{"id":3500,"date":"2018-05-25T00:00:00","date_gmt":"2018-05-25T00:00:00","guid":{"rendered":"https:\/\/erste-foundation.byinfinum.co\/grauzone\/"},"modified":"2021-07-01T06:24:31","modified_gmt":"2021-07-01T06:24:31","slug":"grauzone","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/tippingpoint.net\/de\/grauzone\/","title":{"rendered":"Grauzone"},"content":{"rendered":"\n\n\t\n\t\t\t
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\n\tSolange man den Krieg aus der Ferne beobachtet, ist die Lage eindeutig. Die Ukraine verteidigt im Donbass Europas Freiheit und sch\u00fctzt sich selbst vor dem Zugriff des russischen Staates und seiner prorussischen Helfer. Die Separatisten behaupten, gegen eine angebliche faschistische Bedrohung durch die Regierung in Kiew zu k\u00e4mpfen. Die Ukraine ist zum Zankapfel zwischen Ost und West geworden, aufgerieben im Streit \u00fcber geopolitische Orientierung und die Frage, wie viel Freiheit und Souver\u00e4nit\u00e4t einer ehemaligen Sowjetrepublik an der Westgrenze Russlands zugestanden wird. Hier haben die aktuellen Verwerfungen zwischen Russland, der EU und den USA ihren Ausgang genommen.<\/strong><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDoch je naher man r\u00fcckt, desto un\u00fcbersichtlicher wird die Lage. In der Ukraine bekommen allm\u00e4hlich die Beharrungskr\u00e4fte Oberhand. Das Land droht vom Reformkurs abzukommen. Die politischen Eliten stehen zunehmend in der Kritik, zuvorderst an sich selbst zu denken und nicht an die Erf\u00fcllung der Versprechen der \u201eRevolution der W\u00fcrde\u201c vom Winter 2013\/2014. In der ostukrainischen Region Donbass geht der Krieg in sein f\u00fcnftes Jahr.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tFoto: \u00a9 Florian Rainer<\/p>\t<\/figcaption>\n<\/figure>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tNach einer anf\u00e4nglichen patriotischen Welle, dem aufopfernden Engagement von Freiwilligen zur Unterst\u00fctzung der Armee und der Versorgung von Binnenfl\u00fcchtlingen ist die Gesellschaft mittlerweile ersch\u00f6pft und kriegsm\u00fcde. Insbesondere im Konfliktgebiet. Hier war ein Gutteil der Menschen noch nie begeistert von der Pr\u00e4senz der Armee, hier trifft man statt auf Siegeswillen auf Ohnmacht und Indifferenz. Die meisten Bewohner des Donbass w\u00fcrden wohl weder die Behauptung Kiews unterschreiben, dass hier heldenhaft gegen Okkupanten und Invasoren gek\u00e4mpft wird, noch die Version des Kreml, dass das ukrainische Volk auf Zutun der Vereinigten Staaten in einem B\u00fcrgerkrieg ausgelaugt wird. Offiziell k\u00e4mpfen Helden, Befreier und Besch\u00fctzer gegen Terroristen, Besatzer und Faschisten, dazwischen stehen die Verr\u00e4ter und Kollaborateure. Doch die Begriffe, mit denen beide Seiten operieren, sind vielfach zu Worth\u00fclsen geworden. Im Donbass, von dem dieses Buch handelt, glauben die wenigsten, dass es etwas gibt, f\u00fcr das es zu k\u00e4mpfen oder gar zu sterben lohnt.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tGrauzone: Eine Reise zwischen den Fronten im Donbass<\/h2>\n\t
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\n\tDer Fotograf Florian Rainer und die Journalistin Jutta Sommerbauer dokumentieren in ihrem Buch Grauzone: Eine Reise zwischen den Fronten im Donbass<\/a><\/em> die Geschichten von Menschen aus dem Kriegsgebiet. Fragen nach der pers\u00f6nlichen Verortung in diesem Konflikt, der Bewahrung von Individualit\u00e4t und den Perspekti\u00adven f\u00fcr die Zukunft haben die beiden auf ihrer Recherche geleitet. Grauzone<\/em> ergr\u00fcndet die neuen Realit\u00e4ten, die die militarisierte Grenze schafft. Improvisation, Stillstand und Un\u00adgewissheit, Angst und Melancholie bestimmen das t\u00e4gliche Leben, aber auch menschliches Durch\u00adhalteverm\u00f6gen und verhaltene Hoffnung, die sich meist aus den kleinen Dingen des Alltags speist.<\/p>\n\t<\/div>\n<\/div>\n\t<\/div>\n\n<\/div>\n\n\n\n

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\n\tMan will ihn nicht, diesen Krieg, ja man ist nicht einmal sicher, wer hier gegen wen antritt, nur eines steht fest: Komu-to eto wygodno. Irgendjemandem nutzt dieser Krieg. Wem, bleibt ungesagt und oft der Imagination \u00fcberlassen. Es ist die Leerstelle, die je nach Belieben mit unterschiedlichen Begriffen gef\u00fcllt werden kann: den M\u00e4chtigen, den Einflussreichen, Noch-Pr\u00e4sident Petro Poroschenko, den lokalen Banditen, den Oligarchen. Die Liste ist lang und variabel, Ausdruck eines tief sitzenden Misstrauens gegen\u00fcber den M\u00e4chtigen, das durch den Krieg immer weiter befeuert wird.

Der Krieg im Donbass ist ein Stellungskrieg. Seit L\u00e4ngerem werden keine gro\u00dfen Schlachten mehr geschlagen. Das milit\u00e4rische Vorankommen beschr\u00e4nkt sich auf beiden Seiten meist auf wenige Meter. Ein Feld, ein Weiler, eine Anh\u00f6he: Was auch immer man dem Gegner abringen kann, wird trotzig gefeiert. Kurz nach der Unterzeichnung des Minsker Abkommens im Februar 2015 ist die Front zu stehen gekommen. Auf Landkarten ist sie eine quer durch die Gebiete Donezk und Luhansk gezogene Linie, teilweise gerade verlaufend, teilweise gezackt wie das Blatt einer S\u00e4ge. Die Gefechtslinie zieht sich vom Sandufer des Asowschen Meeres in Richtung Norden durch riesige Agrarfl\u00e4chen. In einem Halbkreis umschlie\u00dft sie den Ballungsraum Donezk und folgt sp\u00e4ter dem Flusslauf des Siwerskij Donez nach Osten bis an die russische Grenze.

Sie verl\u00e4uft quer durch D\u00f6rfer, halt Menschen von ihren Arbeitspl\u00e4tzen in den Kombinaten fern und verunm\u00f6glicht das Bestellen der Felder. Die rund 450 Kilometer lange Linie trennt die Gebiete unter Regierungskontrolle von den sogenannten ORDLO: den \u201eEinzelnen Regionen des Donezker und Luhansker Gebiets\u201c, ein neutraler Expertenbegriff f\u00fcr die selbsterkl\u00e4rten Donezker und Luhansker Volksrepubliken (im Buch abgek\u00fcrzt als DNR und LNR) mit ihren von Moskau unterst\u00fctzten Statthaltern. Gesch\u00e4tzte dreieinhalb Millionen Menschen leben in den Separatistengebieten, die etwa ein Drittel des urspr\u00fcnglichen Donezker und Luhansker Gebiets ausmachen.<\/p>\t<\/div>\n\n<\/div>\n\n<\/div>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tDen Verlauf ihrer Grenze merklich zu ver\u00e4ndern, w\u00e4re derzeit f\u00fcr beide Seiten politisch riskant und milit\u00e4risch nur mit viel Blutvergie\u00dfen zu verwirklichen. Dennoch haben das Waffenstillstandsabkommen und die laufenden Gespr\u00e4chsrunden in Minsk, zu denen sich Ukrainer, Russen und die Separatistenanf\u00fchrer von Luhansk und Donezk regelm\u00e4\u00dfig treffen, keine richtige Beruhigung gebracht. Die Beobachter der OSZE registrieren Tag f\u00fcr Tag schwere Verst\u00f6\u00dfe gegen die nur auf dem Papier existente Waffenruhe. Schusswaffen, Artillerie und Raketen werden regelm\u00e4\u00dfig eingesetzt; die Zahl der Toten hat die 10.000er-Marke l\u00e4ngst \u00fcberschritten. 1,8 Millionen Menschen sind in der Ukraine als Binnenfl\u00fcchtlinge registriert.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tIrgendjemandem nutzt dieser Krieg. Wem, bleibt ungesagt und oft der Imagination \u00fcberlassen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tEin Plan zur Konfliktl\u00f6sung liegt auf dem Tisch, doch es fehlt der politische Wille zur Implementierung: In der Ukraine ist die Kompromissbereitschaft enden wollend, da das Minsker Abkommen in einem Moment milit\u00e4rischer Bedr\u00e4ngnis zustande kam. Je l\u00e4nger der Schwebezustand zwischen Nicht-Krieg und Nicht-Frieden andauert, desto mehr w\u00e4chst der Unmut \u00fcber das Papier. F\u00fcr Moskau wiederum ist der Krieg ein Vehikel, um die Ukraine am politischen und wirtschaftlichen Fortkommen zu hindern. Der Kreml hat wenig Interesse an der vollst\u00e4ndigen Beilegung des Konflikts. Und die Separatisten? Sie wollen am wenigsten Abstriche machen, schlie\u00dflich bangen sie um ihr sprichw\u00f6rtliches \u00dcberleben.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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\n\tFoto: \u00a9 Florian Rainer<\/p>\t<\/figcaption>\n<\/figure>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tKonflikte laufen wie von selbst<\/strong>

    Wenn die Begeisterung f\u00fcr den Krieg nachgelassen hat, warum wird dann weiter Munition verschossen? Im Donbass ist der Fall, was f\u00fcr viele Brennpunkte zutrifft: Konflikte laufen nach einiger Zeit wie von selbst. Einfacher, als sie zu beenden, ist weiterzuk\u00e4mpfen, auch wenn es nicht viel zu gewinnen gibt. Waffenlieferanten profitieren, Soldaten und K\u00e4mpfer erhalten ihren Sold, Business M\u00e4nner verdienen am Schmuggel, Taxifahrer an den Zwischen-den-Fronten-Reisenden und Hotelbesitzer an den billigen Betten, die sie den Pensionisten vermieten, die f\u00fcr den Empfang der Pension und zum Einkaufen auf die andere Seite reisen m\u00fcssen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tFoto: \u00a9 Florian Rainer<\/p>\t<\/figcaption>\n<\/figure>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tIn den Separatistengebieten w\u00e4chst die Abh\u00e4ngigkeit von Russland. Moskau f\u00fcllt die L\u00fccke, die die Ukraine hinterlassen hat, und bindet so die Bev\u00f6lkerung an sich: mit humanit\u00e4rer Hilfe, der Anerkennung von Universit\u00e4tsabschl\u00fcssen, Nummernschildern und Geburtszertifikaten. Die verzweifelte \u00f6konomische Lage und der sinkende Lebensstandard lassen vielen keine Wahl. Zudem regiert die dortige F\u00fchrung mit harter Hand, baut auf Feindrhetorik und beschw\u00f6rt die st\u00e4ndige Bedrohung von au\u00dfen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tIn der Sprache der Experten gibt es noch ein anderes Wort f\u00fcr die Front: Kontaktlinie. Doch viel mehr ist sie eine Trennlinie. Sie trennt Nachbarn und Familien, keine feindlich gesinnten Gruppen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tAuch auf der ukrainisch kontrollierten Seite werden widerspr\u00fcchliche Schritte gesetzt: Einerseits bem\u00fchen sich lokale Beh\u00f6rden im regierungskontrollierten Donbass um B\u00fcrgernahe und die Instandsetzung von Infrastruktur; sie unterst\u00fctzen zivilgesellschaftliche Initiativen. \u201eDie Ukraine, das sind wir!\u201c hei\u00dft es. Andererseits hat Kiew Schritte gesetzt, die die Spaltung der Konfliktregion bef\u00f6rdern: Die seit Fr\u00fchling 2017 wirksame Wirtschaftsblockade, b\u00fcrokratische Hindernisse und unmenschliche Bedingungen an den Checkpoints haben viele Menschen verst\u00f6rt. Und schlie\u00dflich finden in der Politik Stimmen zunehmend Geh\u00f6r, die die Verantwortung f\u00fcr das Wohlbefinden der ukrainischen B\u00fcrger vollst\u00e4ndig dem Aggressor, der Russischen F\u00f6deration also, \u00fcberantworten wollen. Eine politische L\u00f6sung, Vers\u00f6hnung und territoriale Reintegration w\u00e4ren damit in weite Ferne geschoben, noch weiter weg, als sie heute schon erscheinen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tFoto: \u00a9 Florian Rainer<\/p>\t<\/figcaption>\n<\/figure>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tDer Konflikt ist ein st\u00e4ndiger Begleiter im Alltag, wie die Geschosse, auf die \u00f6rtliche Bewohner fast schon warten, wenn sie einmal l\u00e4nger ausbleiben. Der Donbass gilt vielen als gesetzloses Gebiet, als schwarzes Loch oder wei\u00dfer Fleck. Viel mehr noch ist er jedoch ein Provisorium, in dem man sich notgedrungen einrichten muss, eine tempor\u00e4re L\u00f6sung, die f\u00fcr unbekannt lange Zeit halten muss. Ein fragiler Schwebezustand, stabile Instabilit\u00e4t.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tDas Gebiet zwischen den festgefahrenen Stellungen wird im Kriegsjargon \u201eGraue Zone\u201c genannt: In einer sprichw\u00f6rtlichen Grauzone leben die Menschen im engen und weiteren Konfliktgebiet, ohne zu wissen, was der n\u00e4chste Tag bringt, in welche Richtung sich ihr Leben entwickeln wird.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tFoto: \u00a9 Florian Rainer<\/p>\t<\/figcaption>\n<\/figure>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\t\u00dcber die Lebensrealit\u00e4t der Menschen in der Grauzone ist nicht viel bekannt, f\u00fcr ihr Leid interessieren sich nur wenige, ihre Erfahrungen finden selten auf internationalen Konferenzen Geh\u00f6r. Doch entlang der Frontlinie leben und arbeiten Hunderttausende. Das Gebiet zwischen den verfeindeten Milit\u00e4rstellungen ist am st\u00e4rksten von den Kriegshandlungen betroffen. Hier stecken Minen im Asphalt, Wasser- und Stromleitungen werden immer wieder notd\u00fcrftig repariert, die Gasversorgung ist eingestellt. Gemeinde\u00e4mter sind unbesetzt und Schulen und Kinderg\u00e4rten oft geschlossen. Hier harren nur noch wenige aus \u2013 oft die Schw\u00e4chsten, die keine anderen Optionen haben. Und diejenigen, die, mutig und lebensm\u00fcde zugleich, einfach nicht weichen wollen. Doch mitten in der Ausgesetztheit gibt es (wenn auch eingeschr\u00e4nkte) Alltagsroutinen. Kinder gehen in die Schule, Frauen zur Manik\u00fcre, Bauern bestellen das Feld, Paare verlieben und entlieben sich, Pensionisten \u00fcberqueren die Checkpoints und telefonieren mit ihren Verwandten auf der anderen Seite der Front.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tAuf unseren Reisen im Fr\u00fchling und Herbst 2017 sind wir den Spuren der Bewohner der Grauzone gefolgt. Unser Weg f\u00fchrt uns die Gefechtslinie entlang, dort, wo sich diese Erfahrungen zu einer Frontexistenz verdichten \u2013 und gleichzeitig aufl\u00f6sen. Die Reise f\u00fchrt uns auf beide Seiten und zeigt, dass die getrennten Welten sich in vielem \u00e4hnlich sind. Auf eine aktive Zuordnung der Protagonisten zu den Konfliktparteien haben wir bewusst verzichtet: Mitunter ist sie offensichtlich, mitunter ist sie irrelevant. In einer Karte sind die Schaupl\u00e4tze geografisch verortet.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tEine Frontlinie kann man nat\u00fcrlich nicht entlangfahren. Man kann sich ihr aber n\u00e4hern. Das haben wir getan, meistens mit der Hilfe mutiger Fahrer und lokaler Guides. Nicht immer haben wir unser Ziel erreicht: Vor manchen D\u00f6rfern wurden wir trotz vorheriger Erlaubnis abgewiesen, andere wiederum konnten wir nur kurz und in Begleitung von Armee und Milizen besuchen. F\u00fcr das Luhansker Separatistengebiet wurde uns die Akkreditierung ohne Angabe von Gr\u00fcnden verwehrt. Das ist der Grund, warum die dortigen St\u00e4dte und D\u00f6rfer in unserem Buch leider nicht vorkommen.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tFoto: \u00a9 Florian Rainer<\/p>\t<\/figcaption>\n<\/figure>\n\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tWir haben auf unseren Reisen viele Menschen getroffen, die sich ein friedliches Zusammenleben in einer vereinten Ukraine nicht vorstellen k\u00f6nnen. Oder zumindest derzeit nicht. Die andauernde Gewaltaus\u00fcbung versperrt den Blick auf friedliche Alternativen. Dass die Verbrechen, die im Laufe des Krieges geschehen sind, aufgekl\u00e4rt werden m\u00fcssen und Gewaltt\u00e4ter zur Verantwortung zu ziehen sind, steht au\u00dfer Frage. Ebenso klar ist, dass das in einem andauernden Krieg sehr schwierig ist. Unabh\u00e4ngig davon ist die ukrainische Gesellschaft auch mit der Frage konfrontiert, welche vielschichtigen Folgen der Konflikt f\u00fcr das Gemeinwesen hat, wie Menschen auf beiden Seiten der Front in Zukunft leben wollen, was sie trennt und was sie verbindet. Ein Anfangspunkt ist es, individuellen Erz\u00e4hlungen zuzuh\u00f6ren und sie zur Kenntnis zu nehmen. Auch wenn wir nicht in allen Aspekten \u00fcbereinstimmen m\u00f6gen, wir sie wom\u00f6glich verst\u00f6rend finden oder sie g\u00e4ngigen (Helden-)Erz\u00e4hlungen widersprechen.

    W\u00e4hrend unserer Besuche in der Grauzone haben wir Geschichten gesammelt, die von Willenskraft erz\u00e4hlen und von Verzagen, vom Sich-selbst-\u00fcberlassen-Sein und Nicht-aufgeben-Wollen, von einem Leben, das mehr als \u00dcberleben sein will. Wir haben die Schicksale von Menschen dokumentiert und wollen sie in Text und Bild weitererz\u00e4hlen. Wenn die gro\u00dfen Begriffe nicht mehr greifen, wird die menschliche Erfahrung zum neuen, alten Ausgangspunkt.<\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n\n\n\n\n\t\n\t\t\t

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    \n\tAuszug aus dem Buch Grauzone: Eine Reise zwischen den Fronten im Donbass<\/a>, erschienen im April 2018 bei bahoe books, Wien. Die Recherchereisen wurden durch das Grenzg\u00e4nger Programm der Robert Bosch Stiftung<\/a> erm\u00f6glicht.<\/em>

    Dieser Text ist urheberrechtlich gesch\u00fctzt: \u00a9 bahoe books \/ Florian Rainer, Jutta Sommerbauer. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Bei Interesse an Wiederver\u00f6ffentlichung bitten wir um Kontaktaufnahme mit der
    Redaktion<\/a>.
    Urheberrechtliche Angaben zu Bildern, Grafiken und Videos sind direkt bei den Abbildungen vermerkt. Titelbild: \u00a9 bahoe books \/ Florian Rainer.<\/em><\/p>\t\t\t<\/div>\n\t\t<\/div>\n\t<\/div>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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