In Bulgarien schreitet die Wiedereinsetzung der lokalen Eliten unabhängig von der Europapolitik, die von ganz anderen taktischen Überlegungen getrieben wird, schleichend voran. Nationalpopulismus bietet sich hier als Mittel an, um den Staat für eigene Interessen zu vereinnahmen.
Unsere politische Vertretung in der Europäischen Union ist nicht nur indirekt, sie ist vollkommen abgeschnitten von uns. Einerseits können wir politische Parteien mit klaren Parteiprogrammen nicht direkt wählen, andererseits wählen wir nationale Parteien und haben keine Garantie, dass unsere Stimme letztendlich einer parlamentarischen Gruppe mit einer klaren ideologischen Position gehören wird. Der Grund dafür liegt darin, dass EVP, S&D, EKR, ALDE und andere Gruppen im Wesentlichen Allianzen taktischer Interessen sind und keine ideologischen Gebilde.
Schließlich sind sogar ausgeprägt euroskeptische und nationalpopulistische Parteien Mitglieder der vermeintlich etablierten Allianzen in Europa. Zwar wurde die Fidesz mittlerweile von der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) suspendiert, doch die Mitgliedschaft der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) in der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D) bleibt zu hinterfragen.
Dem Nationalpopulismus der vermeintlich linken BSP ist es nicht nur misslungen, eine offen prorussische Haltung zu verhindern, sondern er hat auch dazu geführt, dass die Partei die Istanbul-Konvention (zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) ausdrücklich abgelehnt hat. Obwohl die BSP dem Populismus zu neuen, extremen Auswüchsen verhilft, wird die Partei auf europäischer Ebene anscheinend immer noch nicht als populistisch wahrgenommen.
Es wird erwartet, dass alle euroskeptischen, populistischen Parteien Europas zusammen ihre Anzahl an Sitzen im Europäischen Parlament verdoppeln werden, wobei es aber höchst unwahrscheinlich ist, dass sie mehr als ein Drittel aller Parlamentssitze auf sich vereinen werden. In Bulgarien ist die Situation auf den ersten Blick sogar weniger schlimm: Zwar gewannen die beiden offen nationalpopulistisch auftretenden Parteien 2014 zwei Sitze, sollten die Vereinigten Patrioten (seit 2017 Teil der bulgarischen Koalitionsregierung) und Wolja jedoch überhaupt noch Sitze hinzugewinnen, so können sie laut aktuellen Umfragen trotzdem nicht auf mehr als drei der 17 bulgarischen Sitze hoffen.
Dem Anschein nach ist Bulgarien also ein proeuropäisches Land, von dessen Nationalpopulisten keine Gefahr für die Zukunft der EU ausgeht. Vielleicht stagniert der Zustrom der Wählerschaft zu den populistischen Parteien in Europa einfach wieder, und damit auch die unverblümtesten Formen der Euroskepsis. Insbesondere als Folge des Brexit-Fiaskos propagieren diese Parteien zunehmend ein „Europa der Nationen“, ein Begriff, der gegenwärtig auch in Bulgarien hoch im Kurs steht, was auch immer dieses politische Oxymoron überhaupt bedeuten soll.
Wiedereinsetzung lokaler Eliten, Abwehren heimischen Widerstands
Laut Timothy Garton Ash können wir derzeit eine antiglobale und antiliberale Konterrevolution beobachten. Ich würde es etwas milder ausdrücken: Wir sind Zeuginnen und Zeugen einer schleichenden Wiedereinsetzung lokaler Eliten, die durch die Globalisierung teilweise vom Sockel gestoßen wurden. In Osteuropa handelt es sich dabei um Vertreter der ehemaligen kommunistischen Nomenklatura, der Geheimdienste und der alten kulturellen Eliten. Für diese Leute sind Nationalpopulismus und Souveränität selten ein existenzielles Glaubensbekenntnis, sondern eher ein hervorragender Vorwand, unter dessen Deckmantel sie selbst den geringsten Versuch einer externen Einflussnahme durch europäische Institutionen abwehren können.
Unterdessen sind Antiliberalismus sowie NGO-Bashing („Dieser Soros!“) die Mittel der Wahl, um heimischen Widerstand zu durchkreuzen, und Nationalpopulismus ein Mittel zur Durchsetzung privater Interessen. Populistische Rhetorik ist in Bulgarien heute viel präsenter als noch vor fünf Jahren, selbst wenn offen populistische Parteien bisher noch keine Mehrheiten gewonnen haben. Gleichzeitig leidet die Pressefreiheit: Im weltweiten Ranking fiel Bulgarien laut Reportern ohne Grenzen vom 87. Platz im Jahr 2013 auf den 111. Platz im Jahr 2018 zurück. Im Jahr 2017 wurden die nationalpopulistischen Vereinigten Patrioten Juniorpartner der Koalitionsregierung, während sich antidemokratische Rhetorik zunehmend in den allgemeinen Sprachgebrauch aller politischen Parteien einschlich, sogar der etablierten Parteien.
Die Demokratie in Bulgarien ist im Wanken begriffen, allerdings bewegt sie sich – zumindest momentan – noch nicht in Richtung echtem Autoritarismus: Für die lokale bulgarische Elite wäre eine Oligarchie im Stile von Wladimir Putin oder Viktor Orbán ein allzu sauberes Modell. Daher wird man die Europawahlen auch als Sieg der proeuropäischen Kräfte in Bulgarien darstellen, während gleichzeitig die Geschäfte mit Russland, was Gas, Atomkraftwerke und andere korrupte Projekte betrifft, florieren.
Bulgarien ist heute eine Mischung aus einer proeuropäischen Fassadendemokratie und einer latenten osteuropäischen Oligarchie – eine Mischform, die sich immer weniger um eine Imagekorrektur bemüht. Solange es jedoch keine echte Vertretung in Europa gibt, ist diese Hybridität nicht nur möglich, sondern zunehmend ansteckend.
Original auf Englisch. Erstmals publiziert am 29. April 2019 auf Eurozine.
Aus dem Englischen von Margit Hengsberger.
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Mood of the Union
Die Serie Mood of the Union sammelt Artikel zur Wahl zum Europäischen Parlament aus allen 28 EU-Mitgliedstaaten. Die Serie wird von der ERSTE Foundation und dem National Endowment for Democracy unterstützt.
In der Serie The Mood of the Union berichten Redakteure des Magazins Eurozine über die Lage in der gesamten Europäischen Union und diskutieren mit Journalisten und Analysten die Einstellungen zu den EU-Wahlen und über das, was auf nationaler Ebene auf dem Spiel steht. Ziel der Serie ist es, über die Berichterstattung nationaler Medien hinaus, einen detaillierteren Einblick in die Stimmung vor Ort zu liefern. Die Serie wird von Agnieszka Rosner kuratiert und vom mitwirkenden Redakteur Ben Tendler editiert.