Auftragsmörder verurteilt

Drahtzieher hinter Mord eines slowakischen Journalisten weiterhin auf freiem Fuß

Wie stichhaltig waren die Beweise gegen Marian Kočner und seine Komplizin im Fall um die Ermordung von Ján Kuciak und seiner Verlobten? Und warum reichen sie für eine Verurteilung nicht aus?

Am 3. September befand ein dreiköpfiger Senat am Sondergericht in Pezinok Marian Kočner, den einflussreichen Unternehmer mit engen Kontakten in die Politik, und seine Komplizin Alena Zsuzsová als Geld- und Auftraggeber des Mordes am Investigativjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová für nicht schuldig. Den Freispruch erklärte die Vorsitzende des Senats, Ružena Sabová, damit, dass dem Gericht nicht ausreichend Beweise vorlagen, die die beiden in direkten Zusammenhang mit dem Verbrechen brachten. Auch wenn die drei Männer, die beauftragt wurden, die Morde auszuführen, verurteilt wurden, bleibt der oder bleiben die Drahtzieher hinter dem Auftragsmord auf freiem Fuß.

„Aufgrund der im Prozess vorgebrachten Beweise konnte das Gericht nicht zweifelsfrei zu dem Schluss kommen, dass die Ermordung von Ján Kuciak durch die Angeklagten Kočner und Zsuzsová organisiert wurde“, so Richterin Sabová. Insbesondere hielt das Gericht die Indizien, die Aussagen der Hauptzeugen und den Nachrichtenaustausch zwischen Kočner und Zsuzsová, der auf Kočners Handy sichergestellt wurde, für fragwürdig.

In einer Reaktion auf das Urteil teilte der Staatsanwalt mit, dass er bereits Berufung beim Obersten Gerichthof eingelegt habe. Somit könnte das Urteil aufgehoben und der Fall wieder an ein Sondergericht zurückverwiesen werden. Mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofes ist aber nicht vor 2021 zu rechnen. „Wir haben eine Schlacht verloren, nicht aber den Krieg“, sagte Staatsanwalt Vladimír Turan nach dem Urteil der Presse gegenüber. „Wir geben uns noch nicht geschlagen.“

Die Exekutive und die Generalstaatsanwaltschaft hatten infolge der größten Ermittlungen in der slowakischen Kriminalgeschichte zwei Jahre lang den Fall gegen Kuciaks mutmaßliche Mörder vorbereitet. Die Prozessakte, die über 25.000 Seiten umfasst, enthält forensische Beweise vom Tatort, Expertenanalysen der Telefon- und Computerdaten, Beweismittel aus Kočners Haus und Aussagen seiner Komplizen Peter Tóth und Zoltán Andruskó, die ihre Rolle als Mittelsmänner bei den Morden gestanden hatten.

Zwei Männer, Andruskó und Miroslav Marček, bekannten sich schuldig und gestanden ihre Beteiligung an den Morden. Sie erhielten eine Haftstrafe von 15 bzw. 23 Jahren. Tomáš Szabó, der Cousin von Marček, der die Waffe gekauft und Marček zum Tatort gefahren hatte, plädierte auf nicht schuldig, wurde aber schuldig gesprochen und letzte Woche zu 25 Jahren Haft in einem Hochsicherheitsgefängnis verurteilt.

Die Auftragskiller sind zwar hinter Gittern, die Drahtzieher jedoch weiter auf freiem Fuß, und damit bleiben nach diesem Prozess viele Fragen unbeantwortet. „Die vorgelegten Gründe [für den Freispruch von Kočner und Zsuzsová] finde ich sehr verwirrend und fragwürdig; damit wurde Misstrauen gesät“, wird Ján Mazak, Vorsitzender des Slowakischen Gerichtsrates, nach dem Urteil auf der Nachrichtenplattform Dennik N zitiert. Er sei gespannt auf die schriftliche Urteilsverkündung, heißt es dort weiter. „Dieser Kriminalfall ist in unserer Rechtsgeschichte einmalig und einzigartig“, sagte Mazak und erklärte es für die Wiederherstellung des öffentlichen Vertrauens in das slowakische Rechtssystem für unerlässlich, Klarheit in diesen Fall zu bringen.

Sowohl Kočner als auch Zsuzsová beteuern ihre Unschuld. „Ich glaube an die Unschuld meines Klienten“, so Kočners Anwalt Marek Para nach dem Urteil. „Ich habe von Anfang an gesagt, dass die Beweislage sehr schwach ist.“ Štefan Neszméry, Zsuzsovás Anwalt, meinte nach dem Freispruch seiner Mandantin, dass „die Gerechtigkeit gesiegt hat“.

Hauptzeuge belastet Kočner

Einer der überzeugendsten Beweise gegen Kočner – und gleichzeitig jener, der vom Senat des Sondergerichts am meisten in Zweifel gezogen wurde – war die Aussage von Zoltán Andruskó, einem der Männer, die im September 2018 in Zusammenhang mit den Morden festgenommen wurden. Bald nach seiner Festnahme begann Andruskó mit der Polizei zu kooperieren und gestand, dass er zwei Mörder beauftragt hatte, die Morde durchzuführen – die Cousins Tomáš Szabó und Miroslav Marček. Er sagte weiter aus, dass er selbst von Alena Zsuzsová, einer langjährigen Freundin, beauftragt worden sei, die ihrerseits im Auftrag von Marian Kočner handelte, dem sie sehr nahestehe.

Zum Zeitpunkt von Andruskós Aussage hatte die Polizei Kočner bereits in Verdacht, aber kaum Beweise, die ihn in Zusammenhang mit dem Verbrechen brachten. Andruskós Aussage ermöglichte es der Polizei, weitere Beweise zu erbringen, die die Umstände der Morde deutlich machten und ihre Theorie untermauerten, dass Kuciak aufgrund seiner investigativen Arbeit über korrumpierte Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft zur Zielscheibe geworden war. Außerdem gestand Andruskó der Polizei, dass er weitere Morde mit Zsuzsová geplant hatte: die Morde an den prominenten Staatsanwälten Maroš Žilinka und Peter Šufliarsky sowie an einem der bekanntesten Anwälte des Landes, Daniel Lipšic. Alle diese Männer hatten mit verschiedenen Kriminalfällen zu tun, in die Kočner verwickelt war. Nach dem Mord an Kuciak und der Verhaftung von Kočner im Zusammenhang mit einem anderen Fall im Sommer 2018 wurden diese Pläne fallen gelassen.

Obwohl Andruskó in einem gesonderten Prozess im Dezember 2019 zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde, glaubten die Richter nur Teile seiner Aussage. Sie bezweifelten zwar nicht, dass Andruskó Marček und Szabó angeheuert hatte, Kuciak umzubringen, meinten aber, es gäbe keine eindeutigen Beweise für seine Behauptung, Zsuzsová und Kočner hätten etwas damit zu tun. Sie waren der Meinung, Andruskó könnte im Gegenzug für den Deal mit dem Staatsanwalt gelogen haben.

„Das ergibt überhaupt keinen Sinn“, sagte Daniel Lipšic, der Anwalt der Familie Kuciak, nach dem Prozess zu den Ansichten des Gerichts über Andruskós Aussage. Auch Staatsanwalt Turan ist davon überzeugt, dass Andruskó ein vertrauenswürdiger Zeuge ist. „Würde man seine Aussagen insgesamt betrachten, hätte man keinen Zweifel daran, dass er in den Kernbereichen die Wahrheit sagt“, so Turan am 3. September.

Das „Paparazzi-Team“

Laut beweisgestützten Zeugenaussagen beim Prozess hatte Kočner ein „Paparazzi-Team“ von Beschattungskommandos zusammengestellt, bestehend aus ehemaligen Polizisten und Geheimagenten, die einige slowakische Journalistinnen und Journalisten beschatten und ihre „schmutzigen Geheimnisse“ aufdecken sollten, um sie unter Druck zu setzen oder gar erpressen zu können.

Tóth sagte aus, dass Kočner ihm erzählt hätte, er würde das Material für seine Online-Show Na pranieri verwenden. Einer der Journalisten auf seiner Liste war Kuciak, der regelmäßig kritische Reportagen über Kočners Geschäfte und seine Verbindungen in die Politik schrieb. Fotos und persönliche Informationen, die das Beschattungsteam zusammengetragen hatte, dienten später den Mördern dazu, Kuciak ausfindig zu machen. Andruskó, Marček und Szabó haben dies vor Gericht bestätigt.

Kočner hatte seinen langjährigen Mitarbeiter Tóth, einen ehemaligen Geheimdienstoffizier, beauftragt, die Journalisten zu beschatten. Es wird gemutmaßt, dass Tóth ihn auch bei der Gründung seiner neuen politischen Partei Ciel (Ziel) unterstützt hat. Vor Gericht beschrieb Tóth, wie er ein Team zur Beschattung Kuciaks zusammenstellte und Kočner mehrere USB-Sticks mit dem Material und den Analysen übergab. Untermauert wurde diese Aussage von einer Nachricht Kočners an Tóth aus dem Oktober 2017, in der er Tóth mit der Beschattung Kuciaks beauftragte: „Ján Kuciak, Veľká Mača 558, Galanta.“ Vor Gericht bestritt Kočner, diese Nachricht geschickt zu haben, obwohl ein polizeiliches Gutachten die Authentizität der Nachricht bestätigte.

Als Kočner im Zusammenhang mit einem anderen Fall verhaftet wurde, soll er Tóth vom Gefängnis aus kontaktiert haben, um Kontakt mit Zsuzsová aufzunehmen, ohne aber ihren richtigen Namen preiszugeben. Obwohl Tóth Zsuzsová zuvor nicht kannte, kam ihm ihr Nachrichtenaustausch mit Kočner verdächtig vor. Als Zsuzsová im Zusammenhang mit dem Mord an Kuciak verhaftet wurde, hörten plötzlich die anonymen Nachrichten an Kočner auf, was Tóth Anlass zu der Vermutung gab, dass sie an dem Mord beteiligt war. Im Januar sagte Tóth vor Gericht aus: „Für mich steht es außer Zweifel, dass diese zwei Personen den Mord an Ján Kuciak organisiert und beauftragt haben.“

Während seiner Aussage sprach Tóth auch über Kočners allgemeine Aversion gegenüber Journalistinnen und Journalisten, insbesondere gegen Kuciak. Tóth sagte weiter aus, Kočner habe ihm während eines Segeltörns in Kroatien anvertraut, dass er mit dem Gedanken spielte, einen Reporter umzubringen. „Er [Kočner] meinte, es würde reichen, einen Journalisten zu beseitigen, danach würden ihn die anderen in Ruhe lassen“, berichtete Tóth dem Gericht und fügte hinzu, dass er Kočner gesagt hatte, das würde nicht funktionieren, weil der Journalist dadurch zum Märtyrer werden würde. „Er antwortete darauf, wenn das nicht helfen sollte, dann würde er eben noch einen umbringen und vielleicht auch noch einen Politiker. Dann würde man ihn aber endlich in Ruhe lassen.“

Für den Senat waren jedoch weder Tóths Aussage noch die Beweise für Kuciaks Beschattung ausreichend. „Ein Gedanke ist noch kein krimineller Akt“, sagte Richterin Sabová und erklärte weiter, dass, obwohl Kočners Aversion gegen Journalistinnen und Journalisten offensichtlich sei, es trotzdem nicht feststehe, dass er auch entsprechend gehandelt habe. Der Senat fand auch, dass es nicht ausreichend Beweise dafür gebe, dass die Mörder die Fotos von Kuciak von Zsuzsová oder Kočner erhalten hätten.

Verschlüsselte Nachrichten

Nachdem Peter Tóth die Handys von Kočner der Polizei übergeben hatte, gelang es Expertinnen und Experten der Polizei und von Europol, einen umfangreichen verschlüsselten Nachrichtenaustausch zwischen Kočner und seinen Kontakten über den inzwischen berüchtigten Messaging-Dienst Threema zu entschlüsseln. Aufgrund der so gewonnenen Informationen wurde bewiesen, dass Kočner in einige Korruptionsfälle verwickelt war, wofür er auch angeklagt wurde, darunter Richterbestechung, um ein günstiges Urteil zu erwirken. Einige der Nachrichten deuteten aber auch auf seine mutmaßliche Beteiligung an dem Mord an Kuciak hin.

Kurz vor dem Mord an Kuciak begannen Kočner und Zsuzsová plötzlich in Geheimcodes miteinander zu kommunizieren: Sie unterhielten sich kryptisch über Zsuzsovás Zahnausfall oder über das eiskalte Wetter. Am 21. Februar 2018, am Abend von Kuciaks Ermordung und Tage bevor die Polizei die Leichen fand, schickte Kočner vier Emoticons an Zsuzsová: die Darstellung der Zahl 50, einen Pfeil mit dem Wort „bald“ und einen Totenkopf (das Symbol für Tod).

Zsuzsová antwortete: „Nein, nicht so viel – wie gesagt, wir verhandeln noch den Preis, bis alle zufrieden sind.“ Dies bestätigt, dass Kočners Nachricht eine Geldsumme enthielt. Laut Anklage betrug der Preis für die Ermordung von Kuciak zunächst 50.000 Euro, wurde aber höher, als der Fall immer mehr öffentliches Interesse weckte.

Kočners und Zsuzsovás Nachrichten via Threema deuten auf ein Treffen der beiden am Tag nach dem Mord, am 22. Februar, hin. Das ergab auch die Auswertung der Lokalisierungsdaten ihrer Handys. Die Anklage ist der Ansicht, Kočner und Zsuzsová hätten sich an dem Tag zwecks Geldübergabe getroffen, da Kočner am selben Tag sein Bankschließfach aufsuchte. Zsuzsová soll sich später mit Andruskó getroffen haben, um ihm das Geld zu übergeben.

Die Richterinnen und Richter aber argumentierten, dass es auch andere Gründe für das Treffen gegeben haben kann und es keinen zwingenden Beweis für eine Geldentnahme durch Kočner aus seinem Bankschließfach gab. Vor Gericht sagte Kočner aus, er sei auf die Bank gegangen, um einen Schuldschein aus seinem Fach zu nehmen. Er weigerte sich aber, auf nähere Details einzugehen.

„Enge Freunde“

Als Alena Zsuzsová verhaftet wurde, stritt Kočner jegliche enge Beziehung zu ihr ab und sagte, dass sie als Dolmetscherin für Italienisch für ihn arbeitete. Diese Aussage konnte durch keinen Beweis bekräftigt werden.

Als aber Zsuzsová vor Gericht über die Art ihrer Beziehung zu Kočner befragt wurde, gab sie an, mit ihm „eng befreundet“ zu sein. Beide, Kočner und Zsuzsová, sagten aus, dass sie sich 2012 kennengelernt hatten und dass der Unternehmer dann beschlossen hatte, Zsuzsová und ihre Tochter zu unterstützen. Laut Anklage und den Aussagen von Kočner und Zsuzsová überwies er monatlich ungefähr 2.000 Euro auf das Konto von Zsuzsovás Tochter. Mit dem Geld wurde ein Luxusauto gekauft. Er bezahlte auch für teure Reisen.

Zusätzlich zu diesem regelmäßigen „Taschengeld“ fand die Polizei bei der Hausdurchsuchung in Alena Zsuszovás Wohnung 23.000 Euro in bar. Sie gab zu, das Geld von Kočner erhalten zu haben. „Es ist ziemlich klar, dass Alena Zsuzsová Marian Kočner bedingungslos verehrt“, gab Tóth vor Gericht zu Protokoll. Nach seiner Aussage hat Kočner Zsuzsová für Sextortion-Zwecke, also zur Erpressung einflussreicher Männer mit kompromittierendem Material, benutzt. Diese Aussage wurde durch eine Reihe von Nachrichten bekräftigt, die Zsuzsová mit einigen hochrangigen Politikern und Staatsanwälten ausgetauscht hatte.

Obwohl der engste Kreis um Kočner, einschließlich Tóth, Zsuzsová bis zu ihrer Verhaftung im Zusammenhang mit dem Mord nicht kannte, hatte Kočner den Beweisen zufolge in den Monaten vor ihrer beider Verhaftung Tausende von Nachrichten mit ihr ausgetauscht. Kočner erklärte das vor Gericht damit, dass Zsuzsová ihm dabei geholfen habe, Unterschriften für seine neue politische Partei zu sammeln und dass dies das Thema ihrer Korrespondenz gewesen sei. Aber während ihre Nachrichten über die Unterschriftensammlung transparent und logisch nachvollziehbar waren, erklärte Kočners Aussage nicht, warum einige Nachrichten codiert waren. Die Anklage folgerte daraus, dass es in diesen Nachrichten um die Mordplanung ging. Im Urteil aber erklärte Richterin Sabová: „Die Nachrichten stehen nicht explizit im Zusammenhang mit dem Mord, sie enthalten nur einige Symbole.“

Motiv und Gelegenheit

Die Staatsanwaltschaft und die Anwälte der Familien der Opfer sind überzeugt, dass dem Gericht ein vielschichtiges Netz aus stichhaltigen Beweisen vorgelegt wurde, die eindeutig darauf hinweisen, dass Zsuzsová und Kočner den Mord an Kuciak in Auftrag gegeben hatten. „Ich bin überzeugt, dass die Anklage ein sicheres, unbestreitbares und logisches Gefüge aus indirekten Beweisen vorgelegt hat, das ausgereicht hätte, die Angeklagten zu überführen“, erklärte Daniel Lipšic, der Anwalt der Familie Kuciak, nach dem Urteil.

Zentral in diesem Gefüge aus Beweisen ist für die Anklage Kočners eindeutiges Motiv, Kuciak zu beseitigen. „Ján stellte eine Gefahr sowohl für seine [Kočners] Straflosigkeit als auch für sein Unternehmen und Eigentum dar“, sagte Marek Vagovič, Kuciaks Vorgesetzter beim Nachrichtenportal Aktuality.sk, im Februar vor Gericht aus. „Ich komme auf ca. 100 Millionen Euro, die Ján Kuciak bei [möglicherweise betrügerischen] Geschäften Kočners aufgedeckt und über die er geschrieben hat.“

Im Sommer 2017 kam es bei einer Pressekonferenz zu einem heftigen Wortgefecht zwischen Kočner und Ján Kuciak, nachdem der Journalist ihn mit Fragen über seine dubiosen Immobiliengeschäfte im Skiort Donovaly konfrontiert hatte. Im September 2017 bedrohte Kočner den Journalisten am Telefon. Das Gespräch wurde später auf Aktuality.sk veröffentlicht und stellt die Argumentation des Gerichts infrage, das der Meinung ist, Kočners Hass auf Journalistinnen und Journalisten könne nicht als Straftat betrachtet werden, da es sich dabei um ein Gefühl handelt und er nie entsprechend tätig geworden sei. Auf Drängen seines Chefs und seiner Kollegenschaft hat Kuciak die Drohung bei der Generalstaatsanwaltschaft und der slowakischen Polizei angezeigt, die zuständigen Behörden verfolgten aber die Beschwerde nicht weiter und befragten Kočner nicht einmal dazu.

Foto: © Radovan Stoklasa / Reuters / picturedesk.com

Der slowakische Unternehmer Marian Kočner wartet nach seinem Freispruch darauf, aus dem Gericht eskortiert zu werden. Der Prozess fand in der Polizeiakademie in Pezinok (Slowakei) statt. Foto: © Radovan Stoklasa / Reuters / picturedesk.com

„Das Gericht ist überzeugt, dass der Journalist Ján Kuciak dem Angeklagten Kočner Kopfzerbrechen bereitete, besonders zu dem Zeitpunkt, als Letzterer in die Politik einsteigen wollte“, sagt Richterin Sabová in ihrer Urteilsverkündung. „Die Beweise bestätigen, dass Journalisten Kočner irritierten … [aber] wir können niemanden nur aufgrund eines Motivs verurteilen.“

Neue Fragen, alte Probleme

Nach den Freisprüchen und dem Prozess bleiben viele Fragen unbeantwortet und die Unzufriedenheit in der Gesellschaft nimmt zu. Wenn Kočner und Zsuzsová unschuldig sind, wie es das Urteil nahelegt, wer hat dann den Mord an Kuciak in Auftrag gegeben? Und wer außer Kočner hatte ein derart starkes Motiv, Kuciaks Tod zu wollen? Warum hat Kočner Kuciak direkt gedroht, wenn er ihm nichts antun wollte?

Unmittelbar nach dem Urteil veröffentlichte Dennik N Informationen aus anonymer Quelle, wonach die drei Mitglieder des Senats sich über das Urteil nicht einig waren. (Der ursprünglich geplante Termin für den Urteilsspruch betreffend Kočner, Zsuzsová und Szabó war der 5. August, wurde aber plötzlich einen Tag vor der Verhandlung auf den 3. September verschoben.) Nach Tagen der Medienspekulationen über die Stimmung im Senat und darüber, ob es am Sondergericht überhaupt Einigkeit gibt, veröffentlichte Richterin Sabová, die Vorsitzende des Senats, eine Stellungnahme, in der sie alle Berichte über Uneinigkeit bezüglich des Urteils dementierte.

„Ich glaube nicht, dass es hier fragwürdige Motive gegeben hat oder unrechtmäßige Druckausübung oder Korruption im Gericht“, so Grigorij Mesežnikov, politischer Analyst am Institut für Öffentliche Angelegenheiten in Bratislava, gegenüber BIRN. „Ich denke viel eher, dass sie [bei der Frage nach Schuld oder Unschuld] einfach streng nach ihren Regeln entschieden haben.“ Er fügt hinzu, dass das Urteil keine schändliche Absicht darstellt, sondern vielmehr auf ein schwerwiegendes, symptomatisches Problem im slowakischen Rechtssystem hinweist: „Das Beharren auf irgendwelchen starren internen Regeln war hier wichtiger, als Gerechtigkeit walten zu lassen.“

Das überraschende Urteil hat nicht gerade dazu beigetragen, das öffentliche Vertrauen in das Rechtssystem des Landes zu fördern – und das zu einer Zeit, in der das Vertrauen in das System nach einer Reihe von Skandalen einen Tiefststand erreicht hat. „Das sind Fälle, bei denen sich die Macht der Justiz, die Macht der Gerichte offenbaren sollte“, meinte Zlatica Kušnírová, die Mutter von Kuciaks ermordeter Verlobten Martina, nach dem Urteil. „Ich finde, das war sehr ungerecht. Es war unfair gegenüber uns, gegenüber den Leuten, die auf die Straße gingen, gegenüber der anständigen Gesellschaft und gegenüber der Rechtsstaatlichkeit.”

Im März leiteten die slowakischen Behörden weitreichende Ermittlungen zu Korruption an den Gerichten in Zusammenhang mit Kočner ein. Die Polizei nahm 13 Richterinnen und Richter fest, darunter die ehemalige Justizstaatssekretärin Monika Jankovská, die für die SMER-SD-Partei kandidiert hatte. Und im September verhaftete die Polizei in Zusammenhang mit einem anderen Korruptionsfall weitere drei Richterinnen und Richter in Žilina.

Der politische Analyst Mesežnikov ist vom Symbolcharakter des Falls Kuciak und von seiner enormen Bedeutung für die Slowakei überzeugt. So gesehen hat das Land eine Riesenchance verstreichen lassen. „Das trägt definitiv nicht dazu bei, die Glaubwürdigkeit des slowakischen Rechtssystems zu untermauern“, so Mesežnikov in einem Interview mit BIRN. „Ich finde, der Fall war ein Justizfehler … und er hat einen großen Einfluss auf das öffentliche Vertrauen, selbst wenn es ein Einzelfall war.“

Original auf Englisch. Erstmals publiziert am 16 September 2020 auf Reportingdemocracy.org, einer journalistischen Plattform des Balkan Investigative Reporting Network.
Aus dem Englischen von Mandana Taban.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt: © Miroslava German Širotníková. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Marian Kočner (R) und Alena Zsuzsová (L) wurden für nicht schuldig befunden, den Mord an dem investigativen Journalisten Ján Kuciak (M) geplant und bezahlt zu haben. Illustration: © BIRN

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