16. Oktober 2019
Erstmals veröffentlicht
05. März 2019
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Auf dem Balkan werden Transparenzgesetze ausgehöhlt, um es Journalisten und Aktivisten zu erschweren, die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen.
Vuk Jankovićs Sucht begann während seines Jurastudiums an der Universität von Montenegro in Podgorica. Aber anstatt dem Tabak, Alkohol oder Drogen zu verfallen, kann er nicht davon lassen, staatliche Einrichtungen immer wieder nach Informationen zu löchern. Der Clou daran: Sie sind von Rechts wegen dazu verpflichtet, ihm zu antworten. Gemäß dem seit 2005 in Montenegro gesetzlich verankerten Recht auf Information haben öffentliche Stellen 15 Tage Zeit, um auf Forderungen nach Herausgabe von Daten oder Dokumenten zu reagieren. Diese können verschiedenste Bereiche betreffen, von Budgetausgaben über staatliche Ausschreibungen bis hin zur Verwaltung öffentlichen Eigentums und den Machenschaften im Zusammenhang mit Privatisierungen.
Jeder kann es tun. Kenner finden jedoch, die Formulierung einer perfekten Anfrage sei Präzisionsarbeit. Bleibt man zu vage, wird der Frage ausgewichen oder der Posteingang des Antragstellers mit nutzlosen Anhängen verstopft. „Der Zugang zu Informationen ist oft ein äußerst erschöpfender und zeitaufwändiger Prozess, besonders dann, wenn die Behörden schweigen und auf Anfragen nicht reagieren“, erklärte Antikorruptionsaktivist Janković gegenüber dem Balkan Investigative Reporting Network (BIRN). Willkommen in der Welt des FOIA.
Verfechter des Rechts auf Information bedienen sich dieses Akronyms, wenn sie vom Freedom of Information Act, dem Gesetz über Informationsfreiheit sprechen, der effektivsten Waffe, die ihnen zur Verfügung steht, um die Mächtigen zur Verantwortung zu ziehen. Es findet sogar als Verb Verwendung, um auszudrücken, dass man unter Berufung auf das Gesetz eine formelle Anfrage stellt. FOIA-Anfragen ist es zu verdanken, dass Politiker auf die Anklagebank gebracht wurden. Sie führten zu den laufenden Verfahren wegen Amtsmissbrauchs gegen den ehemaligen Bürgermeister von Podgorica Miomir Mugosa und den Ex-Bürgermeister von Bar Žarko Pavićević, die sich beide nicht schuldig bekennen. Das FOIA-Gesetz trug dazu bei, dass Svetozar Marović, Ex-Präsident des mittlerweile aufgelösten Staatenbundes Serbien-Montenegro, als Kopf einer kriminellen Vereinigung entlarvt und überführt werden konnte.
Während des Jurastudiums ersuchte Janković im Zuge seiner Abschlussarbeit über die Rechtmäßigkeit von wucherischen Kreditgeschäften um Einsicht in Gerichtsakten und konnte so seine Kenntnisse erweitern, die ihm in seiner aktuellen Position als Leiter der Rechtsprogramme des Netzwerks zur Stärkung des Nichtregierungssektors, einer allgemein als MANS bekannten gemeinnützigen Organisation, zugutekommen. Wenn Janković ein FOIA-Junkie ist, dann ist MANS der perfekte Wegbereiter. Die Organisation ist dafür bekannt, Institutionen mit Informationsanfragen zu bombardieren und ein Nein als Antwort nicht zu akzeptieren. Janković schätzt, dass er in den vergangenen vier Jahren im Namen von MANS über 50.000 FOIA-Anfragen versandt hat.
Seine Arbeit gestaltet sich jedoch zunehmend schwieriger. Transparenzbefürwortern zufolge räumen die sang- und klanglos eingeführten Änderungen des FOIA-Gesetzes Institutionen größeren Ermessensspielraum ein, Anfragen aus fadenscheinigen Gründen der Geheimhaltung abzulehnen. Zudem schränken sie die Rolle von Kontrollinstanzen ein, Verschleierungen kritisch zu hinterfragen. „Mit etwas Ironie könnte man sagen, dass uns die jüngsten Änderungen des FOIA-Gesetzes vor Augen führen, wie kreativ Behörden dabei sein können, Gründe zu finden, bestimmte Informationen als geheim einzustufen“, meinte Radenko Lacmanović, Mitglied des Verwaltungsrats der Agentur für den Schutz personenbezogener Daten und freien Zugang zu Informationen (AZLP), der für die Durchsetzung des Gesetzes zuständigen Behörde.
Journalisten bemängeln zudem, dass dadurch gründliche Recherchen weiter erschwert werden. „Aufgrund der Gesetzesänderung kann jetzt alles als vertraulich eingestuft werden“, meinte Milka Tadić-Mijović, Chefredakteurin des Montenegrinischen Zentrums für Investigativen Journalismus. Nicht nur in Montenegro ruderte man in Sachen Informationsfreiheit zurück. Reportern und Antikorruptionsaktivisten zufolge werden auch in den Nachbarländern Serbien und Kroatien eingegangene Verpflichtungen zur Angleichung an EU-Normen untergraben.
Das Ergebnis sei ein weiterer Schlag gegen unabhängige Medien und die Zivilgesellschaft in Ländern, in denen die EU-Beitrittsbestrebungen mit dem erdrückenden Autoritarismus, Vetternwirtschaft und einer Kultur des Schweigens kollidieren. „Einige gravierende Einschränkungen [in den Transparenzgesetzen] haben besonders negative Auswirkungen auf die Fähigkeit zivilgesellschaftlicher Akteure, ihre Rolle als öffentliche Kontrollinstanzen zu erfüllen“, schrieb Helen Darbishire, Geschäftsführerin der in Madrid ansässigen Gruppe Access Info Europe, in einer E-Mail an BIRN. „Diese Einschränkungen stehen in direktem Widerspruch zu internationalen Menschenrechtsnormen und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.“
Inoffizielle Geheimnisse
Am 27. April 2017 wurde in Montenegro ein neues Gesetz im Einklang mit der EU-Richtlinie über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors verabschiedet. Als EU-Beitrittskandidat ist Montenegro verpflichtet, seine Rechtsvorschriften jenen der Union anzupassen. Beinahe beiläufig und ohne Diskussion stimmten die Abgeordneten 42:0 vier Änderungen des FOIA-Gesetzes zu, die Mitglieder eines parlamentarischen Ausschusses während einer zehnminütigen Sitzung am selben Nachmittag vorgebracht hatten, wie aus dem Sitzungsprotokoll hervorgeht. Getroffen wurde die Entscheidung des „Ausschusses für das Politische System, Justiz und Verwaltung“ nur drei Tage, nachdem eine Abgeordnete der Regierungspartei namens Marta Šćepanović dem Ausschuss mitgeteilt hatte, dass Änderungen des FOIA-Gesetzes notwendig seien, um „seine Effizienz zu erhöhen“, heißt es in dem Protokoll.
Kein Mitglied der Opposition nahm an der Abstimmung teil. Diese boykottierte zum damaligen Zeitpunkt das Parlament wegen angeblicher Wahlungereimtheiten seitens der regierenden Demokratischen Partei der Sozialisten, die seit Einführung des Mehrparteiensystems in Montenegro 1990 an der Macht ist. Šćepanović lehnte eine Interviewanfrage ab und antwortete auch nicht auf die per E-Mail geschickte Frage, warum sie der Meinung war, das Gesetz bedürfe einer Überarbeitung. Auch der Präsident des Ausschusses Željko Aprcović war nicht zu einem Interview bereit. Während mit der EU-Richtlinie Länder dazu angehalten werden sollen, so viele Informationen des öffentlichen Sektors wie möglich zur Weiterverwendung zur Verfügung zu stellen, sind Transparenzexperten der Ansicht, dass die Änderungen dazu beitragen, diese Informationen unter Verschluss zu halten.
“Aufgrund der Gesetzesänderung kann jetzt alles als vertraulich eingestuft werden.”
Eine Analyse der Änderungen durch Access Info Europe und MANS zeigte eine „Reihe von allgemeinen, breit gefassten und vagen Ausnahmeregelungen“ auf, die den Behörden einen enormen Entscheidungsfreiraum bei der Klassifizierung von Informationen und der Zurückweisung von FOIA-Anfragen einräumen. Dazu zählen Ausschlüsse in Zusammenhang mit Geschäfts- und Steuergeheimnissen sowie Informationen über Parteien in gerichtlichen Verfahren. Am schwammigsten formuliert ist eine Ausnahme, die lediglich auf Informationen verweist, „die geheim zu halten sind“, ohne klare Angaben darüber, was dies bedeutet. „Durch die recht merkwürdige Formulierung der ‚Informationen, die geheim zu halten sind‘ besteht die Gefahr, dass das ganze Gesetz über den freien Zugang zu Informationen untergraben und andere Rechtsbestimmungen des Gesetzes ad absurdum geführt werden, wie etwa die montenegrinische Verfassungsbestimmung über den Zugang zu Informationen und internationale Richtlinien, zu deren Einhaltung Montenegro verpflichtet ist“, hieß es in der Analyse.
In einem im November 2017 verfassten Arbeitsdokument plädierte der Rat der Europäischen Union für eine „gründliche Überarbeitung des Gesetzesrahmens im Einklang mit internationalen Standards“. „Die Umsetzung des Gesetzes über den freien Zugang zu Informationen hat nicht zu mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht im öffentlichen Sektor beigetragen, da angeforderte Informationen einschließlich korruptionsanfälliger Inhalte weiterhin als geheim eingestuft werden und damit aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes herausfallen“, so die Analyse.
Seit den Änderungen ist die Zahl der Fälle von Institutionen, die sich in Geheimniskrämerei üben, um nur ja keine Informationen herausrücken zu müssen, sprunghaft angestiegen. Aus dem in 2017 veröffentlichten Bericht der Europäischen Kommission über Montenegro geht hervor, dass in 68 der im Jahr 2017 abgelehnten Anfragen Geheimhaltung als Grund angeführt wurde. Im Jahr zuvor waren es 30 Fälle, also weniger als die Hälfte und im Jahr 2018 wiederum 104 abgelehnte Anträge. „Es gibt Anlass zur Sorge, dass eine immer größer werdende Anzahl von angeforderten Dokumenten als geheim klassifiziert wird, um den Zugang zu Informationen zu beschränken“, hieß es in dem Bericht.
Auch die EU-Delegation in Podgorica kritisierte diese Entwicklung. „Wir fordern öffentliche Einrichtungen auf, die Umsetzung des Gesetzes unverzüglich zu verbessern und den Anträgen auf Informationsherausgabe gemäß den Grundsätzen der Transparenz und verantwortungsvollen Staatsführung umgehend nachzukommen, insbesondere in Bereichen, in denen Korruptionsgefahr besteht“, erklärte die Delegation BIRN in einer E-Mail. Indes steigt die Gesamtzahl der von öffentlichen Stellen abgelehnten Informationsanfragen unaufhörlich an. Den Daten der FOIA-Agentur zufolge wurden 2017 33 Prozent aller Anfragen zurückgewiesen. 2016 waren es 24 Prozent und im Jahr davor 13 Prozent.
Im Vergleich dazu mutet die Anzahl der abgelehnten Anträge in anderen Ländern fast bescheiden an. Jenseits der Grenze in Kroatien, einem EU-Land, in dem das Recht auf Information seit 2003 im Gesetz verankert ist, wurden 2017 etwa fünf Prozent und ein Jahr zuvor drei Prozent aller Anträge von den Behörden abgelehnt, wie aus den Daten der Informationskommissarin hervorgeht. Laut Expertenmeinung machen sich Behörden und öffentliche Unternehmen selten die Mühe, zu erklären, nach welchen Kriterien Daten als geheim klassifiziert werden, was den FOIA-Prozess zuweilen kafkaesk wirken lässt. Im Juni 2018 richtete BIRN eine FOIA-Anfrage an den staatseigenen Investitionsentwicklungsfonds von Montenegro und bat um eine Kopie der internen Bestimmungen, die die Einstufung von Dokumenten als vertraulich regeln. Die Antwort des Fonds: Die Bestimmungen selbst seien vertraulich (siehe Kasten).
Einfach Nein sagen
Mehr als ein Jahr untersuchte die Investigationsabteilung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt RTCG die Verwendung von Krediten in Millionenhöhe für landwirtschaftliche Projekte in Montenegro aus dem Abu Dhabi Fund for Development. Sollten die Kredite nicht zurückgezahlt werden, müssen die Steuerzahler die Rechnung für die Folgen bezahlen: Die Angelegenheit ist daher laut Medien von öffentlichem Interesse. „Wir haben Dutzende Anfragen [an verschiedene Einrichtungen] gestellt … und stets das Gleiche gefordert“, sagte Mirko Bošković, Redakteur der Investigationsabteilung der RTCG. „Vor den Änderungen konnten wir die eine oder andere Information bekommen, aber nachdem das Gesetz novelliert wurde, hat man alle möglichen und unmöglichen Gründe gefunden, um uns abzuweisen.“
Während die FOIA-Änderungen den Medien das Leben schwer machen, sind die größten Auswirkungen vermutlich für NGOs spürbar — sei es auch nur deshalb, weil NGOs von diesem Gesetz am häufigsten Gebrauch machen. Den Statistiken der AZLP zufolge stammten 71 Prozent aller FOIA-Anfragen in Montenegro 2017 von NGOs, 20 Prozent von Einzelpersonen und nur etwas über ein Prozent von den Medien.
Es ist anzunehmen, dass ein Großteil davon von der bekanntermaßen umtriebigen Organisation MANS stammt. Manche sind der Meinung, dass MANS zu weit gehe und auf ihrem Kreuzzug, andere zur Verantwortung zu ziehen, Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes mit sinnlosem Papierkram überhäufe. Aber selbst Kritiker müssen zugeben, dass die Organisation die Formulierung von FOIA-Anfragen zu einer Wissenschaft erhoben hat. MANS macht es sich zur Aufgabe, jede ignorierte oder zurückgewiesene FOIA-Anfrage anzufechten und gegen Entscheidungen zunächst bei der AZLP Beschwerde einzulegen. Diese Beschwerden landen auf einem Schreibtisch in der AZLP-Zentrale im Zentrum von Podgorica, wo Muhamed Gjokaj, der Vorsitzende des Verwaltungsrats der Agentur, das immense Arbeitspensum für sein Team von etwa ein Dutzend Leuten beklagt. „Die hier stammen alle von MANS“, meinte Gjokaj seufzend und deutete auf einen Stapel Papiere, der die Ausmaße eines dicken Telefonbuchs hatte. Der Stapel wächst seit den Änderungen 2017 stetig. Janković, der Leiter der Rechtsprogramme von MANS, nannte als Beispiel die montenegrinische Elektrizitätsgesellschaft EPCG [Elektroprivreda Crne Gore]. Das mehrheitlich im Staatsbesitz befindliche Unternehmen habe nach seinen Angaben eine Informationsanfrage bezüglich des Ein- und Verkaufs von Strom zurückgewiesen und sich dabei auf die Geschäftsinteressen ausländischer Partner berufen.
Geschäftsgeheimnisse waren auch die Rechtfertigung für die Ablehnung einer weiteren Anfrage seitens MANS bezüglich der Modernisierung des Kraftwerks Pljevlja, Montenegros einzigem Wärmekraftwerk. „Sie sahen über die Tatsache hinweg, dass das zentrale Interesse, das ein mehrheitlich im Staatsbesitz befindliches Unternehmen zu wahren hat, das öffentliche Interesse selbst ist“, so Janković. FOIA-Antragsteller können solche Entscheidungen vor dem Verwaltungsgericht anfechten. Auf die Frage, wie das Gericht ohne klare Definitionen über undurchsichtige Geheimhaltungsfragen entscheiden kann, meinte eine Sprecherin des Gerichts, dass von Fall zu Fall entschieden wird. „Ob die Gesetzesänderungen viel Interpretationsfreiraum zulassen, müssen jene entscheiden, die sie vorgeschlagen haben“, schrieb sie BIRN in einer E-Mail.
Eine weitere Änderung, die Transparenzaktivisten Anlass zur Sorge gibt, ist die Abschaffung der gesetzlichen Verpflichtung der AZLP, über Beschwerden gegen abgelehnte Anfragen zu entscheiden — jene Arbeit, die von Gjokaj und seinem Team erledigt wird. In der Vergangenheit konnte sich die AZLP über eine Ablehnung hinwegsetzen und Institutionen zur Offenlegung von Informationen zwingen. Nach dem novellierten Gesetz kann die Agentur zwar nach wie vor eingreifen – dies ist jedoch rein fakultativ. „Wenn man etwas tun kann, aber nicht dazu verpflichtet ist, dann bedeutet das, dass es in den meisten Fällen nicht getan wird“, meinte Lacmanović von der AZLP.
Gjokaj begrüßte jedoch die Änderung, da die AZLP von Beschwerden überschwemmt worden war, die alle innerhalb von 15 Tagen erledigt werden mussten. Er fügte hinzu, dass manche Antragsteller versucht hätten, das System auszunutzen, indem sie eine Flut von FOIA-Anfragen einreichten – in der Hoffnung, für den wohl unvermeidlichen Fall, dass nicht alle Anfragen bearbeitet werden konnten, die Auszahlungen für Gerichtskosten einzukassieren. „Jemand bittet zum Beispiel [eine Schule] um ihre Entscheidung bezüglich der Nutzung des Turnsaals, und zwar am ersten, fünften und 15. Tag des Monats. Dann hat man letztendlich 150 Anfragen zu einem einzigen Fall“, erklärte er. „Und dann macht ein anderer Kollege das Gleiche noch einmal. Und man hat 300 Anfragen. Ist diese Information für die Öffentlichkeit relevant?“
Geheimhaltungskultur
Zumindest auf dem Papier stellen Serbien und Kroatien Montenegro in den Schatten, wenn es um das gesetzliche Recht auf Information geht. Das serbische Gesetz über den freien Zugang zu Informationen von öffentlichem Interesse wird tatsächlich oft als Maßstab herangezogen. In der von Access Info Europe und dem US Centre for Law and Democracy erstellten globalen Rangliste diesbezüglicher Rechtsvorschriften ist es nach Afghanistan und Mexiko das drittbeste Gesetz der Welt. Das entsprechende kroatische Gesetz liegt auf Platz acht, sein Pendant in Montenegro auf Platz 59.
FOIA auf dem Prüfstand
Um Montenegros novelliertes Informationsfreiheitsgesetz auf den Prüfstand zu stellen, versandte BIRN zwischen Juni und August 2018 formelle Informationsanfragen an öffentliche Einrichtungen. Zum Vergleich schickten wir ähnliche Anfragen an die entsprechenden Institutionen in den Nachbarstaaten Serbien bzw. Kroatien. Hier eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse.
Strom
Wir baten Versorgungsbetriebe in Montenegro und Serbien um Verträge mit ausländischen Unternehmen, die für den Umbau von Kraftwerken zuständig sind.- Montenegro
Zweck unserer Anfrage: Auskunft über Verträge mit einem Konsortium von Unternehmen aus Italien und Slowenien betreffend den Umbau und die Modernisierung des Wasserkraftwerks Piva
Antwort der montenegrinischen Elektrizitätsgesellschaft EPCG: keine Antwort
- Serbien
Zweck unserer Anfrage: Auskunft über Verträge mit dem russischen Unternehmen Silovije Masini betreffend die Revitalisierung des Wasserkraftwerks Iron Gate I
Antwort des öffentlichen serbischen Elektrizitätsunternehmens EPS: Antrag abgelehnt. Die Dokumente gelten aus Gründen der nationalen Sicherheit und aufgrund von Geschäftsgeheimnissen als vertraulich.
Entwicklungsfonds
Wir baten öffentliche Entwicklungsfonds in Montenegro, Kroatien und Serbien um ihre internen Richtlinien bezüglich der geltenden Kriterien für die Klassifizierung von Informationen.- Montenegro
Zweck unserer Anfrage: Bereitstellung der internen Bestimmungen des Investitionsentwicklungsfonds von Montenegro bezüglich der Klassifizierung von Informationen
Antwort: Diese Bestimmungen sind selbst als geheim klassifiziert.
- Kroatien
Zweck unserer Anfrage: Bereitstellung der internen Bestimmungen der Kroatischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung über die Klassifizierung von Informationen
Antwort: Anfrage abgelehnt.
Wir reichten bei der Informationskommissarin Beschwerde ein, die dieser stattgab und die Bank anwies, uns die Informationen zu übermitteln und ihre internen Bestimmungen auf ihrer Webseite zu veröffentlichen.
- Serbien
Zweck unserer Anfrage: Bereitstellung der internen Bestimmungen des Entwicklungsfonds der Republik Serbien über die Klassifizierung von Informationen.
Antwort: keine Antwort
Eisenbahn
Wir baten nationale Eisenbahnunternehmen in Montenegro und Serbien um eine Reihe von Dokumenten in Zusammenhang mit dem Kauf von neuen Zügen.
- Montenegro
Zweck unserer Anfrage: Auskunft über Ausschreibungen und Verträge über den Ankauf von neuen Zügen der nationalen Eisenbahngesellschaft von Montenegro ŽPCG
Antwort: keine Antwort
- Serbien
Zweck unserer Anfrage: Auskunft über Ausschreibungen und Verträge über den Ankauf von neuen Zügen der nationalen Bahngesellschaft Serbiens Železnice Srbije (ŽS)
Antwort: Wir haben diese Unterlagen nicht. Fragen Sie die Personenverkehrsgesellschaft Srbija Voz. Die Antwort von Srbija Voz: Fragen Sie Železnice Srbije
Straßen
Wir baten das Verkehrsministerium in Montenegro und das öffentliche Unternehmen Koridori Srbije in Serbien um Verträge mit chinesischen Firmen, die in beiden Ländern mit dem Bau von Autobahnen beauftragt wurden.- Montenegro
Zweck unserer Anfrage: Auskunft über Verträge mit China Road and Bridge Corporation (CRBC) und Subunternehmern
Antwort des Verkehrsministeriums: Zwei Monate nach unserer Anfrage gestattete es uns das Ministerium, den Vertrag mit CRBC einzusehen, lehnte es jedoch ab, Dokumente im Zusammenhang mit Subunternehmern vorzulegen – mit dem Argument, dass CRBC der Generalunternehmer sei.
- Serbien
Zweck unserer Anfrage: Auskunft über Verträge mit zwei chinesischen Firmen, China Communications Construction Company und Shandong Hi-Speed Group
Antwort von Koridori Srbije: Fragen Sie Public Enterprise Roads of Serbia, ein anderes öffentliches Unternehmen. Wir erhielten keine Antwort auf unsere Anfrage
Serbische Reporter des Organised Crime and Corruption Reporting Project [Projekt zur Erfassung und Veröffentlichung von organisierter Kriminalität und Korruption, OCCRP], einem gemeinnützigen Netzwerk investigativer Journalistinnen und Journalisten, machten 2015 von dem Gesetz Gebrauch, um aufzudecken, dass der damalige Bürgermeister von Belgrad Siniša Mali Direktor eines sechs Millionen US-Dollar schweren Immobilienimperiums an der bulgarischen Schwarzmeerküste war. 2017 konnte das Investigativnetzwerk KRIK mithilfe des Gesetzes fragwürdigen Immobiliengeschäften des serbischen Verteidigungsministers Aleksandar Vulin auf den Grund gehen. Transparenz-Verfechter sind jedoch der Überzeugung, dass selbst das beste Gesetz nur so gut ist wie seine Umsetzung.
In Serbien ignorieren staatliche Einrichtungen und öffentliche Unternehmen schlichtweg viele der über 30.000 Anfragen, die jedes Jahr vom Kommissar für Informationen von öffentlichem Interesse und den Schutz personenbezogener Daten protokolliert werden, sagen Journalisten. „Immer mehr Institutionen sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich und weigern sich, mit den Medien zu kommunizieren oder auf unsere Anfragen zu reagieren“, meinte Dino Jahić, der ehemalige Redaktionsleiter des Zentrums für Investigativen Journalismus in Serbien. „Ich habe den Eindruck, dass all das die Folge einer allgemein herrschenden Stimmung ist: Journalisten werden als böse verteufelt, als Feinde, die daran arbeiten, dem Staat und der serbischen Gesellschaft zu schaden.“
2017 kündigte das Ministerium für Staatsverwaltung Pläne zur Novellierung des serbischen Informationsfreiheitsgesetzes an, was Aktivisten in dem EU-Beitrittsland alarmierte. Die stellvertretende Ministerin Ivana Antić erklärte BIRN, dass die Änderungen dazu dienten, das „Gesetz zu verbessern“ und mehr staatliche Organe dem FOIA-Gesetz zu unterstellen. Laut Kritikern könnten die Änderungen des Ministeriums jedoch die derzeitige Geheimhaltungskultur legitimieren, indem sie viele Organisationen aus der Verantwortung entlassen — insbesondere öffentliche Straßenbauunternehmen, Eisenbahngesellschaften, Strom- und Telekommunikationsanbieter sowie andere Dienstleister. „Das sind staatseigene Unternehmen, die mit öffentlichen Mitteln Geschäfte machen, und sie könnten nach dem neuen Gesetzesentwurf vom FOIA ausgenommen sein“, meinte Mirjana Jevtović, eine Redakteurin der investigativen Nachrichtenagentur Insajder.net. „Das bedeutet, dass die Öffentlichkeit keine Möglichkeit hat, herauszufinden, wofür ihr Geld ausgegeben wird.“
Nemanja Nenadić, Programmdirektor von Transparency Serbia, beschrieb die vorgeschlagene Ausnahmeregelung für öffentliche Unternehmen als „eine Frage des politischen Drucks und die Absicht, Informationen zu verbergen“. Kritiker sorgten sich zudem, dass die Änderungen es staatlichen Stellen ermöglichen könnten, das System durch Rechtsmittel zu blockieren. Wenn öffentliche Einrichtungen FOIA-Anfragen ablehnen oder ignorieren, haben die Menschen das Recht, sich an den Informationskommissar zu wenden, der die betreffenden Stellen dazu zwingen kann, diese Daten herauszugeben. Eine im März 2018 ausgearbeitete Änderung würde es öffentlichen Einrichtungen ermöglichen, solche Entscheidungen vor dem Verwaltungsgericht anzufechten. „Jemand hatte die geniale Idee, dass es Institutionen, die Anfragen zumeist nicht beantworten, gestattet sein sollte, den Kommissar wegen der getroffenen Entscheidung zu verklagen“, sagte Informationskommissar Rodoljub Šabić kurz vor Ende seiner Amtszeit Ende Dezember. „Diese Änderung würde dazu führen, dass tausende Beschwerden gegen den Kommissar eingehen. Die Ausübung dieses Rechts, ein Prozess, der bereits jetzt sehr komplex und zeitaufwändig ist, würde empfindlich ausgeweitet und für Journalisten bedeutungslos.“
Einen Sieg für Aktivisten bedeutete der im Dezember 2018 vom Ministerium für Öffentliche Informationen veröffentlichte überarbeitete Gesetzesentwurf, der nicht länger die Bestimmung enthielt, aufgrund derer Institutionen den Informationskommissar verklagen konnten. Transparenzbefürworter werden jedoch erst wieder ruhig schlafen können, wenn sie die endgültige Version des Gesetzes gesehen haben. Unter anderem haben sie Bedenken bezüglich einer neuen, im Entwurf vom Dezember enthaltenen Bestimmung, der zufolge die Nationalbank Serbiens „ohne Angabe von Gründen nicht in die Zuständigkeit des Kommissars fällt“. Wie aus einer von Transparency Serbia veröffentlichten Analyse hervorgeht, hat man es im Entwurf vom Dezember zudem verabsäumt, die Unabhängigkeit des Informationskommissars sicherzustellen. Nach geltendem Recht werden Kommissare von Parlamentsabgeordneten gewählt – ein Prozess, der, wie Kritiker behaupten, nicht frei von politischer Einflussnahme sei. Serbien hat seit dem Ausscheiden von Šabić — der für seine Unabhängigkeit bekannt war — im Dezember keinen Kommissar. Aleksandar Martinović, Fraktionschef der regierenden Serbischen Fortschrittspartei, sagte Ende Januar, dass es in der Partei mehrere Kandidaten für den Job gebe — und jeder, den sie aufstellten, das „genaue Gegenteil“ von Šabić sein würde.
Indes gehen Journalisten und Transparenzaktivisten in die Offensive. Eine Kampagne unter dem Titel Serbien für Information (auf Serbisch), die in der Vorweihnachtszeit von der in Belgrad ansässigen NGO Centre for Research, Transparency and Accountability (CRTA) organisiert wurde, wollte auf die Änderungen aufmerksam machen, indem man es den Leuten ermöglichte, den „Weihnachtsmann“ um öffentliche Informationen zu bitten. „Wir alle wissen, dass es Aufgabe des Weihnachtsmannes ist, uns Geschenke zu bringen“, postete die NGO auf ihrer Webseite. „Wenn jedoch ein solcher Gesetzesentwurf verabschiedet wird, könnte es notwendig sein, dass wir anstelle von Geschenken Antworten darauf brauchen, was mit unserem Geld geschieht.“ CRTA startete auch eine Kampagne mit dem Titel „Ich will einen Kommissar, keinen Jasager!“ und forderte eine transparente Wahl des nächsten Informationskommissars. Ein Formular auf der Webseite der Organisation erlaubt es Bürgerinnen und Bürgern, dem Parlament ihre eigenen Kriterien für die oder den nächste/n Beauftragte/n vorzuschlagen.
Jenseits der Grenze in Kroatien treffen Datenanfragen im jüngsten Mitgliedsland der EU häufig auf eine Mauer aus Verschlusssachen und Geschäftsgeheimnissen. Wie aus den Daten der Informationskommissarin hervorgeht, hat sich die Anzahl an FOIA-Anfragen, die von öffentlichen Einrichtungen abgelehnt wurden, 2017 mit rund fünf Prozent von knapp 22.000 eingereichten Anfragen im Vergleich zum Vorjahr beinahe verdoppelt. „Geschäftsgeheimnisse zählen zu den häufigsten Gründen für die Beschränkung des Zugriffs auf Informationen“, erklärte Kommissarin Ana Marija Musa BIRN in einer E-Mail.
Ilko Ćimić, einem investigativen Reporter bei Index.hr, zufolge hätten viele kroatische Institutionen eine besondere Gabe, FOIA-Antragsteller abzuspeisen. „Manchmal lehnen sie Anfragen ohne Begründung mit dem Argument ab, dass man das Recht auf Informationen durch zu häufige Anfragen missbrauchen würde“, sagte er.
Im notorisch verschwiegenen Montenegro muten solche Beschwerden vertraut an. Janković von MANS meinte, dass der Lohn für all die Stunden, die er damit zugebracht hat, gegen das System zu kämpfen, darin besteht, zu sehen, wie korrupte Beamte zur Rechenschaft gezogen werden — wie im Fall der sogenannten Zavala-Affäre, im Zuge derer Mitarbeiter des ehemaligen Präsidenten des Staatenbundes Serbien-Montenegro Svetozar Marović wegen Korruption ins Gefängnis kamen. „Der Prozess ist für eine Organisation wie MANS, die sich seit vielen Jahren mit diesem Thema beschäftigt, an sich schon komplex, man kann sich also vorstellen, was das für einen Durchschnittsbürger in Montenegro bedeutet“, so Janković.
Erstmals publiziert am 5. März 2019 auf Balkaninsight.com.
Original auf Englisch. Aus dem Englischen von Barbara Maya.
Dieser geringfügig aktualisierte Text ist urheberrechtlich geschützt: © Dušica Pavlović, bearbeitet von Timothy Large. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Aktenberge. Laut Transparenzbefürwortern dienen die jüngsten Änderungen des Informationsfreiheitsgesetzes in Montenegro staatlichen Institutionen dazu, öffentliche Informationen unter Verschluss zu halten. Foto: © Vladimir Vučinić
FOIA auf dem Prüfstand
Um Montenegros novelliertes Informationsfreiheitsgesetz auf den Prüfstand zu stellen, versandte BIRN zwischen Juni und August 2018 formelle Informationsanfragen an öffentliche Einrichtungen. Zum Vergleich schickten wir ähnliche Anfragen an die entsprechenden Institutionen in den Nachbarstaaten Serbien bzw. Kroatien. Hier eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse.
Strom
Wir baten Versorgungsbetriebe in Montenegro und Serbien um Verträge mit ausländischen Unternehmen, die für den Umbau von Kraftwerken zuständig sind.
Dieser Artikel entstand im Rahmen des Balkan Fellowship for Journalistic Excellence, unterstützt von der ERSTE Stiftung und den Open Society Foundations in Kooperation mit dem Balkan Investigative Reporting Network.