Eindruck einer stabilen Führung in einer turbulenten Region, auch wenn ihn KritikerInnen im Land beschuldigen, das System zugunsten der Regierungspartei manipuliert zu haben. Er wurde im entscheidenden Jahr 2014 Ministerpräsident, als die Fortschrittspartei zum ersten Mal seit der Amtsenthebung von Milošević die absolute Mehrheit im Parlament errang.
Vučić hatte nach den Wahlen von 2012, als die Fortschrittspartei stärkste Kraft wurde, als Verteidigungsminister und Stellvertreter des Ministerpräsidenten fungiert. Geldwäsche-Vorwürfe hatten beide Wahlen getrübt. Auch bei anderen Parteien gab es dubiose Spender, darunter Unternehmen, die trotz Verlusten großzügig spendeten. Die Situation der Fortschrittspartei war jedoch beispiellos: Tausende UnterstützerInnen hatten exakt die gleiche Summe gespendet.
Diese Summen wurden während des Wahlkampfes der Fortschrittspartei zu finanziellen Fingerabdrücken verdächtiger Aktivitäten. Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2012 spendeten 98 Prozent der 2.300 Einzelpersonen jeweils 19.000 Dinar. Bei späteren Wahlkämpfen betrug die bevorzugte Summe 40.000 Dinar. 2014 spendeten 95 Prozent von mehr als 2.800 Personen diese Summe; 2017 waren es 98 Prozent von knapp 7.000 Spendern.
Eine Ausnahme bildeten die Parlamentswahlen 2016, als die Fortschrittspartei nur 17 Spenden erhielt, die sich auf jeweils 40.000 Dinar beliefen. Ein Großteil des Wahlkampfgeldes in diesem Jahr stammte aus parteieigenen Mitteln, infolge einer Gesetzesänderung, die neben regulärer Parteienfinanzierung auch Wahlkampfzuwendungen erlaubte.
Die ACA hat seit Langem allen Grund, Spendern der Fortschrittspartei zu misstrauen. Laut einem auf ihrer Webseite im Anschluss an die Wahl veröffentlichten Bericht wies die Behörde 2012 auf 33 Parteispenden von Personen hin, die von staatlicher Hilfe lebten. „Bestimmte Beiträge dieser Leute belaufen sich auf 50 Prozent oder mehr der jährlich erhaltenen Sozialhilfe“, gab die Behörde an und löste damit Spekulationen darüber aus, dass die seltsam freigiebigen SozialhilfeempfängerInnen in Wirklichkeit als StellvertreterInnen für geheime SpenderInnen agierten.
Wir zeigten in unserer Untersuchung auf, dass die ACA infolge eines Hinweises eines separaten Staatsorgans – die für Finanzermittlungen zuständige Behörde zur Bekämpfung von Geldwäsche – auch ernstliche Bedenken bezüglich des Wahlkampfes 2014 hatte. Vier Tage nach den Wahlen erhielt die ACA Kenntnis von 135 Banktransaktionen, bei denen Personen 40.000 Dinar auf ihre Konten eingezahlt und den gleichen Betrag unverzüglich der Fortschrittspartei als Spenden überwiesen hatten.
Beinahe drei Jahre später übermittelte die ACA im März einen Bericht an die Staatsanwaltschaft mit der Aufforderung, ein Strafverfahren im Zusammenhang mit den Transaktionen im Wert von etwa 46.000 Euro einzuleiten. Es bestand der Verdacht, dass die Spenden „aus illegalen Aktivitäten, darunter auch Geldwäsche“ stammten, hieß es in dem Bericht, den wir exklusiv eingesehen haben.
Infografik: Gleichgesinnte SpenderInnen. Wie Einzelpersonen bei den letzten Wahlen an die Serbische Fortschrittspartei gespendet haben.
Der Bericht der ACA hob auch zwei verdächtige Banküberweisungen an andere Parteien hervor, eine über 5.600 Euro an die Sozialistische Partei Serbiens und eine über 690 Euro an die Vereinigten Regionen Serbiens. Die Staatsanwaltschaft wurde in dem Bericht aufgefordert, auch in diesen Fällen Ermittlungen aufzunehmen.
Anschuldigungen in Montenegro
Vorwürfe der Geldwäsche von Wahlkampfgeldern vergiften seit Langem die Politik in Montenegro, wo die regierende Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) unter der Führung von Milo Ðjukanović seit mehr als zwei Jahrzehnten an der Macht ist.
KritikerInnen beschreiben Serbiens kleinen Nachbarn und EU-Anwärter als von politischen Eliten geführtes Lehen. Sie beschuldigen die DPS der Zweckentfremdung staatlicher Mittel, des Amtsmissbrauchs, Wahlbetrugs und Stimmenkaufs. Die Partei dementiert sämtliche Vorwürfe.
Im Oktober 2016 errang die DPS ihren siebenten Sieg in Folge bei Wahlen, die von einem vermeintlichen von Russland unterstützen Putschplan und großer Uneinigkeit über Montenegros Weg zur NATO-Mitgliedschaft (der Beitritt erfolgte im Juni) überschattet waren.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Oppositionsführer wegen ihrer möglichen Mitwirkung an dem angeblichen Putschversuch. Sie untersucht auch Vorwürfe, Nebojša Medojević, Chef des größten Oppositionsbündnisses Demokratische Front, habe mittels Geldwäsche die Koalition während der Wahlen 2016 finanziert – eine Anschuldigung, die er zurückweist.
Laut KritikerInnen sei die Staatsanwaltschaft nicht gerade erpicht darauf, Hinweisen auf ähnliche Geldwäscheaktionen durch die regierende DPS nachzugehen, deren Parteichef nach wie vor Ðjukanović heißt, obwohl er vergangenen Oktober als Ministerpräsident zurückgetreten ist.
2011 veröffentlichten lokale Medien die Namen jener Personen, die dementierten, der DPS Geld gespendet zu haben, obwohl sie auf der Spendenliste der staatlichen Wahlkommission aufschienen. Die Staatsanwaltschaft nahm Anfang 2012 Ermittlungen in diesem Fall auf, aber erst nachdem eine Antikorruptionsgruppe namens MANS Strafanzeige gegen die Partei wegen möglicher Geldwäsche erstattet hatte. Auch fünf Jahre später ist nichts erreicht worden. Aus dem Büro der Sonderstaatsanwaltschaft gab es keinen Kommentar.
Unterdessen haben sich SpenderInnen von den Vorwürfen nicht abschrecken lassen, die DPS weiterhin finanziell zu unterstützen. Während der Wahlen 2016 beliefen sich Einzelspenden auf etwa 680.000 Euro und machten damit die Hälfte der Kriegskasse der Partei aus.
Die Vereinigten Regionen Serbiens bestehen mittlerweile nicht mehr, und weder die Fortschrittspartei noch die Sozialisten antworteten auf unsere Fragen den spezifischen Inhalt des ACA-Berichts oder mögliche Vorwürfe im Zusammenhang mit den Wahlen 2014 betreffend. Die Fortschrittspartei reagierte auch nicht auf Fragen bezüglich der fünf bekennenden Stimmrechtsvertreter 2017 oder die Offenlegung der ACA von SpenderInnen, die von Sozialhilfe lebten, aus dem Jahr 2012.
Politische Einflussnahme?
Auf die Frage, warum man drei Jahre gebraucht habe, um der Staatsanwaltschaft einen Bericht über die Wahlen von 2014 vorzulegen, gab Božo Drašković, ein ehemaliges Vorstandsmitglied der ACA, „politische Einflussnahme“ als Grund an. „Bedenken Sie, dass sich die Leute bei der ACA nach dem Vorstand richten“, erklärte er. „Ein unabhängiger Vorstand würde dem Direktor und anderen Druck machen, ihren Job zu erledigen, aber wenn er politisch beeinflusst ist, riskieren die Menschen, ihren Job zu verlieren. Das ist das Kernproblem. Und dann wird meiner Erfahrung nach einfach abgewartet.“
Jelena Ðjorđjević, eine Beraterin in der ACA-Abteilung für die Prüfung von Jahresabschlüssen von politischen AkteurInnen, meinte, dass die Behörde nicht die Befugnis habe, Ermittlungen zu führen oder ZeugInnen zu vernehmen, wodurch die Einleitung von Strafanzeigen erschwert werde. Aus diesem Grund habe sie ihre Ergebnisse der Staatsanwaltschaft geschickt, sagte sie. Das Büro der Staatsanwaltschaft gibt an, den Bericht für weitere Prüfungen zurück an die ACA geschickt zu haben. Man lehnte weitere Stellungnahmen ab. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung hatte man keine Anklage erhoben. Nemanja Nenadić, Programmdirektor der Korruptionsaufsicht Transparency Serbia, sagte, dass die Staatsanwaltschaft die Pflicht habe, verdächtige Spenden zu überprüfen, um festzustellen, woher das Geld stammt. „Das ist noch nie passiert und es gibt für die Staatsanwaltschaft keine plausible Entschuldigung dafür, es nicht zu tun“, meinte er.
In Serbien werden StaatsanwältInnen von der Regierung nominiert und vom Parlament bestätigt, was bedeutet, dass ihre Wahl von der regierenden Mehrheit abhängt. Sie sind bis zu sechs Jahre im Amt und können beinah unbegrenzt wiedergewählt werden. Dieses in der Region einzigartige System ist ein „politischer Prozess par excellence“, der der Behinderung der Justiz Tür und Tor öffnet, meint Radovan Lazić, Präsident des Vorstandes der serbischen Vereinigung der StaatsanwältInnen. „Wenn StaatsanwältInnen wissen, dass sie nach einer bestimmten Zeit von den PolitikerInnen wiedergewählt werden, haben sie keinen Grund, an diesen etwas zu bemängeln“, sagte er. „Sie sind sogar sehr motiviert, keine Fehler zu finden, damit sie ein neues Mandat bekommen.“
Laut dem letzten Global Competitiveness Index des Weltwirtschaftsforums befindet sich Serbien, was die Unabhängigkeit der Justiz betrifft, auf Platz 118 von 137 Ländern, gleich hinter Bosnien, Mauretanien und Mosambik. Aus einer Analyse der Weltbank aus dem Jahr 2014 geht hervor, dass 25 Prozent der RichterInnen und 33 Prozent der StaatsanwältInnen in Serbien der Meinung waren, das Justizsystem sei nicht unabhängig.
Wenn Staatsanwälte unabhängig sind …
Jenseits der Grenze in Mazedonien wissen StaatsanwältInnen von politischer Einflussnahme ein Lied zu singen. Manche schlagen jedoch zurück, und BestechungsbekämpferInnen glauben, dass ihr Beispiel nicht nur in Serbien ein Ansporn für ErmittlerInnen in Sachen Korruption sei. In Skopje erinnert sich die Staatsanwältin Lenče Ristoska an eine Nacht im Jahr 2016, als sie und ihre KollegInnen noch zu später Stunde im Büro der neuen Sonderstaatsanwaltschaft (SJO) arbeiteten, die zur Bekämpfung von Kriminalität auf höchster Ebene eingesetzt worden war. Sie hörten draußen Aufruhr und gingen zum Fenster. Es waren beunruhigende Zeiten in Mazedonien. Die SJO war im Rahmen eines von der EU ausgehandelten Krisenabkommens infolge eines Abhörskandals, der das Land gelähmt hatte, eingerichtet worden. Sie sahen eine Menschenmenge, die „Bravo!“ und „Gut gemacht!“ rief.
„Es war so ermutigend zu sehen, dass endlich jemand Notiz von uns nahm und anerkannte, dass das, was wir taten, das Richtige war, und dass wir damit nicht allein waren“, so Ristoska. „Da wurde uns klar, dass es nun kein Zurück mehr gab.“ Die Menschen vor dem Fenster waren DemonstrantInnen, die den Rücktritt von Nikola Gruevski, dem damaligen Ministerpräsidenten und Chef der unter dem Akronym VMRO-DPMNE bekannten Regierungspartei, forderten. Das war auf dem Höhepunkt der monatelangen Unruhen, die man aufgrund der Farbe, mit der DemonstrantInnen öffentliche Gebäude und Denkmäler bewarfen, als „bunte Revolution“ bezeichnete.
Die Lage spitzte sich 2015 zu, nachdem Oppositionschef Zoran Zaev behauptete, die Regierung Gruevski stecke hinter der illegalen Abhörung von 20.000 Menschen und anderen Straftaten, darunter Wahlbetrug, was Gruevski leugnet. Unter anderem untersucht die SJO Vorwürfe, dass Gruevski und zehn seiner MitarbeiterInnen die ehemalige Regierungspartei mittels Geldwäsche finanziert hätten.
Unter dem Kodenamen „Talir“ [Silbermünze] laufende Ermittlungen in Sachen Geldwäsche erfassen die Zeit zwischen 2009 und 2015. Die Staatsanwaltschaft mutmaßt, dass die Partei mindestens fünf Millionen Euro über falsche SpenderInnen gewaschen hat. Transparency Macedonia hatte wiederholt Bedenken bezüglich der Geldwäsche gegenüber der Staatsanwaltschaft, dem staatlichen Rechnungsprüfer und den Steuerbehörden geäußert. Niemand unternahm etwas, was zum Teil daran lag, dass Personen, deren Namen auf Spenderlisten aufschienen, nicht bestätigen wollten, Teil eines Betrugs gewesen zu sein.
„Die Menschen wollten sich nur ungern öffentlich zu Wort zu melden, aus Angst, ihren Job zu verlieren; sie fürchteten, dass ihre Geschäfte geschlossen oder sie auf andere Art bestraft werden würden“, sagte Slagjana Taseva, Präsidentin der Korruptionsaufsicht. „Es herrschte geradezu ein Gesetz der Angst.“
Indes sei die SJO auf Widerstand anderer staatlicher Einrichtungen gestoßen, so Staatsanwältin Ristoska. Angeforderte Daten würden mit Verzögerung geliefert, Archivdokumente vernichtet. Nur zwei von 20 Anträgen an RichterInnen, verdächtige Personen in Gewahrsam zu nehmen, wurde stattgegeben, obwohl solche Anträge normalerweise Routinesache sind. „Ich war auf alles vorbereitet, aber ich konnte einfach nicht glauben, dass meine KollegInnen, RichterInnen wie StaatsanwältInnen, sich bei der Auslegung des Rechts so viel erlauben würden, nur, um ihre unrechtmäßigen Entscheidungen zu rechtfertigen“, sagte sie. „Das war eine große Enttäuschung für mich.“ Die Sonderstaatsanwaltschaft ließ jedoch nicht locker.
Im Juni klagte die SJO Gruevski und enge MitarbeiterInnen wegen Wahlbetrugs an. Dem Ex-Premier, der Anfang 2016 zurücktrat, jedoch Parteichef blieb, droht eine Gefängnisstrafe von 27 Jahren, wenn er in allen Anklagepunkten für schuldig befunden wird. Die Ermittlungen wegen Geldwäsche laufen weiter, auch wenn sich das Zeitfenster für neue Anklageerhebungen geschlossen hat. Gemäß dem Abkommen, das zu ihrer Schaffung führte, hatte die SJO ab Erhalt der Abhörprotokolle 18 Monate Zeit, um Anklage zu erheben. Die Frist lief am 30. Juni ab. Es gibt Stimmen, die die SJO in das Büro der Staatsanwaltschaft integriert haben wollen, damit ihre Arbeit unabhängig von den Bedingungen des Abkommens fortgesetzt werden kann.
Zurück nach Belgrad: Lazić von der Vereinigung der Staatsanwälte glaubt, dass in Serbien die Chancen für StaatsanwältInnen, ihre Unabhängigkeit in nächster Zeit geltend zu machen, schlecht stünden. „Ich glaube, es ist schwierig, Lehren [aus Mazedonien] zu ziehen, weil PolitikerInnen, solange sie an der Macht sind, hier unantastbar sind“, meinte er. „Sie [die StaatsanwältInnen in Mazedonien] haben diese Anklagen auch erst erhoben, als Gruevski nicht mehr an der Macht war.”
Erstmals publiziert am 17. October 2017 on Balkaninsight.com.
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Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: DemonstrantInnen in Belgrad äußern ihre Wut über den aus ihrer Sicht zunehmenden Autoritarismus in Serbien, nachdem die Präsidentschaftswahl im April 2017 von Korruptionsvorwürfen überschattet war. Foto: Beta
Dieser Artikel entstand im Rahmen des Balkan Fellowship for Journalistic Excellence, unterstützt von der ERSTE Stiftung und den Open Society Foundations in Kooperation mit dem Balkan Investigative Reporting Network.