{"id":3586,"date":"2019-02-14T00:00:00","date_gmt":"2019-02-14T00:00:00","guid":{"rendered":"https:\/\/erste-foundation.byinfinum.co\/nicht-ohne-mein-schatzi\/"},"modified":"2021-08-23T11:25:11","modified_gmt":"2021-08-23T11:25:11","slug":"nicht-ohne-mein-schatzi","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/nicht-ohne-mein-schatzi\/","title":{"rendered":"Nicht ohne mein Schatzi"},"content":{"rendered":"\n\n\t\n\t\t\t
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\n\tKosovo – das j\u00fcngste Land Europas – verbindet man 20 Jahre nach dem Krieg immer noch mit Flucht, Zerst\u00f6rung und Armut. Die Wenigsten denken an Poolpartys, Popkonzerte, Luxushochzeiten und schnelle Autos. Und schon gar nicht an Geldscheine, die im Club geworfen werden. Wenn im August die Diaspora aus der Schweiz, Deutschland und \u00d6sterreich nach Hause kommt, lebt das kleine Balkanland auf. Dann wird gefeiert, getrunken und geheiratet. Und Jahr f\u00fcr Jahr wird den Zur\u00fcckgebliebenen klar, dass ihr Land ohne die “Schatzis” im Ausland nicht \u00fcberleben k\u00f6nnte.<\/strong><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tAn Bord der kleinen Adria-Airlines-Maschine JP 838 ist jeder Platz ausgebucht. Die Passagiere haben Schwierigkeiten, Stauraum f\u00fcr ihr Handgep\u00e4ck zu finden. Eine junge Frau mit Jeansjacke und Birkenstocksandalen fragt ihren Sitznachbarn, ob sie am Fenster sitzen k\u00f6nne. Klar, sagt er \u2013 ein Mittzwanziger mit Hugo-Boss-Shirt und Diesel-Uhr. Er streckt ihr die Hand hin \u2013 \u201eHi, ich bin Liridon\u201c \u2013 sie l\u00e4chelt, \u201eLiridona\u201c. Die beiden kommen ins Gespr\u00e4ch. \u00dcber den albanischen Vornamen, den sie sich teilen. \u00dcber den Sommer, den sie in der alten Heimat verbringen werden. Einer Heimat, die ihnen eigentlich fremd ist. Dar\u00fcber, ein \u201eSchatzi\u201c zu sein.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tEin was? Liridon und Liridona schmunzeln. Im Kosovo ist dieses deutsche Wort weit verbreitet. So nennt man Mitglieder der Diaspora, die unter dem Jahr Geld nach Hause schicken und im Sommer zur\u00fcckkehren. Albaner, die in Wien, Z\u00fcrich oder M\u00fcnchen leben \u2013 und deren Verwandte in einem der \u00e4rmsten L\u00e4nder Europas zur\u00fcckgeblieben sind. \u201eMeine Cousins im Kosovo verdienen 200 Euro im Monat\u201c, sagt Liridon \u2013 und nach einer kurzen Pause: \u201eIch kaufe mir Schuhe f\u00fcr so viel Geld!\u201c<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tIn weniger als eineinhalb Stunden hat die kleine Maschine einen gro\u00dfen Teil des Westbalkans \u00fcberflogen \u2013 Slowenien, Kroatien, Bosnien und Teile Serbiens und Montenegros. Hier lag einmal Jugoslawien. Als der Vielv\u00f6lkerstaat in den Neunzigerjahren gewaltsam zerfiel, flohen Hunderttausende Familien aus ihrer alten Heimat. So wie Liridon und Liridona. So wie die meisten Passagiere, die heute in der Maschine JP 838 sitzen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tSie sind Albaner aus dem Kosovo, die seit zehn, zwanzig oder mehr Jahren in Deutschland, \u00d6sterreich oder der Schweiz leben. Viele von ihnen haben zu Beginn auf Baustellen oder in der Gastronomie gearbeitet. Sie gr\u00fcndeten Familien und bekamen Kinder. Sie bauten H\u00e4user, lernten eine neue Sprache. Irgendwann bekamen sie einen neuen Pass. Aber viele lie\u00dfen ihre alte Heimat nie los \u2013 so trostlos sie auch wirken mag. Man merkt, dass man im Flugzeug \u00fcber dem Kosovo schwebt, weil pl\u00f6tzlich viele kleine W\u00fcrfel in der flachen Landschaft auftauchen. Fast so, als h\u00e4tte ein Riese mit Bausteinen gespielt. Bei n\u00e4herem Hinsehen erkennt man darin die Konturen unverputzter Ziegelsteinh\u00e4user, die verstreut auf den Feldern stehen. Man sieht sofort, welche Familien ein \u201eSchatzi\u201c im Ausland haben. Ihre H\u00e4user sind vollst\u00e4ndig \u2013 haben Fassade, Balkon und Gartenzaun.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tArbeiten an einem Haus in Perlepnica. Foto: \u00a9 Florian Rainer<\/p>\t<\/figcaption>\n<\/figure>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tKosovo ist fl\u00e4chenm\u00e4\u00dfig in etwa so gro\u00df wie K\u00e4rnten. Hier leben 1,8 Millionen Menschen \u2013 so viele wie in Wien oder Hamburg. Die Diaspora erscheint im Vergleich dazu gewaltig. Sie wird laut offiziellen Angaben auf 800.000 Menschen gesch\u00e4tzt. Inoffiziell k\u00f6nnten es \u00fcber eine Million sein. Die \u201eSchatzis\u201c schicken regelm\u00e4\u00dfig Geld nach Hause \u2013 f\u00fcr Lebensmittel, Medikamente, Feuerholz oder H\u00e4userfassaden. Im Kosovo ersetzen die \u201eSchatzis\u201c das, wof\u00fcr eigentlich der Staat zust\u00e4ndig w\u00e4re. Weil es kein Sozialsystem gibt, springt die Familie ein. Dadurch hat sich ein eigener Finanzkreislauf entwickelt. Weil jeder Dritte ein \u201eSchatzi\u201c im Ausland hat und jeder Vierte Geld zugesandt bekommt, h\u00e4ufen sich Summen an, die es mit dem Staatshaushalt aufnehmen k\u00f6nnen. Die Zentralbank mit Sitz in Pristina sch\u00e4tzt, dass das Land j\u00e4hrlich 1,5 Milliarden Euro an seiner Diaspora verdient.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDie Zentralbank mit Sitz in Pristina sch\u00e4tzt, dass das Land j\u00e4hrlich 1,5 Milliarden Euro an seiner Diaspora verdient.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tIm Sommer kehren die \u201eSchatzis\u201c zur\u00fcck. Dann verwandelt sich der Kosovo in eine nicht enden wollende riesige Partyzone. Es wird getrunken, gefeiert und geheiratet. Man h\u00f6rt Sportw\u00e4gen durch die Stra\u00dfen r\u00f6hren, die ausl\u00e4ndische Kennzeichen tragen. Die Clubs sind bis fr\u00fch am Morgen ge\u00f6ffnet. Festivals werden organisiert und Gratiskonzerte veranstaltet. Zum Beispiel in Ferizaj \u2013 einer Stadt im S\u00fcden des Landes, wo einmal im Jahr zu Ehren der Diaspora ein Feuerwerk \u00fcber den Plattenbauten gez\u00fcndet wird. Der Marktplatz ist voller Tische, B\u00e4nke und Luftballons. Die Menschen stehen dicht gedr\u00e4ngt vor der B\u00fchne, wo ein Volkss\u00e4nger albanische Popsongs singt.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tAm Rande steht ein junges M\u00e4dchen \u2013 17 Jahre vielleicht \u2013 die im schweren Schweizer Dialekt spricht. Sie tanzt, wie Albaner tanzen. Mit den Armen \u00fcber dem Kopf, die H\u00fcften leicht schwingend. So, dass es federleicht aussieht. Wie ist das, ein \u201eSchatzi\u201c zu sein? Ihre Antwort folgt prompt: \u201eDu bist nicht hier und nicht dort zu Hause\u201c, sagt sie. Viele werden das im Laufe dieser Recherche sagen. Denn eine Geschichte \u00fcber \u201eSchatzis\u201c ist nicht nur eine \u00fcber Wohlstand und Reichtum. Sie erz\u00e4hlt von Zerrissenheit und Heimweh. Und von der Schwierigkeit, Wurzeln zu schlagen, weil man zwischen zwei Welten lebt. Die Frage, wer oder was ein \u201eSchatzi\u201c ist, f\u00fchrt uns in aussterbende D\u00f6rfer ebenso wie in \u00fcberf\u00fcllte Pools. Sie erz\u00e4hlt von Menschen, die international bekannte Fu\u00dfballer und Popstars geworden sind, ebenso wie von Menschen, die alles verloren haben. Es geht um Wirtschaftspolitik, die nicht von Ministern, sondern von Hunderttausenden Familien betrieben wird. Und um eine Frage, von der das Schicksal eines ganzen Staates abh\u00e4ngt. Wie lange noch?<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDie Sternchen<\/strong>

Bes Bujupi h\u00f6rt oft, dass er skandinavisch aussehe. Dann erz\u00e4hlt er \u2013 mit britischem Akzent \u2013 dass er als Kind mit seiner Familie aus dem Kosovo gefl\u00fcchtet ist. Heute sitzt Bujupi \u2013 ein erfolgreicher Grafiker aus London \u2013 im Soma. Das Soma ist ein angesagtes Hipster-Restaurant in Pristina mit B\u00fccherregalen an der Wand und gro\u00dfer Terrasse. Hier trinkt der Pr\u00e4sident seinen Morgenkaffee. Hier trifft sich alles, was Rang und Namen beziehungsweise Geld hat \u2013 K\u00fcnstler, Journalisten, Regisseure, Diplomaten. Bujupi mag den Ausdruck \u201eSchatzi\u201c nicht besonders. Die \u201eSchatzis\u201c, das seien die Machos, die im Club mit Scheinen werfen. \u201eIch will nicht gedankenlos Geld \u00fcberweisen, sondern mein Know-How hierherbringen\u201c, sagt Bujupi. In Pristina hat er die erste Design-Konferenz organisiert.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tWenn ein international erfolgreicher Superstar wie Dua Lipa Fotos vom Partymachen in Pristina postet und auf Albanisch schreibt, wie sehr sie ihre Heimatstadt vermisst hat, dann hat das politische Sprengkraft.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDieses Jahr war er Teil des Teams rund um das \u201eSunny Hill Festival\u201c, das vom wohl ber\u00fchmtesten \u201eSchatzi\u201c des Landes abgehalten wird. Dua Lipa ist eine britische S\u00e4ngerin mit kosovo-albanischen Wurzeln. Sie hat mehrere Jahre in Pristina gelebt und spricht deswegen flie\u00dfend Albanisch. Derzeit ist sie einer der meistgeklickten Popstars auf Youtube und spielt ausverkaufte Shows auf der ganzen Welt. Wenn Dua Lipa am Flughafen von Pristina landet, dann ist das ganze Land in Aufruhr. Die Menschen lieben sie nicht nur f\u00fcr ihre Musik, sondern weil sie dem schlechten Image des Landes neuen Glanz verleiht. Ihr Instagram-Account mit 18 Millionen Followern ist f\u00fcr den Kosovo mehr wert, als jeder Eintrag in einem Reisef\u00fchrer. 20 Jahre nach dem Krieg denken viele Menschen immer noch, dass es gef\u00e4hrlich ist, hierherzureisen. Wenn ein international erfolgreicher Superstar wie Dua Lipa Fotos vom Partymachen in Pristina postet und auf Albanisch schreibt, wie sehr sie ihre Heimatstadt vermisst hat, dann hat das politische Sprengkraft. Denn der Kosovo k\u00e4mpft um seinen Platz auf der internationalen B\u00fchne. F\u00fcnf EU-Mitgliedsl\u00e4nder \u2013 Griechenland, Slowakei, Zypern, Spanien, Rum\u00e4nien \u2013 erkennen ihn nicht als Staat an. Russland und China verhindern als st\u00e4ndige Mitglieder des Sicherheitsrats seine Aufnahme in die Uno. \u201eEs wirkt, als h\u00e4tte jemand eine gro\u00dfe Mauer um den Kosovo gebaut\u201c, bedauert Grafiker Bes Bujupi.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDie Hochzeitsplanerin<\/strong>

Die Mauer, von der Bujupi spricht, hat einen Namen: Visumpflicht. Der Kosovo ist das einzige Land Europas, dessen B\u00fcrger Europa nicht frei bereisen d\u00fcrfen. Obwohl das EU-Parlament im September gr\u00fcnes Licht f\u00fcr die Abschaffung der Visumpflicht gab, stehen die Chancen schlecht. Der EU-Kommissar Johannes Hahn reiste k\u00fcrzlich nach Pristina, um die schlechte Nachricht zu \u00fcberbringen: auch kommendes Jahr wird es f\u00fcr die Kosovaren keine Visabefreiung geben. Die b\u00fcrokratischen H\u00fcrden sind enorm. Derzeit m\u00fcssen sie auf der Botschaft zahlreiche Formulare ausf\u00fcllen, ihren Kontostand offenlegen und oft monatelang warten. Wer in die EU oder die Schweiz einreisen will, der braucht au\u00dferdem einen guten Grund \u2013 Arbeit, Universit\u00e4t, Sportwettkampf. Verwandte in Wien oder Z\u00fcrich zu besuchen, beziehungsweise auf eine Hochzeit in Stuttgart zu gehen, geh\u00f6rt nicht dazu. Und so kehrt die Diaspora zum Heiraten in den Kosovo zur\u00fcck.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tAuch Emma hat sich dazu entschieden, Ihre Hochzeit im Kosovo zu feiern: \u201eZu Hause h\u00e4tten wir f\u00fcr so eine Hochzeit einen Kredit aufnehmen m\u00fcssen\u201c. Foto: \u00a9 Florian Rainer<\/p>\t<\/figcaption>\n<\/figure>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tShemsije D\u00ebrmaku hat daraus ein Gesch\u00e4ftsmodell gemacht. Sie sagt: \u201eOhne die Diaspora w\u00e4re ich nie Hochzeitsplanerin geworden\u201c. Im September 1999 \u2013 wenige Monate nach den NATO-Bombardements organisierte sie ihre erste Hochzeit. Damals waren im ganzen Land keine frischen Blumen aufzutreiben. Die Menschen hatten andere Sorgen, weil ihre H\u00e4user zerst\u00f6rt und ausgebrannt waren. In den Nachkriegsjahren schickte die Diaspora D\u00ebrmaku VHS-Kassetten mit Videoaufnahmen US-amerikanischer Hochzeiten. \u201eGenauso wollen wir es haben, nur im Kosovo\u201c, sagten sie. Heute bietet D\u00ebrmaku mit ihrem Unternehmen \u201eGrand Decor\u201c Luxus-Hochzeiten an. \u201e90 Prozent meiner Kunden leben im Ausland\u201c, sagt sie. Sie bezahlen D\u00ebrmaku zwischen 1.000 und 5.000 Euro f\u00fcr die perfekte Location, importierte Blumen aus Italien, Krankameras und Rauch-Installationen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tIm Kosovo feiern \u201eSchatzis\u201c, die in Europa der Mittelklasse angeh\u00f6ren, Hochzeiten wie Superreiche. Mit rotem Teppich, pl\u00e4tscherndem Pool, f\u00fcnfst\u00f6ckiger Hochzeitstorte und \u00fcppigen Blumenarrangements. Foto: \u00a9 Florian Rainer<\/p>\t<\/figcaption>\n<\/figure>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tAn diesem Wochenende steht D\u00ebrmaku vor einem wei\u00dfen Geb\u00e4ude mit Palmen und kitschigen Pferdestatuen. Es erinnert an die Nachbauten griechischer Tempel, die man aus Disneyland kennt. 175 G\u00e4ste sind geladen. \u201eF\u00fcr eine Kosovo-Hochzeit sehr klein\u201c, bemerkt eine Mitarbeiterin, die den G\u00e4sten ihre Pl\u00e4tze zuweist. Heute heiraten Emma, 28, und Gramoz, 30. In einer Stunde sind sie Mr. und Mrs. Krasniqi \u2013 ein Name, der im Kosovo so h\u00e4ufig ist wie Wagner in \u00d6sterreich. Gramoz ist im Kosovo geboren, lebt aber in Schweden, seitdem er ein kleiner Bub ist. Im Studentenalter lernt er Emma auf einer Party kennen. \u201eZu Hause h\u00e4tten wir f\u00fcr so eine Hochzeit einen Kredit aufnehmen m\u00fcssen\u201c, sagt das Paar. Statt 100.000 Euro haben sie hier 25.000 bezahlt. Kosovaren m\u00fcssen daf\u00fcr im Schnitt fast sieben Jahre sparen. Im Kosovo feiern \u201eSchatzis\u201c, die in Europa der Mittelklasse angeh\u00f6ren, Hochzeiten wie Superreiche. Mit rotem Teppich, pl\u00e4tscherndem Pool, f\u00fcnfst\u00f6ckiger Hochzeitstorte und \u00fcppigen Blumenarrangements.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDie \u201ekleine Schweiz\u201c<\/strong>

Muhamet Hajrullahu hatte am Freitag Geburtstag. Und weil der CEO einer gro\u00dfen Immobilienfirma wunschlos gl\u00fccklich ist, hat er stattdessen seiner Heimatstadt Gjilan im Ostkosovo ein Geschenk gemacht \u2013 einen Nachbau der amerikanischen Freiheitsstatue. Im Kosovo sind die USA so beliebt wie in kaum einem anderen Land. Das liegt daran, dass eine NATO-Milit\u00e4rintervention unter F\u00fchrung der USA 1999 den Krieg beendet hat. Bis heute sind US-Soldaten im Land stationiert, um den Frieden zu sichern. \u201eThank you USA, you are my best friend\u201c lautet der Refrain eines nach dem Krieg popul\u00e4r gewordenen Songs. Gjilan hat jetzt also eine Freiheitsstatue. Dabei br\u00e4uchte es eigentlich Jobs.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tZur Zeit Jugoslawiens gab es hier Fabriken f\u00fcr fast alles: Heizungen, Tabak, Brot und Textilien. Mit der Privatisierungswelle gingen all diese Jobs verloren. Hajrullahu, der die Stadt verlassen hat, um in Deutschland eine Firma aufzubauen, ist heute eines der reichsten \u201eSchatzis\u201c der Stadt. Vor drei Jahren kam er mit einem Versprechen nach Gjilan zur\u00fcck: \u201eIn den n\u00e4chsten f\u00fcnf Jahren m\u00f6chte ich hier 2.000 Appartements bauen\u201c, sagt er in perfektem Hochdeutsch. Baustellen schaffen Jobs. Hajrullahu bezahlt seinen Arbeitern 500 Euro im Monat \u2013 150 Euro mehr als der Durchschnittslohn. Die Baustellen braucht es, weil die Nachfrage an Wohnraum steigt. Und das wiederum ist so, weil die Diaspora kauft. So verkauft Hajrullahu Appartements, die nur f\u00fcr ein paar Wochen im Jahr bewohnt sind.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tEin Witwer kehrt zur\u00fcck<\/strong>

    Leere H\u00e4user stehen auch in Neris Dorf. Es tr\u00e4gt den Namen Gadime und liegt im Zentralkosovo, unweit der Hauptstadt. Hier gibt es nicht viel \u2013 eine Tropfsteinh\u00f6hle, Maisfelder, holprige Stra\u00dfen. Neri ist ein R\u00fcckkehrer, der nicht ganz hierher zu passen scheint, mit seinen zwei Scho\u00dfh\u00fcndchen und seiner Cowboy-Stiefel-Sammlung. Er steht in seinem Wohnzimmer, nimmt ein eingerahmtes Foto vom Kamin, blickt es z\u00e4rtlich an und sagt: \u201eIch finde nie wieder eine Frau wie sie.\u201c Das Foto zeigt ihn mit langem Haar und Lederjacke, wie er den Arm um eine gro\u00dfe, rothaarige Frau gelegt hat. Mit ihr hat Neri eine Art kosovarischen Traum gelebt: Geld verdienen in der Schweiz, Traumhaus im Kosovo. Sie arbeitete als Krankenpflegerin f\u00fcr eine wohlhabende Familie. Er jobbte zuerst auf Baustellen, dann als Barmann in einem Club. 45.000 Euro sparten sie, um sich hier ein Haus zu bauen. Dann \u2013 vor sechs Jahren \u2013 wurde Neris Frau krank. Dickdarmtumor, elf Operationen, unz\u00e4hlige Chemotherapien.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tDie kosovarischen \u201eSchatzis\u201c werden im Land als Erfolgsmodell verkauft. Aber nicht alle finden ihr Gl\u00fcck im Ausland.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tUnd als sie starb, da sah er keinen Sinn mehr darin, in der Schweiz zu bleiben, weil das alte Leben ohne sie keinen Wert mehr hatte. Er kehrte nach Hause zur\u00fcck \u2013 mit einer Pension von umgerechnet 842 Euro. Damit kann man in der Schweiz nicht auskommen. Im Kosovo hingegen kann man damit ein sch\u00f6nes Leben haben. Theoretisch. Doch Neri sagt: \u201eIch habe alles verloren. Dieses Haus bedeutet mir nichts mehr.\u201c Um ihn herum stehen antik aussehende M\u00f6bel, ein Flachbildfernseher, Musikboxen, seine Cowboystiefel-Sammlung. Die kosovarischen \u201eSchatzis\u201c werden im Land als Erfolgsmodell verkauft. Aber nicht alle finden ihr Gl\u00fcck im Ausland. Neri ist einer dieser gebrochenen R\u00fcckkehrer, die ihr Leben lang gearbeitet haben und sich irgendwann fragen: Wof\u00fcr eigentlich?<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tUrlaub an der K\u00fcste<\/strong>

    In einer abgeschiedenen Bucht an der albanischen K\u00fcste watet Fisnik, 14, in Badehose in die Adria hinein, die an dieser Stelle noch nicht braun vom Massentourismus ist, sondern blitzblau. Seine Eltern Zymer, 53, und Valbona, 45, wissen, wo die Str\u00e4nde ruhig sind und das Wasser klar. Sie kommen seit Jahren nach Sh\u00ebngjin \u2013 ein bei der Diaspora beliebter Badeort im Nordwesten Albaniens. Ganze Hotelkomplexe beherbergen hier kosovarische \u201eSchatzis\u201c. Kosovo und Albanien erinnern an zwei ungleiche Geschwister. Sie teilen sich eine Sprache und eine Kultur. Sie fiebern beim Eurovision Song Contest f\u00fcr dieselben Kandidaten und gehen mit derselben, schwarzroten Flagge zu Fu\u00dfballspielen. Und doch ist die Geschichte beider L\u00e4nder unterschiedlich verlaufen. Albanien war nie ein Teil Jugoslawiens. Stattdessen \u00fcberzog sein stalinistischer Diktator Enver Hoxha das Land mit Hunderttausenden Bunkern, die bis heute in der Landschaft stehen wie Maulwurfsh\u00fcgel aus Beton. Bis in die Neunzigerjahre blieb Albanien vom Rest Europas isoliert. In Jugoslawien hingegen durften die Gastarbeiter nach Westeuropa reisen und den Kapitalismus kennenlernen. Ein Grund daf\u00fcr, dass sich der Begriff \u201eSchatzi\u201c in Albanien nie etabliert hat, ist der, dass die Menschen von dort nach Griechenland und Italien auswanderten, wo kein Deutsch gesprochen wird. Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise in diesen L\u00e4ndern wurden auch die Finanzfl\u00fcsse nach Albanien kleiner. Dass das Diaspora-System im Kosovo immer noch l\u00e4uft wie eine gut ge\u00f6lte Maschine, liegt also daran, dass die Migrationsbewegungen in die reichsten L\u00e4nder Europas bereits vor Jahrzehnten einsetzten. <\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tViele “Schatzis” besuchen nicht nur Ihre Verwandten im Kosovo, sondern verbringen ihren Urlaub auch an der K\u00fcste Albaniens, wie hier in Sh\u00ebngjin. Foto: \u00a9 Florian Rainer<\/p>\t<\/figcaption>\n<\/figure>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tValbona und Zymer sitzen \u2013 in zwei Handt\u00fccher geh\u00fcllt \u2013 im Schatten der Beach Bar. Durch das Strohdach fallen vereinzelt Sonnenstrahlen. Es hat 37 Grad. Der Sand gl\u00fcht unter den F\u00fc\u00dfen. Der Duft von Salzwasser und gegrilltem Fisch liegt in der Luft, w\u00e4hrend sie ihre Geschichte erz\u00e4hlen. Valbona verlie\u00df den Kosovo bereits 1987. Der jugoslawische Pr\u00e4sident Tito war da schon sechs Jahre tot, und im Vielv\u00f6lkerstaat begann der Nationalismus zu brodeln. Valbona ging in die Schweiz, wo sie zuerst als K\u00f6chin und dann in einer Keksfabrik arbeitete. Ihr Mann Zymer musste sein Studium in Pristina abbrechen und heuerte in der Schweiz als Gehilfe auf einem Bauernhof an. Die Migration hat aus Intellektuellen notgedrungen Arbeiter gemacht. Menschen, die eigentlich Philosophie oder Wirtschaft studieren wollten, waren gezwungen, ihr Geld am Bau zu verdienen. Der ber\u00fchmteste Kosovare, dem es so erging, ist Ramush Haradinaj. In den Neunzigerjahren arbeitete er als Zimmermann und T\u00fcrsteher in der Schweiz. Man k\u00f6nnte meinen, sein Leben w\u00e4re nur eine weitere von unz\u00e4hligen \u201eSchatzi\u201c-Episoden. Aber Haradinaj hat als Kommandant im Krieg Karriere gemacht \u2013 und ist heute Premierminister des Kosovo. Unl\u00e4ngst machte er mit seiner Familie Winterurlaub in seiner alten Heimat Schweiz. Dort soll er laut der Zeitung Insajderi<\/em> f\u00fcr mehr als 70.000 Euro die Zaren-Suite des Carlton Hotels bezogen haben. Haradinaj behauptete sp\u00e4ter, es seien nur 7.000 Euro gewesen. Auf den kosovarischen Durchschnittslohn umgelegt, ist auch das eine Menge Geld. Rund zwei Jahre muss ein Normalb\u00fcrger f\u00fcr diese Summe arbeiten gehen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tErstmals publiziert im Oktober 2018 im DATUM<\/a>.<\/em>

    Dieser Text ist urheberrechtlich gesch\u00fctzt. \u00a9 DATUM \/ Franziska Tschinderle. Bei Interesse an Wiederver\u00f6ffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der
    Redaktion<\/a>.
    Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Zuschauer bei der Diaspora-Party in Ferizaj. Foto: \u00a9 Florian Rainer<\/em>
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    Kosovo lebt vom Geld seiner Auswanderer. Im Sommer kehren sie zur\u00fcck und lassen sich feiern.<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":1597,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[433,299,436],"tags":[450,449,366],"formats":[],"acf":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3586"}],"collection":[{"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=3586"}],"version-history":[{"count":3,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3586\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":5536,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3586\/revisions\/5536"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/media\/1597"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=3586"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=3586"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=3586"},{"taxonomy":"format","embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/formats?post=3586"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}