03. Mai 2022
Erstmals veröffentlicht
18. Februar 2021
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In Polen steigt das Bewusstsein in der Bevölkerung für das Problem der Luftqualität. Aufgrund wirtschaftlicher und bürokratischer Hürden wird es jedoch mehrere Jahre dauern, den Smog loszuwerden, der über den Städten des Landes hängt.
Eine der fünf Luftüberwachungsstationen Warschaus befindet sich auf einer abgezäunten Anhöhe zwischen Wohnhauszeilen und dem Spielplatz einer Grundschule. Ein Sammelsurium aus silbernen Schornsteinen ragt aus dem Dach einer Hütte. Jedes Rohr saugt verschiedene Luftproben an, die von brummenden Computern ausgewertet werden. Manche Proben werden durch schneeweiße Filter gesaugt, die für Labortests bestimmt sind, andere zur Messung der Schadstoffkonzentration alle sechs Sekunden mit Laserstrahlen gescannt.
„Wir wollen damit Rückschlüsse auf das Leben in einer solchen Wohnanlage ziehen“, sagt Tomasz Klech, Leiter des Luftgüteüberwachungslabors der Generalinspektion für Umweltschutz (GIOS) in Warschau, während er die Rohre öffnet, um die geschwärzten Filter zu überprüfen. Die Ergebnisse, die er präsentiert, sind oft beunruhigend: Mit den fallenden Temperaturen im Jänner lag die Feinstaubkonzentration in der Luft nahe Warschau 1.300 Prozent über dem gesundheitlich unbedenklichen Maß.
Da das Problem der Luftqualität in Polen dank besserer Datenlage und grünem Engagement immer offensichtlicher wird, nimmt auch das öffentliche Bewusstsein dafür zu. Aufgrund einer Reihe wirtschaftlicher und bürokratischer Hürden wird es jedoch mehrere Jahre dauern, bis sich die Smogdecke, die über den Städten des Landes hängt, aufgelöst hat.
Ein sehr polnischer Smog
Laut einem im November [2020, Anm. d. Red.] von der Europäischen Umweltagentur (EUA) veröffentlichten Bericht hat Polen die schlechteste Luftqualität in der gesamten EU. Während die Balkanländer in diversen Berichten in Bezug auf die durchschnittliche Anzahl verlorener Lebensjahre schlechter abschneiden, ist Polen dank seiner größeren geografischen Ausdehnung Spitzenreiter.
Der Smog in Polen wird hauptsächlich durch die Verbrennung billiger Brennstoffe zum Heizen von Privathäusern verursacht. Das Problem ist im Winter am größten, wenn die Temperaturen sinken und der Qualm aus den Schornsteinen die Wohnviertel einhüllt. Der diesjährige Höhepunkt der Luftverschmutzung am 18. Jänner fiel zeitlich mit einem Temperatursturz auf unter minus 20 Grad Celsius zusammen, als die polnische Stadt Breslau laut IQAir-Ranking kurzzeitig die schlechteste Luft der Welt hatte.
Die Folge ist ein einzigartiger Giftcocktail. „Der polnische Smog ist ein staubiger Smog“, erklärt Professor Grzegorz Wielgosiński, Leiter der Fakultät für Umwelttechnik an der Technischen Universität Łódź. Er enthält eine geringere Konzentration an Schwefeldioxid als der berühmte Londoner Smog des Jahres 1952, dafür aber mehr krebserregendes Benzo(a)pyren und Schwermetallstaub.
Die Luftverschmutzung führt in Polen schätzungsweise zu 45,000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr.
Diese Partikel, die nicht größer als 10 Mikrometer sind, können in die Lunge und den Blutkreislauf eindringen. Die Luftverschmutzung führt in Polen schätzungsweise zu 45,000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr. Eine im Oktober [2020, Anm. d. Red.] durchgeführte Studie ergab, dass Kinder aus der Stadt Rybnik im Süden des Landes im Durchschnitt viermal mehr Schadstoffe aus Brennstoffen in ihrem Organismus hatten als ihre Altersgenossen im französischen Straßburg.
Im Gegensatz zu Londons Nebelschwaden an Tagen mit niedrigem Luftdruck oder der bräunlichen Dunstglocke über Los Angeles im Hochsommer tritt der Smog in Polen bei hohem Luftdruck und wenig Wind auf. „An sonnigen Tagen ist es sogar noch schlimmer“, erklärt Professor Wielgosiński gegenüber BIRN, da die wärmere Luft wie ein Deckel auf der darunterliegenden kälteren Luftschicht liegt und so eine „Inversionslage“ entsteht, wodurch es zu einer Ansammlung von Luftschadstoffen kommt.
Alte Heizungen und schmutzige Vorhänge
Dawid Fojcik kann den Smog von seinem Fenster aus sehen. Er lebt in Polens schlesischem Kohlerevier, wo die Menschen in seiner Umgebung Aktivisten zufolge so viel krebserregendes Benzo(a)yren einatmen, als ob sie täglich 16 Zigaretten rauchen würden.
„Meine Frau muss ständig die weißen Gardinen waschen, weil sie schmutzig werden, sobald wir die Fenster öffnen“, so Fojcik. Doch er hat sich an den beißenden Geruch und die trübe Sicht gewöhnt: „Die Menschen in Schlesien sehen den Smog nicht, viele sind überzeugt, dass es ihn gar nicht gibt.“
Was Fojcik vor seiner Haustür sieht, ist aus dem Weltall noch viel deutlicher zu erkennen. An Wintertagen lassen sich auf Satellitenkarten die Umrisse Polens anhand der Dunstglocke über dem Land erahnen. Nachbarländer wie die Slowakei und die Tschechische Republik sind auf saubereres Erdgas umgestiegen, was dank ihrer vergleichsweise kleineren Fläche ein leichteres Unterfangen ist.
Dawid Fojcik lebt in Polens schlesischem Kohlerevier, wo die Menschen in seiner Umgebung Aktivisten zufolge so viel krebserregendes Benzo(a)yren einatmen, als ob sie täglich 16 Zigaretten rauchen würden.
Polens Vorliebe für Kohle geht auf ihre massive Nutzung während des Kommunismus zurück, als sie als wertvolles Exportgut diente und das industrielle Wachstum des Landes ankurbelte. Heute ist das Land nach wie vor der größte Steinkohleproduzent der EU. Trotz zunehmenden Drucks seitens der Union hat sich die mächtige Bergbaulobby einer Reform bislang erfolgreich widersetzt. Infolgedessen ist Polen das einzige europäische Land, in dem heute mehr Kohle zum Heizen verwendet wird als noch vor drei Jahrzehnten.
Das Problem ist jedoch nicht so sehr die Kohle selbst als vielmehr jene minderwertigen Sorten, die üblicherweise zum Heizen verwendet werden. Das gilt vor allem für den industriellen Süden des Landes, wo im Umkreis der Bergwerke noch immer Produkte wie Schlammkohle und Staubkohle angeboten werden. In alten, schlecht isolierten Häusern kommen häufig die billigsten Brennstoffe, wie Holz und sogar Müll, zum Einsatz, was in Polen eigentlich verboten ist.
„Ältere Menschen benutzen mitunter nicht einmal Kohle, sondern verbrennen alte Lumpen, Papier, einfach alles – weil das am billigsten ist“, meint Bartłomiej aus der schlesischen Stadt Żory. Er beobachtet oft seinen Nachbarn, der in den städtischen Mülltonnen nach Holzbrettern und -platten wühlt. „Er sucht nach sauberem Brennholz, aber wenn er nur geölte oder lackierte Bretter findet, verbrennt er auch diese“, so Bartłomiej, der nicht mit vollem Namen genannt werden wollte, gegenüber BIRN.
Um den Teufelskreis zu durchbrechen, hat Bartłomiej vor Kurzem drei Kohlenheizungen in den Häusern, die ihm gehören, gegen Gaskessel ausgetauscht. Die Kosten seien beachtlich. Zu den Ausgaben von 4.000 Zloty (890 Euro) pro Kessel kommen noch die Kosten für den Austausch der Heizungsrohre – 20.000 Zloty (4.460 Euro) pro Haus – sowie für spätere Verputz-, Maler- und Reinigungsarbeiten hinzu.
„Beworben wird allein der Austausch des Heizkessels, aber das ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagt er. Auch das Heizen werde nun teurer: Statt 2.400 Zloty (535 Euro) für den jährlich verbrauchten Kohlenhaufen sind es jetzt etwa 700 Zloty (155 Euro) pro Monat für Gas.
Eine Lunge geht auf Tour
Auf dem Hauptplatz von Rybnik steht eine zwei Meter große Lunge. Über das Metallgestell ist ein perlweißer Stoff gespannt. Im Inneren pumpen Ventilatoren Luft hindurch und fangen Feinstaub auf einem Vlies. Von Tag zu Tag wird das Material dunkler.
„Unsere Aktion soll sichtbar machen, was wir einatmen“, erklärt Piotr Siergiej, Sprecher des Polnischen Smog-Alarm (PAS), einer sozialen Bewegung, die sich für eine Verbesserung der Luftqualität in Polen einsetzt. „Trotz zunehmenden Bewusstseins wird das Smogproblem oft ignoriert, meist dort, wo es keine Messstationen gibt.“
Seine Leute haben drei solcher „Lungen“ durch 18 polnische Städte gekarrt, um die Auswirkungen der Umweltverschmutzung zu veranschaulichen. Seit sie letztes Jahr mit der ersten Installation begonnen haben, hat die Gruppe „viele Anrufe von verschiedenen Gemeinden“ erhalten, die die Lungen in ihrer Stadt aufstellen wollen.
Bereits vor der Covid-19-Pandemie begannen Polinnen und Polen, an besonders starken Smogtagen in den Städten Gesichtsmasken zu tragen.
PAS hat zudem einfache Geräte zur Feinstaubmessung in Städten postiert, „zu denen wir keine Daten haben“, und arbeitet mit lokalen Medien zusammen, um die täglichen Messergebnisse zu veröffentlichen. Professionelle Geräte wie sie in der staatlichen Messstation verwendet werden, die für offizielle Messungen der EU erforderlich sind, sind rar und kosten bis zu 800.000 Zltoy (180.000 Euro) pro Einrichtung.
Dank der Aktionen Dutzender Aktivistengruppen in ganz Polen nimmt das öffentliche Bewusstsein für den Smog zu. Bereits vor der Covid-19-Pandemie begannen Polinnen und Polen, an besonders starken Smogtagen in den Städten Gesichtsmasken zu tragen. In einer neuen Studie gaben 60 Prozent der Befragten an, dass das größte Umweltproblem im Land heute die Luftqualität sei, und die Mehrheit der Befragten nannte richtigerweise das Heizen von Privathaushalten als Hauptverursacher.
„Vor fünf Jahren hätte man noch die Industrie oder die Autos dafür verantwortlich gemacht“, so Siergiej gegenüber BIRN. Diese machen jedoch nur 20 bzw. 8 Prozent der PM10-Feinstaubbelastung im Land aus. „Doch dieses Wissen schlägt sich noch nicht in unserem Handeln als Bürgerinnen und Bürger nieder“, betont er.
Andere Aktivistinnen und Aktivisten sind noch weiter gegangen und haben den Staat wegen Fahrlässigkeit in Sachen Smog geklagt. In einem dieser Fälle, in dem im Februar [2021, Anm. d. Red.] ein endgültiges Urteil ergehen könnte, forderte Grażyna Wołszczak-Sikora (eine polnische Schauspielerin, die zu einer Gruppe Prominenter gehört, die ähnliche Schritte unternommen haben) Schadenersatz aufgrund der unzureichenden Maßnahmen seitens der Regierung. Die Amtsgerichte haben ihren Part bislang erfüllt. Sollte die Klage durchgehen, wird die Schadenersatzzahlung für wohltätige Zwecke gespendet.
„Die Kampagne zielt darauf ab, dass sich Personen des öffentlichen Lebens zu Wort melden“, meint Radosław Górski, ein Rechtsanwalt aus Warschau, der den Fall übernommen hat. „Zum ersten Mal ist dieses Thema – das bislang nur von den Medien aufgegriffen wurde – in einen Rechtsstreit gemündet“, sagt er und stellt mit Genugtuung fest, dass „sich die Verantwortlichen … aus der Position eines Angeklagten heraus rechtfertigen müssen“.
Ein Hauch von Veränderung
Veränderungen gehen weitgehend von den Gemeinden aus. „Krakau ist zweifellos Spitzenreiter, was die Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität angeht … Andere Städte und Gemeinden greifen unsere Lösungen auf“, so Stadtpräsident Jacek Majchrowski gegenüber BIRN.
Aus einer neuen, im Jänner [2021, Anm. d. Red.] durchgeführten Studie geht hervor, dass sich die Luft in Krakau im Vergleich zu den umliegenden Regionen viel schneller verbessert hat, seit die Verbrennung von Kohle und Holz im Jahr 2019 verboten wurde. „In den letzten sieben Jahren ist die Feinstaubkonzentration um die Hälfte gesunken; ähnlich positive Ergebnisse konnten wir beim krebserregenden Benzo(a)pyren verzeichnen“, betont Majchrowski.
Der Stadtpräsident verweist dabei auf das lokale Subventionsprogramm für den Austausch von Heizungsanlagen und die Abgeltung für höhere Heizkosten, für das die Stadt über 350 Millionen Zloty (78 Millionen Euro) zur Verfügung gestellt hat. Krakau hat auch eine App eingeführt, mit der man die Polizei über illegale Verbrennungen informieren kann. Mehrere Städte setzen zudem Anti-Smog-Drohnen zur Überwachung von Schornsteinen ein. Und an Tagen mit besonders schlechter Luft stehen die öffentlichen Verkehrsmittel der Stadt der Bevölkerung kostenlos zur Verfügung.
Die viel gepriesene Verbesserung der Luftqualität könnte jedoch in Wirklichkeit einem anderen Trend der letzten Jahre geschuldet sein: den wärmeren Wintern. „Viele Institutionen berichten, dass sich die Luftqualität verbessert hat”, so Umwelttechniker Klech. „Die Frage ist jedoch, ob die Verbesserung auf ihre Maßnahmen oder auf das wärmere Wetter zurückzuführen ist.“
Die Ursache des Problems liegt darin, dass sich an der Heiztechnik und der Duldung bedenklicher Heizpraktiken nicht viel geändert hat. In den vergangenen zwei Jahren wurden laut PAS nur etwa 70.000 der drei Millionen umweltfeindlichen Heizanlagen in Polen ersetzt. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass der Erfolg des Vorzeigeprojekts der Regierung, das Förderprogramm „Saubere Luft“, wegen schlechtem Management und geringer Nachfrage zu wünschen übrig lässt.
Paweł Mirowski, stellvertretender Direktor des Staatsfonds NFOŚiGW, der für die Abwicklung der Subventionen verantwortlich ist, erklärt gegenüber BIRN, dass das Programm „ständig verbessert“ wurde, und zwar durch vereinfachte Antragsformulare, bessere Kommunikation auf lokaler Ebene und die vor Kurzem erfolgte Einführung von Zuschüssen, die von den Gemeinden mitgetragen werden. Am 8. Februar [2021, Anm. d. Red.] kündigte die Regierung an, 100 Millionen Zloty (22 Millionen Euro) für die Bewerbung des vorerst mit einem großzügigen Zeitrahmen bis 2029 angesetzten Programms zur Verfügung zu stellen.
In Erwartung eines kräftigeren Windstoßes kommen die Dinge langsam in Bewegung. Im Jahr 2018 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass Polen gegen das EU-Recht über Luftqualität verstoßen hat, wobei von der Europäischen Kommission keine finanziellen Sanktionen verhängt wurden. Klech merkt an, dass Heizungen in Privathaushalten derzeit im Rahmen des Europäischen Emissionshandelssystems (ETS) nicht in die Berechnungen der Kohlenstoffemissionen der Länder mit einfließen. „Aber das könnte sich ändern“, warnt er.
Original auf Englisch.
Erstmals publiziert am 18. Februar 2021 auf Reportingdemocracy.org, einer journalistischen Plattform des Balkan Investigative Reporting Network.
Aus dem Englischen von Barbara Maya.
Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion. Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Blick vom Kościuszko-Hügel in Krakau im Oktober 2013. Foto: (CC-BY-SA-3.0) Anna Książek / Adam Rżysko / Wikimedia Commons