“Auch ich habe Hexenblut in mir.”
Die Fotografin Virginia Lupu über selbstbestimmte Frauen in Rumänien
„Eine Hexe ist eine selbstbestimmte Frau, sie steht für starke Weiblichkeit. Mit anderen Worten, eine Hexe ist eine Frau, die besondere Kräfte besitzt“, sagt die rumänische Fotografin Virginia Lupu. Gyula Muskovics sprach für East Art Mags mit ihr in Bukarest.
Virginia Lupu ist eine rumänische Fotografin und lebt derzeit in Timisoara (Temeswar). Ich traf sie im Dezember bei einer Ausstellungseröffnung im Salonul de Proiecte in Bukarest: Sie hatte Wasserstoffperoxid bei sich, um sich mit unserem gemeinsamen Freund – dem Performancekünstler Paul Dunca – im Büro der Galerie die Augenbrauen zu bleichen. Ich kannte bereits eine von Virginias früheren Serien, die das Alltagsleben einer Transgender-Community dokumentiert. Vor etwa einem Jahr begann sie, sich mit einem neuen Thema zu beschäftigen. Ihre jüngsten Fotoarbeiten (Eine Auswahl ihrer Arbeiten auf dieser Seite) zeigen Roma-Hexen beim Fleischklopfen, Heiraten, Flüche aussprechen und Heilen. Mich interessierten ihre Erfahrungen mit diesen mit besonderen Kräften ausgestatteten Frauen, denen sie im Zuge der Arbeit näher kam. Dann stellte sich heraus, dass Virginia ebenfalls Hexenblut hat.
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Deine jüngsten Fotografien zeigen Roma-Hexen, die kochen, Modell stehen, feiern, sich schick machen und Magie betreiben. Wie hast du sie kennengelernt?
Ich hatte die Gelegenheit, mit einem Berliner Magazin zusammenzuarbeiten, das an der Kultur der Roma interessiert war. Über diese Leute habe ich Mihaela Minca kennengelernt, eine der mächtigsten und bekanntesten Hexen Rumäniens. Wir verstanden uns auf Anhieb und sie lud mich des Öfteren ein – zu den Hochzeiten ihres Sohnes und ihrer Tochter, zu Weihnachts- und Geburtstagsfeiern. Sie stellte mich anderen Frauen vor, die Hexerei betreiben. Als ich nach Bukarest kam, durfte ich sogar ein paar Tage in ihrem Haus übernachten.
Eure Beziehung begann also auf einer persönlichen Ebene?
Genau. Als ich Mihaela traf, war ich fotografisch nicht sehr aktiv. Aber der Reihe nach: Während meiner Ausbildung in Bukarest war ich wie besessen. Jahrelang habe ich nichts als gearbeitet. Mein größtes Interesse galt der Fotografie und ich war andauernd auf der Suche nach neuen Motiven.
Und dann kam der Moment, als ich erkannte, dass ich dafür keine Energie mehr hatte. Ich zog nach Timisoara und hörte eine Weile damit auf, künstlerisch tätig zu sein. Als ich Mihaela traf, wollte ich keine Fotos von ihr machen. Ich war einfach von ihrer esoterischen Praxis und der Hexerei begeistert. Anfangs ging es nicht um Kunst. Jeder würde Fotos davon machen, was man da sieht, ob du nun Künstler bist oder nicht.
Warum bist du nach Timisoara gezogen?
Ich wollte mich verändern und meine Wahl viel eher zufällig auf Timisoara. Ich bin aber nach wie vor mit allen Leuten, die ich über die Fotografie in Bukarest kenne, in Kontakt. Auch wenn ich offiziell in Timisoara arbeite, lebe ich doch irgendwie zwischen den beiden Städten.
Wie würdest du eine Hexe beschreiben?
Eine Hexe ist eine selbstbestimmte Frau, sie steht für starke Weiblichkeit. Mit anderen Worten, eine Hexe ist eine Frau, die besondere Kräfte besitzt. Mihaela hat große Pläne: Sie möchte in Rumänien eine Hexenschule eröffnen – das hat es noch nie gegeben. Sie hat zwei Töchter und einen Sohn. Eine ihrer Töchter hat vor Jahren geheiratet, sie hat zwei Kinder, aber ihr Ehemann ist mit 20 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben und nun ist sie Witwe. Die andere hat dieses Jahr geheiratet. Die Familie steht sich sehr nahe. Was ihre Praxis betrifft, so finde ich, dass Mihaela sich sehr gut mit Ritualen auskennt, aber sie ist keine gute Wahrsagerin. Ich habe ihr das nie gesagt, aber ich kann Tarot-Karten lesen – auch ich habe Hexenblut in mir –, und manchmal bitte ich sie, mir dir Karten zu lesen und sie liegt völlig daneben. Aber jedes Mal, wenn ich ihr dabei zusehe, wie sie Rituale durchführt oder anderen Menschen hilft, die mit sehr ernsten Lebensproblemen zu ihr kommen, kann ich etwas Wahrhaftiges spüren.
Du hast drei Jahre lang an einer Geschichte über eine Transgender-Community in Bukarest gearbeitet. Du hast sogar eine Zeitlang in der Community gewohnt. Wie lange fotografierst du nun die Hexen schon?
Ich begann vor einem Jahr. Es ist also alles noch recht neu, aber es braucht definitiv Zeit. Zu diesem Thema werde ich viel recherchieren müssen und mich interessiert auch, andere Hexen in der Roma-Gemeinschaft kennenzulernen.
Besteht eine Verbindung zwischen diesem Projekt und deiner früheren Arbeiten über die rumänische LGBT-Community?
Sowohl die Hexen als auch die queere Community werden für das verfolgt, was sie sind. Historisch gesehen waren Hexen eine Randgruppe. Sie verbreiten Angst und die Menschen fürchten sich wirklich vor ihnen. Hexen können uns jedoch beschützen und die Hexerei kann bei (Selbst)heilungsprozessen helfen. Die Hexerei ist ein Überlebenswerkzeug – und zu überleben ist für vom Kapitalismus an den Rand gedrängte Gruppen wichtig.
Wie abergläubisch ist das rumänische Volk? Glauben die Menschen an Hexerei?
In Rumänien gleichen Glaube und Aberglaube eindeutig einem Tinder-Match, das sich gegenseitig „ghostet“. Die Hexerei war immer Teil unserer Kultur. Wir lebten und wuchsen mit der Angst vor Hexen auf. In Rumänien würde kaum jemand eingestehen, dass diese Hexen Kräfte besitzen – besonders, wenn man dem Volk der Roma angehört, die in Rumänien nach wie vor stark diskriminiert werden. Tatsächlich begegnen sie den Hexen jedoch mit großem Respekt, auch wenn sie nicht an ihre Kräfte glauben. Mihaela wird zum Beispiel in ihrem Heimatort Mogosoaia, einem Vorort von Bukarest, sehr geachtet.
Aus einem Dokumentarfilm wissen wir, dass diese Frauen sehr viel Geld verdienen. Manche Menschen, für die Psychotherapie keine Lösung ist, besuchen sie regelmäßig in der Hoffnung auf Heilung und bezahlen dafür Hunderte Euro. 2011 versuchte die Regierung, ein Gesetz zu erlassen, das Hexen dazu verpflichten sollte, Steuern zu zahlen, es wurde jedoch nie verabschiedet. Möglicherweise wissen die Menschen um ihre Macht und haben Angst vor ihr?
Ich kenne diesen Dokumentarfilm; das ist Bratara, die darüber spricht. Sie ist die Mutter von Mihaelas Ehemann. Bratara ist eine alte und erfahrene Hexe. Politiker und lokale Prominente haben jahrelang ihre Dienste in Anspruch genommen. Dann berichteten die Zeitungen über eine Reihe von Skandalen um Betrügereien. Jetzt sagen alle Politiker, dass Hexen Betrügerinnen sind. Nachdem das Gesetz nie verabschiedet wurde, liegt die Wahrheit wohl irgendwo dazwischen und sie haben ihre eigenen Gründe, Angst vor den Hexen zu haben. Ich würde Hexen nicht dafür verurteilen, dass sie von ihren Kunden viel Geld verlangen. Ich glaube an ihre Kräfte. Manche Menschen sind empfänglich für Therapien, andere sprechen auf andere Heilungsmethoden an. Jeder Mensch ist anders.
Bratara spricht in diesem Dokumentarfilm auch darüber, wie die neuen Technologien dazu beitragen, ihre besondere Gabe in der Welt sichtbarer zu machen. Manche Hexen haben Facebook-Seiten und können auch über große Distanzen, per Telefon oder Skype, hexen. Wie siehst du das, wie funktioniert diese uralte Zunft und wie hat sie sich in der heutigen Zeit verändert?
Wie viele andere Naturkräfte ist auch die Hexerei sehr anpassungsfähig. Sie überdauert die Zeit in ihrem eigenen Fluss. Sie ist alt, aber sie hat ihren eigenen Weg durch die Popkultur gefunden und erlebt jetzt ein Comeback. Wir kennen viele Geschichten von Feen und Hexen. Als ich ein Kind war, drohte mir meine Großmutter, dass mich die Hexen holen würden, wenn ich nicht brav sei. Wir sind von diesen Fantasien umgeben und leben mit ihnen, und das ist wahrscheinlich der Grund, warum wir abergläubisch sind und daran glauben, dass Magie wirklich Dinge bewirken kann. Interessant ist die Beziehung der Roma-Hexen zur Technologie. Sie wissen, dass in der heutigen Zeit alles online abläuft, und damit ihre Magie viele Menschen erreicht, sind sie auch in den sozialen Medien aktiv.
Was hälst du davon, dass die Esoterik in modernen westlichen Gesellschaften wieder einen Aufschwung erlebt?
Ich weiß, dass es heute sehr modern ist, sich mit Magie künstlerisch auseinanderzusetzen. Aber um ehrlich zu sein, folge ich nie den Trends. Für gewöhnlich interessiert mich ein Thema bereits, bevor ich herausfinde, dass es sich um einen Trend handelt. Wenn man keine richtige Verbindung zur Magie hat, sie aber für seine Kunst verwendet, dann ist das meiner Meinung nach kulturelle Vereinnahmung. Im Übrigen ist Magie eine heikle Sache. Du kannst mit diesen Energien nicht spielen, wenn du nicht für sie bereit bist.
Ein anderer kürzlich von VICE veröffentlichter Dokumentarfilm gibt Einblicke in die arrangierte Ehe von Mihaelas 18-jährigem Sohn. Diese Geschichte erzählt uns viel über die Rollen innerhalb ihrer Familie. Was ist dein persönlicher Eindruck?
Mihaelas Kultur basiert auf verschiedenen Regeln und Überzeugungen, die ich nicht beurteilen kann, weil ich nicht dazugehöre. Ich weiß, dass arrangierte Ehen (also Ehen, die von der Familie beschlossen werden) problematisch sind und negative Folgen haben können. Ami (Mihaelas Sohn) heiratete diesen Sommer und es passierte etwas sehr Ungewöhnliches. Sie trennten sich bereits nach kurzer Zeit. Er ist mittlerweile mit einem anderen Mädchen verheiratet und diese Ehe scheint glücklicher zu sein als die erste.
Dem Dokumentarfilm nach zu urteilen, scheint Mihaela das Familienoberhaupt zu sein.
Vielleicht steht ihr Ehemann im Film nicht so sehr im Mittelpunkt, aber in ihrer Kultur ist der Mann das Oberhaupt und derjenige, der bestimmt, was getan wird. Kommt die Familie zusammen, wie zum Beispiel bei der Hochzeit, bleiben die Männer unter sich und die Frauen bei den anderen Frauen. Da gibt es praktisch keine Durchmischung. Eine Hexe zu sein ist meiner Meinung nach eine sehr antikapitalistische und antipatriarchale Profession. Sie sind sich dieser Bedeutungen und ihrer Position im System jedoch nicht bewusst.
Die Hochzeitszeremonie wurde von einem Priester durchgeführt. Es war sehr interessant zu sehen, wie okkulte Praktiken mit der christlich-orthodoxen Tradition Hand in Hand gehen.
Schon, aber niemand durfte die Zeremonie aufnehmen oder fotografieren. Der Priester war dagegen, weil er seinen Job riskierte. Priester dürfen keiner Hexenhochzeit beiwohnen. Sie dürfen auch kein kirchliches Begräbnis für jemanden halten, der Selbstmord verübt hat.
Mihaela sagt auch, sie glaube an Gott.
Mihaela (wie auch viele andere Roma-Hexen) hat eine seltsame Beziehung zum orthodoxen Glauben. Sie sagt, ihre Magie könne nicht entweder weiß oder schwarz sein. Sie müsse beide Seiten umfassen, so wie auch die Natur zwei Seiten hat – die Magie ist ja eine Naturkraft. Sie glaubt an Gott, obwohl sie auch mit dem Teufel im Bunde steht. Sie geht in die Kirche und bittet Gott um Vergebung für ihre schwarze Magie. Das ist ihre Art, ein Gleichgewicht zu finden.
Was können wir von Hexen lernen?
Ich glaube, dass Frauen im Kapitalismus unterjocht werden. Sie tun alles Mögliche, um daran etwas zu ändern. Eine Hexe zu werden, ist eine Möglichkeit. Wenn wir irgendetwas von den Hexen lernen können, dann das. Während Frauen bevorzugt eine häusliche Rolle zugewiesen wird, ist die Hexe eine Frau, die gegen den Strom schwimmt. Was eine Hexe ausmacht, variiert von Kultur zu Kultur.
Welche Bedeutung hat Magie heute?
Ich würde sagen, Magie ist in erster Linie eine Bestimmung und viel einfacher, als man glaubt. Sie hilft uns zu begreifen, dass wir alle mit der Natur verbunden sind und einen Weg finden müssen, ihr näher zu kommen und zu hören, was sie zu sagen hat. Jede Pflanze und jeder Stein auf dieser Welt, das Wasser, der Wind – alles hat seine eigene Energie.
Dieser Artikel entstand im Rahmen des East Art Mags Programms mit Unterstützung der Erste Stiftung. Erstmals publiziert am 1. März 2019 auf Artportal.hu. Aus dem Englischen von Barbara Maya.
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