{"id":3582,"date":"2019-02-05T00:00:00","date_gmt":"2019-02-05T00:00:00","guid":{"rendered":"https:\/\/erste-foundation.byinfinum.co\/orthodoxe-religion-unorthodoxe-medizin\/"},"modified":"2021-08-23T11:28:03","modified_gmt":"2021-08-23T11:28:03","slug":"orthodoxe-religion-unorthodoxe-medizin","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/orthodoxe-religion-unorthodoxe-medizin\/","title":{"rendered":"Orthodoxe Religion, unorthodoxe Medizin"},"content":{"rendered":"
\n\tEine neue Generation von \u00c4rztinnen und \u00c4rzten in Rum\u00e4nien will den Glauben in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen. Grund zum Alarm sehen jene, die der \u00dcberzeugung sind, Religion und Medizin passen nicht zusammen.<\/strong><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tDer Kardiologe Ciprian Fisca hat w\u00e4hrend der letzten Nachtschicht kaum geschlafen, seine n\u00e4chste Schicht beginnt morgen zeitig in der Fr\u00fch. Doch jetzt, acht Stunden bevor er wieder ins Spital muss, g\u00e4be es keinen Ort, an dem er lieber w\u00e4re als in der K\u00fcche eines religi\u00f6sen Refugiums, inmitten des l\u00e4ndlichen Siebenb\u00fcrgen, um Meerrettich zu sch\u00e4len. Der 27-J\u00e4hrige arbeitet freiwillig als K\u00fcchenhilfe im abgeschiedenen St.-Johannes-Evangelist-Refugium, und hilft den Geistlichen, die Mahlzeit f\u00fcr den n\u00e4chsten Tag vorzubereiten. Zu der kleinen Gruppe, die hier mithilft, geh\u00f6ren auch ein Pharmaziestudent und Ciprians j\u00fcngere Schwester, die selbst Medizin studieren m\u00f6chte.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tDas Refugium besteht aus einer schlichten Kirche, umgeben von derzeit im Bau befindlichen modern anmutenden Geb\u00e4uden, darunter eine Kantine, ein Tagungszentrum und Unterk\u00fcnfte. Die Umgestaltung dieses entlegenen Ortes ist ein Zeichen des Aufschwungs der Rum\u00e4nisch-Orthodoxen Kirche, die nach einem halben Jahrhundert kommunistischer Diktatur St\u00e4rke zeigt. Wurde sie fr\u00fcher mit \u00e4lteren Menschen und der armen Landbev\u00f6lkerung in Verbindung gebracht, so zieht die Kirche nun die gebildete Jugend in den St\u00e4dten an und verf\u00fcgt \u00fcber eine starke Anh\u00e4ngerschaft von MedizinerInnen und MedizinstudentInnen. F\u00fcr eine neue Generation strenggl\u00e4ubiger rum\u00e4nischer Medizinerinnen und Mediziner ist der Glaube keine reine Privatsache \u2013 er pr\u00e4gt auch ihre Arbeit. \u201eWenn du Arzt bist, dann muss Gott Chef deiner Abteilung sein\u201c, meint Ciprian.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tDie Kirche unterst\u00fctzt eine Art medizinischer Praxis, die jahrhundertealte Lehren mit ihrer Haltung zu modernen Fragen der Lebensf\u00fchrung, Moral und Sexualit\u00e4t verkn\u00fcpft. \u00c4rztinnen und \u00c4rzte, die sich dieser Form der \u201echristlichen Medizin\u201c zuwenden, bef\u00fcrworten im Allgemeinen die offensichtlichen, von der Kirche attestierten gesundheitlichen Nutzen des Betens und Fastens, und teilen die Auffassung der Kirche, die Abtreibung, Empf\u00e4ngnisverh\u00fctung und Homosexualit\u00e4t f\u00fcr schwere S\u00fcnden h\u00e4lt. Dies hat viele Vertreter der \u00c4rzteschaft alarmiert, die der \u00dcberzeugung sind, dass Religion und Medizin nicht miteinander vermischt werden sollten. Diese Kritiker betrachten den Widerstand der Kirche gegen Abtreibung und Verh\u00fctung als unvereinbar mit der modernen medizinischen Ethik und stehen deren Begeisterung f\u00fcr unerprobte Therapien wie Fasten und Beten mit Misstrauen gegen\u00fcber. Gabriel Diaconu, ein Psychiater und f\u00fcr Rum\u00e4niens auflagenst\u00e4rkstes medizinisches Fachblatt Viata Medicala<\/em> t\u00e4tiger Kommentator, meint, dass \u00c4rztinnen und \u00c4rzte zwar das gute Recht haben, gl\u00e4ubig zu sein, der Glaube bei ihrer T\u00e4tigkeit jedoch keine Rolle spielen d\u00fcrfe. \u201eEs gibt \u00c4rzte, die in ihrer Freizeit in klassischen Orchestern spielen, sie bringen ihr Cello aber nicht mit in den Operationssaal\u201c, erkl\u00e4rt er.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\t\u201eDer Glaube und die rum\u00e4nische Nation\u201c<\/strong> \n\tDieses Jahr haben die M\u00f6nche zum ersten Mal ein Camp ausschlie\u00dflich f\u00fcr MedizinerInnen und MedizinstudentInnen ausgerichtet. Auch Ciprian z\u00e4hlte zu den 170 G\u00e4sten. Der sympathische Mann mit dem gepflegtem Bart tr\u00e4gt einen Rosenkranz um sein Handgelenk und sieht seit Langem nicht mehr fern, um mehr Zeit f\u00fcr die Medizin und Freiwilligenarbeit zu haben. Er bezeichnet Oasa als \u201eseinen geistigen Geburtsort\u201c. Ein gew\u00f6hnlicher Tag im Camp beginnt und endet mit einem Gottesdienst. Das Programm besteht zum Teil aus Vortr\u00e4gen zu religi\u00f6sen Themen sowie Unterricht in biblischer Musik und patriotischem Gesang. Den G\u00e4sten k\u00f6nnen auch Aufgaben wie Holzhacken oder das S\u00e4ubern der Toiletten zugewiesen werden. Die Mahlzeiten sind einfach, Gespr\u00e4che w\u00e4hrend des Essens nicht erw\u00fcnscht. Es gibt keinen Fernseher und kein Internet und die Verwendung von Mobiltelefonen ist aufgrund des schwachen Netzes praktisch unm\u00f6glich. Um 21:30 Uhr wird das Licht ausgeschaltet. Die G\u00e4ste n\u00e4chtigen in nach Geschlechtern getrennten Schlafs\u00e4len.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\t\u201eWenn du Arzt bist, dann muss Gott Chef deiner Abteilung sein.\u201c<\/p> \n\t\u2014 Kardiologe Ciprian Fisca<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tDie allt\u00e4glichen politischen Turbulenzen und Wirtschaftsprobleme Rum\u00e4niens scheinen in Oasa weit weg zu sein. Im Sommer riecht die frische Bergluft morgens nach Kiefern und frisch gem\u00e4htem Gras. W\u00fcrde der Dritte Weltkrieg ausbrechen, so erf\u00fchre man es hier zuletzt. Der Vorschlag f\u00fcr ein auf MedizinerInnen und MedizinstudentInnen zugeschnittenes Camp stammte von Teodora Span, einer wortgewandten Frau Anfang zwanzig aus Sibiu. Die Idee kam ihr, als ihr auffiel, wie viele G\u00e4ste der regul\u00e4ren Sommercamps wie sie Medizin studierten. Obwohl ihr Vater Priester ist, habe sie sich nicht als gl\u00e4ubige Christin gesehen. Doch dann kam sie als Teenager nach Oasa und \u201ebegann, ernsthaft \u00fcber den Glauben und die rum\u00e4nische Nation nachzudenken\u201c. Im Kloster zeigt sie ihr gesangliches Talent und leitet die G\u00e4ste beim Einstudieren patriotischer Lieder.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\t\u201eDie Schulsysteme unterziehen dich einer Gehirnw\u00e4sche\u201c<\/strong> \n\tChiril\u0103 holte in seiner Rede weit aus, gab Tipps zur Lebensf\u00fchrung und sprach \u00fcber Krebstherapien. Er erw\u00e4hnte auch die Homosexualit\u00e4t als Quelle vieler Krankheiten und bezeichnete sie als einen vom Westen forcierten \u201eTrend\u201c. Chiril\u0103 ist Gr\u00fcndungsmitglied der \u201eKoalition f\u00fcr die Familie\u201c, einer konservativen B\u00fcrgerinitiative, die eine Verfassungs\u00e4nderung anstrebt, mit dem Ziel, die Ehe ausschlie\u00dflich als Verbindung zwischen \u201eMann und Frau\u201c zu definieren und dadurch gleichgeschlechtliche Ehen in Rum\u00e4nien unm\u00f6glich zu machen. Ein weiterer Referent im Oasa-Camp, der Biophysiker Virgiliu Gheorghe, \u00fcbte heftige Kritik an der schulmedizinischen Ausbildung. \u201eAlle Schulsysteme wollen dich einer Gehirnw\u00e4sche unterziehen\u201c, erkl\u00e4rte er seinem Publikum. In einer von BIRN geh\u00f6rten Tonaufnahme des Vortrags sprach Gheorghe auch vom Fasten als Therapie f\u00fcr Krankheiten wie Schizophrenie und Krebs.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tDer Vormarsch der \u201echristlichen Medizin\u201c ist laut Dr. Mihai Craiu, Professor f\u00fcr P\u00e4diatrie an der Medizinischen Universit\u00e4t Carol Davila f\u00fcr Medizin in Bukarest, ein \u201eR\u00fcckschritt\u201c. F\u00fcr den praktizierenden Christen ist die moderne Medizin ein Geschenk Gottes. Er kritisiert die Arroganz jener, die f\u00fcr auf alten \u00dcberzeugungen beruhende Behandlungen pl\u00e4dieren. \u201eIch glaube nicht, dass irgendeine der wesentlichen Religionen der Welt den medizinischen Fortschritt verbietet,\u201c erkl\u00e4rte er gegen\u00fcber BIRN. Diaconu, der Psychiater und Kommentator von Viata Medicala<\/em>, ist der Ansicht, dass alle \u00c4rztinnen und \u00c4rzte das Recht haben, ihre Meinung zu \u00e4u\u00dfern \u2013 es sei jedoch ethisch bedenklich, dies ohne handfeste Beweise zu tun. \u201eDie Verbreitung von Informationen ohne medizinische Nachweise steht im Widerspruch zu einer vorbildlichen Berufsaus\u00fcbung\u201c, meinte er. Zwar h\u00e4tten Medizinerinnen und Mediziner das Recht, an Exerzitien teilzunehmen, doch sollten sie die medizinische Praxis nicht durch \u201ePseudomedizin\u201c ersetzen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tVon BIRN per Telefon befragt, rechtfertigten sowohl Gheorghe als auch Chiril\u0103 ihre Vortr\u00e4ge in Oasa und deklarierten sich als Verfechter eines spirituelleren Ansatzes in der Medizin, der in der Schulmedizin auf wenig Gegenliebe st\u00f6\u00dft. Gheorghe erkl\u00e4rte BIRN, dass er das Fasten nicht als Ersatz f\u00fcr konventionelle Krebstherapien wie Chemo- oder Strahlentherapie gepriesen habe. Vielmehr k\u00f6nne Fasten eine erg\u00e4nzende Therapie sein, die zus\u00e4tzlich zu diesen Behandlungen wirkt. Er dementierte au\u00dferdem jegliche Andeutung, er w\u00fcrde eine Pseudowissenschaft unterst\u00fctzen. Mit dieser Bezeichnung werden seiner Meinung nach gemeinhin Forschungen bagatellisiert, die nicht von gro\u00dfen Pharmaunternehmen unterst\u00fctzt werden. Chiril\u0103 verwahrte sich auch gegen jegliche Andeutung, dass er eine Pseudowissenschaft praktizieren w\u00fcrde, auch wenn eine Vielzahl aktueller medizinischer Studien den therapeutischen Wert der Hom\u00f6opathie in Zweifel ziehen. \u201eDas ist deren Problem, nicht meines\u201c, meinte er \u00fcber seine Kritiker. \u201eEs ist mir egal, wer meine Methoden anzweifelt. Ich selbst stelle jede Medizin infrage, die so starke Nebenwirkungen hat, dass sie einen Patienten vor deinen Augen t\u00f6tet.\u201c Nach seiner Einstellung zur Homosexualit\u00e4t befragt, erkl\u00e4rte Chiril\u0103, dass er gegen\u00fcber Homosexuellen keinerlei \u201eAbneigung\u201c versp\u00fcre und sie mit \u201eEmpathie\u201c behandle.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tBei den CampteilnehmerInnen sto\u00dfen die in seinem Vortrag ge\u00e4u\u00dferten Meinungen trotz alledem auf offene Ohren. \u201eHomosexualit\u00e4t ist nicht nat\u00fcrlich\u201c, meint Ciprian. \u201eSie ist abnormal.\u201c Derlei Ansichten sorgen in s\u00e4kularen und liberalen Kreisen f\u00fcr Beunruhigung. W\u00e4hrend Kritiker keiner \u00c4rztin bzw. keinem Arzt das Recht absprechen, ihren oder seinen Glauben im privaten Rahmen auszuleben, sehen sie im Vormarsch der \u201echristlichen Medizin\u201c eine Bedrohung f\u00fcr Wissenschaft und Gesellschaft. Sie bezichtigen die Kirche des Versuchs, ihr konservatives Programm mithilfe der Medizin voranzutreiben. \u201eSolange der christliche Glaube angehender Medizinerinnen und Mediziner eine pers\u00f6nliche Angelegenheit ist, gibt es kein Problem\u201c, meint Toma Patrascu, Pr\u00e4sident des rum\u00e4nischen Verbands s\u00e4kularer Humanisten. \u201eSobald aber einhundert Menschen mit derselben Ansicht an einem Ort versammelt sind, dann ist das keine pers\u00f6nliche Angelegenheit mehr, sondern eine \u00f6ffentliche. Eine Gruppe Gleichgesinnter ist mehr als die Summe ihrer Teile. Sie entwickelt ihre eigene Dynamik.\u201c<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tSeit mehr als zehn Jahren veranstalten die M\u00f6nche des hoch oben in den Karpaten gelegenen Oasa-Klosters am Fu\u00dfe des Oasa-Sees j\u00e4hrliche Sommercamps f\u00fcr gl\u00e4ubige junge Rum\u00e4ninnen und R\u00fcmanen, die ihren Glauben besser verstehen und das Klosterleben kennenlernen wollen. Das Programm f\u00fcr das Camp der MedizinstudentInnen treibt ein “neues Paradigma” in der Medizine voran. Foto: \u00a9 istock \/ xalanx<\/p>\t<\/figcaption>\n<\/figure>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tEin Sprecher des Erzbistums Alba Iulia, dem das Kloster von Oasa untersteht, zerstreute Bef\u00fcrchtungen hinsichtlich einer Indoktrinierung von Studierenden der Medizin und beharrte darauf, dass das Sommercamp einzig eine klar ersichtliche Mission erf\u00fclle. \u201eWir repr\u00e4sentieren die Kirche, deshalb propagieren wir die wohlbekannten moralischen und kulturellen Werte der Kirche und des Christentums\u201c, erkl\u00e4rte Priester Oliviu Botoi gegen\u00fcber BIRN. \u201eWir k\u00f6nnten zum Beispiel keine Konferenz \u00fcber die Prinzipien des Atheismus abhalten.\u201c Er f\u00fcgte hinzu, dass junge Menschen das Recht h\u00e4tten, sich f\u00fcr Grunds\u00e4tze stark zu machen, die \u201enicht nur in einer rum\u00e4nischen Tradition, sondern in einer europ\u00e4ischen \u2013 einer christlichen \u2013Tradition verwurzelt sind.\u201c<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tInkubatoren des Nationalismus<\/strong> \n\tProfessor Cristian P\u0203rvulescu, Dekan der Fakult\u00e4t f\u00fcr Politikwissenschaften an der Nationalen Hochschule f\u00fcr Politik- und Verwaltungswissenschaften in Bukarest, argumentiert, dass die Verbundenheit der Medizinstudierenden mit der Kirche und dem Nationalismus an vergangene Zeiten erinnert. Im fr\u00fchen 20. Jahrhundert waren rum\u00e4nische Universit\u00e4ten und medizinische Hochschulen ein N\u00e4hrboden f\u00fcr ultranationalistische und antisemitische Ideologien. 1922 hinderten Studierende der medizinischen Fakult\u00e4t in Cluj ihre j\u00fcdischen Kolleginnen und Kollegen \u2013 die die H\u00e4lfte der Hochsch\u00fclerInnen ausmachten \u2013 daran, Autopsien an christlichen Leichen durchzuf\u00fchren. Die darauf folgenden Unruhen f\u00fchrten schlie\u00dflich zu Anregungen, die Zahl der j\u00fcdischen Studierenden an Universit\u00e4ten zu limitieren.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tAus den ultranationalistischen Ideologien Rum\u00e4niens ging die Eiserne Garde hervor, eine faschistische Bewegung, die in die mit den Nazis verb\u00fcndete Regierung von Ion Antonescu geholt wurde. Die Eiserne Garde war ebenfalls sehr religi\u00f6s und stellte die orthodoxe Kirche in den Mittelpunkt ihrer Vision f\u00fcr den rum\u00e4nischen Staat. Viele der fr\u00fchen Zusammenk\u00fcnfte der Eisernen Garde fanden an den medizinischen Hochschulen in Bukarest und Ia\u015fi statt. Auf ihre Vorbilder angesprochen, nannten die vergangenen Sommer in Oasa interviewten Medizinstudierenden keine \u00c4rztinnen oder \u00c4rzte der Gegenwart. Stattdessen erw\u00e4hnten die meisten Nicolae Paulescu, einen rum\u00e4nischen Mediziner aus dem fr\u00fchen 20. Jahrhundert, der f\u00fcr seine bahnbrechende Insulinforschung bekannt ist. Paulescu war ebenfalls Antisemit und eine f\u00fchrende Pers\u00f6nlichkeit in der faschistischen Politik seiner Zeit.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tDie Popularit\u00e4t der \u201echristlichen Medizin\u201c kann als lokale Facette eines umfassenden historischen Trends verstanden werden \u2013 dem Aufschwung der orthodoxen Kirche in L\u00e4ndern Osteuropas, die einst unter kommunistischer Herrschaft standen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tDer Theologe Radu Preda warnt jedoch davor, zu viele Parallelen zwischen der Gegenwart und dem fr\u00fchen 20. Jahrhundert zu ziehen. \u201eWir sollten nicht den Fehler machen zu denken: Du bist ein treuer Christ, daher bist du auch Nationalist, Faschist, Rassist oder Antisemit\u201c, meint er. Preda ist Dozent an der Fakult\u00e4t f\u00fcr Orthodoxe Theologie der Babe\u015f-Bolyai-Universit\u00e4t in Cluj. Er betont, dass die Bedingungen, die im fr\u00fchen 20. Jahrhundert zum Faschismus f\u00fchrten, heute nicht gegeben sind. Die Studierenden jener Zeit seien etwa sehr empf\u00e4nglich f\u00fcr radikale Ideen gewesen, weil sie die ersten in ihrer Familie waren, die auf die Universit\u00e4t gingen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\t\u201eDie Spiritualit\u00e4t eines Patienten entwickeln\u201c<\/strong> \n\tL\u00fccken im System<\/strong> \n\t\u201eIn Rum\u00e4nien wird dem medizinischen Berufsstand keine Wertsch\u00e4tzung entgegengebracht\u201c, meint Diaconu. \u201eWenn du dich abgelehnt f\u00fchlst und dann kommt ein Priester und sagt dir, \u201aEs gibt da diesen R\u00fcckzugsort\u2018, dann wirst du dir das ansehen, weil es gut tut, dazuzugeh\u00f6ren und sich willkommen zu f\u00fchlen.\u201c Religi\u00f6se Dogmen scheinen die L\u00fccken im Bildungssystem zu f\u00fcllen. Sie stillen Bed\u00fcrfnisse und geben Antworten auf Fragen, die im Unterricht nicht ber\u00fccksichtigt werden. Die von BIRN interviewten MedizinerInnen und MedizinstudentInnen erkl\u00e4rten, dass sich ihr Glaube durch ihre medizinische Ausbildung eher verfestigt habe, als dass sie ihn infrage stellten. Die Komplexit\u00e4t des menschlichen K\u00f6rpers, wie sie in den Anatomievorlesungen deutlich wird, zeugt von einem g\u00f6ttlichen Sch\u00f6pfer \u2013 ein vielfach genanntes Argument f\u00fcr die Existenz Gottes, auch bekannt als Intelligent-Design-Theorie.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tSie hatten \u00fcberdies den Eindruck, dass die seelischen Auswirkungen sensibler Themen wie Abtreibung oder Euthanasie in den Ethikvorlesungen der Medizinhochschulen ignoriert werden w\u00fcrden. Maria Aluas, eine Dozentin f\u00fcr Bioethik an der Medizinischen Universit\u00e4t Iuliu Ha\u0163ieganu in Cluj, best\u00e4tigte das: \u201cAbtreibung ist eine Frage der Moral und wir besch\u00e4ftigen uns nicht damit.\u201c Abtreibung ist in Rum\u00e4nien ein besonders sensibles Thema. Sie wurde gemeinsam mit der Empf\u00e4ngnisverh\u00fctung 1966 vom kommunistischen Regime verboten. \u00c4rztinnen und \u00c4rzte, die Abtreibungen vornahmen, wurden verhaftet und Frauen, die eine solche w\u00fcnschten, mussten zu gef\u00e4hrlichen Methoden greifen. Infolgedessen starben etwa 10.000 Frauen, und \u00fcber 100.000 ungewollte Kinder endeten in heruntergekommenen staatlichen Waisenh\u00e4usern. Nach der Revolution 1989 wurden Schwangerschaftsabbruch und -verh\u00fctung legalisiert. \u00c4rztinnen und \u00c4rzten steht es jedoch frei, gewisse Eingriffe wie Abtreibungen, die mit ihren pers\u00f6nlichen Moralvorstellungen im Konflikt stehen, zu verweigern, wie das auch in L\u00e4ndern wie Gro\u00dfbritannien und den USA der Fall ist.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tCiprian behauptet, dass der religi\u00f6se Glaube christlicher \u00c4rztinnen und \u00c4rzte nicht t\u00e4glich auf die Probe gestellt wird, da F\u00e4lle von Abtreibung oder Euthanasie selten sind. Sein Glaube habe einen subtilen und positiven Einfluss auf seine T\u00e4tigkeit. Er mache ihn gewissenhafter, und in F\u00e4llen, in denen der Patient oder die Patientin ebenfalls Christ\/in ist, entstehe automatisch Verbundenheit. Ciprian ist der festen \u00dcberzeugung, dass ein gesundes spirituelles Leben den Heilungsprozess unterst\u00fctzen kann. Manchmal spricht er mit seinen Patienten auch dar\u00fcber, aber nur dann, wenn er Zeichen des Glaubens entdeckt, wie ein Gebetbuch neben dem Krankenbett oder einen Rosenkranz am Handgelenk des Patienten oder der Patientin \u2013 so wie er einen tr\u00e4gt.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tOriginal auf Englisch. Erstmals publiziert am 5. Februar 2018 auf Balkaninsight.com<\/a>. \n\t<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tDieser Artikel wurde durch das Balkan Fellowship for Journalistic Excellence Alumni-Programm<\/a> erm\u00f6glicht, das von der Open Society Foundation<\/a> und der ERSTE Stiftung unterst\u00fctzt und in Zusammenarbeit mit dem Balkan Investigative Reporting Network<\/a> durchgef\u00fchrt wird.<\/em><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":" Rum\u00e4niens christliche \u00c4rzte auf dem Vormarsch<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":1565,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[433,299,436],"tags":[492,368,277],"formats":[],"acf":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3582"}],"collection":[{"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=3582"}],"version-history":[{"count":3,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3582\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":5541,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3582\/revisions\/5541"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/media\/1565"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=3582"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=3582"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=3582"},{"taxonomy":"format","embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/formats?post=3582"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}
Das St.-Johannes-Evangelist-Refugium wird von den M\u00f6nchen des hoch oben in den Karpaten gelegenen Oasa-Klosters gef\u00fchrt. Seit mehr als zehn Jahren veranstalten sie j\u00e4hrliche Sommercamps f\u00fcr gl\u00e4ubige junge Rum\u00e4ninnen und Rum\u00e4nen, die ihren Glauben besser verstehen und das Klosterleben kennenlernen wollen. Waren es zu Beginn ein oder zwei Camps, so organisieren die M\u00f6nche mittlerweile jedes Jahr etwa zehn Veranstaltungen und hei\u00dfen \u00fcber tausend G\u00e4ste zwischen 18 und 30 Jahren willkommen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n
Das Programm f\u00fcr das Camp der MedizinstudentInnen umfasste einen Workshop \u00fcber Erste-Hilfe-Techniken sowie Vortr\u00e4ge \u00fcber Abtreibung, Zusammenh\u00e4nge zwischen Ern\u00e4hrung und Erkrankungen, den christlich-orthodoxen Lebensstil und ein sich abzeichnendes \u201eneues Paradigma\u201c in der Behandlung von Krebs. Star-Referent war Dr. Pavel Chiril\u0103, ein 71-j\u00e4hriger Mediziner und Unternehmer, der f\u00fcr seine konservativen christlichen \u00dcberzeugungen und seine Bukarester Klinik bekannt ist, die hom\u00f6opathische Behandlungen anbietet \u2013 eine Form der alternativen Medizin, die von aktuellen Studien widerlegt wird. Der Mediziner ist ein scharfer Kritiker des Masernimpfprogramms der Regierung, auch wenn er es w\u00e4hrend seines Vortrags vermied, darauf einzugehen. Rum\u00e4nien erlebte dieses Jahr den schlimmsten Masernausbruch seit Jahrzehnten. Etwa 10.000 Menschen wurden mit dem Virus infiziert und 35 starben, die meisten von ihnen S\u00e4uglinge.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\t\n\t<\/div>\t
Die \u201echristliche Medizin\u201c gewinnt in Rum\u00e4nien tats\u00e4chlich an Bedeutung. Sie nimmt in den Buchhandlungen einen eigenen Bereich ein und f\u00fchrende Vertreter dieser Disziplin absolvieren \u00f6ffentlichkeitswirksame Auftritte bei Konferenzen und im Fernsehen. Sie zitieren aus der Bibel, um ihre Behauptungen \u00fcber den therapeutischen Nutzen des Betens und Fastens zu untermauern oder gegen die S\u00fcnden der Abtreibung und Homosexualit\u00e4t zu Felde zu ziehen. Die Popularit\u00e4t der \u201echristlichen Medizin\u201c kann als lokale Facette eines umfassenden historischen Trends verstanden werden \u2013 dem Aufschwung der orthodoxen Kirche in L\u00e4ndern Osteuropas, die einst unter kommunistischer Herrschaft standen. Seit Kurzem l\u00e4sst sich in Rum\u00e4nien ein anderes regionales Ph\u00e4nomen beobachten \u2013 das Wiederaufleben des Nationalismus und die heftige Gegenreaktion gegen die mit der Europ\u00e4ischen Union assoziierten liberalen Werte. In diesem Klima scheint die konservative Botschaft der Kirche, mit ihrer Betonung der nationalen Identit\u00e4t und Traditionen, besonders passend.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n
Inspiriert von ihrem Aufenthalt im Kloster haben einige AbsolventInnen von Oasa in ihren Heimatst\u00e4dten Jugendgruppen gegr\u00fcndet. In Sibiu leitet Teodora nun eine Gruppe, die Freiwilligenarbeit f\u00fcr \u00e4ltere Menschen leistet sowie Ausfl\u00fcge nach Oasa organisiert. Zehn der 80 aktiven Mitglieder der Gruppe w\u00fcrden Medizin studieren, sagt sie. Ciprian leitet in seiner Stadt T\u0203rgu Mure\u015f eine \u00e4hnliche Gruppe. 40 ihrer 55 Mitglieder studieren Medizin. \u00c4hnliche Gruppen wurden auch in den St\u00e4dten Timi\u0219oara und Cluj gegr\u00fcndet; dort machen Studierende der Medizin ungef\u00e4hr ein F\u00fcnftel der Mitglieder aus.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n<\/ol>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n
Die Vers\u00e4umnisse und Schw\u00e4chen des medizinischen Establishments Rum\u00e4niens k\u00f6nnten durchaus zur wachsenden Popularit\u00e4t der \u201echristlichen Medizin\u201c beigetragen haben. In Rum\u00e4nien wurden medizinische Hochschulen von einer Reihe aufsehenerregender Skandale ersch\u00fcttert. Leitende Professoren beschuldigte man des Finanzbetrugs sowie Bestechungsgelder und sexuelle Gef\u00e4lligkeiten von ihren Studierenden eingefordert zu haben. \u201eAngehende \u00c4rztinnen und \u00c4rzte treten in eine Zunft ein, die mit Bestechungs-, Korruptions-, und Diebstahls vorw\u00fcrfen behaftet ist\u201c, so Diaconu. Seit der Jahrtausendwende sind \u00fcber 15.000 rum\u00e4nische \u00c4rztinnen und \u00c4rzte ins Ausland gezogen \u2013 was zum Teil auf das angeschlagene Image des Berufsstands zur\u00fcckgef\u00fchrt wird. So wie desillusionierte Studierende ins Ausland abgewandert sind, so haben andere in der Kirche nach Orientierung gesucht.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n
Aus dem Englischen von Barbara Maya<\/a>.<\/em>
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Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Oasa-Kloster. Foto: \u00a9 iStock \/ frimufilms.<\/em><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n