17. Dezember 2019
Erstmals veröffentlicht
22. Juli 2019
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Sie haben Freunde in hohen Positionen und private Sicherheitsdienste im Würgegriff. Serbiens Fußballrowdys zeigen groß auf.
Slobodan Vukić saß im Tilt Club, einen am Belgrader Saveufer gelegenen Nachtklub, und trank Whiskey, als der feuchtfröhliche Abend eine katastrophale Wendung nahm. Nachdem er an der Bar ein paar Gläser umgestoßen hatte, wollte der dreißigjährige Lkw-Fahrer eine weitere Runde bestellen. Seine Freunde versuchten ihn zum Gehen zu überreden. Vukić blieb hartnäckig. Dann kamen die Rausschmeißer. „Ich kenne diese Lokale und diese Typen“, meinte Miroslav Basta, ein Freund, der an jenem Dezemberabend des Jahres 2015 mit Vukić im Klub war. „Sie verprügeln dich, dann schmeißen sie dich raus, egal ob du Ärger gemacht hast oder nicht.“ Seine Angst war begründet. Als die Rausschmeißer mit ihm fertig waren, sei Vukić blutüberströmt auf dem Gehsteig vor dem Nachtlokal zusammengesackt, erinnerte sich Basta. Kurz darauf fiel Vukić ins Koma. Zwei Wochen später war er tot. Todesursache war eine Entzündung der inneren Organe.
Dreieinhalb Jahre später steht einer der Türsteher wegen schwerer Körperverletzung vor dem Obergericht in Belgrad. Milovan Tadić gibt zu, Vukić gegen das Bein getreten zu haben, bestreitet jedoch, ihm einen schweren Schlag in den Unterleib versetzt zu haben. Der Vorfall im Tilt reiht sich ein in eine Serie von Übergriffen auf Nachtklubbesucher, die in den letzten Jahren in manchen Fällen tödlich, in anderen mit schweren Verletzungen geendet sind. Verantwortlich dafür waren Türsteher, die sich eher wie Hooligans benahmen und nicht wie Sicherheitskräfte, die eigentlich für Ruhe und Ordnung sorgen sollen.
ExpertInnen zufolge gibt es dafür eine einfache Erklärung: Die für Nachtklubs zuständigen Sicherheitskräfte sind in Serbien häufig fest in den Händen waschechter Hooligans – Banden eingefleischter Fußballfans, die sowohl im als auch außerhalb des Stadions für ihre Gewaltbereitschaft berüchtigt sind. Kontrolliert man die Tür, dann kontrolliert man auch den Drogenhandel, der dahinter stattfindet – ein lukratives Nebengeschäft, wie ExpertInnen meinen. Auch neue Gesetze, die Rowdys im Sicherheitsdienst verbieten sollen, können nicht verhindern, dass auch Hooligans als Bodyguards, Nachtwächter und Sicherheitskräfte angestellt werden – denen die Sorge für die öffentliche Sicherheit anvertraut wird.
Serbien ist bekannt für seine Toleranz gegenüber Hooliganismus. Während der Balkankriege der 1990er-Jahre füllten Hooligans die Reihen der Paramilitärs. Am bekanntesten war die „Tiger-Miliz“ unter dem Kommando des später ermordeten Željko „Arkan“ Ražnatović, Vorsitzender des Hardcore-Fanklubs von Roter Stern Belgrad. In Friedenszeiten haben sie die öffentliche Meinung mit Gewalt beherrscht. Nachdem sie seine Kriege geführt hatten, waren die Fangruppen auch am Sturz des serbischen Machthabers Slobodan Milošević beteiligt. Sie sind dafür bekannt, aufrührerische Proteste gegen die Festnahme von Kriegsverbrechern, die Unabhängigkeit des Kosovo oder LGBT-Rechte anzuführen.
Mit dem Aufstieg der regierenden Serbischen Fortschrittspartei im Laufe der vergangenen sechs Jahre habe sich die Beziehung zwischen Staat und Fußballfans zu einer Art Arbeitsvereinbarung entwickelt, meinen ExpertInnen: Dafür, dass auf den Straßen Ruhe herrscht, können Hooligans ihren Geschäften relativ unbehelligt nachgehen. Um diesen neuen Kuschelkurs zu illustrieren, verweisen sie auf eine berüchtigte Fangruppierung aus Belgrad mit angeblichen Verbindungen zu privaten Sicherheitsdiensten, aber auch Staatsbeamten, darunter einen ranghohen Polizeiberater und den Generalsekretär des serbischen Parlaments. Sie bezeichnen die Gruppe als die „Janjičari“.
Quid pro quo
Im Herbst 2016 stieg Aleksandar Stanković, bekannt als „Sale, der Totschweiger“, in Belgrads Stadtbezirk Voždovac in seinen silbernen Audi A6, als zwei nicht näher bekannte Personen das Feuer eröffneten. In Mafia-Manier wurde mehr als 50 Mal auf ihn geschossen. Er war der Letzte in einer langen Reihe von Hooligan-Anführern, die in Serbien in den vergangenen Jahren ermordet wurden. „Sale, der Totschweiger“ war mehrfach angeklagt – wegen Morddrohungen, Folter, Schlägereien, Drogendelikten und Waffenbesitz. Trotz der vielen Anschuldigungen hatte er erstaunlich wenig Zeit in Haft verbracht. 2013 wurde er für das Betreiben eines Drogenrings zu fünf Jahren und zehn Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Vom Ersten Amtsgericht in Belgrad wurde seine Haft jedoch ein dutzend Mal – in zehn Fällen aus gesundheitlichen Gründen – aufgeschoben. Alle anderen Anklagepunkte wurden entweder fallengelassen oder waren zum Zeitpunkt seines Todes anhängig.
Einen Tag nach dem Mord berief Innenminister Nebojša Stefanović eine emotionale Pressekonferenz ein, in der er dem organisierten Verbrechen den Kampf ansagte, was Spekulationen darüber hervorrief, warum der Tod eines berüchtigten Hooligans eine Reaktion auf so hoher Ebene rechtfertigte. Stanković war weithin als Anführer der „Janjičari“ bekannt, eine Gruppierung fanatischer Fans des FK Partizan, einer von zwei Belgrader Fußballmannschaften, die in ganz Serbien frenetisch unterstützt werden (die andere ist Roter Stern). Der Spitzname der Gruppe (deutsch: die „Janitscharen“) ist angelehnt an die Prätorianergarde des osmanischen Sultans, die hauptsächlich christliche, aus dem Balkan verschleppte junge Männer rekrutiert haben soll.
Bekannt wurden die Janjičari 2013, als Stanković, zum damaligen Zeitpunkt Anhänger des Teams Roter Stern, lokalen Medienberichten zufolge eine Gruppe von Schlägertypen mobilisierte, um „Alcatraz“, der zu jener Zeit dominierenden Fangruppe, die Kontrolle der Südränge des FK Partizan zu entreißen. Kontrolliert man die Zuschauertribünen, dann kontrolliert man auch die Sprechchöre der Fans. Laut ExpertInnenmeinung sichert man sich dadurch aber auch das Recht auf Erbringung privater Sicherheitsdienste in bestimmten Belgrader Nachtklubs, inklusive der dort stattfindenden Drogengeschäfte. Mitglieder der Fangruppen von Roter Stern würden auch die Sicherheit von Nachtklubs in der Hauptstadt kontrollieren, heißt es.
Auf Kuschelkurs
Serbiens Hooligans haben lange Zeit ungewöhnlich viel Einfluss auf politische Belange ausgeübt und die öffentliche Meinung in den Stadien und auf der Straße geprägt – oft mit der stillschweigenden Zustimmung von PolitikerInnen, meinen ExpertInnen.
Für viele markieren die Zusammenstöße zwischen Anhängern der serbischen Mannschaft Roter Stern und des kroatischen Teams Dinamo in Zagreb 1990 den Beginn des Balkankonflikts, der das ehemalige Jugoslawien zerstörte. Während des Krieges benutzte der serbische Machthaber Slobodan Milošević HistorikerInnen zufolge Fußballfans zu Propagandazwecken und zur Verbreitung nationalistischen Gedankenguts.
Nach umstrittenen Wahlen, die zu massiven Straßenprotesten führten, wandten sich Hooligangruppen 2000 gegen Milošević, um die „Revolution vom 5. Oktober“ zu unterstützen. Nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo 2008 verwüsteten Mitglieder von Fußballfangruppen das Zentrum von Belgrad und setzten die US-Botschaft in Brand. „Die verdeckte Beeinflussung der Hooligans war nicht zu übersehen“, meinte Sicherheitsanalyst Saša Đorđević. „Während des ‚Kosovo gehört zu Serbien‘-Protests [2008] hat die Polizei praktisch zugelassen, dass die Hooligans die Stadt zerstören. Man setzte sie ganz offensichtlich in bestimmten Situationen ein, die mit Gesetzen nicht zu lösen waren.“ In den darauffolgenden Jahren sollen Hooligans für Chaos bei Gay-Pride-Paraden gesorgt und Menschen aus der LGBT-Szene zusammengeschlagen haben. Sie schickten auch Morddrohungen an JournalistInnen.
Als die neu gegründete Serbische Fortschrittspartei unter Aleksandar Vučić 2012 stärkste Kraft wurde, nahm die Beziehung zwischen Hooligans und Staat laut ExpertInnen eine neue Wendung. Vučić, der die serbische Politik in den vergangenen sechs Jahren in immer höheren Positionen an der Spitze der Regierung dominiert hat, ging zunächst mit Härte gegen die Hooligans vor und erklärte ihnen 2013 als stellvertretender Ministerpräsident uneingeschränkt den Krieg.
2014 schützten rund 7.000 Polizeibeamte die Pride-Parade in Belgrad und signalisierten so, dass Hooligans in Serbien, einem EU-Beitrittskandidaten, dessen Menschenrechtssituation international unter Beobachtung stand, nicht länger LGBT-DemonstrantInnen verprügeln konnten. Bald schlug Vučić jedoch widersprüchlichere Töne an. Auf die Frage, ob er sich zu einem harten Durchgreifen gegen gewalttätige Fußballfangruppen bekennen würde, antwortete Vučić, nunmehr Ministerpräsident, 2016: „Das ist eine sehr schwierige Frage für uns.“ Er ließ weiters durchblicken, dass der Staat gegen die Hooligans machtlos sei.
Als Vučić im Mai 2017, nach tagelangen Massendemonstrationen gegen die für viele zunehmend autoritäre Politik, als Präsident angelobt wurde, entstanden Aufnahmen von privaten, von der Fortschrittspartei angestellten Sicherheitskräften, die gegenüber JournalistInnen und AktivistInnen handgreiflich wurden.
Investigative JournalistInnen des Netzwerks zur Erfassung und Veröffentlichung von organisierter Kriminalität und Korruption (KRIK) deckten später auf, dass es sich bei einem der Sicherheitsmänner, die an jenem Tag rohe Gewalt (Text auf Serbisch) angewandt haben sollen, um Borko Aranitović handelte, einem Mann im Umfeld der Janjičari-Gruppe, der im Nachtklub Tilt als Türsteher angestellt war. (Auf einem Überwachungsvideo wurde dieser außerdem bei einem zweiten Vorfall im gleichen Lokal aufgezeichnet, der mit der Auseinandersetzung mit Vukić nicht im Zusammenhang steht. Die Aufnahme zeigt, wie er zusieht, während ein Gast von anderen Wachleuten verprügelt wird).
Während die Belgrader Hooligans als die aggressivsten Fans in ganz Europa gelten, glauben SicherheitsexpertInnen, dass ein Großteil der Gewalt wenig mit Fußball zu tun hat. Laut einem Bericht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zeigte eine Studie über 30 Anführer von Fangruppen in Serbien 2012, dass 26 von ihnen von der Polizei wegen krimineller Gewalttaten, 11 wegen Gewalt bei Sportveranstaltungen und 16 wegen Straftaten gegen Regierungsbehörden angeklagt worden waren. „Mit anderen Worten: Die Verwaltung und Unterstützung von Fußballvereinen dient oft als ‚Feigenblatt‘ für schwere Straftaten“, so der Bericht. „Kriminelle Gruppierungen betreiben unter dem Deckmantel des Fußballfantums Geldwäsche, Korruption, Drogenkriminalität, Steuerhinterziehung und andere Formen des organisierten Verbrechens.“ Laut ExpertInnen würden die Hooligans ungestraft davonkommen, weil sie PolitikerInnen anderweitig nützlich sind (siehe Kasten: Auf Kuschelkurs).
„Zu ihren Aufgaben [als Hooligans] gehört es zuallererst, in der Öffentlichkeit ein nationalistisches Narrativ zu bedienen sowie nationalistische, chauvinistische und ähnliche Haltungen zu bestärken“, meinte Saša Đorđević, ein Forscher am Belgrader Zentrum für Sicherheitspolitik. „An zweiter Stelle folgt der Drogenhandel und an dritter der private Sicherheitsdienst. Die erste Aufgabe ist aus politischen Gründen wichtig und scheint eine Art Gefälligkeit [für regierende PolitikerInnen] zu sein. Im Gegenzug dürfen die Hooligans ihren illegalen Machenschaften nachgehen.“
Lasche Lizenzvergabe?
Zumindest zwei der Türsteher, die im Tilt tätig waren, als Vukić tödlich verletzt wurde, sind weithin als Janjičari-Handlanger bekannt. Tadić, der wegen Drogenhandels und schwerer Körperverletzung vor Gericht steht, ist einer von ihnen. Aus einem Polizeibericht geht hervor, dass an jenem Abend ein Unternehmen namens Fort Security für die Sicherheit des Klubs zuständig war. Die Firma gehört Svetislav Nikolajev, einem stark tätowierten Mixed-Martial-Arts-Kämpfer aus Vršac in der serbischen autonomen Provinz Vojvodina. Nikolajev war selbst in die Auseinandersetzung mit Vukić verwickelt, wurde aber nicht angeklagt. Auf den Videoaufzeichnungen der Überwachungskameras, die vor Gericht gezeigt wurden, ist zu sehen, wie er Vukić einen Schlag auf den Kopf versetzt. Im Prozess gegen Tadić wegen schwerer Körperverletzung wurde Nikolajev als Zeuge aufgerufen. Er gab an, den Klubbesucher mit der offenen Hand und nicht mit der Faust geschlagen zu haben.
2013 wurde in Serbien ein Gesetz zur Regelung von ArbeitnehmerInnen im privaten Sicherheitsgewerbe verabschiedet – dazu zählen bestimmte Personen, die befugt sind, Schusswaffen zu tragen, wie etwa Sicherheitskräfte zum Schutz von Geldtransporten. Personen, die den Militärdienst absolviert haben, können ebenfalls eine Lizenz als private Sicherheitskräfte beantragen, die zum Führen von Waffen berechtigt. Das neue Gesetz schreibt fest, dass jeder, der in dieser Branche tätig ist, eine Ausbildung absolvieren und eine Prüfung ablegen muss sowie einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen wird, um die vom Innenministerium vorgeschriebene Lizenz zu bekommen. Gemäß diesem Gesetz kann ein Sicherheitsunternehmen nur dann legal tätig sein, wenn alle MitarbeiterInnen über eine Lizenz verfügen. Für die Einhaltung der Vorschriften sah das Gesetz eine Frist bis zum 1. Januar 2017 vor; ExpertInnen sind jedoch der Ansicht, dass vielerorts noch großer Aufholbedarf besteht.
Nikolajev beantwortete weder Fragen zu seiner Arbeit im Sicherheitsdienst noch darüber, ob Männer mit angeblichen Verbindungen zu Janjičari für ihn im Klub Tilt gearbeitet hätten. Das Innenministerium gab keine Auskunft darüber, ob Nikolajev oder für ihn tätige Männer über Sicherheitslizenzen verfügten, selbst dann nicht, als der Kommissar für Informationen von öffentlichem Interesse nach einer Beschwerde einem Antrag auf Offenlegung von Informationen stattgab. Fort Security ist seit Juli 2017, ein halbes Jahr nach dem Vorfall im Klub Tilt, inaktiv. Das Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) konnte jedoch aufdecken, dass Nikolajev im privaten Sicherheitsdienst auch andere Interessen verfolgt.
Aus öffentlichen Unterlagen geht hervor, dass er offiziell eine Firma namens MK Obezbedjenje (MK Sicherheit) vertritt. Eigentümer von MK Obezbedjenje ist Mladen Kuribak. In Serbien wurde Kuribak (59), ein ehemaliger Polizeichef, bekannt, als er 2014 im Zuge einer Säuberungsaktion ebenso wie andere Polizeichefs vom damaligen Ministerpräsidenten Aleksandar Vučić entlassen wurde. Vučić warf ihnen vor, politischen Interessen mehr Gewicht beigemessen zu haben als der Polizeiarbeit.
Kurz nach seiner Entlassung gründete Kuribak ein Unternehmen namens Edukator MK, das sich laut Firmenregister mit der Ausbildung und Zulassung privater Sicherheitskräfte befasst. Im Dezember 2016 gründete er die Schwesterfirma MK Obezbedjenje, die zertifiziertes privates Sicherheitspersonal bereitstellt – das Unternehmen, das Nikolajev vertritt.
Kuribak reagierte nicht auf Fragen seitens BIRN. Einem Bericht des Belgrader Zentrums für Sicherheitspolitik zufolge war Edukator MK jedoch die erste Firma in Serbien, die vom Innenministerium die Genehmigung erhielt, Personen zu zertifizierten Sicherheitskräften auszubilden. Ende 2015 verfügte sie laut Angaben des Innenministeriums über zehn Ausbildungszentren in ganz Serbien, die meisten in größeren Städten des Landes. MK Obezbedjenje erhielt indes Anfang 2017 eine Konzession für die Bereitstellung von Sicherheitskräften für den Personen- und Objektschutz sowie den Schutz von Sportveranstaltungen. Dies geht aus Informationen des Innenministeriums hervor, die von der serbischen Handelskammer veröffentlicht wurden.
Einflussreiche Freunde
Kurz nach Stankovics Ermordung 2016 veröffentlichte das Enthüllungsmagazin Insajder ein Foto des verstorbenen Hooligan-Anführers, auf dem zu sehen ist, wie er auf den Zuschauerrängen zwei andere Männer umarmt, die als bekannte Janjičari-Mitglieder identifiziert wurden. Bei einem der Männer handelte es sich um Nenad Vučković. Vučković – alias „Vucko“ – ist kein gewöhnlicher Fußballfan. Von Innenminister Stefanović wurde öffentlich bestätigt, dass Vučković für die Bereitschaftseinheit der Gendarmerie arbeitet, die bei Fußballspielen und öffentlichen Demonstrationen für Sicherheit und Ordnung sorgen soll und mit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität befasst ist. „Ich denke nicht, dass das Anfeuern einer Fußballmannschaft bzw. das Anführen einer Fangruppe eine strafbare Handlung darstellt“, erklärte Stefanović gegenüber den Medien kurz nach der Veröffentlichung des Fotos durch Insajder. „Er wechselte vom Militär zur Polizei. Meinem Dafürhalten nach haben alle Sicherheitsprüfungen gezeigt, dass er keine Straftaten begangen hat.“
Stefanovićs Aussagen zufolge war Vučković Soldat, bis er zur Gendarmerie wechselte. Bis Juni 2016 gehörte er der Sonderbrigade, einer Eliteeinheit der serbischen Streitkräfte, an. Weder das Verteidigungs- noch das Innenministerium beantworteten Fragen über Vučkovićs Rolle beim Militär und der Polizei. Interviewanfragen seitens eines von Stefanović im Dezember 2017 gegründeten Beirats zur Prävention von Gewalttaten im Sport blieben ebenfalls unbeantwortet. Đorđević vom Belgrader Zentrum für Sicherheitspolitik meinte, Vučković hätte aufgrund seiner mutmaßlichen Verbindungen zu Janjičari nie das Screening des Innenministeriums bestehen dürfen, als er zur Polizei ging. „Jeder Kandidat muss sich einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen“, sagte er. „Diese dient unter anderem dazu herauszufinden, ob eine Person direkt oder indirekt mit Mitgliedern krimineller Gruppierungen in Verbindung steht. Wenn solche Verbindungen bestehen, hat diese Person bei der Polizei nichts zu suchen.“ Trotz wiederholter Bemühungen konnte BIRN Vučković nicht für eine Stellungnahme erreichen. Von verschiedenen Medien wird Vučković eine Affäre mit Dijana Hrkalović, einer ehemaligen Staatssekretärin im Innenministerium, nachgesagt. Das Ministerium reagierte nicht auf die Bitte um ein Interview mit Hrkalović. Ihr Ausscheiden aus dem Amt wurde Ende Mai unerwartet und ohne weitere Angaben bekanntgegeben.
Vučković war einst kein Unbekannter auf den von Hooligans bevölkerten Südrängen des Partizana-Stadions, wo er im Beisein von Janjičari-Mitgliedern, darunter Stanković und Tadić, von den lokalen Medien beim Anfeuern der Spieler fotografiert wurde. Er war auch offizieller Vertreter der Partizan-Fans bei den Generalversammlungen ihres Vereins. Im Februar 2017 behauptete die serbische Militärgewerkschaft, dass Vučković gemeinsam mit Stanković und Veljko Belivuk, einem anderen, mehrfach wegen Gewaltdelikten verurteilen Schläger aus der Gruppe, wiederholt – und widerrechtlich – einen Schießstand sowie Waffen und Munition des Militärs für Schießübungen benutzt hätte. Der Gewerkschaft zufolge befand sich auch noch ein vierter Mann unter ihnen: Novak Nedić, Generalsekretär der serbischen Regierung. Vučković gab im November 2018 der Ermittlungseinheit der Militärpolizei eine Stellungnahme zu dem Sachverhalt ab. Die Anklagen gegen die Aufseher des Schießstandes wurden schlussendlich fallengelassen, nachdem Beweismaterial auf mysteriöse Weise verschwunden war. Dies geht aus Berichten des in Belgrad ansässigen Netzwerks investigativer JournalistInnen KRIK, das Verbrechen und Korruptionsfälle aufdeckt, hervor. Es war nicht das einzige Mal, dass Nedić und Vučković eines Vergehens beschuldigt wurden.
Nedić, ein 37-jähriger ehemaliger Anwalt, war von August 2013 bis April 2014 Vorstandsmitglied von Partizan gewesen, als er aus dieser Funktion ausschied, um seinen neuen Posten in der Regierung anzutreten. Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass regierende Parteimitglieder in Serbien in den Vorständen großer Sportvereine sitzen. Nedićs Interesse am Verein endete jedoch nicht mit seinem Rücktritt, sind Vereinsinsider überzeugt. Im Frühjahr 2016 veröffentlichte der FK Partizan eine Pressemitteilung, worin Nedić und Vučković beschuldigt werden, Fans mobilisiert zu haben, prominente Partizan-Fans in der VIP-Loge mit Eiern zu bewerfen, mit dem Ziel, im Vorfeld der Wahl zum neuen Vereinsvorstand „eine Atmosphäre der Angst und öffentlichen Lynchjustiz zu schaffen“. „Das geht alles von Novak Nedić aus, dem Generalsekretär der Regierung“, erklärte Milorad Vučelić, der amtierende Präsident des FK Partizan, gegenüber den Medien. „Es könnten Bomben oder Steine [anstelle von Eiern] sein“, fügte er hinzu. Nedić reagierte nicht auf eine Interviewanfrage seitens BIRN.
Wissentlich ignoriert?
Im Juni 2018 wandte sich eine der serbischen Polizeigewerkschaften in einem Schreiben an das Innenministerium und bat um Aufklärung bezüglich Vučkovićs Rolle in der Gendarmerie, nachdem man einen Hinweis über seine angebliche Verwicklung in kriminelle Machenschaften erhalten hatte. In diesem Schreiben, das von BIRN eingesehen wurde, bezog sich die Gewerkschaft auf einen Vorfall im August 2017, als die Polizei bei einer Routinekontrolle einen Audi A6 anhielt, der von einem gewissen Velibor Srećković gelenkt wurde. Srećković, ein semiprofessioneller Rugbyspieler, der nebenberuflich als Rausschmeißer tätig ist, gehörte zu den Sicherheitskräften, die im Tilt in jener Nacht, als Slobodan Vukić attackiert worden sein soll, Dienst hatten.
Mitglieder eines Online-Fußballfanforums bezeichneten Srećković als „rechte Hand“ von Vučković. BIRN konnte Srećković nicht für einen Kommentar erreichen. Laut Angaben der Polizeigewerkschaft fanden die Beamten im Handschuhfach eines Autos, in dem Srećković saß, eine CZ-99 Handfeuerwaffe, 13 Geschosse, ein Polizeiausweisetui und eine Tüte mit „weißem Pulver“. In Belgrad erhob die Oberstaatsanwaltschaft Anklage wegen Waffenbesitzes gegen Srećković. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Belgrader Obergericht weigerten sich, BIRN eine Kopie der Anklageschrift zu übermitteln, bestätigten aber, dass das Verfahren in Kürze beginnen soll. Es stellte sich jedoch heraus, dass der Audi nicht Srećković gehörte. Die Gewerkschaft hielt in dem Schreiben fest, dass man Grund zu der Annahme habe, dass das Fahrzeug eigentlich keinem Geringerem als Vučković gehörte – und bat Hrkalović, die damalige Staatssekretärin im Innenministerium, dies zu bestätigen.
Zweifelhafte Freunde
Der Rasen im Stadion von Samara im Südwesten Russlands war noch nicht wiederhergestellt, als ein Skandal die Euphorie über den serbischen Sieg über Costa Rica im ersten Gruppenspiel der Fußball-WM im Juli 2018 trübte. Es waren Fotos von Danilo Vučić aufgetaucht, dem 20-jährigen Sohn des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić, die zeigen, wie er mit drei Männern – Milan Krasić, Boris Karapandžić und Aleksandar Vidojević – auf den Zuschauerrängen feiert. Sie alle waren wegen Gewaltdelikten vorbestraft und galten in den Medien als berüchtigte Hooligans.
Krasić wurde im Mai 2018 zu 14 Jahren Haft wegen Mordes verurteilt – er legte jedoch Berufung ein und reiste unbehelligt nach Russland. Im Mai 2019 wurde er vom Berufungsgericht freigesprochen. Heute ist er ein freier Mann. Laut Medienberichten war gegen Vidojević wegen Schlägereien auf den Zuschauerrängen, Raub und Waffenbesitz Anklage erhoben worden. Karapandžić wurde 2016 wegen Drogenhandel, Waffenbesitz und gewalttätigem Verhalten zu vier Jahren Haft verurteilt – im März 2017 jedoch auf Bewährung entlassen.
Vidojević und Karapandžić wurden später wegen der Verwüstung eines direkt neben Tilt gelegenen Nachtklubs im Oktober 2018 angeklagt. Ein vierter Mann, Nemanja Srećković (nicht verwandt mit Velibor Srećković), der sich mit ihnen im Stadion befand, war 2016 gemeinsam mit Vidojević offizieller Fanvertreter im Vorstand des FK Partizan gewesen. Alle vier sind gemeinhin als Janjičari-Mitglieder bekannt.
Vučić Jr. und seine Begleiter trugen im russischen Stadion mit der Karte des Kosovo bedruckte T-Shirts mit der Aufschrift „Wir geben nicht auf“ – ein Schlachtruf serbischer Nationalisten, die gegen die Unabhängigkeit des Kosovo auftreten. Nach den Begleitern seines Sohnes befragt, meinte Präsident Vučić, es schmerze ihn, Vučić Jr. erklären zu müssen, warum er von den Medien kritisiert werde, nur weil er Serbien unterstütze. „Mein Sohn hat sich noch nie etwas zuschulden kommen lassen“, erklärte er den Reportern.
Das Innenministerium antwortete nicht auf das Schreiben der Gewerkschaft. Auch reagierte man nicht auf eine Anfrage für ein Interview mit Hrkalović diese Angelegenheit betreffend. Vučković war nicht zum ersten Mal mit Srećković und einem verdächtigen Audi in Verbindung gebracht worden. Als „Sale, der Totschweiger“ Stanković 2013 die Kontrolle im Stadion übernahm, stand Srećković im Verdacht, an der Verwüstung des Caférestaurants Hollywood beteiligt gewesen zu sein, einem Belgrader Lokal im Besitz des Anführers der verfeindeten Alcatraz-Fangruppe. Einem von BIRN eingesehenen Polizeibericht zufolge erfassten Überwachungskameras, wie Srećković auf dem Gehsteig vor dem Lokal wartete, während als Janjičari-Schläger identifizierte Männer das Café betraten, die Einrichtung zertrümmerten und Gläser zerschlugen. Srećković benutzte einen Audi als Fluchtfahrzeug und fuhr zur Pionir-Halle, einer Mehrzweckhalle in Belgrads Bezirk Palilula. Laut Polizeibericht traf er dort einen Mann und übergab ihm die Schlüssel des Wagens. Bei diesem Mann habe es sich um Vučković gehandelt, so der Bericht.
Srećković ist später wegen Verdachts auf Beteiligung an dem Vorfall im Hollywood-Café von der Polizei verhaftet worden. Wie aus den Gerichtsakten hervorgeht, wurde die Anklage jedoch fallengelassen, nachdem er eine Strafe von ca. 330 Euro gezahlt hatte. Gegen Vučković, der zum damaligen Zeitpunkt noch beim Militär diente, wurde keine Anklage erhoben. (Er wechselte erst zweieinhalb Jahre später zur Gendarmerie.) BIRN konnte nachweisen, dass Srećković und Vučković zur gleichen Zeit beim Militär und in derselben Sonderbrigade gedient hatten. Srećković verließ das Militär zwei Tage vor der Demolierung des Hollywood-Cafés. Nikolajev, der Eigentümer von Fort Security, der Srećković im Nachtklub Tilt angestellt haben soll, hat allem Anschein nach ebenfalls in dieser Brigade gedient. Auf einem im September 2011 auf Nikolajevs Facebook-Profil geposteten Foto trägt er das unverkennbare rote Barett mit dem Abzeichen der Einheit.
Das Verteidigungsministerium bestätigte, dass Srećković von Dezember 2010 bis Dezember 2013 in der Eliteeinheit gedient hatte. Er habe vor seiner Rekrutierung auch eine Sicherheitsüberprüfung durchlaufen. Das Ministerium dementierte allerdings, dass Nikolajev in der Einheit gedient hatte. Ob irgendeiner der Männer nun über kriminelle Verbindungen verfügte, bevor sie sich dem Militär anschlossen, oder nicht – für Đorđević vom Belgrader Zentrum für Sicherheitspolitik haben die Behörden bei der Eindämmung von Sicherheitsrisiken jedenfalls versagt. „In den vergangenen sechs Jahren [seit die Fortschrittspartei stärkste Kraft wurde] ist auftauchendes Beweismaterial [zu kriminellen Verbindungen] tendenziell wissentlich ignoriert worden“, meinte er. „Da fragt man sich: Wenn das in einem Fall passiert, gilt das dann auch in anderen Fällen? Wird wirklich dafür Sorge getragen, dass die von diesen Institutionen angestellten Personen sauber sind?“ Für Vukićs Familie und Freunde, die noch immer auf Gerechtigkeit hoffen, ist diese Frage nur allzu real.
Tadić, jener Mann, der beschuldigt wird, den tödlichen Schlag ausgeführt zu haben, war als private Sicherheitskraft beim öffentlichen Rundfunksender Radio-Televizija Serbien tätig, bevor er im Zuge seines Drogenprozesses in Untersuchungshaft genommen wurde. Der Prozess begann im März. Tadić wird des Drogenhandels angeklagt, was er bestreitet. Während einer Anhörung im Prozess im April behauptete sein Anwalt, dass Tadić auch für das Büro von Nedić, dem Generalsekretär der Regierung, gearbeitet habe. Aus Nedićs Büro erfuhr KRIK, dass Tadić nie angestellt gewesen sei. Eine Woche später erklärte sein Anwalt gegenüber KRIK, dass es sich um ein Missverständnis zwischen ihm und seinem Klienten gehandelt habe. Am 12. April wurde Tadić aus der Haft entlassen und unter elektronisch überwachten Hausarrest gestellt. Seine Verlobte postete jedoch in den sozialen Medien zahlreiche Fotos und Videos, die ihn bei diversen Aktivitäten auch außerhalb seiner Wohnung zeigen – sogar beim Autofahren. Auf einem Foto steht Tadić lächelnd im Lift, seine Hände in den Taschen seiner Trainingsjacke vergraben, während seine Verlobte in die Kamera schmollt.
Original auf Englisch. Erstmals publiziert am 22. Juli 2019 auf Balkaninsight.com.
Aus dem Englischen von Barbara Maya.
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt: © Ivana Jeremić, bearbeitet von Timothy Large. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Während eines Ligaspiels im April 2016 zwischen den serbischen Fußballklubs Roter Stern Belgrad und dem Erzrivalen Partizan Belgrad stoßen Polizisten mit Fans von Roter Stern Belgrad zusammen. Foto: © Darko Vojinović / AP / picturedesk.com
Dieser Artikel entstand im Rahmen des Balkan Fellowship for Journalistic Excellence, unterstützt von der ERSTE Stiftung und den Open Society Foundations in Kooperation mit dem Balkan Investigative Reporting Network.