{"id":3603,"date":"2019-04-18T00:00:00","date_gmt":"2019-04-18T00:00:00","guid":{"rendered":"https:\/\/erste-foundation.byinfinum.co\/mit-herz-und-seele-gefoltert\/"},"modified":"2022-05-09T10:36:22","modified_gmt":"2022-05-09T10:36:22","slug":"mit-herz-und-seele-gefoltert","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/mit-herz-und-seele-gefoltert\/","title":{"rendered":"Mit Herz und Seele gefoltert"},"content":{"rendered":"\n\n\t\n\t\t\t
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\n\tGezim Peshkepia und Simon Mirakaj haben die Gr\u00e4ueltaten des Hoxha-Regimes \u00fcberlebt. Heute empfinden sie es als ihre Pflicht, an die Verbrechen der Diktatur zu erinnern. Denn Albanien hat seine dunkle Geschichte noch lange nicht aufgearbeitet.<\/strong><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\t\u201eWundpr\u00fcgeln mit einem Holzstock. Bohren von gl\u00fchendem Draht ins Fleisch. Stromschl\u00e4ge. Nackt in der K\u00e4lte Aussetzen. Anz\u00fcnden der Genitalien. Anf\u00fcllen des Mundes mit Salz. Schlaf\u00adentzug. Verbannung in den Sarg.\u201d Insgesamt 36 Foltermethoden der ber\u00fcchtigten Geheimpolizei Sigurimi listet das Institut zur Aufkl\u00e4rung \u00fcber Verbrechen des Kommunismus in Albanien auf. Manche davon lesen sich wie das Drehbuch eines Splatterfilms, einige erinnern an die US-amerikanischen Praktiken in den Gefangenenlagern Abu Ghraib und Guantanamo Bay und andere wirken in ihrer Perfidit\u00e4t einzigartig. Was Zeitzeugen wie der 78-j\u00e4hrige Gezim Peshkepia und der 74-j\u00e4hrige Simon Mirakaj durchmachen mussten, l\u00e4sst sich nur erahnen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\t\u201eUnsere Geschichte \u00e4hnelt den Geschichten vieler anderer Familien in Albanien\u201c, sagt Peshkepia. Als in Albanien das kommunistische Regime an der Macht war, verbrachte er vier Jahre im Gef\u00e4ngnis und sp\u00e4ter acht Jahre im Arbeitslager. Auch Mirakaj \u00fcberlebte mehrere Arbeitslager und war 46 Jahre in Haft. An diesem Vormittag sitzen die beiden in einem Besprechungszimmer des Instituts im Zentrum von Tirana, um \u00fcber ihre Erlebnisse w\u00e4hrend der Diktatur in Albanien zu berichten. <\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tEs war 1944, als die Kommunisten unter der F\u00fchrung von Enver Hoxha das kleine Land am Westbalkan nach dem Abzug der deutschen Besatzungsmacht \u00fcbernahmen. Das Regime, das sie danach etablierten, suchte in seiner Brutalit\u00e4t seinesgleichen. Albanien orientierte sich w\u00e4hrend der Hoxha-Diktatur erst am sozialistischen Jugoslawien, dann an der stalinistischen Sowjetunion und schlie\u00dflich an Maos China. Mit allen Verb\u00fcndeten brach es danach wieder. Sein Isolationismus machte den Balkanstaat f\u00fcr Jahrzehnte zu einer der brutalsten Diktaturen Europas. Geistliche, Intellektuelle und Oppositionelle waren dem Regime ein Dorn im Auge und wurden samt ihren Familien vom Sigurimi verfolgt. Bis 1990 standen Bespitzelungen, Folter, Hinrichtungen, Isolation, Sippenhaft, Terror und Zwangsarbeit an der Tagesordnung. Wie viele Albaner der Schreckensherrschaft zum Opfer fielen, ist nicht gesichert. Gesch\u00e4tzte 6.000 bis 7.000 Menschen wurden vom Regime direkt exekutiert. Dazu kommen bis zu 300.000 Menschen, die deportiert und unter unvorstellbaren Bedingungen in Arbeitslagern interniert wurden. Denn der \u201eentscheidende Faktor f\u00fcr die Rehabilitation von Internierten und Deportierten ist Arbeit\u201c, wie es in einem Dokument des Innenministeriums von 1972 hei\u00dft.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tF\u00e4kalien essen und Folter<\/strong>

Als Diktator schreckte Hoxha vor nichts zur\u00fcck. Selbst entfernte Verwandte, wie die Familie von Gezim Peshkepia, blieben von Arbeitslager und Exekution nicht verschont. Peshkepias Onkel war mit einer Cousine Hoxhas verheiratet. Im Haus der Familie in Tirana ging der sp\u00e4tere Diktator deswegen ein und aus. \u201eHoxha schreibt in seinen B\u00fcchern, dass unser Haus so wie sein eigenes Haus war\u201c, sagt Peshkepia. Doch nach der Macht\u00ad\u00fcbernahme half auch dieser Umstand nichts mehr. Als Intellektueller fiel sein Vater 1951 einer der ersten S\u00e4uberungswellen zum Opfer und wurde gemeinsam mit 22 anderen Intellektuellen erschossen. Peshkepia selbst war vier Jahre im Gef\u00e4ngnis der albanischen Stadt Berat eingesperrt, kam frei und wurde 1975 unter dem Vorwand der \u201eAgitation und Propaganda\u201c gegen das Regime in Tirana erneut verhaftet. Einige Stunden sp\u00e4ter fand er sich mit verbundenen Augen auf einem Laster wieder, gefesselt an einen Mith\u00e4ftling, auf dem Weg in das 144 Kilometer entfernte Ballsh. \u201eEs war ein Lager, wo selbst 96-j\u00e4hrige Greise interniert waren.\u201c<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDas “House of Leaves”, unweit des Skanderbeg-Platzes in Tirana, war fr\u00fcher die Abh\u00f6rzentrale des Sigurimi. Sp\u00e4ter gelangte es in den Besitz der Regierung und beherbergt seit 2015 Ausstellungsst\u00fccke, die damals der Geheimdienst verwendete, um das Volk zu bespitzeln. Foto: \u00a9 Roman Wagner<\/p>\t<\/figcaption>\n<\/figure>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tAcht Jahre musste er Zwangsarbeit in der Kleinstadt im S\u00fcden Albaniens verrichten. Es galt, eine \u00d6lf\u00f6rderungsanlage aufzubauen. Wo heute Albaniens gr\u00f6\u00dfte Raffinerie steht, musste der heute 78-J\u00e4hrige f\u00fcr die \u201eVergehen\u201c seines Vaters \u2013 das Verfassen von Gedichten \u2013 teuer bezahlen. Das Erd\u00f6l des kleinen Landes am Westbalkan war damals mit dem Blut und Schwei\u00df von H\u00e4ftling\u00aden\u00ad aufzuwiegen. Am Gel\u00e4nde des fr\u00fcheren Arbeitslagers steht heute nicht einmal ein Gedenkstein. Die Arbeit hier sei aber noch ein \u201eLuxus\u201c gewesen, sagt Pesh\u00adkepia. Denn im Vergleich zu den Zust\u00e4nden in den Lagern Luschnja, Spa\u00e7 oder Tepelena k\u00f6nnten jene in Ballsh als \u201eharmlos\u201d bezeichnet werden.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tPostcards from Albania<\/h2>\n\t
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\n\tPostcards from Albania<\/a> ist ein journalistisches Rechercheprojekt von Studierenden des Studiengangs Journalismus und PR der FH Joanneum in Graz. Im Fr\u00fchsommer 2018 berichtete das 19-k\u00f6pfige Redaktionsteam live von seiner zehnt\u00e4gigen Recherchreise durch den Westbalkan. erstestiftung.org<\/em> teilt ausgew\u00e4hlte Artikel aus dem daraus entstandenen umfassenden Online- und Printmagazin und hat diese ins Englische \u00fcbersetzt.

Grafik: \u00a9 Margit Steidl \/ Studiolo M<\/em><\/p>\n\t<\/div>\n<\/div>\n\t<\/div>\n\n<\/div>\n\n\n\n

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\n\tLuschnja, Spa\u00e7, Tepelena \u2013 die Namen von Orten, die in Albanien jeder kennt und die zu Symbolen des Terrors wurden. Insgesamt 33 Arbeitslager gab es unter Hoxha. Die schrecklichsten von ihnen lagen in der Peripherie \u2013 kleine H\u00f6llen in den entlegensten Winkeln des Landes, die nur f\u00fcr die schlimmsten Feinde des Regimes bestimmt waren. Simon Mirakajs Vater war so ein Feind. Als Sohn eines f\u00fchrenden Antikommunisten wurde Mirakaj als zwei Wochen alter S\u00e4ugling gemeinsam mit seiner Familie interniert und verbrachte 46 Jahre in Haft. Er musste Gr\u00e4ber ausheben, Holz f\u00e4llen und S\u00fcmpfe trocken legen.

Im Arbeitslager von Berat lernte er gehen, in Tepelena das Fu\u00dfballspielen, in Luschjna pubertierte er und im Lager Dschasa wurde er erwachsen. Es sei so viel Trauriges w\u00e4hrend dieser Zeit passiert. Doch in Tepelena, wo man H\u00e4ftlinge zwang, Erbrochenes oder F\u00e4kalien zu essen und sie zur Strafe in Latrinen tauchte, \u201ewar es am schlimmsten\u201c. Innerhalb von 24 Stunden seien dort 20 Kinder aufgrund von mangelnder Hygiene gestorben. Doch nicht nur deswegen war Tepelena so gef\u00fcrchtet. \u201eDer Hof des Milit\u00e4rgel\u00e4ndes, auf dem sich das Lager befand, war noch aus der Zeit des griechisch-italienischen Kriegs von 1941 vermint. Minen explodierten und wir sahen, wie die K\u00f6rperteile umherflogen\u201c, sagt Mirakaj. Das Arbeitslager trieb viele H\u00e4ftlinge in den Selbstmord. In der Hoffnung auf Erl\u00f6sung flohen Gefangene, um dabei erschossen zu werden oder liefen absichtlich in das Minenfeld. Die Angst war gro\u00df. \u201eWenn wir zur Arbeit gingen und zur\u00fcckkamen, verabschiedeten und begr\u00fc\u00dften wir uns jeden Tag so, als w\u00e4re es unser letzter.\u201c<\/p>\t<\/div>\n\n<\/div>\n\n<\/div>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDie Mahlzeiten seien oft extrem karg gewesen. \u201eNur zweimal am Tag bekamen wir Essen. Meistens war es Wassersuppe voller W\u00fcrmer.\u201c H\u00e4tten sie die W\u00fcrmer aussortiert, w\u00e4re gar nichts mehr vom Essen \u00fcbrig geblieben. F\u00fcr den Schulweg, der bergauf \u00fcber eine Br\u00fccke f\u00fchrte, fehlte den Kindern aus dem Lager oft die Kraft. \u201eEinmal blieben mehrere M\u00e4dchen auf der Br\u00fccke stehen und beschlossen, hinunter in den Tod zu springen. Doch ein anderes M\u00e4dchen redete ihnen im letzten Moment ins Gewissen. Die M\u00e4dchen entschieden sich um und gingen weiter.\u201c Ohne die Bewohner des nahegelegenen Dorfes, die den Gefangenen nachts Lebensmittel brachten, w\u00e4ren er und sein Bruder gestorben, glaubt Mirakaj.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tAuch, wenn es oft aussichtslos schien, gaben die beiden die Hoffnung nie auf, irgendwann freizukommen. Der Zusammenhalt und ein verbotenes Radio best\u00e4rkten sie in ihrem Glauben. \u201eViele Mitgefangene hatten im Ausland studiert, erz\u00e4hlten uns von der Welt und weckten so die Hoffnung, dass auch wir eines Tages frei k\u00e4men.\u201c Mit dem Radio lauschten sie oft ausl\u00e4ndischen Sendern. \u201eSo wussten wir, was in der Welt vor sich ging.\u201c Immer seien Leute drau\u00dfen Schmiere gestanden, damit sie niemand beim Radioh\u00f6ren entdecke. Von den Wendeereignissen des Jahres 1989 erfuhren sie zusammengekauert in einer Holzbaracke, in der Angst jeden Moment erwischt zu werden. Der Fall der Berliner Mauer gab ihnen Hoffnung. \u201eWir h\u00f6rten, dass die Berliner weinten und musst selbst auch weinen, denn wir f\u00fchlten mit ihnen.\u201c<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tIm damaligen Hoxha-Bunker am Stadtrand von Tirana ist seit 2014 das Museum “Bunk’Art 1” untergebracht, das sich mit dem Leben der albanischen Bev\u00f6lkerung w\u00e4hrend der Diktatur im Allgemeinen befasst. Wer sich speziell f\u00fcr den Sigurimi interessiert, sollte die Stufen des unterirdischen Innenministeriums-Bunkers hinabsteigen. Dort wurde 2016 “Bunk’Art 2” er\u00f6ffnet. Foto: \u00a9 Roman Wagner<\/p>\t<\/figcaption>\n<\/figure>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tVergangenheitsbew\u00e4ltigung und Generationenkonflikt<\/strong>

    Es sind Geschichten wie diese, die Symptome der viel zu sp\u00e4t begonnenen Vergangenheitsaufarbeitung in Albanien sind. Geschichten, wie die des Ex-Polizeichefs Dilaver Bengasi, der nach der Wende Vize-Innenminister, Anwalt und Universit\u00e4tsprofessor werden konnte und in Interviews offen zugibt, dass noch immer ehemalige Sigurimi-Agenten beim SHIK, dem heutigen albanischen Geheimdienst, arbeiten. Geschichten, wie die von Sali Berisha, der als Leibarzt Hoxhas nach dem Zusammenbruch des Kommunismus Pr\u00e4sident und Premierminister werden konnte. Geschichten, wie die von Gramoz Ruci, dem letzten Innenminister w\u00e4hrend der Diktatur, der ungehindert Parlamentspr\u00e4sident werden konnte und ein Parteifreund von Premierminister Edi Rama ist.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\t3 Fragen an Jonila Godole<\/h2>\n\t
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    \n\tK\u00f6nnten Sie sich kurz vorstellen?<\/strong>

    Ich bin Jonila Godole und arbeite f\u00fcr das Institut f\u00fcr Demokratie, Medien und Kultur<\/a> in Tirana. Es besch\u00e4ftigt sich mit der Aufarbeitung der Vergangenheit. Wir trainieren Lehrer im Fach Geschichte und arbeiten mit Jugendlichen.

    Wo sehen Sie die Probleme der Vergangenheitsbew\u00e4ltigung in Albanien?<\/strong>

    Albanien betreibt Geschichtsaufarbeitung<\/a> erst seit vergleichsweise kurzer Zeit. 20 Jahre verstand man darunter nur, dass die ehemals politisch Verfolgten eine materielle oder finanzielle Entsch\u00e4digung bekommen. Die Lehrpl\u00e4ne f\u00fcr Schulen haben sich kaum ver\u00e4ndert. \u00dcber die Verfolgungen, Hinrichtungen und Internierungslager steht nichts in den Geschichtsb\u00fcchern. Wenn ich Sch\u00fcler frage, was sie \u00fcber die Diktatur wissen, k\u00f6nnen sie mir keine Antwort geben. Man wei\u00df zwar, dass Enver Hoxha ein Diktator war, findet ihn aber trotzdem sympathisch, denn Hintergrundwissen fehlt. Man sieht den ehemaligen Herrscher auch heute noch \u00fcberall. Weil sich Fotos von ihm in Zeitungen gut verkaufen, ist er allgegenw\u00e4rtig. Nostalgiker kaufen diese Zeitungen. Es gibt hier kein Gesetz zur Entkommunisierung. Die kommunistischen Symbole sind nicht verboten und auch die Verleugnung der Diktatur ist nicht strafbar. Noch heute gehen Menschen mit einem Portr\u00e4t von Hoxha auf die Stra\u00dfe.

    Was ist ihr pers\u00f6nlicher Bezug zur Hoxha-Zeit?<\/strong>

    Als Kind wusste ich gar nichts dar\u00fcber. Was meine Familie w\u00e4hrend der Diktatur erlebte, habe ich erst sp\u00e4ter erfahren. Zwar merkte ich, dass viele Sachen nicht stimmen, aber wie soll ein Kind dar\u00fcber aufgekl\u00e4rt werden, wenn mit ihm nicht gesprochen wird? Meine Verwandten lebten zerstreut in Albanien und ich habe sie nur selten gesehen. Es war schwierig, etwas herauszufinden. Als ich zw\u00f6lf Jahre alt war, begann ich zu hinterfragen. Sp\u00e4testens mit 15, w\u00e4hrend der politischen Wende, wollte ich Antworten. Ich wunderte mich, warum junge Menschen, die teilweise gebildet waren und nur gute Noten schrieben, das System nicht durchschaut hatten. Es war mir ein pers\u00f6nliches Anliegen.

    Foto: \u00a9 Roman Wagner<\/em><\/p>\n\t<\/div>\n<\/div>\n\t<\/div>\n\n<\/div>\n\n\n\n

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    \n\tOder Geschichten, wie die von Gezim Peshkepia, der erschaudern musste, als er vor vier Jahren in Tirana auf offener Stra\u00dfe Kosta Gazeli begegnete. Dem Mann, der ihm in Ballsh mit einem Grinsen im Gesicht die Z\u00e4hne ausgeschlagen hatte. \u201eEr wurde nach dem Kommunismus als Vize-Botschafter nach Griechenland geschickt und wurde dann Lehrer an einer Milit\u00e4rakademie hier in Tirana\u201c, sagt Peshkepia. Damals habe sein Peiniger ihn \u201emit Herz und Seele\u201c gefoltert. Peshkepia und Mirakaj wurden f\u00fcr das erlittene Martyrium finanziell entsch\u00e4digt. Doch bis heute sind nicht alle Kompensationen an die Opfer des Sigurimi-Terrors ausbezahlt worden. Ohnehin fallen die Entsch\u00e4digungszahlungen nur sehr bescheiden aus. Simon Mirakaj bekam 20 Millionen Lek, was heute rund 150.000 Euro entspricht. In einem Land mit einem Durchschnittseinkommen von umgerechnet 230 Euro mag das auf den ersten Blick nach viel Geld klingen. Doch was ist schon ein Geldbetrag im Wert einer Eigentumswohnung gegen 46 Jahre geraubter Lebenszeit?

    Gedenkst\u00e4tten und Aktivismus<\/strong>

    Heute setzen sich Peshkepia und Mirakaj f\u00fcr die Vergangenheitsaufarbeitung in Albanien ein. Der 78-j\u00e4hrige Peshkepia ist am Institut zur Aufkl\u00e4rung \u00fcber Verbrechen des Kommunismus in Albanien besch\u00e4ftigt. Mirakaj sitzt im Vorstand der 2016 neu geschaffenen und von Gentiana Sula geleiteten Beh\u00f6rde f\u00fcr den Zugang zu den Sigurimi-Akten. 2015 wurden nach langwieriger Gesetzesreform endlich die Archive ge\u00f6ffnet. B\u00fcrger k\u00f6nnen seitdem ihre Akten einsehen. Sulas 30-k\u00f6pfiges Team wacht \u00fcber das Archiv, das 30 Millionen Papierseiten, 212.000 Aktendossiers und 250.000 Tondokumente fasst. Stetig sucht die Beh\u00f6rde nach neuen Quellen, Akten und Dossiers, um die albanische \u00d6ffentlichkeit mit mehr Informationen versorgen zu k\u00f6nnen. Dies sei bitter n\u00f6tig. \u201eDie Leute wissen noch immer viel zu wenig \u00fcber die Hoxha-Zeit. Weder, wie viele Menschen ihr Leben lassen mussten, noch, wie viele interniert wurden und schon gar nicht, was alles in den Arbeitslagern vor sich ging\u201c, sagt die Direktorin des Sigurimi-Archivs. Vielmehr w\u00e4re die Indoktrinierung durch die Hoxha-Propaganda auch heute noch stark sp\u00fcrbar. Viele Albaner w\u00fcrden sich noch immer die vermeintlichen Erfolge des Sozialismus sch\u00f6nreden. Die Erkl\u00e4rung f\u00fcr tragische Ereignisse, wie die zuf\u00e4llige Begegnung Peshkepias mit seinem Peiniger, liegt f\u00fcr sie in der mangelnden Aufkl\u00e4rung \u00fcber die Hoxha-Zeit.

    Geister der Vergangenheit<\/strong>

    Sulas Arbeit ist herausfordernd. Ihre staatliche Beh\u00f6rde sollte eigentlich aus 60 statt 30 Menschen bestehen, doch es fehlen Ressourcen. Hinzu kommt, dass viele Akten nach dem Umbruch vernichtet wurden. Die Angst der Bev\u00f6lkerung ist f\u00fcr sie jedoch eine der gr\u00f6\u00dften H\u00fcrden. \u201eViele Menschen f\u00fcrchten, dass man die Akten wieder gegen sie verwenden k\u00f6nnte, weil sie ein System durchgemacht haben, in dem diese genau daf\u00fcr vorgesehen waren.\u201c Dass damals jeder F\u00fcnfte \u2013 manchen Quellen zufolge sogar jeder Dritte \u2013 mit dem Sigurimi kollaboriert haben soll, erschwert der 49-J\u00e4hrigen die Arbeit zus\u00e4tzlich. Wer gibt schon freiwillig zu, seinen Nachbarn bespitzelt zu haben? Drei Museen und ein Denkmal wurden in den letzten vier Jahren in Tirana zur Aufarbeitung der Jahre des Terrors errichtet. Nicht alle von ihnen sto\u00dfen auf Zuspruch bei den Opfern. Die beiden unterirdischen Bunker \u2013 \u00dcberbleibsel aus der Diktatur, die zu den Bunk’Art<\/em>-Museen gemacht wurden \u2013 sto\u00dfen Mirakaj sauer auf. \u201eGedenkst\u00e4tten m\u00fcssten in den fr\u00fcheren Arbeitslagern eingerichtet werden, nicht im unterirdischen Bunker\u201c, sagt er und sch\u00fcttelt den Kopf. Das Umwandeln von kommunistischen Relikten in \u201eKunst\u201d halte er f\u00fcr falsch. Sula hingegen ist froh, dass \u00fcberhaupt etwas geschieht. \u201eNat\u00fcrlich muss noch mehr getan werden, aber es ist zumindest ein Zeichen\u201c, sagt sie. <\/p>\t<\/div>\n\n<\/div>\n\n<\/div>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tGelungen finden Peshkepia und Mirakaj hingegen das sogenannte Haus der Bl\u00e4tter. \u201eWir kommen immer wieder hierher, um uns zu erinnern\u201c, sagt Peshkepia, als er mit Mirakaj durch die Eingangspforte des Gel\u00e4ndes tritt, das die schlichte, mit Efeu bewachsene Villa gegen\u00fcber der orthodoxen Kathedrale von Tirana umgibt. Die Villa war in fr\u00fchen Tagen des Regimes ein Folter- und Verh\u00f6rgef\u00e4ngnis und wurde sp\u00e4ter zur Abh\u00f6rzentrale umfunktioniert. Peshkepias Briefe wanderten hier durch die Finger von Geheimdienstmitarbeitern, seine Anrufe wurden von hier aus \u00fcberwacht und hier protokollierte man jede seiner Aktivit\u00e4ten. Jeder in Tirana wusste, was hier geschah. \u00dcber die Geschehnisse in diesem Geb\u00e4ude zu sprechen, wagte jedoch niemand. Heute ist die ehemalige Abh\u00f6rzentrale ein Museum zum Andenken an die Verbrechen der Geheimpolizei. Im Inneren des Hauses herrscht noch immer eine Stimmung, als bef\u00e4nde man sich tats\u00e4chlich im Abh\u00f6rgef\u00e4ngnis eines paranoiden Geheimdienstes. Fotos sind nicht erlaubt. Ein nerv\u00f6ser Museumsaufseher weist einige Besucher mit Kamera darauf hin. Er folgt ihnen in jeden Ausstellungsraum. <\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tPeshkepia und Mirakaj hatten urspr\u00fcnglich geplant, w\u00e4hrend eines Rundganges durch das Museum dar\u00fcber zu berichten, was ihnen w\u00e4hrend der Hoxha-Diktatur widerfahren war und nicht in einem Besprechungszimmer des Institutes zur Aufkl\u00e4rung \u00fcber Verbrechen des Kommunismus in Albanien. Doch der grimmig blickende Wachmann am Eingangsportal will das nicht. Es brauche eine Genehmigung des Kulturministeriums f\u00fcr Interviews am Gel\u00e4nde des House of Leaves<\/em>, l\u00e4sst er die beiden M\u00e4nner wissen, die die Vorschrift mit einer Mischung aus Verwunderung und Resignation zur Kenntnis nehmen. 46 Jahre Kommunismus und B\u00fcrokratie h\u00e4tten Land und Leute gepr\u00e4gt. \u201eDer Wachmann hat uns mit den Augen eines kommunistischen B\u00fcrokraten angeschaut\u201c, sagt Peshkepia. \u201eDiese Wachsamkeit ist pure kommunistische Mentalit\u00e4t. Sie ist uns geblieben.\u201c<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tErstmals publiziert im November 2018 in der Printversion von Postcards from Albania<\/a><\/em>

    Dieser Text ist urheberrechtlich gesch\u00fctzt: \u00a9 Nikolaus Pichler \/ FH Joanneum. Bei Interesse an Wiederver\u00f6ffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der
    Redaktion<\/a>.<\/em>
    Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Die “Site of Witness and Memory” im ehemaligen Folter-Gef\u00e4ngnis von Shkodra geht 2019 in ihr viertes Jahr. F\u00fcr 150 albanische Lek k\u00f6nnen im Museum auf zwei Etagen Verh\u00f6rr\u00e4ume, Originale, die von Zeitzeugen gespendet wurden, Dokumente aus den Best\u00e4nden des Sigurimi und die ehemaligen Gef\u00e4ngniszellen im Originalzustand besichtigt werden. Foto: \u00a9 Roman Wagner<\/em>

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    Albaniens dunkle Geschichte<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":1694,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[433,299],"tags":[355,405,348,344],"formats":[],"acf":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3603"}],"collection":[{"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=3603"}],"version-history":[{"count":6,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3603\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":7903,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3603\/revisions\/7903"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/media\/1694"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=3603"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=3603"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=3603"},{"taxonomy":"format","embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/formats?post=3603"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}