Die bevorstehenden EU-Wahlen gelten als Stresstest für die Rolle, die Kroatien als zuletzt beigetretener Mitgliedsstaat in der EU einnimmt. Das Land trat 2013 der Europäischen Union bei, an den Europawahlen 2014 beteiligten sich aber nur ein Viertel aller Wahlberechtigten Kroatiens. Und das, obwohl es zwischen kroatischen und europäischen Überlegungen bei den Themen Migration und Arbeit sehr wohl Überschneidungen gibt.
Kroatien: von der Sozialdemokratie zum rechten Rand
Die Ergebnisse der EU-Wahlen 2014 in Kroatien waren etwas überraschend: Die rechtskonservative Kroatische Demokratische Union (HDZ) gewann 41,42 % der Stimmen und sechs Sitze (fünf in der EVP und einen in der EKR). Die in der Mitte-links verortete Sozialdemokratische Partei Kroatiens (SDP) gewann 29,93 % und vier Sitze (zwei in der S&D und zwei in der ALDE). Und die grünliberale ORaH erzielte mit 9,42 % der Stimmen einen Sitz (bei den Grünen/EFA).
Dieses Ergebnis war insofern überraschend, als die SDP bis dahin die stärkste Partei im kroatischen Parlament gewesen war, sie führte die Koalitionsregierung von 2011 bis 2015 an. Nachdem sie jedoch in den Europawahlen hinter die HDZ gefallen war, verlor die SDP bei den Parlamentswahlen 2015 und auch den erneut abgehaltenen Wahlen zum Sabor 2016 wieder gegen die HDZ, obwohl die HDZ in einen Korruptionsskandal mit ihrem damaligen Vizepremier verwickelt war. Die Gruppe der derzeitigen Europaabgeordneten kann daher als getreues Spiegelbild der politischen Lage Kroatiens bezeichnet werden.
Über den eigenen Tellerrand hinaus
Einen wichtigen Punkt muss man beachten, bevor man zu beurteilen versucht, wie hoch das Interesse der Kroatinnen und Kroaten an den EU-Wahlen ist: Kroatien stellt kein Mitglied in den wichtigsten ständigen Ausschüssen des Europäischen Parlaments, wie z. B. dem Haushaltsausschuss oder jenen, die sich den für das Land so wichtigen Wirtschaftszweigen wie dem Tourismus widmen. Hierin liegt vermutlich auch der Grund für die niedrige Wahlbeteiligung in Kroatien im Jahr 2014, als gerade einmal 25,24 % aller Wahlberechtigten (950.980 Bürgerinnen und Bürger) zu den Urnen schritten – deutlich weniger als bei den letzten Parlamentswahlen (61,77 % im Jahr 2011, 61,5 % im Jahr 2015 und 52,59 % im Jahr 2016). Man kann daher wohl davon ausgehen, dass das mangelnde Bewusstsein der Kroatinnen und Kroaten für die Bedeutung des Europäischen Parlaments daher rührt, dass ihr eigenes Land in der EU nur eine Randposition einnimmt.
Die EU-Wahlen 2019 finden in Kroatien vor dem Hintergrund der bevorstehenden Parlamentswahlen im eigenen Land statt, die noch vor dem Ende des Jahres 2020 über die Bühne gehen sollen. Viele wichtige Bereiche überschneiden sich auf europäischer und kroatischer Ebene, darunter Migration und Arbeit. Es wird interessant zu beobachten sein, ob sich der wachsende politische Unmut im eigenen Land in den Ergebnissen der Europawahlen widerspiegeln wird, quasi als Vorgeschmack auf zukünftige Wahlergebnisse in Kroatien. Oder ob die Bevölkerung eine neue „dritte Option“ unterstützt, die sich allerdings vor den kroatischen Wahlen erst noch auftun müsste.
Original auf Englisch. Erstmals publiziert am 29. April 2019 auf Eurozine.
Aus dem Englischen von Margit Hengsberger.
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt: © Ivana Dražić / Eurozine. Bei Interesse an Wiederveröffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Warschau, Polen. Foto: © iStock / Dreamer4787
Mood of the Union
Die Serie Mood of the Union sammelt Artikel zur Wahl zum Europäischen Parlament aus allen 28 EU-Mitgliedstaaten. Die Serie wird von der ERSTE Foundation und dem National Endowment for Democracy unterstützt.
In der Serie The Mood of the Union berichten Redakteure des Magazins Eurozine über die Lage in der gesamten Europäischen Union und diskutieren mit Journalisten und Analysten die Einstellungen zu den EU-Wahlen und über das, was auf nationaler Ebene auf dem Spiel steht. Ziel der Serie ist es, über die Berichterstattung nationaler Medien hinaus, einen detaillierteren Einblick in die Stimmung vor Ort zu liefern. Die Serie wird von Agnieszka Rosner kuratiert und vom mitwirkenden Redakteur Ben Tendler editiert.