{"id":8756,"date":"2023-01-12T12:21:15","date_gmt":"2023-01-12T12:21:15","guid":{"rendered":"https:\/\/tippingpoint.net\/?p=8756"},"modified":"2023-01-12T16:08:57","modified_gmt":"2023-01-12T16:08:57","slug":"weder-drinnen-noch-draussen","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/weder-drinnen-noch-draussen\/","title":{"rendered":"Weder drinnen noch drau\u00dfen"},"content":{"rendered":"\n\n\t\n\t\t\t
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\n\tWie kam es, dass die \u201eLGBT-freien Zonen\u201c zu den herausragenden Symbolen der homophoben Wende in Polen wurden? Die Geschichte eines Kulturkampf-Slogans, der zum Mainstream wurde.<\/strong><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tWenn Polens \u201eLGBT-freie Zonen\u201c ein Land bilden w\u00fcrden, w\u00e4re Lublin ein hei\u00dfer Anw\u00e4rter auf die Hauptstadt. Die 150 Kilometer von Warschau entfernte Bezirksstadt ist das Epizentrum einer quer durch die Kommunalregierungen im S\u00fcdosten Polens verlaufenden Entwicklung, aus der die Zonen entstanden sind. Im M\u00e4rz 2019 wurde in einer Kleinstadt au\u00dferhalb von Lublin erstmals eine \u2013 offenkundig gegen die \u201eLGBT-Ideologie\u201c gerichtete \u2013 Resolution verabschiedet, die schlie\u00dflich zur Grundlage der Zonen werden sollte.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tHinweis: Der Text wurde im Rahmen des Fellowship for Journalistic Excellence<\/a> im April 2021 ver\u00f6ffentlicht. Obwohl der Zeitpunkt der Recherche bereits l\u00e4nger zur\u00fcck liegt, sind wir immer noch von der Aktualit\u00e4t des Artikels und des Themas \u00fcberzeugt. Deshalb haben wir uns entschieden, diesen Text in unserem Magazin zu ver\u00f6ffentlichen. An bestimmten Stellen haben wir Daten und Zeitr\u00e4ume angepasst, um die recherchierten Informationen unmissverst\u00e4ndlich darzustellen. Der Kern des Artikels blieb unangetastet, wurde nicht editiert und basiert auf der Originalversion.<\/em><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tIm April 2019 verabschiedete die Regierung des umliegenden Verwaltungsbezirks (Woiwodschaft), der ebenfalls Lublin hei\u00dft, eine \u00e4hnliche Resolution. Die Stadt Lublin ist die Hauptstadt des Bezirks, und wie jede anst\u00e4ndige Hauptstadt unterscheidet sie sich von der Region, die sie repr\u00e4sentiert. \u201eLGBT-freie Zonen? Dieser Schwachsinn interessiert mich nicht\u201c, meinte Milosz Zawistowski, ein dort ans\u00e4ssiger K\u00fcnstler und Teilzeit-Barkeeper. \u201eDie Stadt Lublin hat mit dem Bezirk Lublin so viel gemein wie Moskau mit dem Rest Russlands. Hier spielt es keine Rolle, ob man schwul ist.\u201c<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tLublin war der erste von f\u00fcnf Bezirken, die die Kriterien f\u00fcr eine \u201eLGBT-freie Zone\u201c erf\u00fcllten. Sie alle befinden sich im relativ unterentwickelten S\u00fcdosten Polens, der Hochburg der regierenden nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Die Entstehung dieser Zonen, die etwa ein Drittel des Landes ausmachen, fiel zeitlich mit der zunehmend homophoben Rhetorik der PiS-Partei zusammen, die damit ihre W\u00e4hlerschaft zu mobilisieren trachtete. In den vergangenen zwei Jahren [2019-2021, Anm. d. Red.] gewann die Partei hart umk\u00e4mpfte Parlaments- und Pr\u00e4sidentschaftswahlen mit Kampagnen, in denen Homosexuelle als P\u00e4dophile und LGBT-Rechte als eine fremdartige, die Familie, Gesellschaft und den katholischen Glauben bedrohende Ideologie dargestellt wurden.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tVor dem Hintergrund dieser Rhetorik erlangten die \u201eLGBT-freien Zonen\u201c internationale Bekanntheit. Nicht nur in Br\u00fcssel gelten sie als besorgniserregendes Zeichen f\u00fcr Polens Abrutschen in den Illiberalismus \u2013 der ultimative territoriale Ausdruck staatlich gef\u00f6rderter Homophobie. EU-Kommissionspr\u00e4sidentin Ursula von der Leyen sprach von \u201emenschlichkeitsfreien Zonen\u201c und Joe Biden griff ihre Kommentare w\u00e4hrend seiner Kandidatur zum US-Pr\u00e4sidenten in seinen Tweets beipflichtend auf. Auch das Europ\u00e4ische Parlament verurteilte die Zonen, zuletzt am 11. M\u00e4rz [2021, Anm.] mit der Verabschiedung einer Resolution, in der die gesamte EU als symbolische Replik zum \u201eFreiheitsraum f\u00fcr LGBTIQ-Personen\u201c erkl\u00e4rt wurde.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDie Zonen selbst sind von einem Paradoxon charakterisiert, das sich in der Bezeichnung \u201eLGBT-frei\u201c nicht wirklich widerspiegelt. In den St\u00e4dten im Osten des Landes, in denen einige der gr\u00f6\u00dften LGBT-Communities leben \u2013 wie etwa in Lublin, Bia\u0142ystok und Rzesz\u00f3w \u2013 ist die Bezeichnung zutreffend und falsch zugleich. Diese St\u00e4dte liegen in Gebieten, die die f\u00fcr die Zonen erforderlichen Kriterien erf\u00fcllen: Die lokalen Beh\u00f6rden auf Kreis- und Bezirksebene haben mindestens eine der zwei Deklarationen verabschiedet, die unter dem Banner der LGBT-Rechte vorgebrachte Forderungen abzulehnen scheinen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDie Tatsache, dass die Deklarationen jedoch seitens der Stadtverwaltungen abgelehnt wurden, verdeutlicht, dass die Haltung gegen\u00fcber LGBT-Rechten auch von einem Stadt-Bezirk-Gef\u00e4lle gepr\u00e4gt ist. Diese Diskrepanz bedeutet, dass sich viele homosexuelle Bewohnerinnen und Bewohner der Region wie Schr\u00f6dingers Katze in einem unbestimmten Zustand befinden: Sie leben sowohl innerhalb als auch au\u00dferhalb einer \u201eLGBT-freien Zone\u201c.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\t\u201eEs gibt hier keine LGBT-freie Zone\u201c, meinte Milosz Zawistowski bei einem Treffen in einem Caf\u00e9 in Lublin letzten Sommer. Mit seinem hippen Outfit und der schwarz gefassten Brille w\u00fcrde er ebenso gut ins schwule Berlin oder Barcelona passen. \u201eDass in den umliegenden Ortschaften und D\u00f6rfern irgendein Irrsinn abl\u00e4uft, ist mir ziemlich egal\u201c, meinte er achselzuckend.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDie Resolutionen, die den \u201eLGBT-freien Zonen\u201c zugrunde liegen, sind derer zwei, wobei keine von rechtlicher Bedeutung ist. Die erste ist eine grob formulierte Erkl\u00e4rung, in der die \u201eLGBT-Ideologie\u201c abgelehnt wird; die zweite ist noch uneindeutiger und scheint an der Vorstellung von Familie als einer ausschlie\u00dflich heterosexuellen Institution festzuhalten. Die Resolutionen, die diese Erkl\u00e4rungen unterst\u00fctzen, sind insofern symbolisch, als sie den rechtlichen Status in Polen lebender LGBT-Personen nicht \u00e4ndern.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tPolens Oppositionsparteien, LGBT-Aktivistinnen und -Aktivisten und europ\u00e4ische Menschenrechtsgruppen argumentieren jedoch, dass diese Erkl\u00e4rungen dennoch eine Form der Diskriminierung darstellen: Sie halten lokale Beh\u00f6rden davon ab, LGBT-Rechte zu unterst\u00fctzen und stacheln zu Verhetzung und Gewalt gegen LGBT-Personen auf. Die PiS-Partei hat die Auswirkungen der Deklarationen heruntergespielt. Seitens der Parteispitze und ihrer B\u00fcndnispartner wird argumentiert, dass die Deklarationen nicht diskriminierend sein k\u00f6nnen, da sie sich allenfalls auf einen abstrakten Begriff beziehen \u2013 die \u201eLGBT-Ideologie\u201c \u2013 und nicht auf Menschen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tKurioserweise wurde beiden Seiten in dieser Debatte vorgeworfen, eine Art Stellvertreterkrieg gegen die Grundrechte und -werte der jeweils anderen Seite zu f\u00fchren und diese auf zynische Weise missverst\u00e4ndlich zu betiteln. F\u00fcr die Regierungsgegner ist die \u201eLGBT-Ideologie\u201c ein erfundenes Ph\u00e4nomen, das f\u00fcr das eigentliche Angriffsziel, n\u00e4mlich die von LGBT-Personen beanspruchten Rechte, steht. \u201eSo etwas wie eine LGBT-Ideologie gibt es nicht\u201c, erkl\u00e4rte der prominente polnische linksliberale EU-Abgeordnete Robert Biedron dem Sender TVN. \u201eWenn es etwas gibt, dann eine Ideologie des Hasses der PiS-Partei.\u201c<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDerweil bezeichneten die Regierung und ihre B\u00fcndnispartner die \u201eLGBT-freien\u201c Zonen als Erfindung, ein Vorwand, um die in ihren Augen geltenden Rechte traditioneller, konservativer Familien zu untergraben. \u201eEs gibt KEINE \u201aLGBT-freien Zonen\u2018 in Polen!\u201d, twitterte der polnische Minister f\u00fcr Bildung und Wissenschaft Przemys\u0142aw Czarnek im vergangenen September [2020, Anm.] als Antwort auf Bidens Tweet. Auch der polnische Ministerpr\u00e4sident Mateusz Morawiecki bezeichnete die Zonen als \u201eSchwindel\u201c der LGBT-Aktivisten.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDie PiS hat mehr als jede andere Partei in der EU dazu beigetragen, homophobe Bigotterie massentauglich zu machen. Allerdings sind die \u201eLGBT-freien Zonen\u201c als hervorstechendes Symbol dieser Bigotterie nicht allein die Erfindung der Partei. Diese Bezeichnung entstammt n\u00e4mlich auch den Reihen der Oppositionsparteien im Parlament, der Presse sowie der LGBT-Bewegung. Insofern sagt sie mehr \u00fcber die politische Landschaft Polens aus als \u00fcber die Realit\u00e4t vor Ort.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tRPolizeischutz f\u00fcr Teilnehmende eines Marsches f\u00fcr Gleichberechtigung in der ostpolnischen Stadt Bia\u0142ystok im Juli 2019. Bei M\u00e4rschen in Bia\u0142ystok und Lublin kam es 2019 zu Zusammenst\u00f6\u00dfen zwischen rechtsextremen Protestierenden und der Polizei. Foto: Jerzy Baliski \/ AFP \/ picturedesk.com<\/p>\t<\/figcaption>\n<\/figure>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tIn diesem Artikel werden die komplexen Auswirkungen der LGBT-freien Zonen in Polen zwei Jahre nach ihrer tats\u00e4chlichen Einf\u00fchrung [2019, Anm.] untersucht. Er erz\u00e4hlt von der politischen Instrumentalisierung von Homophobie und der Macht der Begrifflichkeiten in einem Kulturkampf.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDie Abneigung gegen LGBT-Rechte zieht sich wie ein roter Faden durch die Rhetorik der PiS-Partei und geht typischerweise mit der Ablehnung von Abtreibung und der Unterst\u00fctzung konservativer katholischer Familienwerte einher. Diese Rhetorik hat sich in den vergangenen zwei Jahren [seit 2019, Anm.] im Zuge dreier Wahlen \u2013 auf Parlaments-, Europa- und Pr\u00e4sidentschaftsebene \u2013 versch\u00e4rft, bei denen die Partei von einer wiedererstarkten Opposition, der liberalen Mitte-Rechts-B\u00fcrgerplattform, sowie von kleineren rechtsextremen Gruppierungen herausgefordert wurde.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tW\u00e4hrend dieser Zeit wurde die Kampagne f\u00fcr LGBT-Rechte von den Parteispitzen und ihren Verb\u00fcndeten in der Kirche verschiedentlich mit der Pest, dem Nazismus und Kommunismus verglichen. Bildungs- und Wissenschaftsminister Przemys\u0142aw Czarnek ging noch weiter als viele seiner Kolleginnen und Kollegen und bezeichnete LGBT-Personen als abnormal und gleicher Rechte unw\u00fcrdig.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDie PiS-Partei hat sich ihre Basis vor allem in Kleinst\u00e4dten und Ortschaften im \u00e4rmeren Osten des Landes aufgebaut und pr\u00e4sentiert den Staat als Besch\u00fctzer und Wohlt\u00e4ter f\u00fcr die Schwachen und Vernachl\u00e4ssigten. Es wurden gro\u00dfz\u00fcgige Sozialprogramme f\u00fcr \u00e4ltere Menschen und Familien ins Leben gerufen und man gab vor, das Land gegen vermeintliche Bedrohungen aus dem Ausland zu sch\u00fctzen. Die PiS kam 2015 mithilfe eines Wahlkampfes an die Macht, in dem vor den angeblichen Pl\u00e4nen der Europ\u00e4ischen Union gewarnt wurde, Polen mit Migrantinnen und Migranten aus vom Krieg zerst\u00f6rten muslimischen L\u00e4ndern zu \u00fcberschwemmen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDie Partei verf\u00fcgt \u00fcber eine beachtliche Kernw\u00e4hlerschaft \u2013 Millionen Polinnen und Polen, die sich als Konservative und Traditionalisten betrachten. Viele sind der Ansicht, von einer liberalen, gro\u00dfst\u00e4dtischen Elite \u00fcbergangen worden zu sein \u2013 insbesondere seit dem EU-Beitritt des Landes. Das Parteiprogramm ist eine Mischung aus Etatismus, Nationalismus, Populismus und Europaskepsis.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tEs l\u00e4sst sich unm\u00f6glich feststellen, inwieweit homophobe Denkweisen der Partei zum letzten Wahlsieg verholfen haben. Eine k\u00fcrzlich [2021, Anm.] durchgef\u00fchrte Umfrage \u00fcber die Einstellung der Bev\u00f6lkerung zu Schwulen und Lesben zeichnet das Bild einer gespaltenen Nation. Die Akzeptanz von Homosexualit\u00e4t hat in den vergangenen 15 Jahren langsam, aber stetig zugenommen. Etwa zwei von drei Polinnen bzw. Polen sind jedoch nach wie vor der Meinung, dass gleichgeschlechtliche Paare ihre Beziehung nicht in der \u00d6ffentlichkeit zur Schau stellen oder heiraten d\u00fcrfen sollten, und mehr als vier von f\u00fcnf sind der Ansicht, dass sie nicht das Recht haben sollten, eine Familie zu gr\u00fcnden.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDie von CBOS, einem angesehenen Meinungsforschungsinstitut mit Sitz in Warschau, durchgef\u00fchrte Umfrage ergab au\u00dferdem, dass die Bev\u00f6lkerung gegen\u00fcber gleichgeschlechtlichen Beziehungen in den vergangenen 15 Jahren zwar insgesamt toleranter geworden ist, sich dieser Trend aber gegen Ende des letzten Jahrzehnts verlangsamt hat. Zugleich zeigte die Umfrage auch, dass die Mehrheit der Polinnen und Polen \u2013 drei von f\u00fcnf \u2013 gegen\u00fcber Schwulen und Lesben keine Vorbehalte zu hegen glaubte. Die Meinungen reichten von gleichg\u00fcltig bis hin zu durchweg positiv.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDer Kandidat der PiS-Partei f\u00fcr die Pr\u00e4sidentschaftswahlen 2020, Andrzej Duda, warb mit dem Versprechen, Kinder vor der \u201eLGBT-Ideologie\u201c zu sch\u00fctzen. Foto: AGENCJA GAZETA \/ REUTERS \/ picturedesk.com<\/p>\t<\/figcaption>\n<\/figure>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tPolen war eines der ersten L\u00e4nder weltweit, in dem die Homosexualit\u00e4t 1932 entkriminalisiert wurde. Die \u00f6ffentliche Haltung gegen\u00fcber offen schwulen und lesbischen Menschen wird jedoch stark von der m\u00e4chtigen katholischen Kirche gepr\u00e4gt, die nicht heterosexuelle Beziehungen scharf kritisiert.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tIn den 30 Jahren seit dem Zusammenbruch des Kommunismus hat der Klerus im \u00f6ffentlichen Leben an Einfluss gewonnen. Im gleichen Zeitraum wurde das Land durch Polens Integration in die Europ\u00e4ische Union mit neuen internationalen Normen und Forderungen nach der Gleichbehandlung sexueller Minderheiten konfrontiert. Rund um den Ruf nach einer rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und einem Sexualkundeunterricht, der auch Themen wie Diskriminierung und nicht heterosexuelle Beziehungen einschlie\u00dft, hat sich eine zunehmend sichtbare Kampagne f\u00fcr LGBT-Rechte formiert.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDie von den lokalen Regierungen verabschiedeten Deklarationen werden weithin als Ablehnung dieser Forderungen verstanden. Die Auswirkungen dieser Deklarationen auf das Leben von LGBT-Personen stehen im Mittelpunkt der Debatte \u00fcber die Zonen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tEs gibt vereinzelt Hinweise darauf, dass homophobe \u00dcbergriffe seit der Verabschiedung der Deklarationen zugenommen haben. So wurden die M\u00e4rsche f\u00fcr Gleichberechtigung in Lublin und Bia\u0142ystok 2019 von gewaltt\u00e4tigen Gegenprotesten begleitet. Es l\u00e4sst sich jedoch unm\u00f6glich feststellen, inwieweit diese Gewalt eine direkte Folge der Deklarationen ist, oder ob es sich um ein allgemeines Klima der Feindseligkeit gegen\u00fcber LGBT-Personen handelt, das von der Regierung gef\u00f6rdert wird. Es gibt keine offiziellen Daten \u00fcber homophobe \u00dcbergriffe, da das polnische Recht diese nicht als Straftatbestand anerkennt.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tMilosz Zawistowski hat die Homophobie in seiner Stadt kennengelernt. Vor drei Jahren [2018, Anm.] nahm er mit seiner Mutter an Lublins erstem Marsch f\u00fcr Gleichberechtigung \u2013 der polnischen Version der Pride-Parade \u2013 teil und wurde dort von randalierenden Fu\u00dfball-Hooligans und rechtsextremen Demonstrierenden bedr\u00e4ngt. Der Marsch konnte letztlich unter Polizeischutz stattfinden. Ungef\u00e4hr 20 Personen wurden festgenommen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tIm darauffolgenden Jahr [2019, Anm.] nahm er erneut daran teil, nachdem die Region zur \u201eLGBT-freien Zone\u201c erkl\u00e4rt worden war. Diesmal hatte man den Polizeischutz entlang der Route offenbar verst\u00e4rkt und die Hooligans wurden besser in Schach gehalten. Doch die Gefahr war zweifelsohne gr\u00f6\u00dfer. Unter den Dutzenden Randalierern, die an jenem Tag verhaftet wurden, befand sich auch ein Ehepaar, das einen Rucksack mit Feuerwerksk\u00f6rpern bei sich trug, die mit Klebeband an Dosen mit Feuerzeugbenzin befestigt waren \u2013 plumpe, selbstgebaute Sprengs\u00e4tze.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDas Paar war Mitte Zwanzig, der Mann von Beruf Gasinstallateur, die Frau arbeitslos. Laut den w\u00e4hrend ihrer Gerichtsverhandlung vorgelegten Expertengutachten h\u00e4tten die wiewohl einfachen Sprengs\u00e4tze t\u00f6dlich sein k\u00f6nnen, wenn sie wie beabsichtigt gegen die Teilnehmenden der Parade eingesetzt worden w\u00e4ren. \u201eIch bin f\u00fcr die Polen und f\u00fcr die Familie. F\u00fcr mich inkludieren Familienwerte einen Mann und eine Frau\u201c, rechtfertigte der Angeklagte sein Handeln.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tMilosz erz\u00e4hlte BIRN, dass eine \u00dcbersiedlung nach Warschau f\u00fcr ihn durchaus in Frage k\u00e4me. Er f\u00fcgte jedoch hinzu, dass ein eventueller Umzug nichts mit seiner Sexualit\u00e4t zu tun haben w\u00fcrde. \u201eMeine Orientierung ist f\u00fcr mich hier weder f\u00f6rderlich, noch behindert sie mich\u201c, erkl\u00e4rte er. \u201eIch muss um nichts k\u00e4mpfen, brauche mich aber auch nicht zu verstecken.\u201c Der florierende Arbeitsmarkt macht Warschau f\u00fcr ihn ebenso attraktiv wie f\u00fcr die Jugendlichen in den Provinzst\u00e4dten in ganz Polen. \u201eIch habe es satt, hinter der Theke zu stehen\u201c, meinte er. \u201eHier gibt es einfach keinen anderen Job f\u00fcr jemanden wie mich.\u201c<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tWillk\u00fcrliches Vorgehen<\/strong><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDer Begriff \u201eLGBT-freie Zone\u201c ist als provokanter Marketing-Gag in den politischen Diskurs Polens eingegangen. Im Juli 2019 prangte der Slogan auf einem Aufkleber, der dem Wochenmagazin Gazeta Polska, einem regierungsfreundlichen Boulevardblatt, das f\u00fcr seine erzkonservative, nationalistische Haltung bekannt ist, beigelegt war. Auf den Aufklebern waren die Farben des Regenbogens durchgestrichen \u2013 eine offenkundige Replik auf die \u00fcblicherweise bei LGBT-freundlichen Veranstaltungen pr\u00e4senten Regenbogenflaggen-Aufkleber. Die Aufkleber-Kampagne l\u00f6ste einen Aufschrei aus und wurde nach einer Klage des LGBT-Aktivisten Bart Staszewski rasch unterbunden. Gazeta Polska reagierte auf die Klage mit einem neuen Aufkleber mit dem Slogan: \u201eLGBT-ideologiefreie Zone\u201c.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDer Slogan \u201eLGBT-freie Zone\u201c wurde durch die Aufkleber-Aktion der rechten polnischen Boulevardzeitung Gazeta Polska bekannt. Foto: Matinee71 \/ Wikimedia Commons<\/p>\t<\/figcaption>\n<\/figure>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDer urspr\u00fcngliche Slogan verselbst\u00e4ndigte sich indes und wurde von den Gegnern der Regierung \u00fcbernommen. Liberale Politikerinnen und Politiker und die Medien bedienten sich des Begriffs \u201eLGBT-freie Zonen\u201c zur Beschreibung einer neuen Entwicklung, die in den Kommunalregierungen im S\u00fcdosten des Landes Fu\u00df fasste: die Verabschiedung jener zwei Resolutionen, die sich gegen LGBT-Rechte richten.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tBei der ersten dieser Erkl\u00e4rungen handelte es sich um einen weitschweifigen, unzusammenh\u00e4ngenden Text, der verschiedene Ph\u00e4nomene ins Visier nahm \u2013 von \u201eHomo-Propaganda\u201c und \u201epolitischer Korrektheit\u201c bis hin zur \u201eSexualisierung von Kindern\u201c. Die augenscheinliche Quelle all dieser \u00dcbel war etwas, das dem politischen Programm einer mysteri\u00f6sen Organisation entnommen zu sein schien: die \u201eLGBT-Ideologie\u201c.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDer zweite Text, der gemeinhin als \u201eFamiliencharta\u201c bekannt ist, nahm \u00fcberhaupt nicht auf LGBT-Rechte Bezug. Stattdessen wurden die Kommunalregierungen dazu angeregt, ein traditionelles Familienbild zu f\u00f6rdern und NGOs, die dies ablehnen, keine Mittel zu gew\u00e4hren. Abgestimmt \u00fcber diese Erkl\u00e4rungen wurde scheinbar wahllos auf allen Ebenen der Regionalverwaltung in Gemeinde-, Kreis- und Bezirksratssitzungen im S\u00fcdosten des Landes \u2013 \u00fcberall dort, wo die PiS-Partei die Mehrheit hatte.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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