Was ist da los?
Ist Lehre immer politisch? Hedvig Turai und Michaela Handke berichten vom Fall der CEU in Budapest und von einer Debatte in London.
Im Juli dieses Jahres waren die PATTERNS Lectures Teil der achten ELIA Academy, die auf dem inspirierenden Campus des Central Saint Martins College der Londoner Universität der Künste stattfand. Die Hochschule ist kürzlich in einen renovierten Getreidespeicher in King’s Cross, nahe dem bekannten internationalen Bahnhof London St. Pancras, übersiedelt.
Die gesamte Gegend rund um diesen viktorianischen Bahnhof wurde generalsaniert – aus einem einstigen „zwielichtigen“ Viertel entstand ein Zentrum für Kunst und Kultur, mit schicken Bars, Cafés und Restaurants und den Firmensitzen großer Unternehmen wie etwa Google. Inmitten des noch laufenden Entwicklungsprojekts war die Kernfrage der Veranstaltung What’s going on here? Exploring Elasticity in Teaching and Learning in the Arts vor dem Hintergrund kleinerer und größerer Baustellen als Sinnbild für eine im Umbruch befindliche Landschaft gut positioniert.
Konferenz: 24. – 25. November 2017, Wien
Konferenz:
Is teaching always political?
New challenges in higher education.
24. – 25. November 2017, Wien
8. ELIA Academy
8. ELIA Academy, 5.-7. Juli 2017
What’s going on here? Exploring Elasticity in Teaching and Learning in the Arts.
Für PATTERNS Lectures bei der 8. ELIA Academy in London: Hedvig Turai, Elke Krasny, Boris Buden, Andrea Braidt (PATTERNS Lectures Advisors), Christiane Erharter/ERSTE Stiftung und Michaela Handke/WUS Austria (PATTERNS Lectures Team)
Neugier, Hybridität, Forschung und gesellschaftlicher Wandel
Unsere eigene Frage „Ist Lehre immer politisch?“ floss in eine Reihe von Diskussionsrunden ein, die sich mit „gesellschaftlichem Wandel“ befassten. Wir diskutierten darüber mit einem breiten Publikum, das nach kontroversen Antworten in einem Umfeld suchte, in dem es nur ein Richtig oder Falsch zu geben schien – für Toleranz und Diversität und gegen Diskriminierung und Vorurteile.
Die Diskussionen waren in eine Reihe von vier Beiträgen eingebettet, die Fälle aus verschiedenen Kontexten und Ländern vorstellten, darunter auch die gegenwärtige Situation in Ungarn und die Central European University in Budapest, die in der jüngeren Vergangenheit zum Gegenstand der Politik wurde. Haben wir Inseln der Toleranz geschaffen, die keine Verbindung zur nicht-liberalen Welt haben? Und, so fragten wir uns, wie können wir die Kluft zwischen Universität und Außenwelt schließen?
Sollten Hochschulen ein sicherer Ort sein?
Die Situation in Ungarn
Im Zuge der politischen Umwälzungen 1989 wurde auch das Bildungswesen reformiert und die Freiheit hielt auf allen Ebenen der Bildung Einzug. Nach 40 Jahren staatlich kontrollierter Bildung wurde die akademische Freiheit begeistert aufgenommen. In Ungarn gab es sehr wenige private Universitäten. Nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch der sozialistischen Regime bedeutete Freiheit in der Bildung in erster Linie die Freiheit, die für den Unterricht vorgesehenen Bücher und Materialien auswählen zu können; neue Bücher wurden geschrieben, der Lehrstoff konnte frei gewählt werden. Insbesondere Tabus rund um die Revolution von 1956 oder die sowjetische Besatzung wurden gebrochen. Innerhalb weniger Jahre wurden private Universitäten gegründet, darunter 1991 die Zentraleuropäische Universität (Central European University/CEU). Es waren also nicht nur die allgemeinen Rahmenbedingungen der akademischen Freiheit, sondern auch die Entstehung privater Hochschulen in Ungarn „politisch“ bzw. gingen einher mit der Euphorie der politischen Wende nach dem Sozialismus. Nun wird es rund um die CEU erneut politisch.
“Nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch der sozialistischen Regime bedeutete Freiheit in der Bildung in erster Linie die Freiheit, die für den Unterricht vorgesehenen Bücher und Materialien auswählen zu können.”
Die CEU ist eine Privatuniversität und wurde auf Initiative des ungarisch-stämmigen U.S.-amerikanischen Geschäftsmanns und Millionärs George Soros gegründet. Sie ist zweifelsfrei Ungarns beste Universität. Sie besitzt eine doppelte Rechtspersönlichkeit und ist von der Middle States Commission on Higher Education sowohl in den USA als auch in Ungarn akkreditiert. Da sie auf einer Stiftung beruht, haben Marktveränderungen oder Staatsfinanzen praktisch keinen Einfluss auf ihren seit 25 Jahren erfolgreich laufenden Betrieb. Zahlreiche herausragende Intellektuelle lehren an der CEU; zudem schafft sie viele Arbeitsplätze und zahlt ihre Steuern in Ungarn.
Ende 2016 begann Premierminister Viktor Orbán in Interviews davon zu sprechen, dass 2017 ein Jahr der Revolten werden würde: Revolten gegen die politische Korrektheit, Revolten gegen Brüssel; zwei Arten von Revolten, eine Revolte der Mittelschicht und eine Revolte der Nationen. Die Nationalstaaten hätten genug davon, Befehle aus Brüssel entgegenzunehmen. Er erklärte auch, dass das Jahr 2017 ein „Soros-Jahr“ werden würde. Damit meinte er weniger ein Jahr für Soros, als eher ein Jahr, in dem es um Soros gehen werde. Orbán versprach, das, wofür Soros steht, zum Thema zu machen, insbesondere seine Ansichten über Zuwanderung und Migration. Orbán bezichtigt Soros einer Art Verschwörung – angeblich will Soros, dass sich Migranten in Ungarn niederlassen. Es sei hier darauf hingewiesen, dass Soros nicht nur die CEU, sondern auch die Open Society Foundations zur Unterstützung von NGOs gegründet hat. Bildung, Migrationskrise und das Thema NGOs wurden so mit einer Person – George Soros – verknüpft. Staatsvertreter bezeichnen die CEU in Interviews immer und immer wieder als „Soros-Universität“. Soros wurde zum Symbol für alles, was die Regierung ablehnte. Man führte eine Plakatkampagne gegen ihn, in der Soros als Figur des Bösen verkörpert wurde und die, wie man leider hinzufügen muss, schmerzliche Erinnerungen an die antisemitischen rhetorischen Strategien und die Bildsprache antisemitischen Bildmaterials der 1930er-Jahre wachrief.
Chronologie der Ereignisse
Ende März reichte der Minister für Humanressourcen im Parlament einen Gesetzesänderungsvorschlag zur Einführung eines neuen Hochschulgesetzes ein. Nachdem die Regierungspartei die Mehrheit im Parlament innehat, stand die Annahme des Vorschlags außer Frage. Am 4. April war das Gesetz bereits verabschiedet, und am 10. April wurde es vom Präsidenten unterzeichnet. Die zwei zentralen Elemente des Gesetzes, das Anforderungen festlegt, die nur die CEU betreffen (und das viele Rechtsexperten daher als diskriminierend erachten), sind 1. Die Forderung nach einem bilateralen Vertrag über den Betrieb der Universität zwischen den beiden Regierungen auf nationaler Ebene, 2. Die Forderung nach einem Campus in den USA, da ein alleiniger CEU-Sitz in Budapest dem Gesetz nach nicht ausreiche. Die erste Forderung ist nicht erfüllbar, weil die Hochschulbildung in den USA nicht auf föderaler, sondern auf „bundesstaatlicher“ Ebene (Bundesstaaten wie Massachusetts, Kalifornien etc.) organisiert ist; es gibt kein „nationales“ Hochschulsystem. Die zweite Forderung scheint ungerechtfertigt und unnötig, als ob sie nur deshalb formuliert wurde, um der Regierung eine Grundlage zu geben, „rechtmäßig“ gegen die CEU vorzugehen.
Währenddessen
Die größten Demonstrationen, die in den letzten Jahren in Budapest stattfanden, forderten zunächst ein Veto gegen dieses Gesetz; weitere Proteste gegen diese Gesetzgebung nahmen schließlich sogar internationale Ausmaße an. Es war sehr deutlich zu spüren, dass es um weit mehr ging als die Schließung einer Universität, was an sich unsinnig und untragbar war; hier ging es nicht nur um die ungarische Hochschulbildung, sondern um Politik im weitesten Sinn.
Akademische Freiheit
Vor diesem Hintergrund wird die Abhaltung von Lehrveranstaltungen erneut zu einer politischen Angelegenheit. Man könnte meinen, dass die Lehre an einer privaten Hochschule, einer finanziell unabhängigen Institution, heute freier sei als an einer staatlichen Einrichtung. Natürlich gibt es da einen Unterschied. Gleichzeitig scheint es, dass es mit finanzieller Unabhängigkeit nicht getan sei. Wenn eine existenzielle Bedrohung für ProfessorInnen besteht, so wirft das einen Schatten sowohl auf die Lehre als auch auf andere Aktivitäten, die an Hochschuleinrichtungen stattfinden.
Wie sieht politischer Unterricht aus?
In Ungarn lässt es sich schwer vermeiden, politisch zu sein. Die Frage müsste eher lauten: Wie kann man nicht politisch sein? Ein Beispiel: Nach vielen Jahren scheint an der Eötvös-Loránd-Universität eine Fakultät für Gender Studies errichtet zu werden. Gender zu lehren ist politisch, wie sich am Widerstand gegen diese Ankündigung seitens vieler, nicht nur aus offiziellen Kreisen, deutlich erkennen lässt. Der Minister für Humanressourcen begann davon zu sprechen, als Gegengewicht für die Gender-Fakultät eine Fakultät für sogenannte Familienstudien an einer anderen Universität einzurichten, als ob eine Fakultät, die sich der Genderforschung widmet, Familien und Familienwerte zerstören könnte. Und so wird das Lehren von Gender zu einem politischen Statement.
Fazit
Auch wenn die Demonstrationen und Proteste nachgelassen haben, … nun, ehrlich gesagt, es gibt keine. Auf den Straßen Budapests sind derzeit keine Menschenansammlungen zu sehen, es ist still um die CEU geworden, und nichts ist in puncto Diskussionen oder Regierungsabkommen wirklich passiert. Oder vielleicht weiß die Öffentlichkeit einfach gar nichts davon, da sich die ungarischen Medien fest in den Händen der Regierung befinden. Wir wissen daher noch immer nicht, wie diese Sache ausgeht, ob die CEU in Ungarn bleiben darf oder verbannt wird. Es wäre ein großer intellektueller Verlust und ein alarmierendes Zeichen der künftigen Politik.
Jüngste Entwicklungen
Nach Fertigstellung dieses Artikels unternahm die CEU Schritte, um dem neuen Gesetz zu entsprechen. Sie unterzeichnete zusammen mit dem Bard College im Staat New York ein Memorandum of Understanding, um gemeinsam Bildung in den Vereinigten Staaten anzubieten. Statt jedoch die ausgehandelte Vereinbarung zu unterzeichnen, verlängerte die ungarische Regierung die gesetzlichen Fristen um ein Jahr. Dies hat es der CEU ermöglicht, mit der Zulassung von Studierenden für das kommende akademische Jahr zu beginnen, aber es hat auch die Monate der Unsicherheit verlängert. Zu diesem Zeitpunkt ersucht die CEU weiterhin dringend die Regierung, das Abkommen zu unterzeichnen.
Weiterführende Informationen:
https://www.ceu.edu/article/2017-10-13/ceu-response-justice-ministers-statement
https://www.ceu.edu/article/2017-10-17/ceu-complies-lex-ceu