{"id":3520,"date":"2018-07-31T00:00:00","date_gmt":"2018-07-31T00:00:00","guid":{"rendered":"https:\/\/erste-foundation.byinfinum.co\/billy-elliots-surrealer-tanz\/"},"modified":"2022-05-10T16:11:37","modified_gmt":"2022-05-10T16:11:37","slug":"billy-elliots-surrealer-tanz","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/billy-elliots-surrealer-tanz\/","title":{"rendered":"Billy Elliots surrealer Tanz"},"content":{"rendered":"
\n\tVolles Haus und st\u00fcrmischer Applaus in der Sonntagsmatinee im Budapester Erkel-Theater. Doch als die Schauspielerinnen und Schauspieler am Ende der Vorstellung winkten, sah das nach Abschiednehmen aus: wie das Ende eines erfolgreichen B\u00fchnenmusicals, das von der antiliberalen Bigotterie der populistisch-konservativen ungarischen Regierung abgesetzt wurde. <\/strong><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tDabei ist die Geschichte etwas komplizierter. Billy Elliot<\/em>, das Musical von Elton John, l\u00f6ste in Ungarn eine hitzige Debatte \u00fcber die Freiheit der Kunst und Zensur aus. Das St\u00fcck erz\u00e4hlt die Geschichte vom Traum eines Bergmannssohns, der in den 1980er Jahren Ballettt\u00e4nzer in Gro\u00dfbritannien werden will. Ballett wird von seiner gesamten Umgebung als unm\u00e4nnliches Hobby angesehen. Aber trotz aller Widrigkeiten schafft er es am Ende doch.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tBilly Elliot \u2013 Das Musical (Sir Elton John\/Lee Hall), Erkel-Theater Budapest, Szenenfoto \u00a9: P\u00e9ter R\u00e1kossy\/Erkel-Theater \n\t“Die Auff\u00fchrung f\u00f6rdert Homosexualit\u00e4t in einem Land, das mit demographischen Problemen zu k\u00e4mpfen hat.”<\/p> \n\t\u2014 Das ErkelTheater (die Billigversion der ungarischen Staatsoper) spielt Billy Elliot<\/em> seit mehr als zwei Jahren. Niemand hat sich bisher wirklich daf\u00fcr interessiert. Doch Anfang Juni lancierte die regierungstreue Tageszeitung Magyar Id\u0151k<\/em> aus heiterem Himmel einen Angriff unter der G\u00fcrtellinie auf das Musical und den Direktor der ungarischen Staatsoper, weil sie eine Auff\u00fchrung erm\u00f6glichten, die “die Homosexualit\u00e4t in einem Land f\u00f6rdert, das mit demografischen Problemen zu k\u00e4mpfen hat”. \n\tBilly Elliot \u2013 Das Musical (Sir Elton John\/Lee Hall), Erkel-Theater Budapest, Szenenfoto \u00a9: P\u00e9ter R\u00e1kossy\/Erkel-Theater \n\tDreimal darf man raten, was folgte. Der Direktor der ungarischen Staatsoper, der von der Fidesz eingesetzte Szilveszter \u00d3kov\u00e1cs, lehnte die Kritik zun\u00e4chst entr\u00fcstet ab, doch wenig sp\u00e4ter erschien auf der Website des Erkel-Theaters eine Ank\u00fcndigung, dass Billy Elliot abgesetzt wird. Nicht einmal das Ensemble war zuvor \u00fcber die Entscheidung informiert worden. Um das Gesicht zu wahren wurde betont, dass nicht alle Vorstellungen abgesagt werden – das h\u00e4tte zu sehr nach totaler Kapitulation ausgesehen -, sondern nur f\u00fcnfzehn, der insgesamt 44 im Sommerspielplan. Nichtsdestotrotz war die offizielle Erkl\u00e4rung am deutlichsten: “Das Interesse an der Auff\u00fchrung ist aufgrund der negativen Presseberichte deutlich zur\u00fcckgegangen”.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tEs ist schwierig zu beurteilen, ob dies der wahre Grund ist. Es ist ein offenes Geheimnis, dass negative Nachrichten besser sind als gar keine Nachrichten. Der vielfach nachgedruckte mediale Angriff h\u00e4tte das Interesse und letztlich den Umsatz steigern k\u00f6nnen. Auf der anderen Seite ist das Erkel ein riesiges Theater f\u00fcr \u00fcber 2000 Zuschauer, das in den Sommermonaten nur schwer zu bespielen ist – Effizienz k\u00f6nnte auch eine Rolle gespielt haben, wie Operndirektor \u00d3kov\u00e1cs in einem sp\u00e4teren Versuch zu betonen versuchte.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tDieses Argument w\u00fcrde ziehen, wenn es sich um einen Einzelfall handelte. Tut es nicht. Seit dem j\u00fcngsten Erdrutschsieg der Fidesz im April wird die Absicht immer sp\u00fcrbarer, die letzte Bastion der sogenannten Liberalen \u2013 eine Bezeichnung f\u00fcr alle, die der Fidesz kritisch gegen\u00fcber stehen – in Ungarn zu erobern: den Kulturbereich. W\u00e4hrend die politische Entscheidungsfindung vollst\u00e4ndig in den H\u00e4nden von Fidesz liegt und die Wirtschaft nach und nach von regierungsnahen Oligarchen \u00fcbernommen wird, gibt es – wie \u00e4rgerlich! – keine Spur von konservativer Kontrolle im Kulturbereich. Zumindest noch nicht genug. Die Wende hat im kulturellen Leben nicht stattgefunden, SchriftstellerInnen, MusikerInnen und FilmemacherInnen wagen es, die ungarische Regierung bei \u00f6ffentlichen Veranstaltungen zu kritisieren und dennoch \u00f6ffentliche Mittel zu erhalten. Dies ist unzul\u00e4ssig.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tBilly Elliot \u2013 Das Musical (Sir Elton John\/Lee Hall), Erkel-Theater Budapest, Szenenfoto \u00a9: P\u00e9ter R\u00e1kossy\/Erkel-Theater \n\tDer l\u00e4cherliche Angriff gegen Billy Elliot ist nur eine Schlacht in dieser Operation. Die von der Regierung gesponserte Zeitung Magyar Id\u0151k hat eine Artikelserie ver\u00f6ffentlicht, in der “Pseudo-Liberale” aufgelistet sind, die von Fidesz benannt wurden, aber immer noch gute Kontakte zum “Feind” haben. Der Direktor des Pet\u0151fi-Literaturmuseums, der fr\u00fchere Botschafter von Berlin und Bern, Gergely Pr\u0151hle, musste \u00f6ffentlich sein Programm verteidigen, Schriftsteller wie P\u00e9ter N\u00e1das oder Gy\u00f6rgy Dragom\u00e1n eingeladen und eine Geburtstagsfeier f\u00fcr Gy\u00f6rgy Konr\u00e1d (alle als vehementer Kritiker des Regimes eingestuft) organisiert zu haben. Die bekannte und angesehene Budapester Buchmesse wurde ebenfalls ins Visier genommen, weil sie Daniel Kehlmann eingeladen hatte, der in Interviews mit seiner negativen Meinung \u00fcber die Fidesz-Regierung nicht hinter dem Berg hielt.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tIn Ungarn kann ein kleines Propagandablatt die Kulturpolitik diktieren.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tIn einem normalen Land k\u00e4me es niemandem in den Sinn einer Zeitung wie Magyar Id\u0151k zu antworten, die eine Auflage von etwa 6000 Exemplaren verkauft. Aber Ungarn ist kein normales Land. Hier kann ein kleines Propagandablatt, das als Sprachrohr der Regierung gilt, die Kulturpolitik diktieren, denn – und das ist das Wesen des Systems – niemand, nicht einmal Menschen, die dem Fidesz-Regime ergeben sind, k\u00f6nnen sich auf ihren St\u00fchlen sicher f\u00fchlen. Die irrationalen Regeln und die Gesellschaft passen sich einander an.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\t<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n \n\tDieser Text ist urheberrechtlich gesch\u00fctzt. \u00a9 Edit Inotai. Bei Interesse an Wiederver\u00f6ffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Redaktion. Zur Freiheit der Kunst und Zensur in Ungarn<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":1313,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[434,299],"tags":[264,212,312],"formats":[],"acf":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3520"}],"collection":[{"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=3520"}],"version-history":[{"count":3,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3520\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":7934,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3520\/revisions\/7934"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/media\/1313"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=3520"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=3520"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=3520"},{"taxonomy":"format","embeddable":true,"href":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/wp-json\/wp\/v2\/formats?post=3520"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}\n\t\n\t<\/div>\t
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Zs\u00f3fia N. Horv\u00e1th, Journalistin bei Magyar Id\u0151k<\/em>
Als wichtigsten Beweis f\u00fchrt die Autorin des Kommentars eine bis dato unbekannte Journalistin die Szenen an, in denen Billy Elliott und sein Freund Frauenkleider anprobieren oder Billy statt einer weiblichen Ballerina mit dem Prinz in Schwanensee tanzt. Abschlie\u00dfend fordert die Autorin, dass das Musical abgesetzt werden solle, denn es sei der staatlich subventionierten Oper unw\u00fcrdig diese Art schwuler Propaganda zuzulassen, die das junge Publikum anstecken k\u00f6nnte.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\t\n\t<\/div>\t
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Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: Billy Elliot \u2013 Das Musical (Sir Elton John\/Lee Hall), Erkel-Theater Budapest, Szenenfoto \u00a9: P\u00e9ter R\u00e1kossy\/Erkel-Theater.<\/em><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"