{"id":9073,"date":"2023-01-26T18:32:52","date_gmt":"2023-01-26T18:32:52","guid":{"rendered":"https:\/\/tippingpoint.net\/?p=9073"},"modified":"2023-07-06T13:41:08","modified_gmt":"2023-07-06T13:41:08","slug":"ohne-westliche-hilfe-waere-die-ukraine-nicht-lebensfaehig","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/ohne-westliche-hilfe-waere-die-ukraine-nicht-lebensfaehig\/","title":{"rendered":"“Ohne westliche Hilfe w\u00e4re die Ukraine nicht lebensf\u00e4hig.”"},"content":{"rendered":"\n\n\t\n\t\t\t
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\n\tAllein \u00fcber Panzerlieferungen zu diskutieren reicht nicht. Wer will, dass die Ukraine weiterk\u00e4mpft, m\u00fcsse das Land wirtschaftlich und sozial stabilisieren, sagt Adam Tooze. Dabei scheut der Westen den ukrainischen Staat.<\/strong><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tMit dem Beginn des russischen \u00dcberfalls auf die Ukraine steht auch ein Teil der Wirtschaftswelt Kopf. Europa ordnet seinen Energiemarkt neu, Russland muss mit beispiellosen Sanktionen umgehen. Die Ukraine beklagt nicht nur viele Opfer, sondern auch eine beispiellose Zerst\u00f6rung der Wirtschaft des Landes.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tSie haben zu Beginn des Krieges gesagt, der wirtschaftliche Abl\u00f6sungsprozess Europas von Russland werde f\u00fcr beide Seiten schmerzlich. Fast ein Jahr sp\u00e4ter ist die Abl\u00f6sung weit vorangeschritten. Gibt es f\u00fcr Sie dabei gro\u00dfe \u00dcberraschungen?<\/strong><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDer Erfolg, mit dem Europa auf dem Markt f\u00fcr fl\u00fcssiges Erdgas (LNG) vorgeprescht ist. Europa hatte nat\u00fcrlich ein Riesengl\u00fcck, weil China als gro\u00dfer LNG-Importeur durch die Zero-Covid-Politik 2022 ausgefallen ist und das Wetter mild war. Aber in einer sehr kurzen Zeit ist es insbesondere Deutschland gelungen, den Gaskonsum zu drosseln und neue Importquellen zu finden. Das ist in gewisser Weise eine Best\u00e4tigung der Grundthese, dass Preis\u00e4nderungen etwas bewirken k\u00f6nnen. Die Krise ist aber nicht vorbei. Das zu denken w\u00e4re sehr gef\u00e4hrlich.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tWarum?<\/strong><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDie Turbulenzen an den Energiem\u00e4rkten haben nicht mit dem Krieg angefangen. Die Energiepreise sind inzwischen wieder auf das Niveau von 2021 gesunken, aber schon damals lagen sie zwei- bis dreifach \u00fcber dem Niveau der vergangenen zehn Jahre. Das hei\u00dft, wir sind immer noch in einer Ausnahmesituation. Dass die Preise schon 2021 hochgeschossen sind, hatte prim\u00e4r nichts mit irgendeiner russischen Strategie zu tun.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tSondern?<\/strong><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tEs lag am Gasmarkt. Die Nachfrage war hoch, China hat viel aufgekauft, w\u00e4hrend die Mengen am LNG-Markt gering waren. 2022 hat Europa vor allem die Schwellenl\u00e4nder Asiens vom Markt vertrieben, die gar nicht mehr zu ihren LNG-Lieferungen kamen. Wenn aber in den kommenden Monaten nicht Bangladesch, Pakistan und Indien mit Europa um das vorhandene LNG konkurrieren, also L\u00e4nder, die finanziell nicht mithalten k\u00f6nnen, sondern China, Japan und S\u00fcdkorea, dann kann es mit der Entspannung schnell vorbei sein. Man muss sich immer wieder vergegenw\u00e4rtigen: Der LNG-Markt ist ein asiatischer Markt, f\u00fcr ostasiatische Kunden geschaffen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tIst neben Europa nicht auch Russland \u00fcberraschend gut durch die Krise gekommen? Obwohl der Westen gewaltige russische Verm\u00f6genswerte eingefroren und umfassende Sanktionen beschlossen hat.<\/strong><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDass der Westen zu diesen scharfen Sanktionen gegriffen hat, war die gr\u00f6\u00dfere \u00dcberraschung. Dass Russland weiterhin funktionieren kann, solange es \u00d6l in gro\u00dfen Mengen und sogar zu h\u00f6heren Preisen als vor der Krise ins Ausland verkauft, ist nicht weiter erstaunlich. Ziel der Finanzsanktionen war es, eine Krise auszul\u00f6sen. Das ist auch gelungen, die Finanzm\u00e4rkte in Russland waren zun\u00e4chst stark unter Druck. Aber bei kompetentem Management \u2013 und die Russen sind da \u00e4u\u00dferst kompetent \u2013 waren diese Probleme bew\u00e4ltigbar. Russlands Finanzsystem musste von jenem des Westens abgekoppelt werden. Und das haben sie hinbekommen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tSie argumentieren in Ihrem BuchWages of Destruction: The Making and Breaking of the Nazi Economy<\/em>, Penguin, London\/New York 2006; deutsch: \u00d6konomie der Zerst\u00f6rung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus<\/em>. Aus dem Englischen von Yvonne Badal. Siedler Verlag, M\u00fcnchen 2007. <\/sup> \u00fcber den Zweiten Weltkrieg, dass das NS-Regime deshalb unterlegen war, weil Deutschland \u00f6konomisch nicht mit den Alliierten mithalten konnte. Spielt dieser Faktor auch eine Rolle im aktuellen Konflikt? Russlands Wirtschaft ist winzig im Vergleich zu jener des Westens.<\/strong><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tVergleiche der Kapazit\u00e4ten einzelner L\u00e4nder machen dann Sinn, wenn die Staaten einen totalen Krieg gegeneinander f\u00fchren. Dann h\u00e4ngt tats\u00e4chlich alles davon ab, wer die gr\u00f6\u00dferen Kapazit\u00e4ten hat. Das einzige Land, das aktuell eine totale Kriegswirtschaft betreibt, weil es gar keine Alternative hat, ist die Ukraine. Sie leidet unter der Situation, die Lage ist wirtschaftlich und gesellschaftlich bedr\u00e4ngend. Ohne westliche Hilfe w\u00e4re das Land nicht lebensf\u00e4hig. Die \u00fcbrigen Staaten unternehmen keine totalen Kriegsanstrengungen, selbst Russland nicht.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tWas bereitet Ihnen bez\u00fcglich der Ukraine die meisten Sorgen?<\/strong><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDie Inflationsrate ist be\u00e4ngstigend, die Finanzierung des Krieges ist nicht stabil gesichert. Die Europ\u00e4er und Amerikaner haben sich zwar zur finanziellen Unterst\u00fctzung verpflichtet. Die Ukrainer m\u00fcssen aber von Monat zu Monat bangen, was sie bekommen. Wenn man wirklich an der Fortf\u00fchrung dieses Krieges von der ukrainischen Seite her interessiert ist, dann sollte man sich \u00fcber die Frage “Panzer liefern: ja oder nein?” hinaus intensiver damit besch\u00e4ftigen, wie sich die ukrainische Heimatfront stabilisieren l\u00e4sst. Das beginnt bei Stromlieferungen, geht aber weiter. Das Problem dabei ist, dass hier die Schwachstelle der Ukraine liegt. Wenn es um die langfristige Finanzierung des Staates geht, stellen sich schnell Fragen nach der Rolle der Oligarchen in Kyjiw und nach der Korruption dort.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tEin Hauch Normalit\u00e4t: ein Kaffee-Kiosk in der ukrainischen Stadt Lwiw. Ein Generator sorgt f\u00fcr Strom. Russland greift die Energieinfrastruktur der Ukraine laufend an.Foto: Yuriy Dyachyshyn \/ AFP \/ picturedesk.com<\/p>\t<\/figcaption>\n<\/figure>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tAktuell wird das nicht diskutiert.<\/strong><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tAll das ist ja durch den heroischen Widerstand der Ukrainer verdr\u00e4ngt worden. Aber noch vor zw\u00f6lf Monaten war die weitl\u00e4ufige Ansicht in den Hauptst\u00e4dten Europas und in Amerika, dass die Ukraine im Grunde ein gescheitertes politisches Projekt ist, jedenfalls von wirtschaftlicher Seite. Wenn man sich Medienberichte Ende 2021 zum Besuch von Pr\u00e4sident Wolodymyr Selenskyj in Washington beim Internationalen W\u00e4hrungsfonds ansieht, wirkt der kritische Ton von damals heute fast anst\u00f6\u00dfig.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tGibt es dazu in der Ukraine selbst eine kritische Debatte?<\/strong><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tJa. Es gibt eine ukrainische Linke, die wenig beachtet wird im Westen. Sie warnt vor der Richtung, in der sich die aktuelle Wirtschafts- und die Gesellschaftspolitik in der Ukraine entwickeln.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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