Lug und Trug

Ein mazedonischer Spionagekrimi

Hat der mazedonische Geheimdienst ein tödliches Feuergefecht inszeniert, um von einem Korruptionsskandal abzulenken? Drei Jahre nach dem Vorfall in Kumanovo sichtet Benjamin Arifi das Beweismaterial.

Wie viele Straßen in den ethnisch gemischten Landesteilen Mazedoniens hat auch die Tode Mendol in der Stadt Kumanovo im Norden des Landes zwei inoffizielle Namen. Die ethnisch-albanische Volksgruppe nennt sie „die Straße der tapferen Männer“. Für alle anderen ist sie „die wilde Straße“. In den Morgenstunden des 9. Mai 2015 wurde sie zum Kriegsschauplatz.

„Wir waren gerade beim Beten, als die Schießerei begann“, erinnerte sich Eljesa Mahmudi, Imam der neuen Moschee für die mehrheitlich albanischen Bewohner der Straße. „Wir hatten keine Ahnung, was da vor sich ging.“ Um die Ecke, auf der Pero-Ilievski-Straße, riss eine Explosion Ramadan Baftiu, einen nebenberuflichen Taxifahrer, aus dem Schlaf. In der engen Sackgasse wimmelte es von mit Kalaschnikows bewaffneten Polizeikräften. „Ich habe mich etwa 14 Stunden lang im Keller verbarrikadiert, während vor meiner Tür die Hölle los war“, erzählte er.

Während der nächsten zwei Tage belagerten Antiterroreinheiten der mazedonischen Polizei 39 bewaffnete ethnische Albaner, die sich in drei Mietshäusern auf der Pero-Ilievski-Straße verschanzt hatten. In Militäruniformen und mit kugelsicheren Westen stürmten sie die Wohnung von Nezir Murtezi, einem Pensionisten, nur zwei Türen von einem der Häuser entfernt, die unter Beschuss standen. „Die Polizei schoss von meiner Terrasse aus, meinem Wohnzimmer, meinem Flur“, erzählte er. „Mit allem, was ihr zur Verfügung stand.“

Wie sich herausstellte, stammten 31 der belagerten Schützen aus dem Kosovo jenseits der Grenze; es waren Veteranen aus dem Krieg gegen Serbien in den späten 1990er-Jahren. Sie erwiderten das Feuer mit Scharfschützengewehren, AK-47 und Maschinengewehren. Die Gefechte verwüsteten das gesamte Viertel. Explosionen legten Häuser in Schutt und Asche und ließen Autos in Flammen aufgehen. Panzerfahrzeuge rissen ganze Mauern nieder.

Um 9 Uhr abends des 10. Mai 2015, als der letzte Schütze kapituliert hatte, gab es auf Seiten der Polizei acht Todesopfer und 37 Verletzte. Zehn der bewaffneten Männer, darunter auch die Anführer der Gruppe, waren bei den Kämpfen getötet worden, teilte die Polizei später mit. Der damalige Ministerpräsident Nikola Gruevski wandte sich live im Fernsehen an die Nation. Mit grimmiger Miene gab er bekannt, dass die Polizei das Vorhaben einer „Terrorgruppe“ vereitelt habe, die über die Grenze eingedrungen war und „Massenmorde“ durch Angriffe auf Polizeistationen, Einkaufszentren und Sportveranstaltungen geplant habe. „Eines ist sicher“, sagte er. „Ihr Ziel war es, Mazedonien zu destabilisieren.“

Drei Jahre später, und mit einer neuen Regierung in Skopje, herrscht über die Motive der Gruppe alles andere als Klarheit. Anfang November 2017 verurteilte das Strafgericht in Skopje 33 Männer wegen Terrorismus zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt 745 Jahren. Sieben erhielten lebenslange Haftstrafen, andere fassten Strafen zwischen 12 und 40 Jahren aus. Vier Männer wurden freigesprochen. Der Prozess hat jedoch wenig zur Beantwortung einer Frage beigetragen, die vielen Menschen auf den Lippen brannte: Wer hatte die Männer nach Kumanovo beordert? Wer steckte hinter all dem? Ebenso wenig ließ der Prozess die Forderungen nach einer internationalen Untersuchung des Vorfalls zu einer für Mazedonien politisch brisanten Zeit verstummen. Das Land bemüht sich um die NATO-Mitgliedschaft und die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen, was jedoch vom Nachbarland Griechenland aufgrund eines seit langem andauernden Namensstreits blockiert wird.

Die Staatsanwaltschaft beharrte darauf, dass die Gruppe auf eigene Initiative gehandelt habe – entschlossen, für mehr Rechte ethnischer Albaner in Mazedonien zu töten. Sie seien bereits unter Beobachtung gestanden, bevor der Versuch, sie zu verhaften, in einem Blutbad endete, so die Staatsanwaltschaft. Alle Angeklagten bestritten die Terrorismusvorwürfe und behaupteten, in Notwehr gehandelt zu haben, nachdem sie von der Polizei angegriffen worden waren. Manche sagten, sie wären Opfer einer politisch motivierten Intrige geworden und von mazedonischen Behörden nach Kumanovo gelockt worden, wo die Falle zuschnappte.

„Der Konflikt in Kumanovo wurde zur Gänze vom mazedonischen Geheimdienst organisiert.“

— Ein leitender Offizier des mazedonischen Spionagedienstes

Bereits vor dem Prozess gab es Spekulationen, dass die Behörden einen Konflikt in Kumanovo inszeniert haben könnten — oder zumindest das Vorhaben der Gruppe dort duldeten —, um ethnische Spannungen zu schüren und von einer Korruptionskrise abzulenken, die die damalige Regierung unter der Führung von Gruevski und seiner Partei VMRO-DPMNE erschütterte. Zu den Verschwörungstheoretikern zählte Zoran Zaev, der damalige Vorsitzende der oppositionellen Sozialdemokraten (SDSM) und jetzige Ministerpräsident. Einige Tage nach dem Feuergefecht erklärte er gegenüber den Medien: „Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass es sich hier um ein von den Machthabern organisiertes Szenario handelt.“

Drei Jahre nach dem Vorfall kann das Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) exklusive Stellungnahmen eines ranghohen Geheimdienstoffiziers offenlegen, die der offiziellen Darstellung, wie es zu der bewaffneten Auseinandersetzung in Kumanovo gekommen war, widersprechen. BIRN konnte die Richtigkeit der Angaben nicht durch unabhängige Quellen verifizieren — und seine Version der Ereignisse wird von den Parteispitzen der VMRO-DPMNE, darunter auch Mazedoniens Präsident Gjorge Ivanov, vehement bestritten. Neben Zeugenaussagen, Mitschnitten von abgehörten Gesprächen und forensischen Beweisen, die darauf hindeuten, dass einige der Kämpfer möglicherweise kurzerhand exekutiert wurden, erinnern die unbestätigten Behauptungen jedoch an ein Drama, das eines Spionagethrillers würdig ist.

Laut Angaben des Offiziers, der anonym bleiben wollte, wurden die Kämpfer in Kumanovo mit Unterstützung des Geheimdienstes rekrutiert und bewaffnet, der sie ungehindert nach Kumanovo fahren ließ, bevor die Polizeikräfte zuschlugen. „Der Konflikt in Kumanovo wurde zur Gänze vom mazedonischen Geheimdienst organisiert“, erklärte der Offizier gegenüber BIRN. „Es war ein schlecht organisiertes Szenario, das vor Ort eskalierte.“

BIRN legte die Behauptungen, die nicht mit stichhaltigen Beweisen untermauert werden konnten, dem Geheimdienst vor. Präsident Ivanov, der dem Nachrichtendienst vorsitzt und den nationalen Sicherheitsrat leitet, antwortete persönlich. Ivanov dementierte, dass der Geheimdienst oder das Kabinett des Präsidenten einen Vorfall in Kumanovo inszeniert habe und nannte solche Anschuldigungen „den verzweifelten Versuch, die Medien mit falschen Informationen in die Irre zu führen und Institutionen in ein negatives Licht zu rücken“.

Zaev, dessen SDSM-Regierung im Mai an die Macht kam und die zehnjährige Regierung der VMRO-DPMNE unter Gruevski beendete, sprach sich für eine Wiederaufnahme des Verfahrens aus. Sollte es dazu kommen, würde man möglicherweise um Hilfe von außen ersuchen, um alle verbleibenden Zweifel den Fall betreffend auszuräumen.

Die Überreste eines Autos auf einer Straße in Kumanovo kurz nach dem Konflikt. Foto: © Amir Idrizi

Günstiger Zeitpunkt?

Während die Bewohner damit beschäftigt waren, die Überreste der Schießerei — Glassplitter, verbogenes Metall, verkohlte Ziegel — zu beseitigen, drängten sich Erinnerungen an die dunklen Tage des Jahres 2001 auf.

Die Gegend um Kumanovo war 2001 Mittelpunkt eines zehnmonatigen Konflikts zwischen staatlichen Sicherheitskräften und ethnischen albanischen Rebellen der mittlerweile aufgelösten Nationalen Befreiungsarmee (UÇK). Mithilfe eines von der NATO ausgehandelten Friedensabkommens konnte Mazedonien einen Bürgerkrieg abwenden. In diesem Abkommen wurden viele der Missstände thematisiert, die den Aufstand geschürt hatten, wie etwa die fehlende politische Vertretung für ethnische Albaner, die mindestens ein Viertel der 2,1 Millionen Einwohner Mazedoniens ausmachen.

Dank des Friedensabkommens von 2001 wurde Albanisch offizielle Amtssprache in Gemeinden, in denen zumindest 25 Prozent Albaner leben. Ethnischen Albanern wurde außerdem eine proportionale Vertretung in Politik und Verwaltung zugebilligt.

Chronologie der Ereignisse

9. Februar 2015 – Die Regierung von Ministerpräsident Nikola Gruevski wird in einen Korruptionsskandal verwickelt, als die Opposition beginnt, geleakte Gesprächsmitschnitte zu veröffentlichen, die, wie sie behauptet, Gruevski und enge Vertraute belasten.

4. April 2015 – Der ehemalige Polizeigeneral Stojanče Angelov erzählt Demonstranten, dass er über Informationen verfüge, die besagen, dass „jemand“ ethnisch-albanischen „Kriminellen“ zwei Millionen Euro gezahlt habe, um sich als eine mittlerweile aufgelöste Rebellengruppe auszugeben und in der Region Kumanovo interethnische Konflikte zu schüren.

10. April 2015 – Der Regierungssitz in Skopje wird mit einer Granate beschossen. Es gibt keine Verletzten.

11. April 2015 – Jemand, der sich „Kommandant Kushtrimi“ nennt, bekennt sich zu dem Granatenangriff und warnt vor weiteren Bombenanschlägen, sollten ethnischen Albanern in Mazedonien nicht gleiche Rechte gewährt werden.

21. April 2015 – Vierzig maskierte bewaffnete Männer überqueren die Grenze aus dem Kosovo, stürmen eine Polizeistation im Dorf Gošince und machen sich mit einem großen Arsenal an Waffen und Munition davon.

26. April 2015 – Mirsad Ndrecaj, ein ehemaliger Kämpfer aus dem kosovarischen Krieg gegen Serbien, bekennt sich zu dem Raubüberfall in Gošince.

27. April 2015 – Die regierende Partei VMRO-DPMNE gibt bekannt, dass ihr Parteikongress, der am 9. und 10. Mai in Kumanovo hätte stattfinden sollen, auf den 2. und 3. Mai vorverlegt wird. Lokale Medien berichten von Sicherheitsbedenken.

30. April 2015 – Oppositionsführer Zoran Zaev ruft am 17. Mai zu Massenprotesten auf. Es werden etwa 100.000 Teilnehmer erwartet. „Dieses Mal gehen wir erst nach Hause, wenn die Regierung zurückgetreten ist“, sagt er.

3. Mai 2015 – In der Parteizentrale der größten ethnisch-albanischen Partei und Koalitionspartnerin in Tetovo kommt es zu einer Explosion. Es gibt keine Todesopfer.

5. Mai 2015 – Der erste von vielen Protesten erschüttert Skopje, als der Zorn der Öffentlichkeit über den Abhörskandal wächst und zu Zusammenstößen mit der Polizei führt.

9. Mai 2015 – Kurz vor Sonnenaufgang erschüttern Schüsse und Explosionen ein mehrheitlich von ethnischen Albanern bewohntes Viertel in Kumanovo, als sich Antiterroreinheiten der Polizei einen Kampf mit 39 bewaffneten Männern, die sich in drei Häusern verschanzt haben, liefern. Es ist der Beginn eines zweitägigen Feuergefechts mit tödlichem Ausgang. Noch bevor sich der Staub gelegt hat, werfen Kritiker der Regierung vor, den Vorfall inszeniert zu haben, um vom Abhörskandal abzulenken.

Foto: Patronenhülsen liegen in Kumanovo verstreut am Boden. © Amir Idrizi

In Kumanovo, wo 20.000 ethnische Albaner beinahe die Hälfte der Einwohner der Stadt ausmachen, hatte sich die Lage seither beruhigt. Die Ereignisse des 9. und 10. Mai beschworen das Gespenst eines wiederaufflammenden ethnischen Konflikts herauf. Sie warfen auch eine Frage auf: Warum jetzt?

Nach dem Feuergefecht appellierte Gruevski in seiner Rede an die Nation an „jene, die die Opposition oder die Regierung kritisierten, damit aufzuhören, da wir jetzt zusammenhalten müssen“. Für manche Kritiker schien dies der Regierung nur allzu gut in die Hände zu spielen.

Gruevski war seit Februar 2015 in einen Skandal verwickelt, als der damalige Oppositionschef Zaev begann, sogenannte „Informationsbomben“ loszulassen — heimliche Mitschnitte, die, wie er meinte, beweisen würden, dass die Regierung hinter der illegalen Abhörung von 20.000 Bürgern steckte. Die Opposition behauptete, dass die geleakten Gesprächsmitschnitte ranghohe Beamte mit kriminellen Machenschaften wie Wahlbetrug, Machtmissbrauch und der Vertuschung von Mord in Verbindung brachten – Anschuldigungen, die die Regierung mit dem Hinweis dementierte, die Aufnahmen seien von ausländischen Agenten gefälscht worden.

Der Abhörskandal entfachte wütende Proteste und ließ Forderungen nach dem Rücktritt Gruevskis laut werden. Kritiker fragten sich, ob der Vorfall in Kumanovo nicht ein abgekartetes Spiel war, um die Bemühungen, Gruevski zu entmachten, zu entkräften. Gruevski dementierte sämtliche Vorwürfe und beharrte darauf, dass es sich bei den Mitschnitten um manipulierte Aufnahmen handelte, die im Rahmen einer Verschwörung veröffentlicht wurden, um das Land mithilfe von nicht genannten „ausländischen Geheimdiensten“, die mit seinen politischen Gegnern in Mazedonien zusammenarbeiteten, zu destabilisieren.

Bei einer der Abhöraufnahmen, die am 15. Mai 2015 veröffentlicht wurde, handelt es sich angeblich um ein Gespräch zwischen Gruevskis Kabinettchef Martin Protugjer und Innenministerin Gordana Jankulovska, in dem die beiden offenbar mit dem Gedanken spielen, einen Konflikt anzuzetteln. „Warum beginnen wir nicht einen Krieg [mit den ethnischen Albanern]?“, sagt Protugjer zu Jankulovska. „Wir könnten sie innerhalb einer Stunde vernichten!“ antwortet Jankulovska.

Einige Tage nach dem Feuergefecht trat Jankulovska zurück. Ihr folgte auch Saso Mijalkov, Chef des Geheimdienstes und ein Cousin Gruevskis. Beide betonten, dass ihre Rücktritte nichts mit Kumanovo zu tun hätten, sondern nur dazu beitragen sollten, die politische Krise, die das Land aufzehrte, zu beenden. Die Schuld an der Krise gaben sie der Opposition. Gruevski selbst trat im Jänner 2016 infolge einer von der EU vermittelten Vereinbarung zur Beendigung der durch die Abhöraffäre ausgelösten Krise zurück. Im Juni 2017 wurden er und enge Vertraute wegen Wahlbetrugs und anderer mutmaßlicher Delikte angeklagt. Sollte Kumanovo tatsächlich eine Finte gewesen sein, um von der Kritik an der Regierung abzulenken, so hatte sie offenkundig nicht funktioniert.

BIRN konnte Gruevski für eine Stellungnahme zwar nicht erreichen, aber die VMRO-DPMNE, deren Vorsitzender er damals war, antwortete im November 2017 auf BIRNs Fragen. „Die Vorwürfe der damaligen Opposition sind völlig haltlos und waren Teil ihrer seit Längerem von Medien unter ihrer Kontrolle geführten schwarzen Kampagne“, schrieb VMRO-DPMNE-Sprecher Ivo Kotevski in einer E-Mail. „Solche Anschuldigungen gehörten zu einer gut vorbereiteten Propaganda gegen die Partei, mit dem alleinigen Ziel, das Vertrauen in sie zu schwächen.“ „Letzten Endes hat es weder damals noch heute, ein halbes Jahr, nachdem die SDSM an die Macht kam, irgendwelche Beweise gegeben, die die Behauptung stützen würden, unsere Parteivertreter wären in die Inszenierung des Vorfalls in Kumanovo involviert gewesen.“

Goran Mitevski, Direktor des mazedonischen Spionageabwehrdienstes von 1999 bis 2001, erzählte BIRN im November 2017 von ihm zu Ohren gekommenen unbestätigten Berichten, der Vorfall wäre „von hohen Staatsbeamten organisiert“ worden. Die Spionageabwehr ist eine separate Einheit des Geheimdienstes.

Auf die Frage, inwiefern der Regierung die Inszenierung eines solchen Vorfalls genützt hätte, mutmaßte er, dass man vielleicht nach einem Vorwand gesucht habe, angesichts der Forderungen nach vorgezogenen Wahlen den Ausnahmezustand auszurufen. „Um all dies jedoch beweisen zu können, bedarf es einer internationalen Untersuchung unter Einbeziehung ausländischer Experten oder Agenten aus den Nachbarländern oder anderen Staaten“, sagte er.

Das Innere eines Hauses in Kumanovo, in dem sich die Kämpfer verschanzt hatten. Foto: © Amir Idrizi

Vorwarnungen

Sogar als die Geschosse von den Mauern in Kumanovo prallten, hatten Skeptiker Grund misstrauisch zu sein. Nur wenige Stunden nach der Belagerung erinnerten zahlreiche Beiträge in den sozialen Medien an eine fünf Wochen zuvor von einem ehemaligen Polizeigeneral namens Stojanče Angelov gehaltene Rede. Die damals wenig beachteten Aussagen stellten sich nun als weitblickend heraus.

Der pensionierte Polizeigeneral ist Chef einer kleinen Oppositionspartei namens „Würde“. Am 4. April 2015 hatte er sich an regierungskritische Demonstranten in Skopje gewandt. „Jemand in unserem Land hat einen ungeheuerlichen Plan ausgearbeitet, um einen interethnischen Konflikt auszulösen“, brüllte Angelov vom Podium, ohne zu erläutern, wer dieser „Jemand“ war. „Ich verfüge über Informationen, dass man ein paar Albanern, die nichts mit der UÇK zu tun haben, ein paar Kriminellen aus der Region Lipkovo [nahe Kumanovo], zwei Millionen Euro gegeben hat. Sie sollen sich als Mitglieder der UÇK ausgeben und einige Polizeibeamte oder Soldaten töten und einen interethnischen Konflikt auslösen.“

Im November 2017 erklärte Angelov gegenüber BIRN, dass er seine Informationen von Personen erhalten hatte, „die für die Staatssicherheit und andere Organe arbeiteten“ und dass er diese Angaben mit anderen Geheimdienstquellen gegengeprüft habe. Man habe ihm gesagt, dass der Plan darin bestanden habe, Kriminelle dafür zu bezahlen, — „als Kollateralschaden“ — eine Gruppe leichtgläubiger und ideologisch motivierter ethnischer Albaner zu rekrutieren, um Ziele in Mazedonien anzugreifen, vorgeblich, um ethnische Albaner vor staatlicher Unterdrückung zu schützen. „Ich sagte damals, dass den Machthabern nahestehende Personen die Anstifter dieser Bluttat waren“, erzählte er. „Ich glaube, dass niemand wollte, dass es so tragisch endet, aber ich vermute, dass sie völlig die Kontrolle verloren haben.“

„Jemand in unserem Land hat einen ungeheuerlichen Plan ausgearbeitet, um einen interethnischen Konflikt auszulösen.“

— Stojanče Angelov, ehemaliger Polizeigeneral

Sechs Tage nach Angelovs Rede ging vor dem Sitz der Regierung in Skopje eine Granate hoch. Niemand wurde verletzt und der Schaden hielt sich in Grenzen. Jemand, der sich „Kommandant Kushtrimi“ nannte, übernahm in einer E-Mail an die Medien dafür die Verantwortung. In dieser Mitteilung fanden sich das UÇK-Emblem und bizarrerweise die gefälschte Unterschrift des Gouverneurs der Europäischen Bank. Kushtrimi drohte mit weiteren Angriffen, so lange bis allen Albanern die gleichen Rechte wie Mazedoniern zuerkannt werden.

Am 3. Mai 2015 explodierte am Sitz der Demokratischen Union für Integration (DUI), der größten ethnisch-albanischen Partei und Juniorpartnerin der Regierungskoalition, in der nordwestlichen Stadt Tetovo eine Bombe. Es gab weder Todesopfer noch Verletzte und niemand bekannte sich zu dem Anschlag.

Am 21. April 2015 verfehlten vermeintliche UÇK-Kämpfer ihre Wirkung jedoch nicht. Nach Angaben der Polizei waren 40 maskierte bewaffnete Männer mit UÇK-Emblemen aus dem Kosovo über die Grenze gekommen und hatten einen Grenzposten im Dorf Gošince in der Gemeinde Lipkovo gestürmt. Sie fesselten und schlugen vier Polizeibeamte, bevor sie sich mit dem für einen vierköpfigen Grenzposten erstaunlich großen Arsenal an Waffen und Munition, darunter Dutzende Maschinengewehre, davonmachten. Die DUI warnte ethnische Mazedonier davor, nicht auf die, wie sie es nannte, „Provokation“ hereinzufallen.

Die mazedonische Nachrichtenagentur Zhurnal zitierte den ehemaligen UÇK-Kommandanten in Lipkovo mit den Worten, der Geheimdienst habe den Vorfall in Gošince inszeniert, um ethnische Konflikte zu schüren und die mazedonische Bevölkerung hinter der Regierung zu versammeln. „Die Regierung bezahlte ein paar Leute dafür, dass sie dort für Unruhe sorgen, um die öffentliche Meinung zu manipulieren“, wurde er zitiert.

Im Juli 2017 erzählte der ranghohe Geheimdienstoffizier BIRN, dass der Geheimdienst die Angreifer angespornt habe, nach Gošince zu kommen und die Waffen zu stehlen, wofür er jedoch keine Beweise hatte.

Fünf Tage nach dem Überfall in Gošince postete ein Mann namens Mirsad Ndrecaj, der später als der zu Tode gekommene Anführer der bewaffneten Gruppe aus Kumanovo identifiziert werden konnte, eine Nachricht auf Facebook und bekannte sich zu dem Raubüberfall. „Die UÇK hat ihr Ziel immer getroffen, dort, wo es unseren Feinden am meisten wehtut,“ schrieb er. „Wir wollen keinen Krieg, aber wenn wir dazu gezwungen sind, werden wir immer zur Stelle sein, um unsere geliebte albanische Nation zu beschützen.“ Von offizieller Seite wurde später bestätigt, dass die in Gošince entwendeten Waffen in Kumanovo zum Einsatz gekommen waren. Abgesehen von den Waffen, die man in der Pero-Ilievski-Straße fand, entdeckte die Polizei nahe der Stadt, im Wald vergraben, 65 Maschinengewehre und acht Schuss Munition, die aus demselben Raub stammten.

Einen Tag nach dem Überfall in Gošince gab VMRO-DPMNE bekannt, den Termin ihres vierjährlichen Parteikongresses zu verschieben, bei dem Gruevski ohne Gegenkandidaten für eine vierte Amtszeit als Parteichef kandidierte. Die Veranstaltung hätte am 9. und 10. Mai in Kumanovo stattfinden sollen, wurde aber auf den 2. und 3. Mai vorverlegt. Auf die Frage, warum der Termin verschoben wurde, antwortete VMRO-DPMNE-Sprecher Kotevski gegenüber BIRN, dass die Partei den Kongress als Reaktion auf die eskalierende politische Krise, für die sie die Opposition verantwortlich machte, verschoben habe, „um die gesamte Aufmerksamkeit und den Fokus der Parteiführung auf die politische Krise zu richten.“ „Die Partei hatte keinerlei Informationen über die Gruppe und ihre Absicht, nach Kumanovo zu kommen“, so Kotevski.

Eine von Maschinengewehrfeuer durchlöcherte Mauer macht die Heftigkeit der Schießerei in Kumanovo deutlich. Foto: © Amir Idrizi

Geheimes Treffen

Ndrecaj, der Anführer der bewaffneten Gruppe, war ein ehemaliger Kämpfer der Befreiungsarmee des Kosovo während des Konflikts mit Serbien. Er stammte aus der Stadt Gjakova/Djakovica im Westen des Kosovo. Etwa einen Monat, nachdem er in Kumanovo für tot erklärt worden war, veröffentlichten kosovarische Medien geleakte Aufnahmen von angeblichen Telefongesprächen zwischen Ndrecaj und einem Mann, den man später vor Gericht als ethnisch-albanischen Agenten des mazedonischen Geheimdienstes identifizierte. Der Spion hieß Shenasi Memedi.

„Ich habe dir eine Nachricht geschickt, aber deine Nummer ist falsch,“ sagt Memedi in einer Aufnahme, die offensichtlich kurz nach dem Geiseldrama in Gošince gemacht wurde. „Ich habe die Erklärung gestern Abend gesehen.“

Ndrecaj: „Welche?“

Memedi: „Die du auf Facebook gepostet hast. Dass die UÇK den Posten unter ihre Kontrolle gebracht hat.“

Ndrecaj: „Und? Hat sie dir gefallen?“

Memedi: „Sehr gut, sehr gut.“

BIRN gelang es nicht, Memedi zu kontaktieren, aber laut der Geheimdienstquelle soll er an der Planung der Operation in Kumanovo beteiligt gewesen sein. Der ranghohe Geheimdienstoffizier identifizierte einen weiteren Mann als „Mastermind“: Sinisha Aleksovski, ein Geheimdienstagent, der auch dem Kabinett von Präsident Ivanov als sein Sicherheitsberater angehört. „Alles stand unter dem Kommando von Sinisha Aleksovski, dem Sicherheitsberater des Präsidenten, und Shenasi Memedi vor Ort“, erklärte er.

BIRN kontaktierte Aleksovski, der jedoch eine Stellungnahme ablehnte. In einem Fernsehinterview im Mai 2017 stellte auch Ministerpräsident Zaev eine Verbindung zwischen Aleksovski und dem Vorfall in Kumanovo her. „Hier sind viele Ebenen beteiligt“, sagte er. „Eine ist Sinisha Aleksovski. Wir wissen von einem Gespräch zwischen ihm und einer Person namens ‚NATO-Kommandant‘ Mirsad Ndrecaj aus dem Kosovo, ein bekannter Krimineller und Gangster, der in diesen Gebieten aktiv war: Kosovo, Serbien, Presevo, Kumanovo, Region Tetovo, Skopje — und sie standen miteinander in Verbindung.“

„Warum mussten sie überhaupt miteinander in Verbindung stehen? Ernstzunehmende Indizien sprechen für Sinisa Aleksovski. Ich glaube, er ist der Chef des Nachrichtendienstes unter Gjorge Ivanov, aber es gibt andere Hinweise, die auf eine Beteiligung noch höherer Ebenen hindeuten.“

Präsident Ivanov, der aus den Reihen der VMRO-DPMNE stammt und seit 2009 Staatschef ist, dementierte, dass er oder sein Kabinett irgendetwas mit dem zu tun hätten, was in Kumanovo passiert war. „Weder ich als Präsident noch mein Kabinett waren in irgendeiner Weise an dem Vorfall in Kumanovo beteiligt“, erklärte er gegenüber BIRN in einer schriftlichen Reaktion auf Fragen, die an den Geheimdienst gerichtet waren. „Der Präsident ist lediglich ein Nutzer der Informationen des Geheimdienstes und anderer Sicherheitsdienste.“

„Weder ich als Präsident noch mein Kabinett waren in irgendeiner Weise an dem Vorfall in Kumanovo beteiligt.“

— Gjorge Ivanov, Präsident Mazedoniens

Ivanov weiter: „So wie hier falsche Nachrichten verbreitet werden, werden sie mich wohl als Nächstes mit der Ermordung von [US-Präsident John F.] Kennedy in Verbindung bringen. Nennen Sie mir zumindest eine Tatsache – keine Gerüchte, Spekulationen oder Lügen –, sondern eine Tatsache, die das Kabinett des Präsidenten mit Ihren Anschuldigungen in Verbindung bringt.“ „Ich möchte die Öffentlichkeit informieren, aber auch eine Botschaft an alle richten, die falsche Nachrichten verbreiten: Da werden wir nicht untätig zusehen.“

Obwohl Mazedonien eine parlamentarische Demokratie ist und die Befugnisse des Präsidenten beschränkt sind, ist Ivanov Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Vorsitzender des nationalen Sicherheitsrats. Er ernennt auch den Direktor des Nachrichtendienstes. Kritiker sehen in Ivanov einen treuen Anhänger seiner VMRO-DPMNE-Partei. Im März 2017 sorgte er für Empörung, als er sich weigerte, Zaev ein Mandat zu geben, nachdem die SDSM genügend Sitze gewonnen hatte, um gemeinsam mit den ethnisch-albanischen Parteien eine Regierung zu bilden. Im Mai 2017 lenkte Ivanov schließlich ein.

Die im Kosovo veröffentlichten und von den mazedonischen Medien aufgegriffenen Telefonmitschnitte beziehen sich auf ein Treffen in Pristina, offenbar zwischen dem Nachrichtenoffizier Memedi und Gruppenanführer Ndrecaj.

Memedi: „Morgen bin ich mit meiner Frau, meiner Tochter und meinen Söhnen in Ferizaj [im Süden des Kosovo]. Ich dachte, wenn du in Pristina bist, oder wo bist du?“

Ndrecaj: „Wir sind in Pristina.“

Memedi: „Dann rufe ich dich morgen an und wir treffen uns irgendwo zum Kaffee.“

Ndrecaj: „Okay, treffen wir uns in Pristina.“

Memedi: „Grüße Beg [Rizaj, ein weiterer Anführer, der in Kumanovo getötet wurde] von mir.“
Ndrecaj: „Er lässt dich auch grüßen.“

Vor Gericht berichteten mehrere Angeklagte von zumindest einem Treffen zwischen Ndrecaj und dem Spion Memedi in Pristina. Sie meinten, dass der Zweck dieses Treffens eigens darin bestanden habe, Vorbereitungen für Kumanovo zu treffen, und dass ein Treffen auf Video aufgezeichnet worden wäre. Einer der mutmaßlichen Schützen, Andi Krasniqi, sprach von einer Aufnahme, die drei Stunden und 17 Minuten dauerte. Keines dieser Videos ist aufgetaucht.

„Er [Ndrecaj] traf Shenasi Memedi und einen anderen Typen, einen Mazedonier“, gab Krasniqi vor Gericht zu Protokoll. „Ich weiß nicht, wie er heißt, aber ich weiß, dass er vom Geheimdienst ist.“ Nasuf Bekiri, ein weiterer Angeklagter, sagte, dass der Anführer Beg Rizaj auch bei dem Treffen gewesen sei. „Dieses Band existiert und wird auftauchen“, meinte er. „Sie planten das Vorhaben, wo sie sich Zugang verschaffen, was sie tun sollten.“

BIRN fragte den Geheimdienst, ob seine Offiziere sich vor dem Feuergefecht mit Mitgliedern der Gruppe getroffen hätten. Die Antwort kam von Präsident Ivanov: „Ihre Frage richtet sich an die falsche Adresse.“ Er schrieb: „Fragen Sie doch die internationalen Organisationen und ausländischen Botschaften, staatlichen Organe und politischen Funktionäre, die laufend mit den Anführern der Gruppe in Verbindung standen.“ „Befragen Sie diese nach den Morddrohungen, der Erpressung und physischen Gewalt und warum sie die Vorgänge, Kontakte und die Art der Gespräche nicht dem Geheimdienst und dem Innenministerium gemeldet haben. Es gibt viele.“

Mitevski, der ehemalige Chef der Spionageabwehr, meinte, es sei unmöglich, dass die Schützen es mit all den Waffen ohne Absprache mit dem Geheimdienst bis in die Tode-Mendol-Straße in Kumanovo geschafft hätten. „Wenn ich sage, dass es Unterstützung vom Geheimdienst gegeben haben muss, dann meine ich, dass sie nahe der kosovarischen Grenze zuschlagen konnten oder einem anderen öffentlichen Ort, wo Zivilisten getötet werden konnten“, sagte er. „Informationen der Staatsanwaltschaft zufolge wurde die Gruppe auf ihrem Weg vom Kosovo nach Mazedonien von einer Drohne verfolgt. Daraus lässt sich schließen, dass der Geheimdienst über gesicherte Informationen darüber verfügte, wann und wo die Gruppe die Grenze zu Mazedonien überqueren würde.“

Beg Rizaj (links) und Mirsad Ndrecaj, mutmaßliche Anführer der Schützen von Kumanovo, posieren für ein auf Facebook gepostetes Foto.

Kopfschüsse

Ohne Videobeweis und unter der Annahme, dass das Treffen wie beschrieben stattfand, hätten nur Memedi, die zwei Anführer der Gruppe und der nicht identifizierte zweite Spion, der von Krasniqi erwähnt wurde, den Inhalt der Gespräche bestätigen können. Memedi musste vor Gericht unter Berufung auf das Staatsgeheimnis nicht aussagen, nachdem sein Chef, Geheimdienstdirektor Zoran Ivanov, ein Schreiben an das Gericht gesandt hatte. Mirsad Ndrecaj und Beg Rizaj sind beide tot. Auch ihr Tod bleibt rätselhaft. Gerichtliche Zeugenaussagen und forensische Beweise deuten darauf hin, dass sie möglicherweise nicht, wie berichtet, bei den Kämpfen getötet worden waren.

Zwei Tage nach der Schießerei gab das mazedonische Außenministerium in einem von BIRN eingesehenen Schreiben an die kosovarische Botschaft in Skopje bekannt, dass Ndrecaj und Rizaj lebend festgenommen wurden, gemeinsam mit einem Mann namens Arben Rexhaj, der später unter den Toten identifiziert wurde. Das Ministerium sprach in der Folge diesbezüglich von einem Fehler.

Gerichtsmedizinische Gutachten, die BIRN von einem Strafverteidiger vorgelegt wurden, weisen darauf hin, dass Rizaj und Rexhaj beide durch eine Kugel in den Kopf getötet wurden. Aus den Berichten geht nicht hervor, aus welcher Entfernung die Projektile abgefeuert wurden. „Meiner Erfahrung nach wird die geschätzte Entfernung immer vermerkt“, meinte der Strafverteidiger Naser Raufi. „Das ist der erste Bericht, den ich kenne, wo dies nicht der Fall ist.“

„Diese geringe Entfernung deutet auf eine Exekution hin.“

— Strafverteidiger Naser Raufi

Aleksandar Stankov, Leiter des Instituts für Gerichtsmedizin in Skopje, das die Berichte anfertigte, bestritt, dass solche Angaben standardmäßig gemacht hätten werden müssen — obwohl es, wie er meinte, nicht schwierig sei, im Bedarfsfall entsprechende Berechnungen zu machen. „Die Entfernung des Schusses wird im Protokoll nicht vermerkt, aber die Staatsanwaltschaft oder Anwälte können diese Angaben anfordern“, sagte er. „Sie hätten uns anrufen und um zusätzliche Informationen bitten können.“

Auf Grundlage der Berichte und Fotos meinte Strafverteidiger Raufi, dass die Anführer wahrscheinlich aus nächster Nähe erschossen wurden. „Diese Ähnlichkeit ergibt sich nur aus sehr kurzer Entfernung, wie etwa einem Meter“, sagte er. „Es ist ausgeschlossen, dass es im Kampf passiert ist, wie dies die Staatsanwaltschaft behauptet. In der Anklage steht, dass die Kämpfer bzw. die hingerichteten Anführer der Polizei zu keinem Zeitpunkt des Konflikts direkt gegenüberstanden. Diese geringe Entfernung deutet auf eine Exekution hin.“

Der Angeklagte Andi Krasniqi sagte vor Gericht aus, dass Ndrecaj und Rizaj beide noch am Leben waren, als der Rest der Gruppe gegen 9 Uhr abends kapitulierte. Rufki Dogani, ein weiterer mutmaßlicher Schütze, gab an, dass er sie nach der Schießerei lebend in einer Polizeistation gesehen habe.

Eine albanische Flagge inmitten der Trümmer eines stark beschädigten Gebäudes. Foto: © Amir Idrizi

Verschwörungstheorien

Es mag nicht überraschen, dass die angeklagten Schützen von ihren Angehörigen als Helden gefeiert werden, die in Mazedonien für die Rechte der ausgegrenzten ethnischen Albaner kämpften und von den Behörden, die sie dorthin lockten, verraten wurden.

Fadil Elshani, der Vater des Angeklagten Bajram Elshani, kam im Juli 2017 nach Skopje, um dem Prozess beizuwohnen. „Unsere Söhne haben aus patriotischen Gründen gehandelt“, meinte er. „Wären Sie Terroristen, dann hätten sie auch Kinder, alte Männer und Frauen getötet.“ Ylber Ndrecaj, der Bruder des Gruppenanführers Mirsad, sprach mit BIRN in Pristina im Anschluss an eine Veranstaltung zum Gedenken an den zweiten Jahrestag der Belagerung. „Sie haben nicht auf eigene Faust gehandelt“, meinte er. „Diese Sache wurde von vielen Politikern aus Mazedonien gebilligt. Und ich weiß das aus sehr sicheren Quellen, nicht nur aufgrund von Gerüchten.“

Nicht nur ethnische Albaner glauben, dass die Belagerung in gewisser Weise von offizieller mazedonischer Seite angezettelt wurde. Auch viele nichtalbanische Bewohner von Kumanovo sind zynisch. „Das sind Leute, denen man Geld dafür gab, dass sie nach Kumanovo kommen und Zwischenfälle provozieren, mit der Absicht, einen Krieg in Mazedonien auszulösen“, meinte ein Mann auf dem Hauptplatz von Skopje. Sogar der Vater eines der bei der Schießerei verletzten Polizeibeamten glaubte an die Verschwörungstheorien. „Das ging alles von den Politikern aus“, erzählte er BIRN, wobei er namentlich nicht genannt werden wollte. „Acht Polizisten wurden umsonst getötet.“

Seit der Belagerung wurden die zerstörten Häuser dank eines Entschädigungsfonds der Regierung mit roten Ziegeln wiederaufgebaut. An der Ecke Tode Mendol und Pero Ilievski liegt ein Haus noch immer in Trümmern. Es gehört Irfan Lutfiu, einem Herrenfrisör, der zu 14 Jahren Haft verurteilt wurde, weil er sich der Gruppe angeschlossen hatte, nachdem diese nach Kumanovo gekommen war. Manche hoffen, dass man es unverändert belässt, als Erinnerung an das Blutbad. „Es war entsetzlich“, erzählte der Imam Eljesa Mahmudi. „Wir werden niemals vergessen, was passiert ist. Das wurde von jemandem vorbereitet und inszeniert … Allah sei Dank, dass es keine zivilen Opfer gegeben hat.“

Viele Menschen in Kumanovo und im ganzen Land setzen ihre Hoffnungen nun auf internationale Ermittlungen, die ein für alle Mal klären sollen, was zu dieser Schießerei geführt hat. Im September 2017 erklärte Innenminister Oliver Spasovski, er würde nach einer solchen Untersuchung verlangen. „Das würde dazu beitragen, dass die Öffentlichkeit die Wahrheit auf angemessene Weise erfährt“, meinte er. „Das wäre eine für alle Bürger glaubwürdige Vorgehensweise.“

Original auf Englisch. Erstmals publiziert am 6. Dezember 2017 auf Balkaninsight.com.
Aus dem Englischen von Barbara Maya.


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Titelbild: Zerstörte Häuser in der mazedonischen Stadt Kumanovo nach einem zweitägigen Feuergefecht zwischen bewaffneten Männern und Sicherheitskräften, das 18 Todesopfer forderte. Foto: © Amit Idrizi.

Dieser Artikel entstand im Rahmen des Balkan Fellowship for Journalistic Excellence, unterstützt von der ERSTE Stiftung und den Open Society Foundations in Kooperation mit dem Balkan Investigative Reporting Network.

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